Schulbesuch auf Freiburger Art

In der JVA Freiburg ist das Bildungszentrum der größte „Arbeitgeber“ hinter den Mauern, d.h. in keinem der sonstigen Betriebe (bspw. Schlosserei, Schreinerei, Küche) arbeiten mehr Insassen, als in und für die Schule. Ich selbst bin seit 2015 im Abitur-Kurs und möchte an dieser Stelle eine (kritische) Zwischenbilanz ziehen.

 

Der Abi-Kurs

Im Herbst 2015 startete erstmals in der Anstalt ein Schulkurs, der zur allgemeinen Hochschulreife, im Rahmen der Schulfremdenprüfung führen soll. Zuvor gab es andere Kursangebote, wie das Telekolleg oder das Berufskolleg. Da für die Teilnahme an diesen Kursen jedoch eigentlich eine abgeschlossene Berufsausbildung Voraussetzung war, und diese von immer weniger Gefangenen erfüllt werden konnte, wurde entschieden, auf die Schulfremdenprüfung umzustellen. Was den Vorzug hat, dass dann die allgemeine Hochschulreife erworben wird, und keine Brückenkurse oder sonstige Prüfungen erforderlich werden, wenn Gefangene an der Fern-Universität Hagen im Anschluss studieren möchten.

 

Die Schüler des Abi-Kurses

Wir starteten mit rund 10 Schülern, sogar aus anderen Bundesländern wurden extra für diesen Kurs Gefangene nach Freiburg verlegt, denn das hiesige Bildungszentrum genießt in Vollzugskreisen einen bundesweiten hervorragenden Ruf. Letztlich war ich der einzige Teilnehmer, der direkt hier aus dem Freiburger Vollzug in den Kurs aufgenommen wurde, denn auch die Schüler, die nicht aus anderen Bundesländern hier her kamen, wurden aus anderen Haftanstalten Baden-Württembergs nach Freiburg verlegt.

Unter den Schülern waren, bzw. sind solche mit eher kurzen Strafen, von wenigen Jahren, aber auch Langstrafer mit „lebenslanger“ Strafe, der Altersschnitt dürfte bei unter 30 Jahren liegen, ich mit meinen nunmehr 46 Jahren bin der „Senior“. Einige Mitschüler wurden im Verlaufe der Zeit aus dem Kurs geschmissen, weil sie entweder mit Drogenkonsum auffällig wurden, oder sich sonst, nach Ansicht der JVA, nicht „ordnungsgemäß“ verhalten haben sollen.

 

Die Lehrkräfte

Der Unterricht wird gestaltet von an beruflichen wie auch an allgemeinbildenden Gymnasien Freiburgs und im Umland tätigen Lehrerinnen und Lehrer. Das Deputat, das sie in unserer Klasse unterrichten, wird ihnen auf ihre sonstigen Lehrverpflichtungen angerechnet, d.h. sie werden für ihr jeweiliges Fach in unsere JVA abgeordnet. Sie kommen jeweils direkt aus ihren Schulen zu uns in den Unterricht und kehren danach wieder an diese zurück. Das im Unterschied zu den sonstigen Kursen, welche die JVA anbietet (bspw. Integrationskurse, Hauptschule, Realschule), da dort in der Regel fest in der Anstalt angestellte Lehrkräfte unterrichten.

Im Sommer 2016 wurde, wie ich seinerzeit auf meinem Blog berichtete, unsere Klassenlehrerin aus Sicherheitsgründen aus dem Kurs entlassen; sie durfte sich nicht einmal mehr von uns verabschieden. Da sie uns in Deutsch und Ethik unterrichtet hatte, war das doch ein erheblicher Einschnitt, zumal dann für Monate der Unterricht in Ethik ausfiel. Die Hintergründe für den, ich nenne es mal „Rausschmiss“ wurden uns nie genau mitgeteilt, es hatte wohl mit der legeren, auf zwischenmenschliche Konfliktlösung bedachte Art der Lehrerin zu tun, die damit rasch an die extrem auf Sicherheit und Ordnung bedachte Grenzen und Mauern der Anstalt stieß, welche es u.a. für zwingend notwendig erachtet, jegliche Vorkommnisse sofort der Anstalt zu melden, anstatt sie vor Ort im Gespräch zu lösen. Eine Rolle soll sogar gespielt haben, dass sie „ohne Absprache“ mit der Anstalt zu einem gemeinsamen Essen ein Brettspiel mitgebracht habe, oder aber uns zu Weihnachten CDs mit Musiktiteln, die wir uns zuvor wünschen konnten.

