Und kein Ende der Folterdebatte

Nicht erst seit dem 11. September 2001 und den damaligen Ereignissen in den USA wird verstärkt über den Einsatz von Folter oder anderer „harter Verhörtechniken“ diskutiert; seit mehreren Jahren wird Folter aber auch z.b. gegenüber Kindesentführern ganz ernsthaft erörtert.

 

Der Fall Gäfgen

Magnus Gäfgen wurden am 4. August 2011 vom Landgericht Frankfurt a. Main 3000 Euro Entschädigung dafür zugesprochen, dass er nach seiner damaligen Verhaftung von Polizeibeamten mit Folteranwendung bedroht wurde. Er stand in Verdacht, den Sohn eines Frankfurter Bankiers entführt zu haben; der Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner vermutete, das Kind lebe noch und Gäfgen sollte gezwungen werden, das Versteck preis zu geben. Er ordnete an, dass Gäfgen vermittelt werden solle, er würde die „Schmerzen seines Lebens“ erleiden müssen, gebe er nicht endlich das Versteck preis. Ferner ließ Daschner einen Kampfsportler und einen Arzt anfordern, um, würde sich Gäfgen weiter weigern auszusagen, zur Folterung schreiten zu können.

Angesichts der Drohungen packte Gäfgen aus; das Kind hatte er schon zuvor getötet und führte die Beamten somit nur noch zum Fundort des Leichnams. Verurteilt wurde Gäfgen u.a. wegen Mordes zu lebenslanger Haft; dennoch bestand er darauf, dass die angedrohte Folter rechtswidrig gewesen sei.Der Fall DaschnerDer (damalige) Polizeivizepräsident erfuhr breite Unterstützung für die Vorgehensweise im Fall des entführten Bankierssohnes.
Beispielsweise äußerte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Mackenroth, Verständnis für die Androhung der Folter (später brachte es dieser Richter immerhin zum Justizminister in Sachsen). Insbesondere auf „der Straße“ war Daschner fast so etwas wie ein Held; und auch sein Dienstherr zeigte viel Verständnis. Nach einer kurzen Schamfrist beförderte man Daschner und so konnte er wenige Jahre später, ausgestattet mit einer höheren Pension als er sie als Polizeivize hätte erreichen können, seinen Hut nehmen.
Strafrechtlich beließ es eine Frankfurter Strafkammer mit der mildesten Sanktion des Erwachsenenstrafrechts: Einer Verwarnung mit Strafvorbehalt.Der Fall Ennigkeit

In den Medienberichten konzentrierte sich die Aufmerksamkeit meist auf Daschner, aber sein Erfüllungsgehilfe war Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit. Dieser übermittelte Gäfgen die Drohungen, man werde ihn „unter ärztlicher Aufsicht durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen)“ – so der Aktenvermerk Daschners – zu einer Aussage bewegen. Am 5. Oktober 2011 räumte RTL in der Sendung „Stern TV“ Ennigkeit breiten Raum ein, sein damaliges Verhalten darzustellen und Werbung für sein jüngst erschienenes Buch („Um Leben und Tod – wie weit darf man gehen, um das Leben eines Kindes zu retten?“) zu machen.
Unkritisch bis an die Schmerzgrenze interviewte Steffen Halaschka (Nachfolger von Günter Jauch bei „Stern TV“) den Kriminalbeamten. Dieser bekräftigte, er werde in einer ähnlichen Situation genauso wieder handeln. Mit Fassungslosigkeit habe er verfolgt, wie man Gäfgen 3000 Euro Geldentschädigung zubilligte. Im übrigen bestritt Ennigkeit nachdrücklich, dass die Folterdrohungen zu einem Geständnis geführt hätten. Vielmehr sei seine geschickte Vernehmungstaktik ursächlich gewesen. Hinsichtlich der Folterankündigung verstehe er bis heute nicht, dass Daschner und er bestraft worden seien, schließlich handele es sich hier um eine „rechtliche Grauzone“.
In besagter Stern TV-Sendung durften die ZuschauerInnen via Internet abstimmen, ob die Folterandrohungen in Ordnung gewesen wären. Stolz verkündete Halaschka, der Moderator, am Ende, das „95 %“ mit „Ja“ abgestimmt hätten ( http://www.sterntv.de/ ).

