Knastprivatisierung am Beispiel Berlin

Nachdem im Jahr 2006 über die Pläne des Landes Berlin berichtet wurde, den geplanten Neubau eines Gefängnisses (JVA Heidering) möglicherweise durch private Firmen abwickeln und dann auch betreiben zu lassen, bat ich mit Schreiben vom 12.10.2006 die Senatsverwaltung für Justiz um Zugang zu einem Gutachten zur – Zitat – „Untersuchung alternativer Realisierungsformen der JVA Heidering“.
Erst in Folge eines längeren Rechtsstreits mit dem Land Berlin erhielt ich schlussendlich Ende April 2009 das 150 Seiten starke Gutachten.

Darin wird ausführlich ein Wirtschaftlichkeitsvergleich angestellt zwischen den drei Modellen: Eigenrealisierung ( d.h. alle Aufgaben des Projekts, Planung, Bau, Finanzierung und Unterhaltung in Verantwortung des Landes Berlin), Investorenmodell (wesentliche Leistungen der Bau- und Planungsphase würden an einen privaten Investor vergeben), sowie PPP-Modell (public-private-partnership); hier würde privaten Firmen die Aufgaben der Planung, der Errichtung und Finanzierung der Anstalt weitestgehend vollständig übertragen und in Teilen auch des Betriebs der JVA).

Im Ergebnis kommt das Gutachterkonsortium PSPS, Drees & Sommer Berlin GmbH und Hogan & Hartson Raue L.L.P. zu dem Schluss, dass das PPP-Modell um 6,70 % (barwertig: 11,8 Mio Euro über 25 Jahre Laufzeit) wirtschaftlicher wäre als die Eigenrealisierung; das Investorenmodell wäre noch 0,38 % (barwertig: 680.000 Euro über 25 Jahre) wirtschaftlicher als die Eigenrealisierung.

Ausgiebig widmen sich die Gutachter der Frage der „Gefangenenbeschäftigung“ (rechtlich handelt es sich dabei um Zwangsarbeit); auf S. 44 des Gutachtens heißt es: „Das Land Berlin beabsichtigt (…) auch die Gefangenenbeschäftigung einem privaten Partner zu übertragen“.

Aus Anhang E zu dem Gutachten ergibt sich, über welche Arbeitsbetriebe die JVA Heidering verfügen soll. Es fällt auf, dass nach den dort durchgerechneten Szenarien (Best Case, Real Case, Worst Case) zwar Qualifizierungsmaßnahmen vorgesehen sind (Deutschkurs, Anlernmaßnahme Gastronomiehelfer, etc.), jedoch die Mehrzahl der Inhaftierten möglichst in Unternehmerbetrieben der Lebensmittelverarbeitung, Abfallsortierung, Automobilzulieferung und der Montage/Verpackung tätig sein werden.

Entlohnt sollen die Gefangenen in diesen Unternehmerbetrieben mit Lohnstufe 2 werden; dies bedeutet 88 % des normalen Gefangenensalärs. In Zahlen: circa 1,15 Euro pro Stunde! Im Best Case Szenario werden Umsatzerlöse alleine in den Unternehmerbetrieben von 1,3 Mio Euro pro Jahr erwartet (Real Case: 525.000; Worst Case: 300.000).

Vorgabe des Senats sei, so das Gutachten, dass in der JVA Heidering keinerlei Produkte, die für den Eigenverbrauch der JVA oder des Landes (z.B. Möbel, Bäckerei) bestimmt sind, hergestellt werden sollen, sondern alle hergestellten Produkte „wettbewerbsfähig auf dem privaten Absatzmarkt vertrieben werden“ müssen.

Hinsichtlich der möglichen Gestaltung der JVA lassen sich dem Gutachten folgende Maßgaben des Senats entnehmen. Arbeitsbetriebe sollen nicht via Kamera überwacht werden, jedoch ist sicherzustellen, dass sich innerhalb der Anstalt Gefangene möglichst wenig begegnen („… keine ungewollte Vermischung der Häftlinge aus den jeweiligen Wohngruppen und Teilanstalten …“, a.a.O. S. 33). Die unterirdische Gangführung zu einzelnen Funktionsbereichen (z.B. Arbeitsbetrieb, Arzt) wird bevorzugt. Je 36 Inhaftierte sollen eine Wohngruppe bilden; zwei Wohngruppen bilden eine Station.
Insgesamt sollen 648 Haftplätze geschaffen werden; die Beschäftigungsqoute soll bei 75 % liegen.

