Shorty bekommt Sicherungsmaßnahmen

Immer wieder berichtete ich über Shorty, einen 41-jährigen Sicherungsverwahrten der wesentlich in seinem Alltag durch das ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) geprägt wird. Zuletzt waren gegen ihn umfangreiche Sicherungsmaßnahmen angeordnet worden. Kleiner Anlass – große Wirkung.

Vorgeschichte

In nunmehr sechs Jahren bekam die Station auf der Shorty, und auch ich selbst, leben, den immerhin sechsten Sozialarbeiter. Die Verweildauer der Vorgängerinnen und Vorgänger hielt sich also jeweils sehr in Grenzen. Als Shorty einen Antrag stellte, um 25 Euro von seinen finanziellen Rücklagen, dem sogenannten Überbrückungsgeld freigegeben zu bekommen um den Betrag auf das Telefonkonto umbuchen zu lassen, kam es zu Diskussionen mit dem neuen Sozialarbeiter, Herrn B.

Shorty brauchte das Geld ,da er seinen Vater und auch einen Anwalt anrufen wollte. Das Ü-Geld hatte er übrigens selbst erarbeitet, denn in der JVA Bruchsal, in der er bis 2014 einsaß war er 11 Jahre in der Anstaltsdruckerei beschäftigt, wo er auch erfolgreich eine Drucker-Lehre durchlief. Vom Knastlohn landeten 4/7 jeden Monat auf besagtem Ü-Geldkonto und 3/7 konnte er nutzen um Lebensmittel und Tabak beim Knastkaufmann einzukaufen. Hier in der SV-Anstalt war er schon als Stationsreiniger und einige Jahre in einem Montagebetrieb tätig (dort montierte er u.a.Kugelschreiber zusammen). Er wird deshalb auch künftig sicherlich wieder arbeiten, so dass die einmalige Abbuchung von 25 Euro sicherlich nicht einen Neuanfang in Freiheit gefährden würde, denn mit dem nächsten Lohn wird der Betrag automatisch auf dem Ü-Geldkonto landen.

Der neue Sozialarbeiter hatte sich offenbar, eben weil er neu war, rückversichert wie bei vergleichbaren Fällen verfahren wurde und teilte Shorty mit, man gebe die 25 Euro frei, jedoch müsse er in monatlichen Raten vom Taschengeld den Betrag wieder dem Ü-Geld zuführen. Anlässlich diesen Gesprächs entglitten Shorty dann wohl kurzzeitig die Vokabeln und er soll sich abwertend über den Vollzugsleiter, Herrn G. geäußert und darüber lautstark phantasiert haben, was man mit dem mal alles so machen solle.

Damit war dann-naturgemäß-das Gespräch mit Herrn B. beendet und Shorty ging seiner Wege.

Exkurs: Der Sozialdienst

Viele Gefangene und Sicherungsverwahrte verfügen nur noch über wenige Außenkontakte, oder eigene Fähigkeiten um bestimmte Probleme selbstständig zu lösen: sei es beispielsweise die Kontaktaufnahme mit Gläubigern, Rentenfragen, Beantragung von Ausweisen. Für all das und vieles mehr ist der Sozialdienst einer Haftanstalt zuständig, aber – eigentlich- auch für niederschwellige Motivationsarbeit.

So hat eine Vorgängerin von Herrn B., Insassen in ihren Zellen aufgesucht und sich regelmäßig ausführlich mit ihnen unterhalten. Einer ihrer Nachfolger, Herr R. saß öfters im Gruppenraum der Station und kam so in Kontakt mit den Bewohnern. Nun ist der neue Sozialarbeiter nach Auskunft einer Mitarbeiterin der Anstalt „hoch kompetent“, er habe „viele gute Ideen“, müsse sich aber erst einfinden, und dann werde er selbst entscheiden wie er mit den Bewohnern der Station arbeiten wolle. Ob man als Insasse zum Beispiel via Antragsformular um ein Gespräch nachsuchen müsse, oder er sich auch mal in den Gruppenraum setzen werde um so in Kontakt mit den Insassen zu kommen.

