Rollback im Strafvollzug 2009

Anhand der Vollzugspraxis der Justizvollzugsanstalt (= JVA) Bruchsal kann exemplarisch verfolgt werden, wie im Verlauf der letzten 15-20 Jahre erreichte Standarts beschnitten werden – eine Bereitschaft der Inhaftierten sich zu wehren ist kaum zu bemerken. Einschnitte im Alltag sind oft scheinbar nur marginal, so wie Anfang des neuen Jahrtausends, als in der JVA Bruchsal urplötzlich der Kauf von Pepperoni und Mohnstreuselkuchen verboten wurden.

Gefangene deren Warensortiment sowieso Restriktionen erheblichen Ausmaßes unterliegt, erlebten dieses Kaufverbot als schikanös, dabei brachte die JVA vermeindlich „gute Gründe“ in Anschlag. Nach zig Jahren und ohne konkreten Anlass fiel der Anstaltsleitung plötzlich auf, daß Pepperoni getrocknet und pulverisiert eine potenzielle Waffe darstellen könnte. Und der Mohnstreusel könnte als Ausrede für Drogenkonsumenten dienen (denn die Urintests zur Bestimmung des Drogenkonsums sprechen auf Abbauprodukte des Speisemohns ebenso an, wie auf „echte“ Opiatabbauprodukte).

Vor knapp 20 Jahren waren in Bruchsals Zellen Computer erlaubt – aber je weiter die PCs in der freien Welt um sich griffen, um so stärker wurden die Besitzrechte in der JVA eingeschränkt, bis am Ende kein Gefangener mehr einen Computer genehmigt erhielt und langjährig in Besitz befindliche (und auch privat finanzierte Rechner) aus den Zellen entfernt wurden. Alles unter dem Label „Sicherheit und Ordnung“. Auf den Computern könnten sicherheitsrelevante Informationen gespeichert werden, und das Vollzugspersonal besitze weder die Kenntnisse, noch die Fähigkeiten die Rechner adäquat zu kontrollieren.

Verboten wurden Torten mit Styroporring, Spielzeuge für Kanarienvögel/Wellensittiche, sogenannte „Bastelgenehmigungen“ (früher durften Gefangene in ihren Zellen umfangreiche Bastelmaterialien besitzen) werden nicht mehr bewilligt, die Einkaufsmöglichkeiten wurden beschnitten: konnte man früher „Stadteinkauf“ machen, d.h. man bestellte Artikel die dann durch Dritte in der Stadt besorgt wurden. Verboten.

Der Sichteinkauf (dabei ging man in einem Verkaufsraum im Keller der JVA an einem supermarktähnlichen Regal vorbei und suchte aus, was man kaufen wollte), wurde ersetzt durch „Listeneinkauf“ (eine Woche vor dem Einkaufstag muss man eine Bestellliste abgeben und erhält die Bestellung fertig in einem Korb gepackt). Die Möglichkeit sich bei Versandhändlern Kleidung zu kaufen oder Sportschuhe bei einem Vollzugsbeamten der für den Sport zuständig ist wurde eingeschränkt, bzw. letzteres ganz verboten.

Ab November 2009 wird den Gefangenen verboten sich in andere Abteilungen der Anstalt zu begeben als ihres eigenen Unterkunftsbereichs (die JVA besteht aus 4 sogenannten Flügeln, sprich Trakten und bislang durfte man andere Gefangene in deren Trakten besuchen, dies wurde jetzt untersagt und Verstöße werden mit Disziplinarmaßnahmen geahndet). Einschränkungen und Kürzungen bei den Vollzugslockerungen gab es ebenfalls (und werde angesichts drohender Mittelkürzungen für 2010 und 2011 ausgeweitet werden).

Diese Aufzählung ist nicht abschließend, sondern ließe sich um diverse weitere Punkte ergänzen. Durch die Verteilung der Maßnahmen über die Jahre verhindert die JVA recht wirksam, daß es zu einem Gefangenenaufstand kommt, denn jede Verfügung für sich genommen erscheint mehr oder weniger marginal (von Ausnahmen abgesehen), aber in der Summe ist die Verschärfung des Klimas und der Haftbedingung unübersehbar.