Die Anstalt verfügt über eine eigene Alarmzentrale, welche Tag und Nacht mit zwei Beamten besetzt sein wird; insgesamt befänden sich nach dem Gutachten in der Nachtschicht 11 Bedienstete in der Anstalt. Für die Tagschicht ist pro Wohngruppe ein Bediensteter vorgesehen und zusätzlich pro Station ein Gruppenleiter. Zwei Ärzte und vier Sanis sind für die Frühschicht eingeplant, sowie drei Psychologen, wobei diese vom privaten Anbieter gestellt werden können. Insgesamt könnten von den 301 erforderlichen Bediensteten 72 (= 23,93 %) „privatisiert“ werden.

Auch wenn abzuwarten bleibt, wie sich letztlich der Betrieb der Anstalt darstellen wird, es ist absehbar, dass es neben dem Outsourcing von Leistungen ganz zentral um eine möglichst effiziente Nutzung der „Arbeitskraft“ Gefangener gehen soll.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

Nachrichten aus dem Strafvollzug

Birgitta Wolf gestorben – Leider ist an dieser Stelle vom Tod Birgitta Wolfs zu berichten. Geboren am 04. Februar 1913 widmete Frau Wolf Jahrzehnte ihres Lebens der Arbeit für Gefangene. Schon im 3. Reich besuchte sie Gefangene im Konzentrationslager, versuchte nach Kräften ihr Los zu verbessern.

Nach 1945 setzte sie sich unermüdlich, ihre eigenen Kräfte bis an die äußersten Grenzen ausreizend und vielfach überschreitend für Gefangene ein. Sie war dabei als in Hamburg in den 6oern durch Hungerstreiks für die Aufklärung von Todesfällen in der Haftanstalt Santa Fu und eine Verbesserung der Haftbedingungen gekämpft wurde. Über Jahre hinweg fand sie in Generalstaatsanwalt Bauer (bekannt durch NS-Prozesse die er initiierte) einen Freund und Förderer; für ihre Arbeit erhielt sie viele Auszeichnungen. Ich selbst hatte vor einigen Jahren sporadischen Briefkontakt zu und mit ihr, bevor sie, von schwerer Krankheit gezeichnet, ihre Arbeit in andere Hände legen musste.

Am 25. April 2009 ist Birgitta Wolf gestorben.

http://www.nothilfe-birgitta-wolf.de

Seit kurzem gibt es in Wiesbaden die „Bundesstelle zur Verhütung von Folter“ (c/o Kriminologische Zentralstelle e.V., Viktoriastr. 35, 65189 Wiesbaden). Eingerichtet wurde diese in Folge eines Fakultativprotokolls von 2002 zum Antifolterübereinkommen der Vereinten Nationen von 1984. Aufgabe der Bundesstelle ist es, zur Verhütung von Folter Orte der Freiheitsentziehung aufzusuchen, auf Missstände aufmerksam zu machen und Verbesserungsvorschläge vorzulegen. Zum Leiter der Bundesstelle wurde sinnigerweise ein ehemaliger Anstaltsleiter bestimmt, in dessen JVA es zu seiner eigenen Dienstzeit zu Übergriffe auf Gefangene kam, u.a. ein Gefangener mit einer Leine um den Fuß an der Zellenwand fixiert wurde, damit er nicht mehr an die Zellentüre klopfen konnte (die Leine gab ihm gerade soviel Spielraum, daß er vom Bett zum WC gehen konnte). Klaus Lange-Lehngut (ehem. Leiter JVA Berlin-Tegel) ist, laut SPIEGEL vom 11.04.2009, dieser neue Chef der Bundesstelle.

Eine Anfrage beim Bundesministerium der Justiz (11015 Berlin, Az.: IV M – 9470/2 II – 48 211/2009) ergab, daß diese Bundesstelle für Gefangene in Ländergefängnissen garnichts tun könne oder dürfe, da sie nur für Freiheitsentziehungen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (z.B. Bundespolizei) ein Mandat habe. Die Bundesländer, so Herr Polk vom Ministerium, würden zur Zeit eine „Kommission der Länder zur Verhütung von Folter“ einrichten, wobei der Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme noch nicht bekannt sei.