 

Die Fächer

Neben Mathematik, Deutsch, Englisch, Geschichte werden wir in Biologie, Französisch, Ethik und Politik im Rahmen des Vollzeitunterrichts unterrichtet. In den ersten vier genannten Fächern werden wir im April 2018 an genau denselben Tagen wie an allen allgemeinbildenden Gymnasien Baden-Württembergs schriftlich geprüft und in den folgenden Wochen in sämtlichen acht Fächern auch noch mündlich.

 

Konflikte zwischen den Schülern

Wie im richtigen Leben bleiben Konflikte nicht aus, auch nicht hinter Gittern, oder besser gesagt: Gerade dort nicht. Ein Schüler, der aus Bayern hierher kam, wurde nach einiger Zeit Zielscheibe von zwei anderen Schülern, wobei dazu sicher auch dessen etwas akzentuierte Art beitrug. Keiner dieser drei befindet sich übrigens heute noch im Kurs, alle drei haben es „geschafft“, aus dem Kurs abgelöst zu werden, ob wegen Alkoholkonsum, Drogen oder auch, weil am Ende die Prüfungsleistungen zeigten, dass das Abitur eine im Moment noch zu große Baustelle sein würde.

Aktuell ist der Kurs auf fünf Schüler geschrumpft und die Stimmung im Unterricht zwischen den Teilnehmern ist ausgeglichen und freundlich.

 

Konflikte mit der Schulleitung

Nachdem die JVA, wie oben erwähnt, der Klassenlehrerin im Sommer 2016 gekündigt hatte, übernahm die Leiterin des Bildungszentrums höchstselbst die Funktion der Klassenlehrerin, obwohl sie uns in keinem der Fächer unterrichtete. Es kam dann wie es kommen musste, meist besuchte sie unsere Klasse, wenn es unerfreuliches mitzuteilen gab (z.B. weil Unterrichtsfehlzeiten oder das Nichtabarbeiten von Hausaufgaben zu bemängeln waren).

Entsprechend wenig weiter war die Stimmung, wenn sie sich wieder einmal zu einem Besuch angesagt hatte; einmal teilte sie selbst auch wütend mit, ihr graue es, wenn sie wisse, sie müsse wieder in unsere Klasse kommen, denn dort erwarte sie Nörgelei und Kritik, so gehe das nicht weiter. Anlass für ihren Rüffel war die kritische Reaktion von einigen Schülern auf die Anordnung, wonach Schüler während des Unterrichts nur noch klares Wasser trinken dürften, weder selbst mitgebrachten Kaffee, noch Tee. Aber schon Nietzsche wusste, dass in Gegenwart jeder Autorität nicht gedacht werden soll, noch weniger geredet, sondern nur eines, nämlich gehorcht (aus der Vorrede der „Morgenröte“).

Manch ein Schüler war auch empört darüber, dass die Schulleiterin Kleidervorschriften machte (T-Shirts nur mit Ärmel, sowie Hosen mindestens die Knie bedeckend), während sie selbst im Sommer mit Träger-Blusen und Röcken erschien, die oberhalb der Knie endeten. Schüler, die in Träger-Shirts erschienen oder mit zu kurzen Hosen, wurden in ihre Zellen zum umkleiden geschickt und im Wiederholungsfalle wurden disziplinarische Konsequenzen angedroht.

Und seit Herbst 2017 regiert die Schulleiterin nicht mehr nur mit Ankündigungen, sondern greift rigoros durch: Wer seine Hausaufgaben nicht macht, wird mit Disziplinarverfahren überzogen. Mehrere Schüler wurden schon mit Strafen von 25 € belegt. Das nennt sich „Einkaufssperre“, d.h. der für den monatlichen Einkauf zur Verfügung stehende Betrag wird um diese Summe gekürzt und auf ein Sperrkonto eingezahlt, von wo es erst am Tag der Entlassung ausgezahlt wird (d.h. wirklich weg ist das Geld nicht, aber es steht nicht zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse im Haftalltag zur Verfügung).

