Juni 1976 – ein Knastleiter wird erschossen!

Vor fast vierzig Jahren erschien in Frankfurt a.M. eine Publikation mit dem Titel „Alles unter Verschluß“, über die Erschießung eines Gefängnisdirektors, den Frankfurter Gefangenenrat und Gefangenenproteste in Frankfurt. Herausgeber war der ASTA der Universität Frankfurt a.M. und nicht nur als zeithistorisches Dokument ist der Band sehr lesenswert, sondern auch, z.B. im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen in Berlin, was die Gründung einer Gefangenen-Gewerkschaft angeht (http://soligruppe.blogsport.eu/2014/05/29/gruendungserklaerung-der-gefangenen-gewerkschaft-der-jva-tegel/), von Relevanz.

 

2. Juni 1976 – ein Knastleiter wird erschossen

 

Günter Hanisch, er sitzt seit 16 Jahren in Haft und bezeichnet sich als unschuldig, nimmt eine Geisel und möchte ein Interview mit dem Hessischen Rundfunk durchsetzen, um auf seine Lage hinzuweisen. Der Knastleiter meint, er könne die Situation selbst klären und stürmt mit einer Tränengaswaffe den Büroraum, in welchem Hanisch sich verschanzt hat. Bei der dann entstehenden unübersichtlichen Situation schießt Hanisch und der Knastleiter stirbt.

 

Die Juragruppe des ASTA der Uni Frankfurt nimmt diesen Fall zum Anlass, ausführliche Beiträge über die Hintergründe des Vorfalls, die desolate Situation in den Knästen und die Möglichkeiten, sich gegen diese zu wehren, zusammen zu stellen und zu veröffentlichen. Zitiert werden Stimmen von Gefangenen, aber auch diverse Medienberichte aus taz, FR, BILD und Co., wobei der Schwerpunkt auf der Darstellung aus Gefangenensicht liegt.

 

So wird u.a. die Hungerstreikerklärung von März 1976 von in Butzbach inhaftierten Männern dargestellt, in der diese eine adäquate ärztliche Versorgung verlangen, mehr Zugang zum Gefängnishof, die Beendigung von Isolationsmaßnahmen. Alles Forderungen, die man auch 2014 noch genau so stellen kann und muss.

Die mediale Hetze, insbesondere der Springer-Presse und befeuert von der Opposition beschränkte sich darauf, die Gefängnisse als hotelartige Einrichtungen darzustellen, in welchen es drunter und drüber gehen würde – was damals schon unzutreffend war und auch heute, 2014!

 

Mai 1976 – Ulrike Meinhof ist tot und in F.-Preungesheim wird revoltiert

 

Auch aus Solidarität mit der zu Tode gekommenen Ulrike Meinhof besetzen knapp dreißig Gefangene den Knasthof in der JVA Frankfurt-Preungesheim, fordern die Aufhebung von Isolationsmaßnahmen, Wasser- und Nahrungsentzug und auch mit dem zeitlichen Abstand von fast 40 Jahren spürt man beim lesen die Wut und die Kraft, die von den Texten ausgeht.

 

Eine Wut, die heute, 2014, in dieser Intensität nicht mehr so oft zu erspüren ist, es ist fast so, als wäre ein Großteil der Inhaftierten heutzutage wie betäubt; hierzu beitragen dürfte sicherlich, dass die AnstaltsärztInnen recht großzügig Psychopharmaka verschreiben, denn ein medikamentös ruhig gestelltes Individuum ist ein leicht zu steuerndes und leicht zu führendes. Aber auch die Ablenkungsmöglichkeiten heute sind umfangreicher als noch 1976 (hier wären die Fernseher und Spielekonsolen zu nennen), denn an der Aktualität der damaligen Forderungen kann es nicht liegen.

 

Auch heute wird bundesweit in Anstalten die Isolationshaft vollstreckt, d.h. völlige Abschottung von anderen Gefangenen und einzig mit dem Personal haben diese Inhaftierten kurzzeitig Kontakt: Wenn man ihnen das Essen durch die Zellenluke reicht oder sie (gefesselt) von der Zelle zu dem alleine zu absolvierenden Hofgang in den Knasthof führt. Nicht weniger unerfreulich die vielfach praktizierte und seit 1976 immer weiter ausgebaute Kleingruppenisolation. So bemängelte in seinem Besuchsbericht das Anti-Folter-Komitee des Europarates vom 18.03.2014, dass die Sicherungsverwahrten in der JVA Freiburg, entgegen gesetzlicher Bestimmungen, in hermetisch von einander getrennten Abteilungen von einander isoliert würden.

