Knast – eine eigene Welt

 

In deutschen Gefängnissen geschieht mitunter auch Sonderbares, was im ersten Moment zum Lachen reizt, oder ungläubig den Kopf schütteln lässt; aber fast immer weist die auch noch so skurril anmutenste Situation auf tiefer gehende und vor allem bedrückende Zustände hin. Von diesen soll heute die Rede sein.

Weichspüler im Nasenspray
In der nordrhein-westfälischen Haftanstalt in Remscheid stieg 2010 der Verbrauch von Nasensprays offenbar rasant an. Wie die Süddeutsche Zeitung (28.02.2011) berichtete, schlug dann bei einer Zellenkontrolle ein Spürhund an und so untersuchten die Beamten die Nasensprays näher. Was fanden sie? Handelsüblichen Weichspüler. Die Inhaftierten waren der Überzeugung, der Weichspüler würde, wie sie sagten „so richtig rein hauen“, sprich sie betäuben, bzw. in einen rauschähnlichen Zustand versetzen.

Hintergrund für diese Vermutung mögen Berichte über Reinigungsmittel sein, welche u.a. GBL (eine in der Medizin als Narkotikum verwendete Form von Buttersäure) enthalten; wie toxikologische Untersuchungen dann ergaben, fanden sich zumindest winzigste Spuren von GBL in jenem Weichspüler, allerdings nicht in einer Dosis, welche einen Rausch hervorrufen könne, wird in dem SZ-Artikel ein Toxikologe zitiert. Dessen ungeachtet verbot das Justizministerium die weitere Ausgabe dieses Weichspülers an Gefangene.

Je nach Untersuchung der Quelle wird von einem Anteil an Drogensüchtigen im Strafvollzug von 50% – 80% ausgegangen, wobei die letztgenannte Zahl dann auch so genannte „GelegenheitskonsumentInnen“ einschließt.
Menschen einzusperren ist, kurz gesagt, unnatürlich; eingesperrt in kleinen Zellen, mitunter 23 Stunden pro Tag, das über Jahre. Allein gelassen mit ihren Sorgen, wie auch ihren in aller Regel vielfältigen Problemen, ist die Versuchung für sehr viele groß, sich durch berauschend wirkende Substanzen zumindest kurzfristig der Situation (vermeintlich) zu entziehen. Da Alkohol hinter Gittern streng verboten ist, wird alles konsumiert, was in irgendeiner Weise einen Rauschzustand verspricht. Illegale Drogen sind enorm teuer, aber all zeit erhältlich – und wenn dann das Gerücht umgeht, der kostenlose Weichspüler enthält GBL, ist es nur zu verständlich, dass auch auf die Gefahr hin einer Falschmeldung aufzusitzen, sich Gefangene diesen in die Nase sprühen (durch die Nasenschleimhaut soll dann das GBL umgehend in den Blutkreislauf gelangen und ins Gehirn).

Insofern ist es nicht wirklich amüsant, wenn wir davon hören, dass Gefangene sich Weichspüler zu führen, sondern es ist ein anschauliches Beispiel dafür, was verzweifelte Menschen bereit sind zu tun.

Frauenkleider im Männerknast

Einem Bericht der HAZ (Hannoversche Allgemeine Zeitung) vom 02.03.2011 konnte entnommen werden, dass die JVA Hannover einem männlichen Insassen verboten hatte, in seiner Zelle Frauenkleider zu tragen, da er hierdurch andere Gefangene zu Übergriffen „provozieren“ könne. Der Betroffene, der aussagte eine transsexuelle Neigung zu spüren, zog vor Gericht. Verlor er noch in der 1. Instanz, so gab ihm am Ende das Oberlandesgericht Celle recht. Schon aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folge der Anspruch auch für einen Mann, so er dies wolle, Frauenkleider zu tragen. Nunmehr muss das Landgericht, das zuvor die Entscheidung der JVA gebilligt hatte, neu über den Fall befinden.