Damit werden die Betroffenen in die Subkultur gedrängt, denn wenn man weiß, dass Gefangenen monatlich mitunter weniger als 100 € zur Verfügung stehen, um sich alle persönlichen Bedürfnisse (nach Duschgel, Essen, TV-Mietgebühr, Kosten für das TV-Programm, hier 5 €/mtl. und so weiter) zu finanzieren, wirkt der Entzug von einem ¼ der Kaufkraft schnell existenzbedrohend. Nicht, dass jemand verhungern müsste, denn von der JVA gibt es drei Mal am Tag das Gefängnisessen, aber alles darum herum muss finanziert werden.

Das ist der pädagogische Stil, mit dem die Anstalt versucht sich nun durchzusetzen; wenn man bedenkt, dass das Abitur, früher auch Reifezeugnis genannt, junge Menschen dazu befähigen soll, selbstständig zu denken, mutet das Vorgehen der Anstalt widersprüchlich an.

Dies gilt auch für die Einstellung der Schulleitung, es sei ein Privileg für die Schüler, an dem Kurs teilnehmen zu dürfen und nicht in einem der Montagebetriebe Akkordarbeit verrichten zu müssen. Denn schon in den 60’ern wurde Bildung in einem Übereinkommen der UNO zum Menschenrecht erklärt, und auch in einem Zusatzprotokoll zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte wird Bildung als elementares Menschenrecht eingestuft. Wahrscheinlich dauert es noch, bis diese Rechtslage auch hier in der südbadischen Anstalt wahrgenommen wird.

 

Resümee

Aber trotz solcher Widrigkeiten macht allen Schülern, bei allem Auf und Ab der Stimmungen, die Teilnahme an dem Kurs Freude, gefordert wird das eigene Denken und der Horizont wird erweitert. Seit einem Jahr läuft auch schon parallel ein Vorbereitungskurs-Abitur, in welchem weitere Gefangene auf das Abitur vorbereitet werden. Wenn unser Kurs, an welchem ich teilnehme, 2018 endet, werden diese Inhaftierten ihrerseits in zwei Jahren auf das Abi vorbereitet werden.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

 

Die Bedeutung des 18.10.1977 für die Gegenwart

Als am 18.Oktober 1977 die Gefangenen aus der RAF in Stuttgart-Stammheim fielen, war es, als würde für eine kurzen Augenblick die Zeit still stehen.

20 Jahre später saß ich selbst, am 18.10.1997 dort in Isolationshaft und mir war, als hauchte mich der Nachhall dessen an, was sich dort zwei Jahrzehnte zuvor abspielte.

Heute, wieder zwanzig Jahre später, stellt sich die Frage der Bedeutung des 18.10.1977 für die Gegenwart.

Das wofür Andreas, Gudrun, Jan und Irmgard, und all die Genossinnen und Genossen kämpften, unter Einsatz ihres Lebens, die Befreiung von Faschismus und Imperialismus ist heute so aktuell wie 1977. Die weltweiten Kämpfen geben davon ein beredtes Zeugnis. Ebenso ihr Kampf für die Würde des internierten Subjekts, namentlich für die Abschaffung der Isolationsbunker, in welchen die Gefangenen physisch und psychisch fertig gemacht wurden (vgl. Hungerstreikerklärungen vom 29.3.1977, und auch jene von 20.04.1979).

Zudem ist die Erinnerung an dem 18.Oktober 1977 wach zu halten, zu fördern, um die Menschen der Gegenwart an ihre Pflicht, Widerstand zu leisten, zu erinnern. Widerstand nicht nur in langen Reden von bequemen Sofa aus, in anonymen Pamphleten via Internet!

Wir sind es, die für ein phantasievolles Leben in Freiheit und Würde streiten und kämpfen!

Wir sind es, die für ein erfülltes Leben kämpfen – für jeden Menschen auf diesen Planeten.

Wir sind es, die eine Ahnung haben von einem Morgen, in welchen die Menschen dieser Erde gleichberechtigt und in Würde werden frei leben können.