Reaktion der Medien auf das Entschädigungsurteil

Hier soll nicht auf Zeitungen wie BILD eingegangen werden, deren Volkszorn-Pöbeleien sind wohlbekannt. Exemplarisch sei auf Gisela Friedrichsen (DER SPIEGEL, 32/2011, S. 42) eingegangen. Sie pöbelt nicht weniger als BILD, allerdings auf intellektuell etwas höherem Niveau. Sie hält es für – Zitat – „unmenschlich“, dass die 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt dem „Kindesmörder“ 3000 Euro Entschädigung zubilligte. Dieser habe schließlich seinerzeit die Fahnder der Polizei „(ge)quält“ und „zermürbt“. Er habe die Polizeibeamten regelrecht „hinein(ge)trieben“ in die Folterandrohung.
Hier habe, mit seiner Zivilklage auf Schmerzensgeld, ein „gemeiner Mörder (…) skrupellos seine Interessen“ durchgesetzt. Der Leser, die Leserin spürt geradezu, wie Friedrichsen der Blutdruck gestiegen sein muss.
Zu differenzieren zwischen Mordtat (die unentschuldbar ist) einerseits und dem Verhalten der Polizei andererseits mag vielen nicht leicht fallen, ist aber zwingend notwendig.

Staatliche Folter ist niemals gerechtfertigt

Nicht beurteilt zu werden braucht hier die Frage, wie eine Konstellation zu bewerten wäre, fiele ein möglicher Tatverdächtiger z.b. den Eltern eines entführten Kindes in die Hände und diese würden dem Verdächtigen zusetzen. Aber für die staatlichen Repressionsorgane kann es niemals eine Rechtfertigung geben, zu foltern oder Folter anzudrohen.
Wie im übrigen der Rechtsanwalt von Gäfgen in einem Interview mitteilte, würden immer mal wieder Mandanten von Schlägen und Misshandlungen berichten, die auf deutschen Polizeirevieren vielleicht nicht an der Tagesordnung sein mögen, jedoch auch keine singulären Ereignisse darstellen. Nur rate er – der Anwalt – jedoch seinen Mandanten regelmäßig davon ab, diese Vorfälle weiter zu verfolgen, da sie diese schlicht nicht würden beweisen können. In den seltensten Fällen nämlich würde ein Polizist sein Vorgehen in einem Aktenvermerk niederlegen; so wie seinerzeit Daschner. Hätte dieser die Folterdrohungen nicht aktenkundig gemacht, wohl kaum jemand hätte Gäfgen später entsprechende Vorwürfe geglaubt.
Eine Gesellschaft muss aushalten, dass nicht alles getan wird, was Menschen sich auszudenken vermögen; und sei der Zweck noch so heilig.

Folgen des Urteils für die Polizei

Das Urteil des Zivilgerichts dürfte nichts an der täglichen Polizeipraxis ändern. Die schon erwähnte Friedrichsen, Sprachrohr des selbsternannten „Sturmgeschütz der Demokratie“ betonte in ihrem Kommentar, dass Daschner und seine Kollegen gestraft genug seien, schließlich sei ihr Vorgehen „von mehreren Gerichten missbilligt“ worden.
Ein sehr milde Sicht der Dinge. In der Realität dürften sich Polizeibeamte eher ermuntert fühlen zu „harten Verhörmethoden“ zu greifen, denn gerade an Daschner können sie verfolgen, wie schnell man anschließend die Karriereleiter hinauf fällt. Sind dann noch Kinder als Opfer im Spiel, findet sich auch genug mediale Unterstützung und Zustimmung.
Vermeidet man es ferner, sein Tun in einem Aktenvermerk zu dokumentieren, so ist die Wahrscheinlichkeit gleich Null, dass irgendetwas ans Licht kommen wird.
Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt genug Staaten, in welchen es wesentlich brutaler zugeht auf den Polizeistationen (und auch in den Gefängnissen), dies ändert jedoch nichts daran, dass auch auf deutschen Polizeiwachen (und in Gefängnissen) geschlagen, getreten und misshandelt wird – und mitunter sogar Menschen sterben müssen!

