
Mit zunehmender technischer Entwicklung erweitern auch Polizei und Justiz ihre Methoden: ob es erst die Fingerabdruckspuren waren, später die DNA-Tests und nun, mittels künstlicher Intelligenz, sogenannte digitale Rig, eine Abstraktion des menschlichen Skeletts. An der Verwendung in Strafverfahren gibt es fundierte Kritik.
Das Verfahren
Ein Professor von der Hochschule Mittweida will Beschuldigte in Strafverfahren angeblich anhand ihrer Körpermaße identifizieren können. Bei seinem biometrischen Verfahren werden auf Bildern, wie sie z.B. Überwachungskameras liefern, die Körper von Beschuldigten vermessen und analysiert. Die Hypothese von Professor Dr. Labudde: Jeder Mensch hat ein individuell ausgeformtes Knochengerüst und damit zwangsläufig ein einzigartiges „Gangbild“. Labudde: „Fingerabdrücke oder das Muster der Iris gelten längst als gerichtsfeste Beweise. Beim Gangbild ist das noch nicht der Fall. Wenn uns das gelingt, wäre das ein Meilenstein in der Verbrechensaufklärung!“.
Hier ist zu ergänzen, dass der Professor aus Mittweida, als Prokurist der Firma FZ forensic.zone GmbH tätig ist, wie eine einfache Rechereche bei northdata ergibt. Zu deren Angebotsprofil gehört u.a. die „Erstellung von IT-forensischen Sachverständigengutachten im Bereich der Strafverfolgung“. Geschäftsführerin der Firma ist seine Ehefrau Mirijam Labudde. Während er sich in der Boulevardpresse als „Star der Digitalen Forensik“ feiern lässt, tritt er zugleich als Sachverständiger vor Gericht auf, um seine Methode zu vertreten.
Strafverfahren gegen Hanna S.
Hanna S. wurde kürzlich verurteilt, weil sie angeblich im Frühjahr 2023 in Budapest, zusammen mit anderen Antifaschist:innen, Neonazis misshandelt habe.
Das Oberlandesgericht hatte Professor Labudde beauftragt, Videoaufnahmen aus Budapest mit Aufnahmen von Hanna S. zu vergleichen. Trotz massiver Proteste und Kritik der Verteidiger:innen von Hanna, auch an dessen Methode, hatte das Gericht ihn mit dem Gutachten beauftragt, wiewohl es dann im Urteil keine alleinentscheidende Rolle spielte:
„.Das forensische Gutachten von Dirk Labudde wird als „ergänzend“ mit in die Betrachtung aufgenommen, an der Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Methode hat aber auch der Senat Zweifel. Aber schließlich habe das forensische Gutachten auch nicht ergeben, dass die unbekannte Person nicht Hanna sei.“, so schreiben es die Prozessbeobachter:innen anschließend auf ihrer webseite.
Kritik des Berliner Landgerichts im Goldmünzenfall
Im sogenannten „Goldmünzenfall“, zeigte sich schon ein Verteidiger eines der Angeklagten skeptisch und fasste die Methode Labuddes wie folgt zusammen: „Die Methode ist komplett für den Mülleimer“. Vor Gericht rug er vor, er könne nachweisen, dass der Angeklagte in dem Fall, er soll an dem Diebstahl einer 100kg Goldmünze aus einem Berliner Museum beteiligt gewesen sein, die Person auf dem Video sein könne, es gebe da ein „Match“ zwischen Skelettaufnahmen des Angeklagten und des Videos. „Und was sagt uns das jetzt?“ fragte die Vorsitzende Richterin den Gutachter. Denn auf die Frage bei wie vielen anderen Menschen in Europa man auch zu einer solchen Übereinstimmung käme, fiel Labudde nur soviel ein: „So weit ist die Forschung noch nicht.“. Aber das ficht den Professor nicht an, für ihn war sein Auftritt vor dem Berliner Landgericht nicht etwa ein Fiasko, sondern ganz im Gegenteil -Zitat- „ein Glücksfall“.
Exkurs: neuartige und alte Methoden in und aus Sachsen
Sachsen machte in den letzten Jahren nicht nur in politischer Hinsicht Schlagzeilen, was das Demokratie-Verständnis auch der Exekutiven anbelangt, sondern auch hinsichtlich neuartiger kriminaltechnischer Methoden, hier in Gestalt von Mantrailer-Hunden. Der Polizeidirektor Dr. Leif Woidke promovierte zur Frage „Menschlicher Individualgeruch als forensisches Identifizierungsmerkmal“ in Leipzig.
