Verhütung von Folter?!

Seit 2008 existiert (auch) in Deutschland eine „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“, basierend auf einem Fakultativprotokoll zur UN-Antifolterkonvention. Im Folgenden berichte ich über deren Jahresbericht für das Jahr 2012.

A.) Ausstattung der Nationalen Stelle

 

Wie schon im Jahresbericht 2010/2011 (abrufbar unter  http://www.nationale-stelle.de/) bemängelt, besteht die Einrichtung aus lediglich fünf ehrenamtlichen Mitgliedern und drei wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, sowie einer Bürofachkraft. Bund und Länder stellen zusammen 300.000 Euro im Jahr zur Verfügung. Damit soll dann ermöglicht werden, rund 360 Gewahrsamseinrichtungen des Bundes (z.B. Zellen in Bundeswehrkasernen oder auf Revieren der Bundespolizei), sowie 186 Gefängnisse der Länder, 9 Abschiebehafteinrichtungen, 1.430 Dienststellen der Länderpolizeien, 245 Psychiatrien, 81 Kliniken des Maßregelvollzugs und rund 16 geschlossene Jugendeinrichtungen zu kontrollieren. Zuständig ist die Nationale Stelle aber auch für die rund 11.000 Alten- und Pflegeheime, sofern dort freiheitsentziehende Maßnahmen (z.B. Fesselung, Fixierungen) stattfinden.

Frankreich hat seine Nationale Stelle, die für rund 5.000 Einrichtungen zuständig ist, mit 16 hauptamtlichen und 16 ehrenamtlichen KontrolleurInnen und einem Budget von 3,3 Millionen Euro ausgestattet.

Dieser Vergleich legt den Verdacht nahe, dass die deutsche Regierung durch finanzielle Minderausstattung sicherstellen will, dass eine effiziente Prüfung der Einrichtungen nicht erfolgt.

B.) Aufgaben der Nationalen Stelle

Hauptzweck ist die Kontrolle der Orte, an welchen Freiheitsentziehung stattfindet, mit dem Ziel zu prüfen, ob dort Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe stattfindet. Hierzu kann die Nationale Stelle dann Empfehlungen unterbreiten, um eventuelle Missstände zu unterbinden. Der Stelle sind alle Informationen zugänglich zu machen und sie darf unüberwacht mit allen Menschen sprechen, die in der Einrichtung arbeiten und vor allem leben.

C.) Besuche in Bundeseinrichtungen 2012

Insgesamt wurden 20 Dienststellen der Bundespolizei und fünf Standorte der Bundeswehr aufgesucht.

1.) Bundespolizei

Inspektionen fanden u.a. in Leipzig, Magdeburg, Köln, Berlin, Lübeck, Hannover und Göttingen statt. Im Wesentlichen bemängelte man, dass einzelne Zellen verdreckt waren, Notrufanlagen nicht funktionierten (so dass Festgenommene sich nicht bemerkbar hätten machen können), oder aber die Zellen weder über Tageslicht noch Frischluftzufuhr verfügten.

2.) Bundeswehr

Während der Inspektionen saßen keine SoldatInnen im Arrest, so dass nur die Räumlichkeiten untersucht wurden. Hier wurde bemängelt, dass vereinzelt durch Weitwinkelspione selbst ein unbeobachtetes Nutzen des WCs für die ArrestantInnen unmöglich sei.

D.) Besuche in Ländereinrichtungen 2012

Wesentlich umfangreicher gestaltet sich der Jahresbericht hinsichtlich der Besuche in den Einrichtungen der Bundesländer. Es wurden neun Gefängnisse (Köln, Celle, Fuhlsbüttel in Hamburg, Diez, Kassel, Brandenburg/a.d.H., Torgau, Goldlauter und Jugendstrafanstalt Berlin), die Asklepios Klinik Ochsenzoll in Hamburg, sowie drei Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (Schwarzenbruck, Mädchenheim in Gauting und Clearingstelle in Würzburg) besucht.

1.) Gefängnisse

An fast allen Anstalten wurde bemängelt, dass dort mitunter aus unklaren Gründen, vor allem jedoch vielfach viel zu lange die Einzelhaft (vulgo: Isolationshaft) vollstreckt werde. Exemplarisch untersucht wurde und die Akten eingesehen wurden im Fall Günter F., der sich allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Celle befand. Er saß 15 Jahre in Isolation. Seine auf dem 22.11.2011 notierte Freilassung, so die Nationale Stelle, sei nicht angemessen vorbereitet worden. Die Nationale Stelle äußerte Zweifel, ob die JVA Celle die Isolationshaft tatsächlich nur in Ausnahmefällen anwende. Erwähnt wurde auch noch ein seit 1996 dort in Isolation sitzender Gefangener, der zuvor in der JVA Celle-Salinenmoor eine Bedienstete sexuell attackiert hatte. Die langdauernde Isolierung halte die Nationale Stelle für bedenklich.