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
 http://www.freedom-for-thomas.de
 https://freedomforthomas.wordpress.com

15 Jahre Knast – ein Zwischenbericht

Wie überlebt ein Mensch Jahre und Jahrzehnte in einem so künstlichen Umfeld wie dem eines Gefängnisses?
Ich selbst befinde mich erst 15 Jahre in Haft; in einer kühlen Oktobernacht des Jahres 1996 wurde ich von der Polizei vorläufig festgenommen und in mehreren Strafprozessen zu insgesamt 16 Jahren 9 Monaten und 3 Wochen Freiheitsstrafe mit anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (was ist SV: vgl.  http://de.indymedia.org/2010/12/297065.shtml) verurteilt. Nach den ersten Jahren im Vollzug, die ich in Isolationshaft verbrachte, befinde ich mich seit 2007 im Normalvollzug.

Dort begegnete ich dann alsbald Mitgefangenen, die schon in Haft saßen, als ich noch gar nicht geboren war, weshalb ich auch eingangs davon schrieb, „erst“ 15 Jahre inhaftiert zu sein. „Icke“ zum Beispiel, von allen so genannt, da er aus Berlin stammt und noch mit merklich berlinerischer Färbung spricht: Er wird 2012 sein 50. Jahr hinter Gefängnismauern verbringen – er ist dann ununterbrochen ein halbes Jahrhundert im Gefängnis. Oder D., er ist über 48 Jahre eingesperrt. Kaum zu zählen sind jene, die zwei oder drei Jahrzehnte von diesem Staat in Gefangenschaft gehalten werden.
Wenn also in den Medien gerne nach spektakulären Strafverfahren die Rede davon ist, die lebenslange Strafe dauere in Deutschland doch „eh maximal 15 Jahre“, handelt es sich um gezielte Irreführung der Bürgerinnen und Bürger. Selbst Statistiken, die behaupten, durchschnittlich 20-22 Jahre verbringe ein „Lebenslänglicher“ im Gefängnis, untersuchen lediglich die Dauer der Inhaftierung von entlassenen Gefangenen; jene, die dann teils 50 Jahre eingesperrt sind, fließen in solche Untersuchungen nicht ein.

Überleben bei langjähriger Inhaftierung

Wie ist es nun bestellt um die unterschiedlichen Strategien zur Bewältigung des Umstandes, teilweise Jahrzehnte der Freiheit beraubt zu werden? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte ich im Folgenden einige der möglichen Verhaltensweisen aufzählen.

a.) „Stockholm-Syndrom“

Hierbei handelt es sich um ein komplexes bei Geiselnahmen zu beobachtendes psychologisches Phänomen, bei welchem Geiseln beginnen sich mit dem oder den Geiselnehmern zu identifizieren, das reicht hin bis zu einem sich Verlieben. Man arbeitet denjenigen, die einen gefangen halten, zu, ordnet sich vollständig unter. Die eigene Hilflosigkeit ist derart existenzbedrohend, dass es zu einer Identifikation mit dem Aggressor kommt, einzig mit dem Ziel zu überleben.

Bei Langzeitgefangenen nicht selten zu beobachten, denn auch wenn die Justiz heutzutage nicht (mehr) mit körperlicher Gewalt arbeitet, d.h. sogenannte „Rollkommandos“, die unbequeme Gefangene in ihren Zellen malträtieren, sind nahezu unbekannt, sind diese jedoch einem durchaus starken psychologischen Druck ausgesetzt und vollständig den Bediensteten ausgeliefert. Hieran ändert auch ein recht ausgefeiltes Rechtsschutzsystem nichts, zumal die Inanspruchnahme der Gerichte dann auch negativ bewertet wird. Entweder als Querulanz, Aufsässigkeit oder fehlende Bereitschaft „Konflikte im Gespräch“ zu klären (wobei hier verkannt wird, dass angesichts des strukturellen Machtgefälles zwischen JVA-Personal einerseits und Inhaftierten andererseits eine gleichberechtigte Gesprächsführung letztlich ausgeschlossen ist).