Den meisten Bewohnern fiel schon in den ersten Wochen auf, dass Herr B. einen recht saturierten Eindruck macht und seinen ganz eigenen Stil pflegt. So behaupteten Insassen er grüße zwar das Personal, aber nicht die Verwahrten, was er so nicht stehen lassen wollte. Er sei der Ansicht, er grüße jeden – und falls im Einzelfall mal doch nicht, sei das ein Versehen. Dann meinte jemand es sei auffällig, dass Herr B. seit Tagen nicht zu sehen sei. Irgendwie gelange er in sein Büro ohne über die Station für die er zuständig sei zu gehen. Danach nahm er ein Büro einer erkrankten Kollegin auf einer anderen Station in Beschlag und war erst recht nicht mehr gesehen.

Noch keine zwei Monate auf der Station im Dienst ging er dann erstmal in einen mehrwöchigen Urlaub! Das zählt möglicherweise zu den Vorteilen im Staatsdienst. Ein paar Wochen arbeiten – um sich dann von dem ganzen Stress ausgiebig zu erholen (nicht zu vergessen: wer in der Sicherungsverwahrung arbeitet bekommt alleine dafür, dass er/sie gerade dort arbeitet eine gesonderte Zulage. Nicht zu verwechseln mit derjenigen Zulage die gezahlt wird, dass Mensch in einem Knast arbeitet, denn auch dafür gibt es eine solche). Das sind Arbeitsbedingungen von denen Arbeiterinnen und Arbeiter in der freien Wirtschaft nur träumen können. Herr B. Gelang es augenscheinlich binnen weniger Wochen, sich ausgiebig mit den Vorzügen des Dienstes in der SV-Abteilung vertraut zu machen.

Ob es sich bei alledem um Anlaufschwierigkeiten handelt, oder Symptome einer tieferliegenden Problematik werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.

Die Sicherungsmaßnahmen für Shorty

Bietet der Zustand oder das Verhalten eines inhaftierten Mensch Anlass zu Befürchtung er/sie könne sich selbst oder andere verletzen, so kann die Anstalt laut Justizvollzugsgesetzbuch sogenannte besondere Sicherungsmaßnahmen verfügen. Zwei Tage später war es dann bei Shorty soweit. Er wurde zu Dr. K. vorgeführt, einem Volljuristen. Dieser eröffnete Shorty unter anderem, er werde bis auf weiteres werktags nur noch von 13:00 – 17:30 Uhr und an Wochenenden sogar nur bis 16 Uhr die Zelle geöffnet erhalten, ansonsten bleibe er unter Verschluss und innerhalb der JVA sei er jeweils unter Bewachung eines Beamten zu Terminen, z.B. bei seiner Therapeutin, vorzuführen. Im übrigen werde man ihn anzeigen, da seine Äußerungen möglicherweise strafbar seien (hier kämen wohl Beleidigung und Bedrohung in Betracht). Eigentlich eine banale verbale Explosion Shortys, die aber im Zwangskontext Knast dann zu mannigfaltigen Repressionen führt.

Die nächsten Tage

Und so beschränkten sich Shortys Aktivitäten in den Folgetagen auf diese wenigen Stunden. Regulär sind die Zellen in der Sicherungsverwahrung von 6:25 Uhr bis 22 Uhr an Werktagen und von 8:05 Uhr bis 22 Uhr an Wochenenden geöffnet, die Einschnitte waren also sehr deutlich führ ihn spürbar. Da er erst kürzlich eine umfangreiche Zellenrazzia zu erleiden hatte, anlässlich derer ihm unter anderem seine sehr geschätzten drei Aquarien weggenommen wurden, litt er unter der Beschäftigungslosigkeit in der Zelle. Wie gesagt, er hat ja ADHS. Zwar wird das medizinisch behandelt, aber dennoch will die Bewegungsenergie irgendwo hin! Aber da war nichts, außer seinem Fernseher und seiner Spielekonsole.