Was ist Zeit aus Gefangenensicht?

Wer im Gefängnis sitzt, bezahlt für etwas, das er/sie getan hat mit Lebenszeit, so genannter Strafhaft – oder für etwas, das er/sie tun könnte, so genannter Sicherungsverwahrung.

Was ist Zeit aus Gefangenensicht?

Wer im Gefängnis sitzt, bezahlt für etwas, das er/sie getan hat mit Lebenszeit, so genannter Strafhaft – oder für etwas, das er/sie tun könnte, so genannter Sicherungsverwahrung.

Vor Jahren bezeichnete ich beispielsweise eine Richterin am Landgericht Mannheim als „Bilderbuchexemplar einer faschistischen Justizschlampe“. Einmal beiseite gelassen, ob der inhaltliche Kern dieser Bezeichnung zutraf, einem Richterkollegen war dieser Satzteil immerhin wert, 7 Monate Freiheitsstrafe auszuwerfen (§ 185 StGB; d.h. Beleidigung. Strafrahmen: Von Geldstrafe bis zu 1 Jahr Freiheitsstrafe).
Am Ende summierten sich wegen verschiedenster Verurteilungen wegen des Vorwurfs der Beleidigung und Bedrohung, geäußert jeweils in Briefen, 5 Jahre 3 Monate und 3 Wochen. Knapp 2000 Tage oder etwas mehr als 46.000 Stunden Freiheitsentziehung.

Umgerechnet in die Arbeitszeit eines Arbeiters/einer Arbeiterin bei 42 h/Woche und 48 Arbeitswochen pro Jahr, entspräche dies immerhin 22 Jahren Arbeitsverhältnis – um einmal einen Eindruck für die Proportionen zu erhalten. Denn in unserer kapitalistischen Gesellschaft ist Arbeitszeit ein Äquivalent für das, was wir uns nach Zahlung von Gehalt, bzw. Lohn am Markt kaufen können.

Aber was bedeutet dies konkret für Gefangene? Wer in einer Haftanstalt zu leben gezwungen ist, bekommt nur noch sehr gefilterte Eindrücke vom Leben vor den Mauern mit. Hier „drinnen“ läuft das Leben langsamer; ein geflügeltes Wort lautet „Knast konserviert“.

Wie ein träger, monotoner Fluss fließt sie dahin, die Lebenszeit. Erst durch In-Bezugsetzung zu anderen Ereignissen bekommt man ein Gefühl für die Monate, Jahre, Jahrzehnte. Am deutlichsten wird mir selbst die verstrichene Zeit, wenn FreundInnen/GenossInnen berichten, wie ihre Kinder geboren werden, zu sprechen beginnen, laufen lernen, eingeschult werden, auf eine weiterführende Schule wechseln.

Jedoch ansonsten? Was vor 5 Jahren passierte, ist für einen Gefangenen oftmals so, als wäre es gestern gewesen.
Zeit hat hier eine andere Qualität; wer kann „draußen“ schon sagen, was er/sie in zum Beispiel zwei Jahren am 02. Mai 2011 tun wird?
Gefangene können dies! Der 02. Mai 2011 ist ein Montag, es wird um 6.15 Uhr die Zelle geöffnet werden, um 6.40 Uhr gehen wir zur Arbeit. Um 11.45 Uhr wird es ein Mittagessen mit Reis geben, denn jeden Montag gibt es Reis zu Mittag. Und am nächsten Tag, ein Dienstag, wird es für jeden 1 Liter Milch geben, wie jeden Dienstag.
Von exakt 17.00 Uhr bis um 19.00 Uhr werden wir in einer Sportgruppe sein und um 19.20 Uhr in die Zellen für die Nacht eingeschlossen werden.

Zerteilt wird der Mahlstrom der Zeit durch die zwei Besuche pro Monat, sowie die zwei Einkaufstermine, zu welchen wir bestellte Nahrungs-/Körperpflegemittel (vgl. http://www.de.indymedia.org/2009/01/239491.shtml) erhalten.

Brave BürgerInnen werden nun rufen: „Das ist Eure gerechte Strafe!“
Muss Strafe wirklich sein? Hilft sie irgendwem; außer dass sie einen Gefängnis-Industriellen-Komplex ernährt?!

Keine Freilassung für Meyer-Falk !?