Nicht zu vergessen die effizientere Nutzung der Gefangenen und ihrer Arbeitskraft; wobei dies kein Bruchsaler Spezifikum darstellt. Systematisch werden Arbeitsposten in der Lohngruppe herabgestuft, Prozente für gute Leistungen gestrichen oder gekürzt, ohne daß etwa die Leistungen schlechter geworden wären – aber es herrscht der Rotstift. Konnten früher die Betriebsleiter recht freihändig Leistungszulagen verteilen, so darf heute im Durchschnitt nicht mehr als 7,5% (statt der 30% vorgesehenen!) ausgeschüttet werden.

Sprich der Wettbewerbsdruck unter den Gefangenen wird erhöht, denn wenn jemand 10% Zulage möchte, muss jemand anderes 2,5% Punkte gekürzt erhalten, um auf den Durchschnitt von 7,5% zu kommen. Als wäre dies nicht genug, müssen die nun weniger verdienenden Gefangenen ab 2010 auch für ihre Besuche beim Anstaltsarzt zuzahlen, ebenso für Medikamente (freie Arztwahl gesteht man ihnen nicht zu). Konnten Freunde oder Angehörige den Inhaftierten drei Mal im Jahr eine kleine Freude machen durch ein persönliches Lebensmittelpaket, entfällt diese Geste ab 01.01.2010 völlig!

Angeblich sei der Aufwand für die Kontrolle der Pakete zu hoch. Angesichts der reduzierten Lebenswelt von gefangenen Menschen, werden diese durch jeden Einschnitt ungleich härter getroffen als Menschen in Freiheit. Trotzalledem gibt es jedoch – bedauerlicherweise – kaum Bereitschaft gegen die Verschärfungen zu protestieren; selbst legalistische Möglichkeiten wie Beschwerde und Klage vor Gericht werden kaum ergriffen; von weitergehenden Protestaktionen ganz zu schweigen. Resignation und Einschüchterung sind die beherrschenden Affekte. Der eine will sich nicht die vorzeitige Freilassung durch Abschiebung in sein Heimatland „versauen“, der andere nicht eine mögliche Unterbringung im Offenen Vollzug (die er erhofft und oftmals dann dennoch nicht gewährt bekommt) gefährden.

bt es gar keine „Fortschritte“? Ja, heute darf jeder Gefangene einen eigenen Fernseher besitzen und in Bruchsal auch eine Playstation I oder II, einen DVD-Player und CDs. Das war es dann auch schon an „Errungenschaften“ (die zudem gerichtlich erstritten werden mussten). Letztlich führen diese modernen Unterhaltungsmedien tendenziell eher zur Vereinzelung und Entsolidarisierung; ungezählt die Inhaftierten die vor dem Fernseher sitzen und abgekoppelt von der Realität in Filmen und Spielewelten leben, sich so vielleicht auch betäuben um den Alltag hinter Gittern auszuhalten.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z. 3113, Schönbornstr. 32, 76646 Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de http://www.freedomforthomas.wordpress.com

Gefängniswärter auf Motorrädern …

LOGOS: unter www.jailriders.de

Wer sich mit den Aktivitäten der Gefängniswärter und Bediensteten beschäftigt, der stößt auf die sonderbarsten Blüten.
So gibt es schon seit Jahren Zusammenschlüsse von Wärtern und anderen Gefängnisbediensteten, die Motorradfans sind. In Rockermanier organisieren sie sich mit hierarchischer Struktur (Präsident, Vize-Präsident etc.) und entsprechenden Namen, Logos und Aufnähern für ihre Kutten (= Motorradjacken).
Wer sich gerade die Logos näher ansieht, kommt nicht umhin, Bezüge zu (neo)nazistischen Hintergründen zumindest nicht für unmöglich zu halten.