Nicht allzu oft, aber doch hin und wieder, begegnet man in den Gefängnissen transsexuellen Menschen. Diese werden, gerade im Männervollzug, der doch von den stereotypen Männlichkeitsklischees geprägt ist, vielfach schikaniert und bedrängt; wobei sich hier in den vergangenen 10 – 15 Jahren sicherlich auch manches verbessert haben dürfte. Inge, eine Gefangene, die noch bis vor einigen Jahren in der JVA Mannheim im Männergefängnis saß, wurde bespuckt, geschlagen und beschimpft – aber unermüdlich kämpfte sie für ihre Anerkennung als Frau. Nach diversen Gerichtsprozessen, auch Ermittlungsverfahren gegen Vollzugsbeamte, denen sie Übergriffe auf sich vorwarf, erfolgte schlussendlich eine Verlegung in den Frauenvollzug nach Schwäbisch-Gmünd und die geschlechtsangleichende Operation.

Ministerieller Stehempfang in der JVA Bruchsal

Gelegentlich besuchen Justizminister und andere Vertreter aus Politik und Justiz Gefängnisse, insbesondere wenn es gilt einen Neubau o.ä. zu eröffnen. So auch am 22.11.2010 der Herr Professor Dr. Goll (FDP), seines Zeichens Justizminister in Baden-Württemberg; mit zahlreichen Gästen aus lokaler Politik, Justiz und justiznahen Institutionen, eröffnete er in der JVA Bruchsal eine Behandlungsabteilung für Gewalttäter. Anlässlich dieser Veranstaltung folgte in der Turnhalle des Gefängnisses ein opulenter Stehempfang, von welchem die Gefangenen, informiert von der in der Gefängnisküche tätigen Mitinsassen, die nämlich für die „hohen Gäste“ das Buffet zu richten hatten, noch Wochen danach empört erzählten. Während sie selbst, also die Inhaftierten, an diesem Tag den üblichen trockenen Reis und Chili con Carne vorgesetzt bekamen, kredenzte man Goll und Konsorten Wein, Meeresfrüchte, frische Erdbeeren und allerlei andere Leckereien.

Im Rahmen eines deswegen angestrengten Petitionsverfahrens verwahrte sich das Justizministerium gegen den Vorwurf hier habe eine Geldverschwendung stattgefunden. Der Anstalt seien exakt „Kosten in Höhe von 124,38 Euro“ entstanden, nämlich für „belegte Brote“. Was sich so nach Picknick anhört, waren frische Baguettes und ein ansehnliches Buffet. Den Wein, so das Ministerium, habe der Verein „Opferschutz e.V.“ bezahlt. Und die Meeresfrüchte, das seien doch bloß „tief gefrorene Garnelen aus Restbeständen einer anderen Veranstaltung der freien Straffälligenhilfe“ gewesen.

Bei Gefangenen, denen einerseits die schon geringen Löhne gekürzt werden, während im selben Atemzug der Anstaltskaufmann seine Preise in immer höhere Höhen schraubt ( http://de.indymedia.org/2010/05/280395.shtml zur Geschäftspolitik der Firma Massak Logistik GmbH), hinterlässt jedoch solch ein üppig bestückter Empfang in der Sporthalle (nur nebenbei: die Freizeitveranstaltungen der Gefangenen an jenem Abend fielen deswegen ersatzlos aus) einen unappetitlichen Beigeschmack.

Knast ein fideles Hotel

Gerade BILD und andere Boulevardmedien bemühen sich darum die Gefängnisse als eine etwas abgespeckte Variante eines Hotel Garni darzustellen. Hier mag ein aktueller Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (Az. 1 BvR 409/09, abrufbar über http://www.bundesverfassungsgericht.de) neue Einsichten vermitteln.