Vor bald einem Jahr berichtete über das Verfahren zur „vorzeitigen“ Freilassung aus der Haft, betreffend meiner Person (http://de.indymedia.org/2008/05/218770.shtml). Hier nun ein Zwischenfazit.

Im Dezember 2008 besuchte mich der von Gericht bestellte Sachverständige Professor Dr. Foerster (Universität Tübingen) und unterhielt sich zwei Stunden mit mir. Sein schriftliches Gutachten vom 19.01.2009 führte dazu, daß ich ihn wegen Besorgnis der Befangenheit zwischenzeitlich abgelehnt habe. Über diesen Antrag entscheidet nun das Landgericht Karlsruhe (wobei im Falle der Zurückweisung des Antrags Beschwerde zum OLG möglich ist).

Foerster führt in seiner Zusammenfassung aus, daß „die Risikofaktoren überwiegen“ würden. Ich bedürfe therapeutischer Behandlung, erst in der JVA Bruchsal. Hier als Vorbereitung für eine sich anschließende langjährige Sozialtherapie in einer anderen Vollzugsanstalt welche nämlich über eine entsprechende sozialtherapeutische Abteilung verfüge.

Ohne dies näher zu begründen, geht der Sachverständige davon aus, daß eine ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliege. Erforderlich sein eine „Aufarbeitung der Taten“, auch bedingt durch die lange Einzelhaft (ich saß knapp 11 Jahre in Isolationshaft) sei „Gruppenerfahrung“ von Bedeutung und die „Förderung der sozialen Kompetenz, Gefühle zulassen können“, sowie adäquater Umgang mit Konflikten.

Staatsanwältin Arnold aus Mannheim erwiderte auf das Gutachten ich sei „offenbar nicht bereit, (mich) dem Gutachter offen mitzuteilen“ und es bedürfe eines breitgefächerten Behandlungsprogrammes, um mir „soziales Verantwortungsbewustsein zu vermitteln, das den verurteilten in die Lage versetzt, ein straffreies Leben führen zu können.“. Und Staatsanwalt Külker aus Heilbronn begehrt die Verwerfung meines Befangenheitsgesuchs. Mit intellektueller Brillianz kommt er zu der Erkenntnis „Der Verurteilte ist offensichtlich inhaltlich mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht zufrieden.“.

Unabhängig von Inhalt und Ergebnis des Gutachtens ist festzustellen, daß nach aktuellen Untersuchungen (Michael ALEX in „Nachträglich Sicherheitsverwahrung – eine empirische erste Bilanz“, Universität Bremen) psychatrische Sachverständige viel zu vielen Gefangenen, bzw. Verwahrten eine „Gefährlichkeit“ attestieren. Alex vermutet, daß alleine bei den derzeit 435 Sicherheitsverwahrten 360, also über 80% zu Unrecht verwahrt werden.

Vor Jahrzehnten war es in Mode durch neurologische Eingriffe ins Gehirn (stereotaktische Operation) „Verbrecher“ vermeindlich „heilen“ zu wollen; heute geht man subtiler vor. Seinerzeit konnte sich ein Gefangener noch physisch wehren, auch wenn er dann gewaltsam fixiert wurde. Er hatte zumindest eine Möglichkeit aktiv zu handeln und sich zu widersetzen; der Operateur pfuschte dann im Gehirn herum. Heute aber soll der Gefangene bitteschön gleich selbst mitwirken an der eigenen Wesensveränderung. Die Gefangenen sollen alles über Bord werfen, was Gutachter, Justiz, Psychiater, Psychologen für hinderlich halten. So wie der Hund dem Stöckchen nachrennt, soll der Inhaftierte dem Stöckchen nachhecheln. Wer kennt nicht das Spiel mit Hunden, wenn man nur so tut als hätte man ein Stöckchen geworfen – der Hund hetzt dennoch los. Und genau so ergeht es auch vielen Gefangenen – die Justiz wirft nicht einmal ein Stöckchen und trotzdem hechelt ein Großteil der Gefangenen los.

Ich lehne diese „Spielchen“ ab; in der Konsequenz bedeutet dies, daß aktuell und auf die nächsten Jahre die Gerichte eine Freilassung verweigern werden.