Es gibt dann Inhaftierte, die Mitgefangene beim Personal denunzieren, in der Hoffnung sich so Vorteile im Vollzugsalltag oder im Hinblick auf Beurteilungen für eine Haftentlassung zu verschaffen. Die denjenigen, die sie wegschließen, Kaffe kochen und die Tasse an den Schreibtisch bringen.

b.) Hospitalisierung/ Prisonisierung

Hier ist eine nahezu vollständige Unselbstständigkeit zu beobachten. In einem System, welches darauf baut, Gefangenen alles detailliert vorzuschreiben (und Verstöße entsprechend zu ahnden), kommt es zur Regression, d.h. Menschen fallen zurück in ein Stadium, wie es zuletzt in der frühen Kindheit zu beobachten war, als sich die Eltern um alles und jegliches kümmerten und das Kind rundum versorgt haben. Man bleibt ganz automatisch und ohne nachzudenken vor einer geschlossenen Türe stehen, selbst wenn diese sich am Ende als nur angelehnt erweisen sollte. Da in einem Gefängnis fast alle Türen verschlossen sind, tritt die Fähigkeit Türen selbst zu öffnen, wenn sie nicht verlorengeht, doch alsbald in den Hintergrund.
Selbstständig kochen, Wäsche waschen, eine Steckdose wechseln, selbst eine Klobrille auszutauschen, alles wird einem abgenommen. Gegessen wird in den wenigsten Fällen in Gemeinschaft oder von Tellern. Meist sitzen die Gefangenen alleine in der Zelle vor einem Napf.
Wer sich nicht aktiv um Außenkontakte bemüht, verlernt Briefe zu schreiben. Der Alltag wird eher passiv durchgestanden als aktiv gestaltet, denn ein Knast ist kein Ort für spontane Aktivitäten.

Was die Vorschriftenflut zur Regelung des Lebens Gefangener betrifft, möchte ich diese exemplarisch an der Hausordnung des Leitenden Regierungsdirektors Thomas Müller (zu seiner Person vgl.  http://de.indymedia.org/2010/01/270575.shtml  http://de.indymedia.org/2010/01/270866.shtml), Chef der JVA Bruchsal kurz andeuten.

In der Hausordnung wird angedroht: wer „schuldhaft gegen diese Hausordnung (…) verstößt, kann (mit) Disziplinarmaßnahmen“ belegt werden. Schon zur Tageseinteilung wird sodann angeordnet: „(…) beim Wecken aufstehen, sich waschen, sich ankleiden, den Haftraum lüften und aufräumen. Frühstück: 6.30 – 6.46 Uhr, Vesperpause: 9.00 – 9.15 Uhr, Mittagessen: 11.55 – 12.30 Uhr. Abendessenausgabe: 16.30 Uhr. Die Mahlzeiten werden in den Hafträumen eingenommen (…). Bei der Essenausgabe müssen Sie sich in ordentlicher Kleidung in Ihrem Haftraum aufhalten“.