Harmlos noch das Logo der Heimsheimer (Baden-Württemberg) Motorradfreunde: „Jail Riders“, dazu ein stilisiertes Bild eines Motorradfahrers, der durch eine Gefängnismauer bricht. Dann gibt es die „Jail House Heroes Celle“ (Niedersachsen), die „Motorradgruppe Wolfenbüttel“ aus Niedersachsen, letztere führen ein Wolfsgesicht im Logo.
Gewagter schon das „Jail Riders Rollkommando Wiesbaden“; hierzu muss man wissen, dass in der Gefängnissprache ein „Rollkommando“ einen Trupp prügelnder Wärter darstellt, die Gefangene misshandeln. Insofern ist der Begriff durchaus zweideutig.
Eher etwas naiv das Logo der „Jail-Riders Hamburg“; ein Gesicht hinter einem Gefängnisgitter, das weit gespreizt ist ( http://www.jailridershh.de).
Die Kasseler Wärter mit Motorrad haben sich zusammengeschlossen im Motorradclub „Key Warrior Kassel“ (Key Warrior offenbar in Anspielung auf den Umstand, dass Wärter die Schlüsselgewalt inne haben in den Knästen).

„Haft-Kraft Kiel“ lässt Assoziationen an „Kraft durch Arbeit“ zu. Relativ unzweideutig jedoch sind Motorradclubs von Vollzugsbeamten, die sich „Odins Vasallen“ nennen oder jenes Chapter namens „Dungeonkeepers Germany“, die in ihr Wappen nicht nur die szenetypische Flagge aus den Farben schwarz, weiß und rot integrierten, sondern zusätzlich zwei indisch-nordische Symbole, die durchaus stilisierte Hakenkreuze darstellen können.

Dresdner Beamte firmieren unter der „Jailhouse Crew Dresden“, ebenfalls in den typischen Farben schwarz-weiß-rot und Frakturschrift.

Laut der webseite der Heimsheimer Jailriders ( http://www.jailriders.de) ist für den 02. – 04. Juli 2010 ein bundesweites Treffen in Düsseldorf geplant.
Die „Kerkermeister NRW“ ( http://www.kerkermeister-nrw.de) absolvieren auch mal Treffen mit anderen Motorradclubs und führen dann einen „Germanischen Fünfkampf“ (u.a. offenbar bestehend aus Tauziehen und „Häuptling tragen“) und anschließendem Strip-Club-Besuch auf St. Pauli durch.

Es dürften kaum Zweifel an der Gesinnung von Beamten im Justizvollzug bestehen, die sich unter Flaggen mit den Farben des deutschen Reichs „schwarz-weiß-rot“ oder stilisierten Sonnenrädern (alias Hakenkreuz) zusammen finden.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de
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Neoliberalismus im Knastsystem

Dieses Jahr erschien in deutscher Übersetzung das erstmals 2004 in Frankreich publizierte Buch „Bestrafen der Armen – Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit“ des in Paris und in den USA lehrenden Professors Loic Wacquant.

Die knapp 360 Seiten starke Analyse der straffixierten Wende in der Strafrechtspolitik gehört in jeden Bücherschrank eines an kritischer Auseinandersetzung mit Strafvollzug, Knastpolitik und Strafrechtsverschärfungen interessierten Menschen.

Schon im Vorwort bringt der Autor es auf den Punkt, wenn er das „Law-and-Order-Karussell“ anklagt, für die Kriminalität das zu sein, was die Pornografie für die Liebesbeziehung sei, nämlich „ein die Realität bis zur Groteske entstellender Zerrspiegel, der das delinquente Verhalten aus dem Geflecht der sozialen Beziehungen (…) künstlich herauszupft, seine Ursachen und Bedeutungen bewusst ignoriert“ um dabei der Kriminalitätsfurcht ebenso Nahrung zu geben, wie von ihr zu leben (a.a.O., S.13-15).