Eine Studie der Universität Leipzig sollte zeigen, dass Personenspürhunde – sogenannte Mantrailer-Hunde – äußerst zuverlässig individuelle Gerüche aufspüren können. Laut den Forschungsergebnissen von Studienleiter Dr. Woidtke nehmen die Hunde in 98 Prozent aller getesteten Fälle die richtige Geruchsspur auf. Mehr noch: Die getesteten Hunde könnten sogar DNA-Spuren erschnüffeln. Allerdings kamen bald Zweifel an Methodik und Ergebnissen auf, so dass das Fachjournal „Forensic Science International“ in einer sogenannte „Expression of Concern“ (dt.: Ausdruck der Besorgnis), darauf hinwies, dass in Dr. Woidkes „Hunde-Studie“ gravierende Fehler enthalten sein könnten.
Mittlerweile ermittelt die Universität Leipzig ob dem Polizeidirektor Dr. Woidke der Doktortitel wieder aberkannt werden muss. Ein erstes Verfahren hatte die Universität Leipzig dann bald eingestellt. Als das Verfahren dann erneut aufgenommen wurde, klagte Dr. Woidkte erfolglos gegen diese Entscheidung im Eilverfahren. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgericht zog er vor das Oberverwaltungsgericht-und auch da verlor er auf ganzer Linie.
Jetzt also wieder die Skelettvermessung- aus Sachsen. Wenn wir in die Zeit des Nationalsozialismus zurückschauen, wäre zu nennen Otto Reche, von 1927 bis 1945 an der Universität Leipzig tätig. Völkisch-national orientiert, stellte Professor Dr. Reche seit 1933 seine „rassenkundliche“ Forschung in den Dienst des NS-Regimes. Er war damals auch an anthropometrischen und Schädel-Messungen beteiligt.
Aktuelle juristische Kritik an der Skelettvermessung a la Professor Labudde
In einem aktuellen Aufsatz kommen Anne Zettelmeier und Prof. Dr. Dominik Brodowski von der Universität im Saarland zu dem Ergebnis, dass aus verschiedenen Gründen, die Skelettvermessung die Labudde betreibt, „zwar ausreichen (könne), um hinreichende Zweifel an der Täterschaft von Beschuldigten zu begründen“, aber „als zentrales Beweismittel die Verurteilung“ nicht zu tragen geeignet sei. Schon ein „digitales Skelett“ von einer beschuldigten Person zu fertigen sei rechtlich problematisch, denn es gibt die Selbstbelastungsfreiheit, niemand muss dabei mitwirken sich selbst zu belasten.
Vor allem geht es zweitens um die Aussagekraft der Untersuchungen, die methodisch zwangsläufig mittels künstlicher Intelligenz erfolgen, oder wie die Autor:innen schreiben: „Es ist hier das Ergebnis einer KI-„Berechnung“ (die digitalen Skelette bzw. deren Ähnlichkeit), dem unmittelbar ein Beweiswert zugeschrieben wird.“
Ausblick
Vor dem Oberlandesgericht Dresden und dem Oberlandesgericht Düsseldorf beginnen bald die Prozesse gegen Antifaschist:innen, denen, wie Hanna S. vorgeworfen wird, Neonazis körperlich angegriffen zu haben. Auch in diesen Verfahren soll die umstrittene „Labudde-Methode“ zum Einsatz kommen, einer Methode die nicht nur, wie oben dargelegt, historisch in einer hochproblematischen Tradition steht, sondern wissenschaftlichen und rechtlichen Grundsätzen kaum entsprechen dürfte. Wenn der Gutachter dann auch noch die Methode die er selbst maßgeblich forciert und (mit)entwickelt, zum finanziellen Vorteil nutzt, ob von sich selbst, oder der Firma in der er als Prokurist angestellt ist, dann erscheint das mindestens ethisch zweifelhaft. Auch als Buchautor für das breite Publikum verdient er nicht nur Geld damit, sondern versucht auf diese Weise seine Methode zu popularisieren.
Ob sich auch die Oberlandesgerichte in Dresden und Düsseldorf auf die angebliche Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit eines solchen Sachverständigen stützen werden, dessen berufliche und finanzielle Existenz eng mit der von ihm weiter entwickelten Methode verbunden ist, erscheint noch nicht geklärt. Schon aus dem Bereich der forensisch tätigen Psychiater:innen ist es bekannt, dass diese oftmals gerade nicht neutral sind, wie schon vor einigen Jahren das Deutsche Ärzteblatt berichtete.
Weshalb das bei einem Sachverständigen wie Professor Dr.Lubbe anders sein sollte, ist nicht ersichtlich.