Durch das ADHS hat Shorty Schwierigkeiten mit dem Essen, eine der Nebenwirkungen des Medikaments. So verschenkte er tagelang sein Mittagessen an andere Insassen, scheinbar ohne, dass es irgendwem vom Personal interessierte. In der Zeit in der seine Zelle offen war, machte er seinem Unmut lautstark Luft und die Reaktion der Anstalt war auch Thema in einer Stationsversammlung. Denn die SV-Anstalt behauptet in ihrer Selbstdarstellung, man arbeite hier nach sozialtherapeutischen Standards. Dazu gehört eigentlich auch, Konflikte im Gespräch und nicht gleich durch Repression zu lösen. Vorliegend also (idealerweise) in einem moderierten Gespräch zwischen Vollzugsleiter G., der Therapeutin und Shorty.

Aber wie das eben so ist, in der Praxis hapert es dann erheblich an der Verwirklichung minimaler Standards – schlussendlich ist und bleibt das hier ja ein Gefängnis. Mag das Selbstlob der Anstalt noch so blumig klingen, im Alltag ist davon nur ein schriller Ton zu hören wie er entsteht, wenn die Kreide über die Schultafel schrammt.

Die Erlösung

Wie Shorty erzählte, sei ihm im Gespräch mit der Anstalt, nachdem die Sicherungsmaßnahmen verhängt worden waren, versichert worden, man sei selbst überrascht von der Strenge der Maßnahmen. Man wolle sich für eine Aufhebung einsetzen! Und tatsächlich, am 14 August kam der Bereichsdienstleiter W. zu Shorty um diesem mitzuteilen, die Maßnahmen seien nunmehr wieder aufgehoben. Seitdem hat er seine Zelle genauso offen wie alle anderen, was er mit Erleichterung aufgenommen hat. Andererseits will er hier nur noch weg, da er für sich keine wirkliche Perspektive sieht.

Wie gehts‘ weiter

Der weitere Weg von Shorty ist ungewiss, er steuert auf die mittlerweile obligatorisch scheinende 10-Jahresgrenze zu. Laut Strafgesetzbuch soll die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Regelfall nicht länger als 10 Jahre dauern, kann aber darüber hinaus verlängert werden, ggf. bis zum Tod. Tatsächlich sitzen hier immer mehr Verwahrte über die 10-Jahresgrenze hinaus. Für einen Menschen, Anfang 40, der einer potentiell lebenslangen Verwahrung ins Auge blickt, ist das seelisch eine enorme Belastung.

Bei der Sicherungsverwahrung ist schließlich auch stets zu berücksichtigen, dass die Betroffenen ihre zugemessenen Haftstrafen längst voll verbüßt haben, sie nach der Konzeption des Gesetzes jetzt eine „Sonderopfer“ (so die Wortwahl des Bundesverfassungsgerichts) erbringen, da sie ausschließlich aus präventiven Gründen weiter in Haft gehalten werden. Manche zerbrechen an alledem, andere ziehen sich zurück, wieder andere wehren sich. Und Shorty?

Um ihn zu zitieren: „Viva la revolucion!“ Er will sich jedenfalls nicht unterkriegen lassen.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

Sommerlochentscheidung des OLG Karlsruhe?

Manche Gerichtsentscheidungen muten schon recht eigenwillig an. Am 18. Juli 2019 hatte das Oberlandesgericht (OLG) in Karlsruhe darüber zu entscheiden, ob die Justizvollzugsanstalt Freiburg für den Bereich der Sicherungsverwahrung eher recht freihändig Sonderausführungen durchführen dürfe oder nicht. Um es vorweg zu nehmen, die Insassen haben auf ganzer Linie verloren.

Die Vorgeschichte

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai 2011 die Sicherungsverwahrung insgesamt für verfassungswidrig erklärt (Urteil 4.5.2011, Az. 2 BvR 2365/09) und dem Bund, wie den Ländern Frist bis 2013 gewährt um durch gesetzgeberische Maßnahmen die festgestellten Defizite zu beheben.

In Absatz 114 des Urteilstextes erkannte das Bundesverfassungsgericht recht luzide, dass die „unbestimmte Dauer der Sicherungsverwahrung (…) schwerwiegende psychische Auswirkungen haben (könne)“. Insbesondere könnten die Verwahrten in „Lethargie und Passivität“ verfallen. Um dem entgegen zu wirken wurde vom Gericht das „Motivierungsgebot“ entwickelt, nämlich die mögliche Einführung eines „Anreizsystems“, mit welchem aktive Mitarbeit durch „Vergünstigungen oder Freiheiten honoriert“ werden könnten.