Nicht nur in Preungesheim fanden in den 70’er Jahren Revolten statt, auch in Mannheim, Straubing, Hamburg und vielen anderen Knästen – doch seit den 90’er Jahren ist es ruhig geworden in den Verwahr- und Aussonderungsanstalten dieser Republik.

 

Zwar gibt es immer mal wieder vereinzelt Hungerstreiks, aber kollektive Proteste, auch unterstützt von Menschen vor den Mauern, bleiben singuläre Ereignisse – dabei ist die aktuelle Situation in den Gefängnissen nicht substantiell „besser“ (wirklich „gut“ kann sie in einem Gefängnis sowieso niemals sein), als damals in den 70’ern.

 

Insofern kann „Alles unter Verschluß“ einerseits historisches Zeugnis sein, ferner erlaubt es einen authentischen Blick hinter die Gefängnismauern (und nur mit wenigen Abstrichen auch Einblick in die Zustände heute).

 

Andererseits wäre es gut, wenn sich diese Publikation unter Gefangenen, wie Menschen vor den Mauern verbreitet, als Anregung und Aufforderung, aktiv zu werden!

 

Titel: „Alles unter Verschluß“

Hrsg: ASTA Frankfurt a. M.

erhältlich: nur noch antiquarisch

 

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

http://www.freedom-for-thomas.de

 

Bundestag gibt (Ex-)Gefangenen recht!

In einer Entscheidung vom 10. April 2014 fordert der Deutsche Bundestag von der Regierung, die Berechnungsgrundlage des ALG-1 für Ex-Gefangene zu überdenken.

Die Vorgeschichte

Bis 2010 erhielten ehemalige Strafgefangene ALG-1, sobald sie der Bundesagentur für Arbeit (=BA) nachwiesen, während der Haft 12 Monate gearbeitet und Beiträge gezahlt zu haben. Offenbar im Bestreben, Ausgaben auch in diesem Bereich zu senken, verlangte die BA seit 2010 den Nachweis von 360 versicherungspflichtigen Arbeitstagen, was in der Praxis darauf hinaus läuft, dass Ex-Gefangene mindestens 17 Monate Arbeitszeit absolviert haben müssen, da vollzugsbedingt regelmäßig Arbeitstage entfallen (z.B., weil Wärter Ausflüge oder Fortbildungen absolvieren, oder aus sonstigen, vollzuglichen Gründen), für die dann auch keine Versicherungsbeiträge abgeführt werden.

Die JustizministerInnen-Konferenz protestiert

Mit Beschluss vom 15.11.2012 protestierte die JustizministerInnen-Konferenz der Länder gegen diese Neuregelung, da diese zu Nachteilen bei der Wiedereingliederung von ehemaligen Gefangenen führe.

Petition an den Bundestag

Gegen die Neuregelung der BA wandte ich mich in einer Petition an den Bundestag-Petitionsausschuss. In einem ersten Anlauf wollte sich dieser mit der Änderung abfinden und das Petitionsverfahren beenden, da die Neuinterpretation der Bestimmungen durch die BA nicht zu beanstanden sei. Dieser Ansicht war ich nicht, zumal die Nachteile für Ex-Gefangene erheblich sein können, da mit dem ALG-1 Anspruch dann auch bestimmte Förderansprüche verbunden sein können, die bei ALG-2 Bezug entfallen.

Die Entscheidung des Bundestages

Mit Beschluss vom 10.4. 2014 (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/009/1800988.pdf) hat der Bundestag die Petition der Bundesregierung „zur Erwägung“ überwiesen, d.h. die Regierung aufgefordert, die Neuregelung zu überdenken. Zwar sei die Neuinterpretation durch die BA rechtlich vertretbar, jedoch keineswegs zwingend; im übrigen würden in der Literatur „negative Auswirkungen (…) auf die Resozialisierung“ ehemaliger Gefangener bejaht.

Nun ist die Bundesregierung verpflichtet, ihre Rechtsauffassung, bzw. die der BA zu überdenken und hernach dem Bundestag zu berichten.

Ausblick

So erfreulich der Teilerfolg auch sein mag, so ärgerlich ist, wie die BA, unterstützt bislang vom Bundessozialministerium, gegenüber Ex-Gefangenen agiert und eine jahrzehntelange bewährte Praxis geändert hat.

Da in diesem Punkt lediglich ehemalige Gefangene betroffen sind, blieben hörbare Proteste aus. Letztlich reihte sich auch diese Maßnahme der BA in deren neoliberale Taktik der Kürzung von Leistungen, zum Nachteil der Beitragszahler ein. Denn, und das darf nicht übersehen werden, auch Gefangene sind Beitragszahler, für jeden Arbeitstag werden Beiträge an die BA abgeführt!

 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV-Abtlg.), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

http://www.freedom-for-thomas.de