Wer unter diesem Diktat, das sich über viele Seiten hinzieht, Jahre und Jahrzehnte leben muss, kann sich seelisch nicht wirklich positiv entwickeln. Die Versuchung ist groß, sich in das Netz des „Versorgt-werdens“ fallen zu lassen. Dazu trägt sicherlich auch manche Eitelkeit des Personals bei, das nämlich eigenständige Problemlösungen nicht immer goutiert. Wer seine Schuldensituation selbstständig und ohne Inanspruchnahme der Ressourcen der JVA regelt, wer Konflikte zwischen Mitgefangenen „intern“ löst, ohne das Personal einzuschalten, kann durchaus negative Reaktionen seitens der Anstalt erfahren, weil es sich übergangen fühlt.

c.) „Spielsucht“ / Fernsehsucht“

Auch wenn ich hier den Begriff der Sucht unpräzise verwende, so findet man doch unter Langzeitgefangenen nicht wenige, die entweder ihre gesamte Freizeit damit verbringen, Spiele auf der Spielekonsole zu „zocken“ oder die Tag wie Nacht vor dem Fernseher sitzen und die fiktiven Welten von „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ (RTL) und ähnliche Sendeformate als Ersatz für zwischenmenschliche Kommunikation im Haftalltag wählen.

d.) Klageflut

Nicht so oft zu beobachten, aber nicht gänzlich unbekannt, sind Langstrafer/innen, die die unweigerlich bestehenden Konflikte mit der Justiz dadurch zu lösen versuchen, indem sie sich ausgiebig schriftlich beschweren oder vor Gericht ziehen und gegen Maßnahmen der Anstalten klagen. Gerade weil, wie oben angedeutet, das Leben so detailliert geregelt wird, hat die Anstalt es in der Hand, Gefangene zu drangsalieren mit kleinlichen Entscheidungen. Da, wie ebenfalls schon erwähnt, das Rechtsschutzsystem sehr ausgefeilt ist, kann dies von kundigen InsassInnen dazu genutzt werden, in einer Weise „zurückzuschlagen“, die zumindest nach einigen Jahren dann doch Spuren hinterlässt. Weil solche Verfahren viele Jahre dauern können, fehlt manchen die Geduld diesen Weg zu gehen, das notwendige rechtliche Wissen oder die Möglichkeit sich entsprechend schriftlich auszudrücken, oder die Kraft; was erklären mag, dass es eher Wenige sind, die dieses Interaktionsmuster wählen.
Dabei genügten schon drei, vier kundige Gefangene, um eine Anstaltsleitung „lahmzulegen“.

Unabhängig von der Berechtigung der Klagen und Beschwerden stehen jedoch im Regelfall hinter solchen Klagefluten ungelöste Konflikte zwischen den Gefangenen und dem Personal! Aber auch wirklich widerfahrenes Unrecht und das Bedürfnis dieses nicht zu akzeptieren, wie auch der Wille Widerstand zu leisten. An letzterem mangelt es in den weiter oben beschriebenen Fällen von Stockholm-Syndrom etc. Dort wird dann echtes oder vermutetes Unrecht passiv hingenommen.

e.) Körperliche und/oder verbale Aggression

Der früher als „Zuchthausknall“ bezeichnete Aus- oder Durchbruch von Aggression bildet die absolute Ausnahme; dazu mag sicherlich die Möglichkeit der Ablenkung durch TV oder ähnliches beitragen. Aber es gibt sie, die verbal aggressiv gegenüber Gefangenen und Beamten reagieren oder tätlich werden. Hier wird dann mit der Anordnung von Einzelhaft, auch weiterer Maßnahmen, wie Fesselung bei Bewegung außerhalb der Zelle, oder im Falle von Psychosen mit Medikamenten seitens der Justiz geantwortet.

Vieles von dem, was ich eben beschrieben habe, begegnet einem im Vollzugsalltag nicht in kristalliner Reinform, sondern es gibt Überschneidungen zwischen verschiedenen der genannten Verhaltensweisen. Hinzu kommt noch der Konsum von Drogen (meist Haschisch, seltener „harte“ Drogen) in einigen Fällen als Bewältigungsstrategie für die als hoffnungslos empfundene Lebenslage.

Kritische Bewertung der Überlebensstrategien

Es handelt sich, wie gesagt, nicht um eine abschließende Aufzählung von Strategien mit der Haftsituation zurechtzukommen, aber ihnen allen ist gemein, dass sie als Reaktion auf ein krank machendes Umfeld entstehen. Seit es Gefängnisse gibt, existiert die Kritik an diesen; und in Deutschland ist seit einigen Jahren eine im Wachsen befindliche Anti-Knast-Szene zu beobachten.

