Ausbruch | Die Antirepressions Welle – Thomas Walter: „Der Internationalismus war unser Bestandteil!“

Diesen Monat eine ganz besondere AUSBRUCH-Sendung. Wir freuen uns, dass Thomas Walter (K.O.M.I.T.E.E.) uns besucht und ein Interview gegeben hat. Für mich selbst war es auch etwas ganz besonderes, denn vor rund zwei Jahren habe ich Thomas Walter das erste Mal interviewt, aber er war damals noch in Venezuela und ich selbst saß in meiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Freiburg.

Diesmal waren wir zu viert: Thomas Walter, Flo, David und ich. An einem Tisch saßen wir uns bei Kaffee im Sonnenschein gegenüber. Zu dritt interviewten wir ihn.

Thomas Walter, Bernhard Heidbreder und Peter Krauth wurden 1995 beschuldigt u.a. einen Anschlag auf ein Gebäude des im Umbau befindliche Abschiebegefängnisses in Berlin-Grünau geplant zu haben. Die drei tauchten ab und verbrachten rund 30 Jahre im Exil, denn die Verjährungsfrist für die Verabredung zu dem Sprengstoffanschlaf auf den Knast betrug mittlerweile 40 Jahre.

Am 27. Mai 2021 starb Bernhard im Venezuela an Krebs. Thomas und Peter erhielten Ende des selben Jahres in Venzuela politisches Asyl.

Vor rund zwei Monaten kehrten beide nach Deutschland zurück, nachdem es zu einer Absprache mit der Justiz kam: zwei Jahre auf Bewährung. So kam es dann auch.

Thomas war nun im Mai 2025 bei AUSBRUCH zu Gast. Im Interview sprach er über die Phase der 90’er, als antifaschistische Arbeit auf der Strasse gegen Nazis nötig war, über die Motive was die Anschläge angeht, die Flucht, das Leben in Südamerika, wie auch über die Rückkehr nach Deutschland.

Es wird auch einen zweiten Teil des Gesprächs geben, in welchem einzelne Aspekte vertieft behandelt werden.

Wer mehr über die Zeit der 90’er Jahre in diesem Zusammenhang lesen möchte, dem sei „Aus der Zwischenwelt. Ein Leben auf der Flucht vor dem deutschen Staat“ empfohlen, das unter dem Namen Bernd Heidbreders erschienen ist.

Stuttgarter Aktivist Smily berichtet über sein Zeit im Exil

Rund zehn Jahre ist es nun her, dass Smily sich den Stuttgarter Justizbehörden durch seinen Gang ins Exil entzogen hatte. Körperliche Konfrontation mit Neonazis, Graffiti auf einem Polizeiauto und ähnliches wurde ihm vorgeworfen. Nach zehn Monaten Untersuchungshaft wurde er entlassen. Er entschied sich, lieber einige Jahre das Land zu verlassen, als die Strafe, die ihm drohte abzusitzen. Nachdem alles verjährt war, kehrte er zurück nach Deutschland. Über die Hintergründe des Verfahrens, seine Zeit im Exil und die Rückkehr nach Deutschland schrieb Smily ein Buch: „Haftantritt ausgesetzt“. Auf Vorträgen erzählt er von dieser Zeit und will die Risiken und auch die Möglichkeiten aufzeigen, die in einem solchen Weg liegen.

Angesichts der Repressionen gegen Antifaschist:innen, ob exemplarisch genannt, im Zusammenhang mit dem Antifa-Ost-Verfahren oder dem Budapest-Verfahren, gewinnt die Vorstellung, durch den Gang ins Exil sich der staatlichen Verfolgung zu entziehen, an Aktualität. Schon vor rund 30 Jahren gingen drei Menschen aus Berlin ins Exil, haben sich in Südamerika ein neues Leben aufgebaut und dort zwischenzeitlich die Anerkennung als Flüchtlinge erhalten. Ihnen droht aber weiter strafrechtlliche Verfolgung, sollten sie vor Ablauf von 40 (!) Jahren nach Deutschland zurück kehren.

Am 03.12.2024 trat Smily in Dresden auf. Dort wird alljährlich an den Tod von Riccardo erinnert, einem jungen Antifaschisten der ebenfall ins Exil ging, um der deutschen Justiz eine Verfolgung zu verunmöglichen. Allerdings nahm Riccardo sich dort 2017 das Leben.