Das Ziel ist immer die Freiheit – aber entscheidend ist der Weg dahin.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

Aids im Strafvollzug

Über die gesundheitliche Lage von Inhaftierten in Deutschland existieren keine zusammenfassende Erkenntnisse, deshalb gibt es auch keine Statistiken über HIV-positive Gefangene. Die Landesjustizverwaltungen gehen von einer geringen bis rückläufigen Anzahl HIV-positiver Gefangener aus (vgl. Feest, AK-Strafvollzugsgesetz, 5. Auflage, vor § 56 Ziffer 48).

Bei AIDS/HIV handelt es sich um eine schwere Schwächung des körpereigenen Abwehrsystems. Das Virus macht letztlich den Körper wehrlos gegen viele Krankheitserreger.


Die Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen in Freiheit findet ihre Fortsetzung hinter den Knastmauern. Das fängt an, indem man diese Gefangenen von bestimmten Arbeitsplätzen (z.B. Küche) fernhält, zwecks „Vermeidung einer Beunruhigung bei den Mitgefangenen“ (so die Argumentation in NRW) oder aus „psychologischen Gründen“ (so in Baden-Württemberg) und sich faktisch der Status nicht geheim halten lässt. D.h. das Outing erfolgt systemimmanent zwangsläufig, wenn bspw. „Sonderkost“ (also Ernährungszulagen und -ergänzungen) die nur die HIV-positiven Gefangenen erhalten vor aller Augen verteilt wird; was sich im Alltag einer Haftanstalt letztlich nicht vermeiden lässt.


Gab es bis Ende 2007 noch regelmäßige finanzielle Unterstützung der Deutsche AIDS-Stiftung (http://www.aids-stiftung.de) für „positive“ Gefangene, damit diese sich gerade im Bereich Ernährung mit dem erforderlichen Zusatzbedarf versorgen konnten, strich die Stiftung mit Schreiben vom 19.12.2007 diese „Ernährungsbeihilfen“ und unterließ es nicht, in ihrem Informationsbrief „beste Wünsche für ein entspannendes und besinnliches Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr“ zu übermitteln, was betroffene Gefangene nicht wirklich erheiterte.


Inhaftierte im Allgemeinen und HIV-positive im Besonderen sind in aller Regel arm! Sie haben keinerlei finanzielle Polster, sind sogar verschuldet. Vor diesem Hintergrund diente die finanzielle Unterstützung durch die AIDS-Stiftung der Sicherung einer vollwertigen Ernährung. Bedenkt man, daß gerade dann wenn das AIDS-Vollbild ausbricht die Betroffenen kaum mehr (voll) arbeitsfähig sind und dann von der JVA mit 31,50 Euro Taschengeld im Monat ausgestattet, davon jegliche Ausgaben bestreiten müssen (angefangen bei Stromkosten von bis zu 5 Euro/Monat; TV-Kabelgebühr: 5 Euro -in manchen Anstalten auch gerne mal 10 Euro-; über Körperpflegemittel; vielleicht auch mal Tabak und Kaffee), wird schnell deutlich, daß die Streichung ein existenzieller Einschnitt war. Dir Ortsgruppen der AIDS-Hilfe versuchen die Aktion der Stiftung zu kompensieren, z.B. durch Einwerbung von Spenden. Aber für Gefangene zu werben ist nicht besonders lukrativ.


Die ärztliche Behandlung von „positiven“ Gefangenen ist von Anstalt zu Anstalt unterschiedlich, je nach Bereitschaft des ärztlichen Dienstes mit externen Personen zu kooperieren. Dabei sind die Inhaftierten vollständig abhängig vom „good will“ der Anstaltsärzte, denn eine freie Arztwahl besteht hinter Gittern nicht.


In der JVA Sehnde (Niedersachsen) wollte die Anstalt auch schon mal einen in Isolationshaft sitzenden Gefangenen für die Regelmäßige Blutentnahme auf einer Liege festketten; erst nach Intervention der AIDS-Hilfe wurde hiervon Abstand genommen. Ein Gefangener der offenbar gedroht hatte Dritte zu infizieren wurde in der JVA Heilbronn in Einzelhaft gehalten und Wärter betraten dessen Zelle nur in Ganzkörperanzug und mit Schild und Knüppel: Tag um Tag, Monat um Monat, Jahr um Jahr. Als er dann in Haft verstarb hielt es die Anstalt nicht für notwendig seinen Verteidiger zu informieren (diese Geschichte kenne ich, da wir den selben Verteidiger hatten und er mir empört über das Verhalten der Anstalt berichtete).