Geklagt hatte ein ehemaliger Insasse der Vollzugsanstalten Köln und Hagen, der gerne Schmerzensgeld dafür hätte, dass er 2007 fast 6 Monate in Zellen untergebracht war, in welchen die Toiletten nur durch einen Sichtschutz abgetrennt waren. Er musste die ca. 8 qm (inklusive WC!) kleinen Zellen stets mit einem Mitgefangenen teilen, saß also meist 23 Stunden am Tag in diesem kleinen Raum, dem Gestank, Körperausdünstungen und den üblen Gerüchen der Toilette ausgesetzt. Im August 2008 lehnte es das Landgericht Köln ab, dem mittellosen Kläger Prozesskostenbeihilfe für einen Amtshaftungsprozess zu gewähren, da die beabsichtigte Zivilklage keinerlei Aussicht auf Erfolg habe. Dem folgte das Bundesverfassungsgericht in seinem vor kurzem veröffentlichten Beschluss nicht, sondern rüffelte die Kölner Richter vernehmlich.

Das Landgericht sei von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes abgewichen und habe darüber hinaus schwerwiegende Rechtsfragen gleich selbst im PKH-Verfahren entschieden, was aber nicht zulässig sei, sondern nur in einem normalen Zivilprozess geschehen dürfe.
In einer Nebenbemerkung ließen die Verfassungsrichter zudem erkennen, dass im Falle von chronischer Überbelegung einer Anstalt, die Gefängnisse sogar gehalten sein könnten, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist, Inhaftierte zu entlassen.

Nun darf diese neue Entscheidung jedoch nicht überbewertet werden, denn das Gericht betonte nur das, was es schon seit gut 10 Jahren in Sachen menschenunwürdiger Unterbringung immer mal wieder kund tut – nur die Länderjustizverwaltungen sitzen das Problem aus. Dort wird kühl kalkuliert: Was kostet es, wenn ein paar Gefangenen, die irgendwann einmal erfolgreich vor Gericht ein Schmerzensgeld einklagen, im Vergleich zu Gefängnisneubauten? Letzteres ist ungleich teurer. Auf die Idee (wie nun auch vom Bundesverfassungsgericht angeregt) Gefangene zu entlassen, kommt in der Justizverwaltung sowieso keiner, die BILD-Schlagzeilen möchte sich wohl keiner einhandeln.
Und Gefangene, die sich gegen menschenunwürdige Unterbringung wehren, müssen zudem damit rechnen, sich die jeweilige Anstalt und deren MitarbeiterInnen in großen Teilen zum Feind zu machen. Mal mehr, mal weniger subtile Beeinflussungen durch das Personal werden immer wieder berichtet. Da wird dann schon mal gefragt, ob sich Herr / Frau X denn nicht wünsche frühzeitiger aus der Haft entlassen zu werden, dass das aber schwierig werden könne, wenn er / sie hier den Vollzugsbetrieb mit im Grunde doch völlig aussichts- und substanzlosen Klagen wegen angeblich menschenunwürdiger Haftbedingungen störe.

Fazit

Gefängnisse, das wusste schon Dostijewski („Aus einem Totenhaus“) sind besondere Orte, mit besonderen Gesetzen, besonderer Tracht und besonderen Gebräuchen – aber dort ist auch Leben. In all seinen Facetten…

Thomas Meyer – Falk
z. Zt. JVA-Z. 3113
Schönbornstraße 32
76646 Bruchsal
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Tod und Sterben im Gefängnis

Auch vor den Gefängnismauern macht der Tod nicht kehrt; obwohl ein geflügeltes Wort unter Gefangenen davon spricht, dass „Knast konserviert“. Heute soll die Rede von Willi sein – er hat schon manchen Mitgefangenen sterben sehen und nun muss er sich mit seinem eigenen langsam, aber unaufhaltsamen Tod auseinander setzen.

Wer ist Willi?

Obwohl erst circa Mitte 40, bringt er es schon auf an die zwanzig Haftjahre; zuletzt wegen einer Raubserie zur Finanzierung seiner Drogenabhängigkeit zu einer langjährigen Haftstrafe mit anschließender, für das Jahr 2012 notierter, Sicherungsverwahrung verurteilt. Während der Haft bekam er, im Gefängnisjargon „Nachschlag“ genannt, eine weitere Haftstrafe wegen Beteiligung an einem Drogenschmuggel.