RDL war in Dresden und sprach vor der Veranstaltung mit Smily über dessen Exilzeit aber auch darüber, weshalb er in Veranstaltungen darüber spricht.

„Haftantritt ausgesetzt- Über Knast, Untertauchen und Solidarität“

Angesichts der staatlichen Repression stehen politische Aktivist*innen immer wieder vor der Frage, wie gehen sie mit dem Verfolgungsdruck um!? Sich der Justiz ausliefern, solange warten, bis die Festnahme erfolgt, oder ab- und untertauchen? Nun liegt der im immergrün-Verlag erschienene autobiografische Roman eines Antifaschisten aus Stuttgart vor. Smily, RASH-Skin, Tattoo Artist, Student, Bassist der antifaschistische Oi!-Band „Produzenten der Froide“, kam nach 10 Monaten Knast raus und entschloss sich 2013 ins Exil zu gehen.

„Die Reise ins Ungewisse“

„Sie bretterten mit 140 Sachen über die Autobahn (…) Es war eine Reise ins Ungewisse“, so rasant die Geschichte von Karl, wie der Hauptdarsteller des Romans heißt, beginnt, so geht sie auch weiter. Einleitend wird erzählt warum Karl seine Reise begonnen hat: er wird für Konfrontationen mit der „Staatsmacht“ gesucht: bei der Revolutionären 1. Mai Demo wollte ein Cop eine rote Fahne einkassieren, Karl gab sie aber nicht her. Dann war da noch die Verhinderung eines NPD-Infostandes. Zurück in den Knast wollte er nicht mehr, die mögliche Verjährungszeit in seinem Fall betrug (damals) fünf Jahre. Also, so die Überlegung, für diese Zeit abtauchen, sich nicht erwischen lassen und danach wieder zurück in die Legalität. Aber wo soll es hingehen?

„Willkommen auf der Universität der Revolutionäre“

Zuerst führt uns der Roman jedoch ersteinmal ins Gefängnis, denn das hatte Smily schon kennengelernt. Vorwürfe wie Sachbeschädigung (auf einem Polizeiauto fand sich plötzlich der Schriftzug ACAB), aber auch Körperverletzung, im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um eine Grauzonen-Debatte im linken Milieu: Karl war nicht einverstanden damit, dass vermeidlich „unpolitische Skinheadkonzerte“ von Rechten okkupiert wurden.

Da Karl in den Verfahren Zeugen via facebook versucht haben soll einzuschüchtern, wurde Haftbefehl wegen Verdunkelungsgefahr erlassen und Karl bildete sich die nächsten zehn Monate in der JVA fort. Die Leser*innen erfahren viel über den demütigenden, frustrierenden Haftalltag. Karl kam nach Stuttgart-Stammheim, und so erfahren wir auch etwas über die Hintergründe von „Weißer Folter“ und die Bedeutung dieser Haftanstalt für die Inhaftierung der RAF. Wir erleben mit, wie Karl in einer Viermann-Zelle lebt, wie er seinen Alltag zu strukturieren beginnt, wie er Enttäuschungen, aber auch großartige Momente erlebt- und wie wichtig für ihn die solidarische Begleitung durch Menschen von „draußen“ ist.

„Haftantritt ausgesetzt“

Als sich nach der Haftentlassung abzeichnet, dass Karl bald wieder in Haft werde gehen müssen, neue Haftstrafe, Bewährungswiderruf, wollte er nicht mehr zurück in diese enge Welt, sondern sich lieber auf das Abenteuer Leben in Freiheit einlassen: nicht in einem EU-Staat, zu groß schien ihm die Gefahr von dort im Falle einer Polizeikontrolle nach Deutschland abgeschoben zu werden. So fiel die Wahl auf die Türkei. Obwohl in Freiheit, wenn auch auf der Flucht, machte sich bald Heimweh und das Gefühl der Isoliertheit breit.

Aber im Verlaufe der Wochen und Monate wurde er doch sesshaft, konnte eine Liebesbeziehung eingehen und schließlich „sein erstes Tattoo im Exil“ stechen. Was ihm dann in den kommenden Jahren auch materiell den Lebensunterhalt sicher sollte. Aber ohne die Erfahrung der Solidarität wäre auch ein seelisches Überleben nur schwer möglich gewesen.