Niemand plädiert dafür, bestimmtes Verhalten passiv hinzunehmen, so wie die Idee des politischen Anarchismus nicht bedeutet, raubend und mordend durch die Welt zu ziehen (wiewohl die Presse gerne solches behauptet). Verantwortliches Handeln bedeutet auch, auf inakzeptables Verhalten eine Reaktion zu zeigen; dass diese Reaktion jedoch zwangsläufig Knast, zumal über Jahrzehnte, heißen muss, ist keineswegs denknotwendig.

Mir geht es nicht darum, die Betroffenen als Opfer darzustellen, dies würde bedeuten ihnen eine passive Rolle zuzuweisen. Sie – die Gefangenen – reagieren mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Repertoire an Verhaltensmöglichkeiten auf eine pathologische Situation. Denn es ist krankmachend, Menschen in kleine Zellen zu stecken und dort dann für ein halbes oder ein ganzes Menschenleben verschwinden zu lassen. Hieran ändert auch der in Deutschland laut Bundesverfassungsgericht geforderte „Resozialisierungsvollzug“ nichts. In Bruchsal, um ein Beispiel zu nennen, hat die ausdrücklich so genannte „Behandlungsabteilung“ keine 30 Plätze. Insgesamt leben aber in der Anstalt über 400 Gefangene. Sprich für weniger als 10% der Insassen werden Behandlungsplätze vorgehalten, in anderen Gefängnissen sieht es nicht besser aus.

Immer wieder gibt es vereinzelte Protestaktionen, z.B. in Form von Hungerstreiks, Demonstrationen vor Gefängnissen, und die sich verstärkt herausbildende Anti-Knast-Szene.

Insofern besteht Hoffnung. Hoffnung, es wird einmal eine Gesellschaft geben, die nicht mehr jene, die gefehlt haben, in Knäste abschiebt und damit Konflikte ausblendet und wegschiebt, anstatt sie zu lösen.

Wo bleiben die Opfer der Inhaftierten?

Immer mal wieder bekommen Anti-Knast-AktivistInnen den Vorwurf zu hören oder zu lesen, sie würden die Opfer der Täter ausblenden, all die Toten, die an Leib und Seele Verstümmelten und Verletzten.

Was möchte man da entgegnen? Vielleicht, dass es zu tiefst unzivilisiert ist, Verstümmelung und Verletzung mit Verstümmelung und Verletzung zu beantworten!? Es ist wahr, jemand, der einen Menschen getötet hat, hat Unwiderrufliches getan; nichts kann das heilen – aber jemanden über 20, 30, 40, 50 Jahre und länger einzusperren, heilt auch nichts.

Ich könnte auch antworten, dass Menschen bei uns für Delikte weggeschlossen werden, über Jahre und Jahrzehnte, die keine Opfer im engen Sinne haben: ich denke an jene, die z.B. Haschisch verkaufen. Nach wie vor können solche Menschen mit der Sicherungsverwahrung bestraft werden (und werden dies auch, z.B. Herr G., der in Bruchsal einsitzt). Oder Einbrecher und Diebe, hier gibt es dann selbstredend die Opfer, aber auch hier saßen nicht wenige der Täter dann 10, 15, 20 Jahre in Haft, auch in Sicherungsverwahrung (letzteres ist erst seit dem 01.01.2011 abgeschafft).

Zugegebenermaßen, die Mehrzahl derjenigen Inhaftierten, von denen ich berichte, hat teils schwere Gewalt-, Tötungs- oder Sexualverbrechen begangen (zum Umgang mit Sexualtätern in der JVA Bruchsal vgl.  http://de.indymedia.org/2011/09/315612.shtml); deren Opfer würden mutmaßlich wenig Verständnis für meine Argumentation aufbringen.