Die Zahl derer die in Haft sterben, wird sich wohl erhöhen, oder man entlässt sie kurz vor dem Tod in ein Sterbehospiz. Da es jedoch schon Arbeitsgruppen in den Landesjustizverwaltungen gibt, welche sich mit „menschenwürdigem Sterben im Strafvollzug“ befassen, darf man bezweifeln, daß ein Hospiz in einigen Jahren überhaupt noch erwogen werden wird.

Knastshop Massak – ein Erlebnis!

Gefangene dürfen (situationsbedingt) nicht einfach im nächstgelegenen Supermarkt einkaufen, sondern erhalten die von ihnen gewünschten und benötigten Nahrungs-/Körperpflegemittel, welche sie sich privat kaufen möchten, vom jeweiligen Anstaltskaufmann. Hierzu schließt der Anstaltsleiter einen Vertrag mit einem externen Händler, der dann exklusiv, also wie bei einem Monopol, die Gefangenen der betreffenden Anstalt beliefern kann.

Seit Dezember 2007 müssen die Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal ihren Bedarf über die Firma Massak Logistik GmbH http://www.massak.de) decken. Wie schon seinerzeit befürchtet (vgl. „Kapitalismus im Knast“ http://www.de.indymedia.org/2008/03/210045.shtml), nützt der Firmeninhaber die monopolartige Situation, um Preise zu verlangen, wie sie ihm belieben.  Und die JVA hat ihm hierfür faktisch einen Persilschein ausgestellt, da nur im Falle von Forderung „unangemessener Preise“ (§12 des Vertrages zwischen Händler und JVA vom 12.09.2007) eine fristlose Kündigung möglich ist, und im übrigen Massak nur vertraglich verpflichtet wurde, „marktgerechte Waren zu handelsüblichen Preisen“ feil zu bieten (§4 a.a.O.). Diese Klausel ist so schwammig, dass wohl letztlich erst bei Erreichen der Wuchergrenze juristische Schritte Erfolg versprechen.

Das Justizministerium Baden-Württemberg (Az.: 4514.2005/080) verteidigte die Vertragsgestaltung der JVA mit dem Hinweis, dass es „keinesfalls Wartelisten von interessierten Lebensmittelhändlern“ gebe, die Gefangene beliefern wollten. Da also weitere Schritte in diesem Bereich vorerst wenig Erfolg versprachen, kam ich auf die Idee, das Mitte 2008 in Kraft getretene Verbraucherinformationsgesetz (VIG) zu nutzen, um zu überprüfen, wie es denn die Firma mit dem Lebensmittelrecht halte. Wenn schon teure Preise, dann doch auch exzellenter Service und penible Einhaltung der grundlegendsten Bestimmungen — sollte man zumindest denken.

Nun überforderte es auch mein Budget, alle einschlägigen Behörden anzuschreiben, in deren Bezirk Massak tätig ist; in fast fünfzig Städten beliefert sie die dortigen Gefängnisse. Primär ist sie in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen tätig; seit kurzem jedoch auch in Niedersachsen (Sehnde – und von dort hört man Entsetzensschreie, was Massaks Preispolitik anbetrifft). Ich beschränkte mich also auf Anfragen bei den Städten, bzw. Landkreisen Karlsruhe, Bamberg, Nürnberg, Gera und Torgau.

Aus Torgau erreichte mich die Mitteilung, dass in Sachsen das VIG nicht anwendbar sei, da es an einer landesrechtlichen Umsetzung fehle, was man bedaure. Die Stadt Gera ließ mich wissen, in der dortigen JVA verkaufe Massak angeblich keine kühlpflichtigen Lebensmittel. Fündig wurde ich in Karlsruhe, Bamberg und Nürnberg. Karlsruhe:

Das dortige Landratsamt ist auch für Verstöße hier in der JVA Bruchsal zuständig. Bei der Kontrolle am 20.03.2008 (Massak war also schon knapp vier Monate hier tätig) wurde festgestellt, dass keinerlei geeignete Kühleinrichtungen für kühlpflichtige Waren vorhanden waren. Bamberg:

Auch hier war mangelnde Kühlung bei einer Kontrolle am 11.02.2008 festzustellen, die zu einer mündlichen Verwarnung Anlass gab. In einer anderen Betriebsstätte von Massak (denn er betreibt auch EDEKA-Supermärkte) wurden bei Kontrollen 2005, 2007 und 2008 Hygienemängel festgestellt. Nürnberg:

Mit Bescheid vom 08.12.2008 teilte mir das Ordnungsamt der Stadt mit, man habe die Firma Massak am 11.06.2007 mit einer Geldbuße von 300,– € belegen müssen, weil bei einer Betriebskontrolle im Verkaufsraum der JVA Nürnberg sensorisch verdächtiger Leberkäse und Pizza-Leberkäse vorgefunden wurde, der in dieser Weise nicht hätte verkauft werden dürfen.