In weiteren Anstaltsbesuchen wurde kritisiert, dass in den Gemeinschaftsduschen Trennwände zwischen den einzelnen Duschen fehlten, die Zellen sehr winzig (z.B. 6,7 qm) ausfielen, Fixierungen mit Metallhandfesseln, anstatt mit Gurtsystem erfolgten, oder der Anstaltsleiter sich weigerte die gesetzlich vorgesehenen Sprechstunden anzubieten.

Bei einem Besuch des Sicherheitsbereichs der JVA Köln machte ein Insasse lautstark auf sich aufmerksam, der dort in Isolation saß. Man erhielt die Auskunft, er leide an einer Schizophrenie. Da er sich weigere zu kooperieren, sei die Isolierung unumgänglich. Nach einem, wie sich dem Jahresbericht entnehmen lässt, Suizidversuch, wurde er als haftunfähig beurteilt und in ein Krankenhaus entlassen.

Ähnlich deprimierend ein Fall in Hamburg. Gleichfalls im Isolationstrakt angetroffen wurde ein Drogenabhängiger, der vom Anstaltspsychiater ausdrücklich als haftunfähig diagnostiziert worden sei, sich aber in Isolation befinde, um zu verhindern, dass er sich im Normalvollzug Drogen beschaffen und konsumieren könne. Da der Gefangene, so die Justizbehörde, auf einen Therapieplatz (nach § 35 Betäubungsmittelgesetz, dabei wird die Strafe unterbrochen und man wechselt in eine freie Therapieeinrichtung) warte, erschien es der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter unverständlich, den Gefangenen zu isolieren, anstatt auf die Therapie vorzubereiten.

2.) Psychiatrien

Hier wurden langdauernde Fixierungen in der Allgemeinpsychiatrie (hier: Besichtigung einer gerontopsychiatrischen Station) ebenso bemängelt wie fehlende Therapieräumlichkeiten oder zu kleine Areale für den Hofgang.

3.) Kinder- und Jugendheime

Wer die Berichte, insbesondere der taz ( http://www.taz.de/!t13838/) in den letzten Monaten über die skandalösen Umstände in einer geschlossenen Kinder- und Jugendeinrichtung im Bundesland Brandenburg verfolgt hat – dort wurden Kinder misshandelt, Arme wurden schmerzhaft verdreht und wohl auch gebrochen, ein Mädchen suizidierte sich, so dass mittlerweile dem Betreiber die Zulassung zum Betrieb der Einrichtung entzogen wurde – erkennt, dass Kontrolle gerade in diesem Bereich besonders wichtig ist. Zumal die Kinder in der Regel viel, viel hilfloser sind als erwachsene Gefangene.

In dem in Bayern gelegenen Heim in Schwarzenbruck wurde deutlich bemängelt, dass Kinder und Jugendliche teils längere Zeit in einer Isolationszelle verbringen mussten, die nicht einmal über einen Notruf-Schalter verfügte. Die angetroffenen Jugendlichen beklagten einen aggressiven Umgang mit ihnen. Keinem war bislang bekannt, dass man sich bei externen Stellen hätte beschweren können, denn eine diesbezügliche Information durch die Heimleitung erfolgte nicht. Die Zimmer, so die Nationale Stelle, wirkten sehr ungemütlich, unordentlich, und waren kaum mit persönlichen Gegenständen ausgestattet.

Positiver fiel die Beurteilung des Mädchenheims in Gauting (Bayern) aus, wo das „offenbar gute Verhältnis“ zwischen Bewohnerinnen und Personal aufgefallen sei. Hier wurde kritisiert, dass auf Grund Personalmangels zu wenig therapeutische Maßnahmen erfolgten. Gleichfalls ziemlich gut kam die „Clearingstelle Würzburg“ für Kinder zwischen 10 und 15 Jahren weg; wo z.B. der Isolierraum tatsächlich nur für wenige Minuten genutzt werde und nicht wie in anderen Einrichtungen für Stunden oder Tage.