Er ist Bruder, Patenonkel für das Kind seiner Schwester und auch Vater, aber auch Sohn. Wobei sich, wie bei vielen Gefangenen, die familiären Beziehungen kompliziert und schwierig gestalten. Früher war er breitschultrig, hatte langes und volles Haar und wie er berichtet, einen Schlag bei den Frauen.

Wo steht Willi heute?

Seit er sich 1996 in Haft mit HIV infizierte, bei einem „Nadel-sharing“, nimmt er antivirale Medikamente, um den Ausbruch von HIV zu verhindern.

Exkurs – „Nadel-sharing“

Immer wieder fordern Drogenberatungsstellen, aber auch die AIDS-Hilfe (http://www.aidshilfe.de), dass Gefangenen kostenlos Spritzwerkzeug zur Verfügung gestellt werden sollte, um so zu verhindern, dass drogensüchtige Gefangene Spritzen teilen und sich so gegenseitig mit HIV oder anderen Krankheiten (z.B. Hepatitis) infizieren. Jedoch stoßen sie mit ihren Forderungen in der Justiz auf taube Ohren, lieber nimmt diese „Kollateralschäden“ wie jenen von Willi in Kauf. Selbstverständlich ist auch in Haftanstalten der Besitz von Drogen verboten, aber faktisch ist fast jede Substanz auch und gerade dort erhältlich. Für JustizmitarbeiterInnen wäre es eine Form von Kapitulation vor der Realität, würden sie Spritzwerkzeug ausgeben. Also müssen Gefangene sich entweder „illegal“ Spritze und Nadel besorgen, oder sie funktionieren bspw. Kugelschreiberminen mit viel Geschick zu Spritzen um, mit all den gesundheitlich bedenklichen Folgen, vor allem jedoch sind sie gezwungen, das Werkzeug zu teilen. Aber es professionell zu desinfizieren, dazu fehlen die Mittel, weswegen sich immer wieder Gefangene untereinander infizieren.

Willi im Jahr 2011

Kürzlich diagnostizierte der Anstaltsarzt „AIDS-Vollbild“; bei einer Körpergröße von knapp 1,80 m wiegt er zwar noch etwas über 60 kg, davon sind jedoch bis zu 11 Liter Wassereinlagerungen in Beinen und im Bauchraum. Aus dem ehemals breitschultrigen Mann ist ein ausgezehrt wirkender, schmaler und leicht gebeugt gehender, scheinbar alter Mann geworden. Das Haar strähnig, die Augen eingefallen, kann er nur wenige Meter langsam gehen, bevor er erstmal stehen bleiben und Luft holen muss, um sich dann langsam weiter am Geländer vor zu tasten.

Im Gespräch wirkt er mitunter abwesend, ist mittlerweile auch zunehmend vergesslicher geworden und klagt über starke Schmerzen, trotz der zahlreichen Medikamente, die er jeden Tag erhält. Man kann den Verfall regelrecht von Woche zu Woche verfolgen.

Wer hilft Willi?