Man mag sich gar nicht vorstellen, was alles ans Tageslicht gelangen würde, wenn systematisch in allen Städten, in denen diese Firma sich mittlerweile in Gefängnissen festgesetzt hat, nachgeforscht werden würde. Und es stellt sich die Frage, weshalb Vollzugsanstalten überhaupt einen solchen Händler mit der Belieferung beauftragen! Es geht nicht um Korinthenkackerei, wie der Volksmund kleinliches Verhalten nennt, aber wenn ein Händler schon Preise verlangt, welche zumindest in Teilen über denen außerhalb der Gefängnisse liegen, sollte man erwarten können, dass so grundlegende Vorgaben, wie lückenlose Kühlkette bis zum Endverbraucher beachtet werden.

Vor circa acht Monaten teilte mir Herr Werner Massak (Gesellschafter und Geschäftsführer o.g. Firma) mit, er fühle sich durch meinen Vorhalt in einem Artikel von mir, in welchem ich ihn als Kapitalisten bezeichnete, tief getroffen! Ob mir denn der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ nichts sage?

Nach den Erfahrungen im abgelaufenen Jahr kann man nur feststellen, dass er selbstverständlich ein Kapitalist ist — und von sozialem Engagement haben zumindest Gefangene in Bruchsal nichts wahr genommen, dafür jedoch mit Ärger davon Kenntnis erhalten, dass Massak in der JVA Sehnde gerade „Kühltheken-Artikel“ erheblich günstiger verkauft, als bei uns hier (und wenn man sich an meine obige Äußerung erinnert, wonach die Inhaftierten in Sehnde entsetzt sind über dessen hohe Preise, mag sich jede/r selbst vorstellen, wie es uns ergeht in der JVA Bruchsal).

Es bedürfte sicherlich energischen Einwirkens auf den Kaufmann, um ihn zu einer moderateren Preispolitik zu bewegen. Wer zudem als Gefangener nicht wie ein Luchs aufpasst, dass auch all jene Waren, die man laut Quittung bezahlt hat, im Korb landen, macht rasch Verlustgeschäfte, denn immer wieder kommt es vor, dass — selbstverständlich „rein versehentlich“ – Waren, die man bezahlt hat, nicht im Warenkorb vorzufinden sind. Hier wäre es sicherlich interessant zu wissen, wie hoch die entsprechenden Einkünfte der Firma alleine aus nicht-gelieferten, jedoch abgerechneten Waren sind. Gerade unter Gefangenen findet man Personen, die Schwierigkeiten haben, den Überblick zu behalten und dann nicht reklamieren. Auch nicht unerheblich dürften jene Einnahmen sein, die aus falsch abgerechneten Waren erzielt werden: Die Firma weist beispielsweise ein Angebot in ihren Preislisten aus, berechnet letztlich jedoch den regulären Preis. Immer wieder findet man dann am „Schwarzen Brett“ einen Aushang der Massak Logistik GmbH (per mail übrigens erreichbar unter: info@massak.de), in welcher man wortreich das Versehen bedauert. Wer seine Kaufquittung vorlege, bekomme nächstes Mal selbstverständlich seinen Schaden ersetzt. Weshalb die Firma nicht von sich aus den Schaden ausgleicht – dies könnte sie mit etwas Aufwand durchaus – weiß niemand. Da jedoch nicht alle Gefangenen den Aushang lesen, oder aber ihre Quittung längst weggeworfen haben, nimmt Massak auch auf diese Weise weitere Gelder ein.