„Also für mich wäre das nicht hier“

Wir erfahren im Laufe der Romans einiges über die politische Situation in der Türkei in der Zeit ab 2013, der Situation der Kurd*innen, dem Alltagsleben in Istanbul, aber vor allem, wie trotz des kämpferischen Herzens von Karl, es für ihn meist ein Tanz auf Messers Schneide war, denn nie durfte er in eine Polizeikontrolle kommen, durfte nicht (offen) mit seinen Freund*innen und Genoss*innen, wie auch seiner Familie in Deutschland kommunizieren, zu groß die Gefahr, dass deutsche Behörden ihn sonst aufgespürt hätten. Und doch bekam er irgendwann Besuch von Gefährt*innen aus Deutschland. Wo diese sich jedoch frei bewegen konnte, achtete er selbst darauf lieber Seitenstraßen als belebte Hauptstraßen zu nutzen, nicht immer in den selben Supermarkt zu gehen, die Telefonnummer regelmäßig zu wechseln und viele (vermeintliche) Kleinigkeiten mehr. So dass ein Freund der ihn besuchte mal meinte, als für ihn „wäre das nichts hier“. So auf Flucht, immer auf dem Sprung sein müssend. Für Jahre!

„Die Heimreise“

Doch irgendwann war die Verjährungszeit vorüber. Karl konnte sich auf den Heimweg machen auch wenn er nicht einfach in das nächstbeste Flugzeug steigen konnte, denn er schließlich hielt sich seit Jahren illegal im Land auf. Und so macht Karl die Erfahrung wie es sich anfühlt als Geflüchteter in einem Abschiebeknast zu landen, denn die Zugreise, für die er sich entschied, diese endete unerwartet an der Außengrenze der Türkei. Karl wurde festgenommen und verbrachte die nächsten fünf Tage auf engstem Raum mit neun weiteren gefangenen Flüchtlingen, bevor ihn die Türkei frei ließ, um ihn ins nächste Flugzeug nach Deutschland zu stecken.

Die Wirklichkeit im und hinter dem Roman

Karl hat so manche Gemeinsamkeit mit Smily. Nicht nur, weil im Jahr 2019 eine Broschüre mit dem gleichnamigen Titel erschienen war, in der dieser von seinem Untertauchen und der Flucht in die Türkei erzählte, sondern im Anhang zu dem knapp 260 Seiten starken Buch finden sich auch ein „Erlebnisbericht“ aus Smilys Zeit in Stammheim, sowie ein Interview, in welchem er über seine Exilzeit erzählt. In einem Nachwort kommen auch Genoss*innen von Smily zu Wort, die Exil und politischen Widerstand historisch kontextualisieren und die Bedeutung der „praktischen Solidarität mit den ‚Illegalen‘“ über Jahre oder Jahrzehnte betonen.

Erinnerung und ein Dazwischen

Das erinnert manche vielleicht an die Situation von Bernhard Heidbreder, Peter Wendelin Krauth und Thomas Robert Walter in Venezuela, die seit fast 30 Jahren im Exil leben. Oder erinnert an einen Aktivisten, der im Mai 2023 entschied, eine Haftstrafe nicht anzutreten. Oder auch an die seit 2023 untergetauchten Beschuldigten im Verfahren um den sogenannten Budapest-Komplex.

Mich erinnert es zudem an jenes Buch das vor etwas zwei Jahren, ebenfalls im immergrün-Verlag erschienene ist: „Ich vermisse Euch wie Sau“. Dort arbeitete ein Kollektiv von Genoss*innen und Gefährt*innen den Suizid von Riccardo auf, einem jungen politischen Aktivisten aus Sachsen, der ebenfalls als Folge staatlicher Verfolgung, ins Exil ging: er flüchtete nach Moçambique. Von wo er nicht mehr lebend zurück kehren sollte- denn er nahm sich dort 2017 das Leben.

Hier ein Leben das viel zu früh im Tod endete, dort ein Leben das wieder nach Deutschland führte. Und dazwischen jene Menschen die aktuell untergetaucht sind oder untertauchen werden.

Das Buch vom Smiley will und kann keine Handlungsanleitung sein, und auch wenn der Roman mit Schwung geschrieben worden ist, bei aller Coolness die Karl an den Tag legt, immer dort, wo es um Fragen des existenziellen Überlebens, der Sorgen, der Einsamkeit geht, wird hinter manchmal etwas gestelzten Worten, genau deshalb, die Not so greifbar.