Für einige Tage hatte sich Herr K. bei Willi einquartiert. Trotz der Enge der 8 qm-Zelle wagten beide dieses Experiment. Denn ein solches war es. Wer viele Jahre alleine in seiner Zelle lebt, der entwickelt Routinen, Marotten und damit verträgt es sich dann eigentlich nicht, plötzlich Tag und Nacht einen Mitmenschen um sich zu haben. Mit viel Einsatz kümmerte sich Herr K. um Willi! Als dieser nämlich eines Nachts, noch alleine in der Zelle, stürzte, konnte er sich nicht bemerkbar machen, kam auch nicht mehr vom Boden hoch, angesichts seines sehr geschwächten Allgemeinzustandes. Zwar gibt es in jeder Zelle eine Notrufanlage, aber zu dieser konnte er sich nicht mehr hoch stemmen. So fanden ihn am Morgen die Beamten bei der Lebendkontrolle am Boden liegend. Bei dem Sturz hatte Willi sich einen Bruch der Schulter zugezogen, wurde für ein paar Tage ins Krankenhaus gebracht, wo die Schulter genagelt wurde und kam dann, wie er selbst mit ein bisschen Galgenhumor formulierte, „flügellahm“ zurück in seine Zelle. Bei allem Bemühen von Willi und Herrn K. brachen beide das Experiment der „Wohngemeinschaft“ nach einigen Tagen ab, zu sehr hatte jeder seine eigenen Routinen. Tagsüber ist Willis Zelle offen, so dass Beamte und zu allgemeinen Öffnungszeiten auch andere Gefangene nach ihm schauen können, und des Nachts sehen die Wärter regelmäßig nach ihm. Jedoch ist absehbar, dass er wohl in die Krankenabteilung der Anstalt verlegt werden wird, zumindest solange sein Arm wegen des Schulterbruchs geschont werden muss. Wenn es nach Willi geht, möchte er so lange es nur möglich ist im gewohnten Umfeld bleiben, also in seiner Zelle.

Gnade für Willi?

Angeregt und auch unterstützt durch den Anstaltsarzt, stellte Willi einen Antrag auf gnadenweise Freilassung oder zumindest Vollstreckungsunterbrechung wegen Vollzugsuntauglichkeit. Zwar bezeichnete der Arzt in einer Stellungnahme die Prognose für Willi als „infaust“, sprich, mit seinem Ableben wäre in näherer Zukunft durchaus zu rechnen, jedoch tut sich die Justiz schwer, Gefangene, zumal wenn im Anschluss Sicherungsverwahrung notiert ist, zu entlassen. Kürzlich wurde ein französischer Gefangener mit Krebs im Endstadium aus der JVA Bruchsal erst kurz vor dessen Tod nach Frankreich abgeschoben. Wenige Wochen nach der Abschiebung erreichte dann die Gefangenen die Nachricht von seinem Tod.

Zudem gibt es Arbeitsgruppen in den Justizministerien, welche sich (ernsthaft) mit „menschenwürdigem Sterben im Justizvollzug“ beschäftigen. Es geht dann also nicht mehr darum, den Betroffenen zumindest noch etwas Lebensqualität in Freiheit zu belassen, sondern eine Vollstreckung der Strafe oder Sicherungsverwahrung bis zum letzten Atemzug hinter Gefängnismauern.

Exkurs – „menschenwürdiges Sterben im Gefängnis“

Unter pragmatischen und ökonomischen Gesichtspunkten macht es sicherlich Sinn, sich darüber Gedanken zu machen. Anstalten können mit finanziellen Sonderzuweisungen rechnen, wenn ein Gefangener durch seine Medikation besonders „kostenträchtig“ ist, vielfach wird es auch an einem sozialen Empfangsraum für sterbenskranke Gefangene fehlen. Technokraten machen sich selbstredend auch Gedanken, wo man den Gefangenen sterben lassen soll: Auf „seiner“ Station, wo er vielleicht schon viele Jahre lebt und die Mitgefangenen und Bediensteten kennt, oder doch lieber in einer sterilen Vollzugskrankenhaus-Atmosphäre. Jedoch dem Ganzen die Bezeichnung „menschenwürdig“ zu geben, erscheint zweifelhaft. Allerdings, was soll man in einer Gesellschaft anderes erwarten, wenn auch schon in Freiheit alte, kranke und sterbende Menschen in Pflegeheimen mitunter sich selbst überlassen bleiben (müssen), weil der Personalschlüssel für eine wirklich menschenwürdige Pflege und Betreuung zu gering ist ?! Da nimmt eine Gesellschaft dann für „Verbrecher“, „Kriminelle“ gewiss nicht mehr Geld in die Hand.