Jedoch, ich schreibe aus Sicht eines Inhaftierten, der also besonders diese Seite kennenlernt. Der auch sieht, dass die Taten, die geschehen sind, immer in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext stehen. Was nicht entschuldigen, sondern erklären und somit die Chance eröffnen soll, durch Umgestaltung der Gesellschaft ähnliche Taten künftig vermeiden zu helfen.
Das ist aus Sicht der Opfer und ihrer Angehörigen, FreundInnen und Bekannten auf den ersten Blick unbefriedigend, vielleicht schmerzhaft, aber es gibt auch jene, die geschädigt wurden und die an einem Ausgleich mit TäterInnen interessiert sind. Angehörige, die selbst im Angesicht von Tötungsdelikten an Versöhnung und Aussöhnung glauben; davon beredtes Zeugnis geben beispielsweise die Wahrheitskommissionen Südafrikas.

Schluss – meine eigene Situation

Mich selbst erwartet ab Sommer 2013 die Sicherungsverwahrung, und die SV ist nicht abgeschafft, obwohl dies gelegentlich in den Medien – fälschlicherweise – behauptet wurde. Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte billigen ausdrücklich die SV als Instrumentarium des Strafrechts, bemängeln – lediglich – die Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung.

Im Verlaufe der Jahre haben sich bei mir bestimmt manche Marotten eingeschlichen, die ich in Freiheit wahrscheinlich nicht entwickelt hätte, aber nichts, das nicht wieder behebbar wäre.

Hoffnung und Optimismus habe ich zu keinem Zeitpunkt verloren; ebenso nicht den Glauben daran, wieder in Freiheit (oder das, was der Staat noch an „Freiheit“ übrig lässt) zurückzukehren, selbst, wenn ich mittelfristig nicht damit rechnen kann, aus der Haft entlassen zu werden ( http://de.indymedia.org/2011/06/309513.shtml).

Aber es ist keineswegs mein Verdienst, Hoffnung und Zuversicht nicht verloren zu haben. Zu verdanken habe ich dies einem Netz von FreundInnen und GenossInnen. Ohne sie wäre vielleicht auch ich schon in einer gewissen Passivität verlorengegangen. Der Kontakt jedoch, ob per Brief oder die in Bruchsal möglichen zwei Besuche (pro Monat) helfen mir viel.

Außerdem wäre ich im buchstäblichen Sinne stumm, würde es nicht jene FreundInnen geben, die meine Texte abtippen und via Internet verbreiten. Denn nach wie vor habe ich weder einen PC, geschweige denn Zugang zum Internet.

Eine Stimme verleiht aktuell Texten und Gedichten, die ich geschrieben habe, der Wuppertaler Schauspieler und Vorleser Uwe Neubauer. In verschiedensten Städten hält er Lesungen aus meinem Buch („Nachrichten aus dem Strafvollzug“,  http://www.blaulicht-verlag.com).

Aber gleichfalls von Bedeutung ist die Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften, sei es durch Freiabonnements solidarischer Verlage oder durch Finanzierung des Vereins Freiabos für Gefangene in Berlin ( http://www.freiabos.de).

Und erst recht die solidarische Begleitung und Unterstützung durch Organisationen wie die Rote Hilfe e.V. ( http://www.rote-hilfe.de) und Anarchist Black Cross ( http://www.abc-berlin.net). All das gibt täglich Ansporn; genauso wie der rege Briefkontakt zu Mitgefangenen im In- und Ausland, wie zu FreundInnen und GenossInnen in Frankreich, Großbritannien, Australien, USA und anderen Staaten.

Das ist ein ganzes Netz von Kontakten und Verbindungen, für das ich ungemein dankbar bin, denn es hilft, zu überleben, den Geist wach zu halten. Es zeigt, ich bin nicht alleine oder vergessen; hier geht es mir sehr viel besser als viel zu vielen meiner Mitgefangenen. Wer sich vergessen fühlt, der verliert Hoffnung.

Und darum geht es doch: Hoffnung haben.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-Z. 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal, Germany
 http://www.freedom-for-thomas.de
 http://www.freedomforthomas.wordpress.com