Die Rechtslage in Baden-Württemberg

Mit Beschluss des Landtages vom 20.11.2012 (vgl. Gesetzblatt für Baden-Württemberg 2012, S. 581 ff) wurde im Südwesten das „Gesetz zur Schaffung einer grundgesetzkonformen Rechtsgrundlage für den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Baden-Württemberg“ (im Alltag JVollzGB-5 genannt) geschaffen. Dort heißt es in § 3 zur Frage der Motivierung, es könnten „besondere Vergünstigungen gewährt oder bereits gewährte besondere Vergünstigungen wieder entzogen werden.“

Wer keine weiterführenden Vollzugslockerungen, wie z.B. Hafturlaube erhält, dem stehen nach § 11 Abs. 3 jenes Gesetzes mindestens vier bewachte Ausführungen pro Haftjahr zu.

Die Vollzugspraxis in der JVA Freiburg hinsichtlich Motivierungsarbeit 

Seit Juli 2013 befinde ich mich in der Sicherungsverwahrung in Freiburgs Gefängnis und der Eindruck ist durchwachsen; es gibt einzelne Beschäftigte die mit Engelsgeduld stundenlange intensive Gespräche mit Insassen führen, aber konkret fassbare Maßnahmen sind eher Mangelware. Vor einigen Jahren fiel dem „multiprofessionellen Behandlungsteam“ (so nennt man das hier völlig ironiefrei) ein man könne durch „Sonderausführungen“ erwünschtes Verhalten der Insassen unterstützen. Anstatt also nur vier Mal im Jahr die Anstalt zu verlassen, wollte man auf kurzfristig angesetzte Sonderausführungen setzen, die über dieses Mindestmaß hinausgehen würden. Für 2 Stunden 45 Minuten würde man bewacht in die Innenstadt geführt, könnte Kaffee trinken und vielleicht auch noch was einkaufen gehen.

Es gab eine Zeit da kam es zu Sonderausführungen, aber mittlerweile ist es gang und gebe, dass zwar Listen geführt werden über jene Insassen die prinzipiell in den Genuss einer solchen „Vergünstigung“ kommen sollen, in der Praxis kommt es dann freilich zu keinen Sonderausführungen, denn der Anstalt mangelt es an Personal hierfür. Schon die vier Pflichtausführungen zu gewähren führt die Justizvollzugsanstalt an den Rand der Belastbarkeit.

Der Rechtsstreit bis zum Landgericht 

Interessanterweise wurde ich eines Tages von der Stationspsychologin Frau W. mit dem Hinweis konfrontiert, ich stünde jetzt auf dieser Sonderausführungsliste; im selben Atemzug meinte sie aber auch, ich solle nicht damit rechnen in den Genuss einer Extraausführung zu kommen, denn mir sei die Personalsituation der Anstalt sicherlich bekannt. Dennoch beantragte ich die Durchführung einer solchen Sonderausführung. Beim Landgericht Freiburg blitzte ich damit ab. Es entscheid am 20.2.2019 (13 StVK 281/18), es stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Anstalt solche Ausführungen zu gewähren oder auch nicht. Auch die Tatsache der Aufnahme auf die entsprechende Liste begründe keinen Vertrauenstatbestand. Die tatsächliche Gewährung hänge von den „personellen Ressourcen“ der Anstalt ab, wenn diese die Gewährung nicht hergeben würden, dann sei das so rechtlich völlig in Ordnung. Hiergegen erhob ich Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht.

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe 

Wie schon eingangs angedeutet, das OLG entschied zu Gunsten der Anstalt. Mit Beschluss vom 18.07.2019 (Az. 2 Ws 108/19) kamen die drei Richter/innen zu dem Ergebnis, aus § 3 JVollzGB-5, mit welchem ein Anreizsystem geschaffen wurde, ließen sich keinerlei Rechtsansprüche ableiten. Vielmehr habe der Gesetzgeber gewollt, dass die Haftanstalten „mit Blick auf die organisatorischen Gegebenheiten (…) Vergünstigungen kreativ entwickeln“. Sonderausführungen „wegen mangelnder Personalausstattung“ zu versagen bewege sich sodann im Rahmen des schon erwähnten „pflichtgemäßen Ermessens der Justizvollzugsanstalt“.