Sterben im Gefängnis

Angesichts des Sterbeprozesses eines Mitgefangenen geht es so manchem Gefangenen nicht anders als Menschen in Freiheit. Sie halten sich fern, verdrängen die Endlichkeit auch des eigenen Lebens. Gelegentlich erinnert man sich im Gespräch an den Tod von Gefangenen vor Jahren: „Weißt du noch, damals als X. sich erhängte …?“. Die makabre, vielleicht auch grausame Pointe: Im Gefängnis mag so mancher Tod eines Gefangenen länger fortleben und erinnert werden, als eines Menschen in Freiheit, denn er geht meist ein in die kollektive Erinnerung eines Gefängnisses und wird von Gefangenengeneration zu Gefangenengeneration weiter erzählt.

In dieses Erinnerungskollektiv wird auch Willi eingehen – früher oder später.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de

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Isolationshaft 2011

 

Vollzugsexperten sprechen von Folter

Nachdem die taz ( http://www.taz.de) in einem langen Artikel vom 24.02.2011 die seit 1995 andauernde Isolationshaft von Günther Finneisen thematisierte, wird zumindest in Teilen der Presse diese Form der Verwahrung eines Gefangenen kritisch beleuchtet.

Fall Günther Finneisen

Mittlerweile ist es fast 16 Jahre her, dass Herr Finneisen und ein Mitgefangener der Justizvollzugsanstalt Celle zumindest kurzzeitig entkommen konnten. Sie hatten einen Beamten als Geisel genommen und konnten so ihre Freilassung durchsetzen, bis sie kurz danach von der Polizei verhaftet wurden.
Seit Mai 1995 sitzen nun Herr Finneisen und sein Kompagnon in Niedersachsen in strenger Einzelhaft; d.h. sie verbringen die 24 Stunden eines Tages mit sich alleine, von kurzfristigen Kontakten zu den Wärtern abgesehen, die ihnen das Essen bringen oder sie zur Einzelhofstunde führen.

Ihnen bleiben nur Radio, Fernseher und Briefe, sowie gelegentlich ein Besuch, um mit Mitmenschen in Kontakt zu treten. Besuche jedoch auch nur hinter Panzerglas, „Trennscheibe“ genannt, eine Scheibe aus Panzerglas, die bis zur Decke reicht, so dass jeder persönliche Kontakt zur Besuchsperson unmöglich ist.

Ein Journalist der taz, Kai Schlieter, hatte 2010 Herrn Finneisen in der JVA Celle besucht und darüber dann am 24.02.2011 auf zwei Seiten der taz berichtet, wie auch dessen und andere Fälle von Inhaftierten in einem Buch ausführlich dargestellt („Knastreport – Das Leben der Weggesperrten“, erschienen 2011 im Westend-Verlag).

Aktuell wird Herrn Finneisen wie seinem in der JVA Sehnde einsitzenden Kollegen im Grunde nur zur Last gelegt, dass auf Grund ihrer Weigerung mit dem Personal der jeweiligen Anstalt Gespräche zu führen, von einer Fortdauer der angeblich extremen „Gefährlichkeit“ auszugehen sei.
So heißt es in dem aktuellen Vollzugsplan des Mittäters von Herrn Finneisen, dass „das von Herrn X gezeigte Verhalten (…) weitgehend angepasst und freundlich gegenüber den mit ihm unmittelbar befassten Bediensteten“ sei; solange er jedoch sein „forderndes Verhalten“ nicht sein lasse und „mit dem psychologischen Dienst oder dem sozialen Dienst zu den Themen Selbst- Fremdwahrnehmung“ spreche, komme eine Aufhebung der Isolationshaft nicht in Frage; so am 08.02.2011 die stellvertretende Leiterin der JVA Sehnde, Frau Volker.
Nicht wesentlich anders argumentiert im Falle Herrn Finneisens die JVA Celle.