Einige Gefangene, die sich zu Weihnachten etwas Besonderes zu Essen gönnen wollten, wurden enttäuscht, da Massak trotz seiner vertraglichen Verpflichtung, alle Artikel auch vorrätig zu haben, nicht jedem Insassen die bestellte Ware lieferte. Am Tag nach dem Einkauf bekamen manche Gefangene nur den lapidaren Hinweis, man werde ihnen die Kaufbeträge für die nicht gelieferten Artikel erstatten. Zivilrechtlich eine eigenwillige Rechtsauffassung, denn am Einkaufstag wurden die Kaufbeträge von den Konten abgebucht, damit lag ein gültiger Kaufvertrag vor. Dass es Massak unmöglich gewesen sein soll, bspw. Cordon-bleu zu beschaffen, erscheint zumindest zweifelhaft. Insofern könnten die betroffenen Gefangenen die Firma sogar auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung in Anspruch nehmen. Der Anstaltsleiter der JVA Bruchsal, Thomas Müller, ließ mir am 24.12.2008 ausrichten, man werde Massak nicht kündigen, da sich zum einen fast niemand beschwert hätte und zum anderen nur ganz wenige Strafgefangene betroffen gewesen wären. Hier zeigt sich tatsächlich die leider zu oft anzutreffende Feigheit –Feigheit der Gefangenen! Denn auf den Fluren murren sie kräftig, aber auch nur eine schriftliche Beschwerde anzubringen (von weiterführenden Aktionen erst gar nicht zu reden) trauen sich nur wenige. Es könnte ja „Ärger“ geben…

Lassen wir uns überraschen, was Massak 2009 fertig bringt (oder auch nicht); er dehnt seine Tätigkeit jedenfalls weiter aus, soll künftig auch Sportschuhe und Trainingsanzüge liefern.

Tod eines Gefangenen

Ende Dezember 2008 starb im Gefängniskrankenhaus Asperg (bei Stuttgart gelegen) Heinrich Pommerenke in Folge eines Krebsleidens. Mitleid mit dem Täter Pommerenke ist verfehlt; er hatte in den Jahren 1958 und 1959 in Baden-Würtemberg mehrere Menschen ermordet, Frauen vergewaltigt und manches mehr. Mitleid mit dem Menschen Heinrich Pommerenke ist jedoch sehr wohl angebracht, saß er doch mittlerweile 49 Jahre (!) ununterbrochen. Die meiste Zeit davon in der JVA Bruchsal.

Was bringt eine Justiz dazu, einen Menschen fast 50 Jahre in den Knast zu stecken? Nazivergleiche hinken meist, aber keiner jener faschistischen deutschen Richter welche bis 1945 tausende Menschen mit dem Tode bestraften und/oder in Konzentrationslager schickten wurde überhaupt je von der deutschen Justiz rechtskräftig belangt, geschweige denn 50 Jahre eingesperrt. Gleiches gilt für all die KZ-Schergen, Waffen-SS´ler, Soldaten und andere Mörder im Dienste des 3. Reichs.

Sicher half es Pommerenke nicht, daß er in seiner Jugend mit den Schäuble-Brüdern Fussball im selben Dorf spielte; der spätere Justizminister von Baden-Würtemberg, Thomas Schäuble außerte während seiner Amtszeit mehrfach, jemand wie Pommerenke dürfe nie wieder in Freiheit gelassen werden.

Ursprünglich hatte das Landgericht Karlsruhe festgelegt, daß die Schwere der Schuld Pommerenkes eine Mindestverbüßungsdauer von 50 Jahren gebiete. Erst nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde wurde diese auf 42 Jahre reduziert. Selbst das eine unvorstellbare Dauer. Dennoch wurde Heinrich P. nicht entlassen, denn nach jahrzehntelangen Verwahrvollzug ohne nennenswerte „Behandlung“ war kein Gutachter gewillt, ihm eine positive Sozialprognose (welche für eine Freilassung zwingend gewesen wäre) zu bescheinigen.

Zwei bekannte Gefangene verließen im Dezember 2008 den baden-würtembergischen Strafvollzug: erst Christian Klar (ehem. Mitglied der RAF), nach 26 Jahren Haft, gesund und mit Elan. Und Heinrich Pommerenke, nach 49 Jahren – im Sarg.

Links zum Artikel:

http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Pommerenke
http://www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/der-moerder-der-niemals-frei-kam
http://www.focus.de/panorama/welt/heinrich-pommerenke-frauenmoerder-nach-49-jahren-in-haft-gestorben_aid_358866.html
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,598806,00.html