Der OLG Beschluss ist als PDF-Datei zusammen mit dem Artikel hier abrufbar.

Für den Rechtsstreit durch zwei Instanzen darf ich nun auch noch 105 € bezahlen. Eine kostspielige Belehrung.

Bewertung

Für die Verwahrten ist es in der Praxis demotivierend, wenn die als einzige echte und greifbare Motivierungsmaßnahme erlebten Sonderausführungen zwar immer wieder in Aussicht gestellt, aber de facto die meiste Zeit des Jahres er nicht gewährt werden. Die schon erwähnte Stationspsychologin W. versuchte es mit einem ganz speziellen Vergleich: man solle sich das ganze wie ein Glücksspiel vorstellen. Die Stationsteams würden Namen von Insassen denen man eine Sonderausführung zur Belohnung zuerkennen wolle in eine Lostrommel werfen, und am Ende entscheide das Glück dieser Lostrommel ob man in den Genuss der Extraausführung komme.

Vier Ausführungen im Jahr (vgl. § 11 Abs. 3 JVollzGB-5) sind schon wenig genug, denn ein wirklicher Bezug zur Freiheit wird so nicht aufrecht erhalten, aber dazu dieses, von nicht wenigen nur noch auf ihren Tod wartenden Insassen als zynisch erlebte Spiel der SV-Anstalt mit den Sonderausführungen rückt wieder deutlich die Genese der Sicherungsverwahrung in den Blick.

Sie wurde bekanntlich eingeführt mit Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933, also unter der Diktatur der Nationalsozialisten. Das Oberste Gericht der DDR verbot in den 50’er Jahren die Anwendung der SV auf DDR-Gebiet, denn diese Maßregel atme den faschistischen Ungeist. Mit „faschistischem Ungeist“ hatte die westdeutsche Politik und Justiz weder damals noch heute wirklich ein Problem.

Einige frustrierte Insassen haben schon mehrfach mündlich und schriftlich bekundet, die Anstaltsmitarbeiter/innen mögen sich die Sonderausführungen dorthin applizieren, wo die Sonne niemals scheine. Darin kommt die Enttäuschung über den Verwahrcharakter des Vollzugsalltages besonders deutlich zum Ausdruck. Mit dem erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2011 wurden bei vielen Insassen (falsche) Hoffnungen geweckt: nach einem Aufbruch! weg vom Warten auf den Tod in Haft, hin zur Entwicklung von konkreten Perspektiven auch wenn schon nicht zeitnahe, so doch zumindest mittelfristige Freilassung.

Oder wenn schon bloßes Zuwarten auf das Sterben in Haft, dann doch zumindest unter Bedingungen die eine intensive Außen- und Freiheitsorientierung, welche das Bundesverfassungsgericht nämlich gleichfalls einforderte, spürbar machen würde.

Das Gericht forderte mit Urteil vom 4.5.2011 übrigens ausdrücklich, hierfür „ausreichende Personalkapazitäten“ (a.a.O. Absatz 115) bereit zu stellen, hierzu verhielten sich weder Land-noch Oberlandesgericht.

Stattdessen haben Land- und Oberlandesgericht der SV-Anstaltsleitung einen Freifahrtschein für ihre demotivierende Vollzugspraxis ausgestellt und die Behördenleitung wird sich das nicht zwei Mal sagen lassen. Der Vollzugsalltag ist zudem zunehmend von Restriktionen geprägt, was auch aus anderen Bundesländern berichtet wird, wo allerorten die Anstalten und sogar die Gesetzgeber die Schrauben im Bereich der Sicherungsverwahrung anziehen. So gab es in Niedersachsen bislang 12 Pflichtausführungen im Jahr, die nun auf vier eingedampft werden, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen.

Peu a peu entwickelt sich also der Vollzugsalltag wieder zurück in die Zeit vor dem damals doch als „spektakulär“ bezeichneten höchstrichterlichen Urteil vom 4. Mai 2011.

Thomas Meyer-Falk
z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 Freiburg

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