Kommentare von Vollzugsexperten

Wie die taz am 02.03.2011 berichtet, sehen Vollzugsexperten in der nunmehr fast 16 Jahre dauernden Isolationshaft den Tatbestand der Folter erfüllt. Der ehemalige Richter am BGH und nunmehrige Abgeordnete der LINKEN Wolfgang Neskovic wird in der taz zitiert mit den Worten, dass „eine so lange Isolation (…) nur darauf angelegt sein (könne), die Persönlichkeit zu zerstören.“
Der ehemalige Leiter der JVA Bruchsal Harald Preusker wiederum wirft dem niedersächsischen Justizvollzug „nichts als primitive Rache“ vor, was zumindest insoweit wundert, als dass er zu Zeiten als Leiter der JVA Bruchsal selbst Isolationshaft, z.B. am RAF-Gefangenen Christian Klar, praktizierte.
Am deutlichsten wird Professorin Monika Frommel, Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie an der Universität Kiel, die laut taz über Herrn Finneisens Situation sagte: „Das ist ein Fall von Folter“.
Der Nestor und wohl der profundeste und kritischste Kenner des Strafvollzugsrechts, Professor em. Johannes Feest (Universität Bremen; http://www.strafvollzugsarchiv.de) wird mit den Worten wiedergegeben, er befürchte, es werde solche Fälle langjähriger Isolierhaft geben, „solange die Hochsicherheitstrakte nicht abgerissen werden“.

Weitere Entwicklung

Für Herrn Finneisen öffnen sich im November 2011 die Gefängnistore, dann wird er seine Strafe verbüßt haben und kommt auf freien Fuß; was übrigens auch auf die Sonderbarkeit der Isolationshaft hinweist: Weshalb sollte Herr Finneisen wenige Monate vor der regulären Entlassung irgendetwas in Richtung Flucht unternehmen?
Sein Mittäter von 1995 freilich wird weiter verwahrt werden, denn für ihn ist ab 2012 Sicherungsverwahrung notiert (was ist Sicherungsverwahrung? http://de.indymedia.org/2010/294188.shtml) und das bedeutet für ihn, dass er auf unabsehbare Zeit verwahrt werden kann. Wenn nicht medial und politisch Druck erzeugt wird, bedeutet dies weitere Jahre in Isolationshaft.

Haftbedingungen, wie sie Herr Finneisen und sein Kompagnon, aber auch viele andere in Isolationshaft (die Justiz spricht euphemistisch von „unausgesetzter Absonderung“ und verbittet sich den Terminus „Isolationshaft“) ausgesetzt sind, sprechen dem BILD-Mythos vom Knast als fidelem Hotel Hohn. Wer nun einwendet, die beiden hätten schließlich eine Geiselnahme im Gefängnis begangen, dem ist entgegenzuhalten, dass sie hierfür ihre Freiheitsstrafe erhalten haben, aber kein Urteil, das auf lebenslängliche Isolation hinausläuft. Zudem ist in Deutschland auch jahrelange Isolierhaft üblich, wenn jemand nur über eine Gefängnismauer klettert, oder wie im Fall Axane aus Mannheim, der vor einigen Jahren sich aus der JVA herausbuddelte und danach für Jahre in Stammheim in einem extra für ihn hergerichteten Isolationstrakt verschwand. Oder denken wir an die vielen Gefangenen, insbesondere Kurden, die nach §§ 129a/b StGB (Terrorismus/ kriminelle Vereinigung) in Haft sitzen und die selbst, wenn sie mitunter in der Türkei schon gefoltert worden sind, in Deutschland regelmäßig erstmal für Wochen, Monate oder sogar Jahre in Isolationshaft verschwinden – einfach nur wegen des Tatvorwurfs „Terrorverdacht“.

Ausblick

Wie oben Professor Feest zitiert wurde: es müssen wohl erst die Hochsicherheitstrakte abgerissen werden, bevor auch die Einzelhaft verschwindet; freilich glaubt daran wohl kaum ein Gefangener und erst recht keiner der Vollzugsexperten aus der Wissenschaft oder Politik.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt JVA – Zelle 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
– selbst von 1996-2007 in Einzelhaft gesessen –

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