Wir sind es, die auf den Versuch hin leben, dabei Umwege gehen, fehlgehen, dabei reich werden an Begegnungen und Erfahrungen.

Dafür lohnt es sich zu leben!

Dafür lohnt es sich zu kämpfen!

Und dafür halten wir die Erinnerung an den 18.10.1977 lebendig!

Thomas Meyer-Falk

– Langzeitgefangener seit 1996-

www.freedomforhomas.wordpress.com

Aus dem Totenhaus des Freiburger Gefängnisses herzliche, solidarische und kämpferische Grüße!

Wir nennen hier das Haus der Sicherungsverwahrung „Totenhaus“ , denn hier scheinen mehr Menschen zu sterben, als lebend die Anstalt zu verlassen.

Anti-Knasttage haben eine ganz eigene Tradition, und auch wenn das „Anti“ im Namen steht, so sind es doch Tage „für“ etwas. Nämlich für Freiheit. Für eine solidarische Gesellschaft die keine Knäste mehr, diese Verwahranstalten benötigt, in welchem das Leid aufbewahrt, zwischengelagert und vielfach auch endgelagert wird.
Ich kenne seit längerem die Strafvollzugsanstalten und seit 2013 nun den Bereich der Sicherungsverwahrung aus eigenem Erleben. Die SV, wie die Sicherungsverwahrung verkürzt genannt wird, wurde mit Gesetz vom 24.11.1933 eingeführt, also zur Zeit des Nationalsozialismus.
Auch wenn seitdem die Fassaden aufgehübscht, die Haftbedingungen eklatant verbessert wurden, heute niemand mehr damit zu rechnen braucht, direkt körperlich umgebracht oder körperlich gefoltert zu werden. Was bleibt, was die Jahrzehnte überdauert hat, das ist die Hoffnungslosigkeit. Die Leere, die viele der Insassen geradezu körperlich ausstrahlen.
Der als „gefährlich“ diagnostizierte und damit gebrandmarkte Mensch wird als Gefahrengut behandelt, wie ein Castor, für die ja nun in Deutschland auch eine Endlagerstätte gesucht werden. Für die Menschen wurde diese schon gefunden, die SV-Anstalten. Größere Zellen, die nun, allen ernstes, „Zimmer“ genannt werden, vier mal im Jahr einen Spaziergang oder Ausflug vor die Knastmauern, wenn auch durch die WärterInnen bewacht. Privatkleidung darf Mensch tragen, und unter dieser Kleidung, auf den Schultern, unsichtbar, die Last der Ungewissheit.
Denn ein zeitliches Ende, sehen wir einmal vom Tod ab, ist nicht vorgesehen. Erst wenn sich Anstaltspersonal, psychiatrische GutachterInnen, Staatsanwaltschaften und auch die Gerichte alle einig sind, das ein(e) Untergebrachte(r) künftig mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine strafbewehrten Handlungen mehr begehen wird, erfolgen in langsamen Schritten weitere Vollzugslockerungen, an deren Ende die Freilassung steht. Dieser Prozess nimmt im Idealfall um die fünf bis sieben Jahre in Anspruch, vielfach auch zehn und mehr Jahre, oder wird gar nicht erst begonnen, d.h. die Betroffenen verbleiben dauerhaft im Knast.
Die in diesem Zusammenhang gestellten Prognosen über künftiges Verhalten werden auch von Fachleuten mit „Glaskugel-Leserei“, oder Kaffeesatz-Leserei verglichen , wobei solche Fachleute allerdings dann keine Gutachten erstatten dürfen, der lukrative Markt ist fest in den Händen einiger handvoll Frauen und mehrheitlich Männer die ein hübsches Auskommen mit dem Leid von Menschen haben.
Und so erinnern die Anti-Knast-Tage an den langen Weg, der noch zu gehen ist, an die Kämpfe, die noch ausgefochten werden müssen, aber auch an die zu erlebende Gemeinschaft gleichgesinnter, gleichberechtigter Menschen, die sich einem zutiefst unmenschlichen System entgegenstellen.
Für eine Welt ohne Grenzen und Grenzanlagen!
Für eine Welt ohne Gefängnisse!
Für eine freie Welt!

Thomas Meyer-Falk
– Langzeitgefangener – Freiburg, Oktober 2017