E.) Zusammenfassung und Ausblick

Angesichts der geringen finanziellen und personellen Ausstattung brauchen sich die Gefängnisse und geschlossenen Einrichtungen in Deutschland nicht vor überraschenden Besuchen zu fürchten. Sie können weiter im Dunkeln agieren, Menschen isolieren, in Ketten legen, sie verzweifelt an den Fenstern schreien lassen oder in die Bunkerzellen schleppen. Sie können, wie laut dem Bericht 2011 in Hamburgs Kommissariat 11 geschehen, einen nackten Menschen (festgenommen wegen Verdachts eines Betäubungsmittelverstoßes) zwingen im „Entengang“ vor ihnen auf und ab zu gehen, um sich an dessen Hilflosigkeit zu belustigen.

Bedenkt man dann noch, dass die Nationale Stelle aus Richtern und ehemaligen hochrangigen Gefängnisbeamten oder Regierungsbeamten besteht, die also schon per se als höchst systemtreu gelten dürfen, können sich die Justizbeamten doppelt sicher sein, dass ihr Tun nur in den seltensten Fällen die Öffentlichkeit wird erreichen können.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV-Abtl.)
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
 https://freedomforthomas.wordpress.com
 http://www.freedom-for-thomas.de

Tendenziöse Gutachten in Strafsachen?

Ob Angeklagte oder Verurteilte, beide sind in existenzieller Weise von psychiatrischen und psychologischen Sachverständigengutachten abhängig. Wie ist es um deren Unabhängigkeit bestellt?

 

 

Wer kann als Sachverständige(r) vor Gericht auftreten?

 

 

Nach der Kommentarliteratur obliegt die Beurteilung eines Angeklagten auf dessen Schuldfähigkeit hin im wesentlichen den Psychiatern, und nur ausnahmsweise soll hier ein Psychologe tätig werden dürfen (Tondorf/Tondorf, „Psychologische und psychiatrische Sachverständige in Strafverfahren“, Rz. 222, 3. Auflage). In diese Richtung tendiert auch die forensische Psychiatrie, z.B. in Gestalt eines ihres prominentesten Vertreters, Professor Dr. Kröber. Offener ist man im Bereich der Beurteilung der Kriminalprognose, wenn es also darum geht zu prüfen, ob es verantwortet werden kann, eine (n) PatientIn oder eine (n) Gefangene(n) auf Bewährung frei zu lassen. Hier hänge es, so Bundesverfassungsgericht und BGH von den Umständen des Einzelfalles ab, ob Psychologen oder Psychiater die Begutachtung übernehmen (a.a.O., Rz. 229). Auch die Literatur ist hier neutraler als im Bereich der Beurteilung der Schuldfähigkeit (a.a.O., Rz. 230).

 

 

Seit nunmehr 13 Jahren können PsychiaterInnen nach entsprechender Fortbildung das Zertifikat „Forensische Psychiatrie“ erwerben (Venzlaff/Foerster Hrsg., „Psychiatrische Begutachtung“, S. 12, 4. Auflage).

 

 

Wie unabhängig sind die Sachverständigen?

 

 

Venzlaff und Foerster, beide renommierte Vertreter ihres Fachs, thematisieren durchaus „Rollenkonflikte“ (Venzlaff/Foerster, a.a.O., Seite 11), die auftreten können. Sei es, dass man sich überidentifiziert mit dem Probanden, oder aber mit dem Ankläger oder dem Gericht. D.h. es scheint durchaus ein Problembewusstsein vorhanden zu sein.

 

Eine aktuelle Studie (vorgestellt in: „Deutsches Ärzteblatt“, Heft 6/2014, Seite A 210 – A 212) des Doktoranden Benedikt Jordan und Frau Prof. Dr. med Ursula Gresser von der Ludwig-Maximilian-Universität München, lässt jedoch den Verdacht aufkommen, dass tendenziöse Gutachtenerstattung zumindest kein Randphänomen ist.

 

 

 

Jordan und Gresser befragten rund 250 in Bayern tätige Sachverständige, darunter 48 PsychiaterInnen und 41 PsychologInnen. Immerhin über 80% der PsychiaterInnen erstatten mehr als 12 Gutachten pro Jahr vor Gericht. Bei 30% der PsychiaterInnen und 48% der PsychologInnen machen die durch die Gutachten erzielten Honorare über die Hälfte des Einkommens aus.