Bibliografische Angaben

Autor: Smily
Titel: „Haftantritt ausgesetzt- über Knast, Untertauchen und Solidarität“
256 Seiten
Preis: 12 €
ISBN: 978-3-910281-12-7

Freiburger Gefängnis verschärft Bedingungen für Kurzzeit-„Ausflüge“

Auch im Bereich der Sicherungsverwahrung kam es nun zu Verschärfungen hinsichtlich der sogenannten „Ausführungen“, wenn also Insassen für ein paar Stunden bewacht die Anstalt verlassen dürfen um mal einzukaufen oder wandern zu gehen.

Bisherige Praxis

Bislang mussten die Freiburger Sicherungsverwahrten auf einem Formular grob umreißen was sie gerne tun möchten, wenn sie von 8:30-14:00 Uhr die Anstalt bewacht verlassen. Vier Mal im Jahr wird ihnen diese vom Gesetz zugestanden: Essen gehen, spazieren, einkaufen. Manche gingen dann erstmal etwas frühstücken, danach durch mehrere Geschäfte, Mittag essen und zuletzt nochmal in Läden- egal ob sie etwas kaufen,  oder einfach nur bummeln wollten. Wer lieber eine Wanderung oder Fahrradtour machte, konnte auch dies- und ging dann danach vielleicht noch einkaufen.

Neuregelung seit Anfang Januar 2024

Der Leiter der JVA Freiburg ordnete an, dass nunmehr nur noch ein Geschäft aufgesucht werden dürfe, wenn man im Rahmen der Ausführung auch wünsche Essen zu gehen. Wer in zwei Geschäfte wolle, dürfe das nur, wenn er auf das Essen gehen verzichte. Fahrradtouren entfallen vorerst vollständig. Wer wandern wolle, dürfe dies noch, könne dann jedoch nicht einkaufen gehen. Und einkaufen dürfe man auch nur für 2 ½ Stunden, d.h. hier würden keine Ausführungen mehr von 8:30-14:00 Uhr genehmigt, die gelte nicht nur für künftig zu beantragende, sondern auch für längst genehmigte und terminierte Ausführungen.

Der Anstaltsleiter begründete auf seinem Aushang die Maßnahmen nicht.

Hintergründe der Verschärfungen

Vergangenes Jahr gelang es einem Insassen der JVA Bruchsal sowie einem der JVA Mannheim erfolgreich, sich dem Strafvollzug zu entziehen. Der eine flüchtete im Rahmen einer Ausführung an einen See, der andere im Rahmen einer Ausführung zu einem Arzttermin. Presse, wie die BILD oder der Südwestrundfunk und im Landtag vertretene Parteien, wie die SPD. nahmen dies zum Anlass für oftmals polemische Kritik; eine Rednerin empörte sich im Landtag, dass es Gefangene gebe, die dürften sogar auf einen Weihnachtsmarkt.

Landesjustizministerin Marion Gentges von der CDU nahm dies zum Anlass für eine Neuregelung der Gestaltung der Ausführungen- und das ist das Ergebnis. Dies betrifft alle Vollzugsarten, also U-Haft, Strafhaft, Sicherungsverwahrung, sowie den Jugendvollzug.

Einordnung

Die Verschärfungen reihen sich ein, in eines auch im Straf- und Justizvollzug spürbaren Rollback. Mühsam gerichtlich erstrittene oder sonstwie erkämpfte kleine „Freiheiten“ werden beschnitten oder gänzlich gestrichen. Hafterfahrene Menschen werden weiter stigmatisiert. Eine der wenigen Freuden im tristen Vollzugsalltag wird beschnitten, nur weil die Ministerin nicht willens ist, ihre eigene Vollzugspolitik offensiv zu verteidigen. Jetzt müssen die Betroffenen versuchen vor Gerichten die Verschärfungen zu bekämpfen.

Kommentar: Freiburger Polizei veröffentlicht rassistische Fahndungsmeldung

Mitte November 2023 fahndete die Freiburger Polizei nach einem aus der Forensischen Psychiatrie geflüchteten jungen Mann.

In der Fahndungsmeldung wurde neben der üblichen Personenbeschreibung wie Größe und Statur in der Rubrik „Erscheinungsbild“ angegeben „afrikanisch“. RDL wollte wissen was es mit dieser rassistischen Fahndung auf sich hatte. Mangels substantieller Antworten seitens der Behörden, kommentierte ich auf RDL den Vorfall.