 

 

Während immerhin rund 30% PsychiaterInnen in Einzelfällen bei einem Gutachten die gewünschte Tendenz des Gutachtens signalisiert wurde, ist dies bei PsychologInnen in über 42% der Fall. Und immerhin 34% der PsychiaterInnen gaben an, in Einzelfällen oder häufig aus dem Kollegenkreis gehört zu haben, das eine Tendenz oder Vorgabe erfolgt sei; bei den PsychologInnen sogar über 57%.

 

 

Hieraus folgern Jordan/Gresser, dass die Neutralität gefährdet sei. Schon die „Signalisierung einer Tendenz“ gefährde die Neutralität der Gutachtenerstattung; erst recht, wenn dann noch die wirtschaftliche Abhängigkeit hinzu trete, was zumindest dann gegeben sei, wenn der Anteil der Gutachtenhonorare mehr als 50% der Einnahmen ausmache.

 

 

Bewertung und Ausblick

 

 

Insbesondere bei Inhaftierten, aber mitunter auch bei deren VerteidigerInnen wird schon seit jeher gemutmaßt, dass es seitens Gerichten oder Staatsanwaltschaften Vorgaben an die Gutachter gebe. Hier wurde nun erstmals der entsprechende Nachweis geführt; und zu dem nun erforschten Hellfeld muss man sicher auch noch ein gewisses Dunkelfeld hinzu rechnen.

 

 

Wie oftmals einseitig auf (vermeintliche) Defizite von Gefangenen geschaut wird, weist sehr eindrücklich der Psychotherapeut Michael Stiels-Glenn („Die Würde des Strafgefangenen ist antastbar!“, in: „Die Würde des Menschen ist antastbar?“, Band 28 der Schriftreihe des Instituts für Konfliktforschung, Hrsg. Rode/Kammeier/Leipert) nach. Ein Maßregelpatient frug, nachdem er von einer offenen in eine geschlossene Abteilung zurück verlegt wurde, nach einem halben Jahr mehrfach, wann er wieder in die offene Abteilung komme. Dies, so Stiels-Glenn, habe dann die Klinik pathologisiert und dem Patienten vorgeworfen, er habe keine Geduld.

 

 

Ein wegen eines Tötungsdelikts einsitzender Gefangener habe mehrfach geäußert, er wolle „am liebsten jemanden in die Fresse hauen“, was dann, so Stiels-Glenn die JVA für einen weiteren Beweis seiner Gefährlichkeit halte, anstatt zu sehen, dass der Gefangene sich hier öffne und lediglich darüber rede, was er tun könne, aber gerade nicht umsetze.

 

 

Diese beiden kurzen Beispiele sollen illustrieren, wie ein und die selbe Verhaltensweise ganz unterschiedlich bewertet werden kann, so dass dann auch in der Situation der Begutachtung der/die Sachverständige keine größeren Schwierigkeiten haben wird, das gewünschte Ergebnis entsprechend begründen zu können.

 

 

In seiner Dissertation wies Michael Alex („Nachträgliche Sicherungsverwahrung – ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel“, Diss. 2009 an der Ruhr-Universität), anhand von aus Rechtsgründen aus der Haft entlassenen Kandidaten für die nachträgliche Sicherungsverwahrung, nach, dass von 46 durch Sachverständige als extrem gefährlich beurteilte Gefangene, immerhin 30 bis zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Promoventen nicht erneut straffällig geworden sind. Für seine Publikation, dies nur nebenbei, musste sich der Doktorand dann 2008, als er erste Ergebnisse publizierte, in den Medien beschimpfen lassen.

 

 

Angesichts des aktuellen kriminalpolitischen Klimas, so möchte die CDU/SPD-Koalition laut Koalitionsvertrag die nachträgliche Therapieunterbringung (als Ersatz für die konventionswidrige nachträgliche Sicherungsverwahrung) ausbauen, ist freilich nicht zu erwarten, dass Ergebnisse wie die aus München, oder die von Dr. Alex auf allzu viel Beachtung stoßen werden.

 

 

Da ist es dann ein fast schon zynisch anmutender Streich, den das Schicksal spielt, wenn der Bayrische Rundfunk davon berichtet, dass ein forensischer Psychiater, der regelmäßig dafür sorgte, dass Menschen dauerhaft in Psychiatrien und Gefängnissen eingewiesen wurden, nun selbst im Verdacht stehe, ein psychisch kranker Straftäter zu sein (http://www.br.de/nachrichten/unterfranken/gutachter-aschaffenburg-kindesentzug-100.html), vgl. auch: http://www.main-netz.de/nachrichten/politik/politik/art4204,2933708.

 

 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV-Abtlg.), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

 

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