In 10 Kapiteln unterzieht Wacquant im Speziellen die Politik in den USA und Frankreich einer ebenso scharfen wie treffenden Analyse, was „Elend des Wohlfahrtstaats“ und „Größe des Strafrechtsstaats“, wie zwei Teil-Überschriften lauten, angehen. Das Elend und Ende des Wohlfahrtstaats ist nach Ansicht des Buchautors eng verknüpft mit der Hyperinflation der Anzahl der Gefängnisinsassen und der Strafrechtshysterie. Auf S. 117 weist Wacquant exemplarisch nach, wie im Rahmen einer Wohlfahrts-„Reform“ 1996 in den USA im vorhergehenden politischen Diskurs, wie auch im Gesetzestext selbst, beispielsweise „allein erziehende arme Mütter in aggressiver Form nicht als bedürftig, sondern als deviant charakterisiert, als eine Problemgruppe, deren Integrität (…) suspekt ist und deren angebliches Arbeitsvermeidungsverhalten dringend der Korrektur durch Ausschluss, Zwang und moralischen Druck bedarf“ diffamiert wurden. Also mit Techniken unter Druck gesetzt wurden, die „typisch für die Verbrechensbekämpfung sind.“

Erklärte Absicht des Autors ist es (a.a.O., S.18f) die „veränderten Aktivitäten der Polizei, der Gerichte und insbesondere der Gefängnisse“ aufzudecken, die „speziell auf das Management der `Problemgruppen` ausgerichtet sind, die in den unteren Regionen des sozialen und städtischen Raums hausen“.

Loic Wacquant will die Aufmerksamkeit der LeserInnen seiner Studie „auf den Zusammenschluss von Sanktionen im Strafrechts- und Kontrolle im Sozialhilfebreich zu einem einzigen Apparat der kulturellen Vereinnahmung und Verhaltenskontrolle von marginalen Populationen“ lenken.

Viele Zahlen lassen sich dem Buch entnehmen; auch wenn keine ganz aktuellen Werte vorliegen, so schmälert dies nicht ansatzweise die Kraft der Aussagen Wacquants.

Im Jahr 2000 standen 3% der Gesamtbevölkerung der USA unter staatlicher Überwachung oder Kontrolle (a.a.O.; S.149); immerhin jeder 20. weiße und jeder 10.schwarze männliche Erwachsene saß entweder im Knast, oder stand unter Bewährungsaufsicht. Instruktiv auch die Darstellung der wirtschaftlichen Macht und des Einflusses des Gefängnissystems: der Strafvollzugssektor stellt den drittgrößten Arbeitgeber in den USA, noch vor Ford (371.000 Beschäftigte), vor General Motors (646.000) oder UPS (336.000), mit ca. 708.000 Beschäftigten (a.a.O. S.171).
Wurden 1980 noch 50% mehr Gelder an allein erziehende arme Mütter ausgegeben, als Gelder für Knäste, drehte sich 1993 dieses Verhältnis um; und schon 1995 wurde 2.3 mal soviel Geld für den Strafvollzug ausgegeben als für bedürftige Mütter.
Diese und noch viel mehr Zahlen und Fakten, gut und umfangreich belegt, lassen sich in der Studie finden. Am beklemmensten fand ich die Schilderung seines Besuchs „in der größten Strafkolonie der freien Welt“ (a.a.O., S.161), in Los Angeles, wo 23.000 Gefangene in sieben Anstalten leben (1980 waren es noch 9.000 Menschen hinter Gittern).

Wie weiter oben dargestellt, zielt die Studie jedoch viel weiter als in der bloßen Wiedergabe der Zahlen; vielmehr ordnet sie die Entwicklungen im Bereich Strafvollzug/Strafverfolgung ein in die (zunehmende) Verfolgung der unteren sozialen Schichten. Ausdrücklich lehnte der Autor es jedoch ab, seinem Buch den Mythos eines „von übel wollenden und allmächtigen Staatsmännern verfolgte(n), bewusste(n) Plan zugrunde“ zu legen (a.a.O. S.19). Er betont ausdrücklich, dass nichts von alledem was er beschreibt und aufdeckt „von schicksalhafter Notwendigkeit“ ist, sondern stets „andere historische Wege“ offen stehen, „wie schmal und wie unwahrscheinlich sie auch sein mögen“ (a.a.O. S.19)

Für ihn ist das Gefängnis der heutigen Prägung ein Ersatzghetto, wie auch ein Mittel zur Abschöpfung von Wirtschaftskraft und zur sozialen Ächtung. Scharf geht er mit den völlig überschießenden gesetzlichen Entwicklungen in den USA im Umgang mit entlassenen Sexualtätern um (a.a.O., S.219ff), wohlwissend wie emotional besetzt dieses Thema ist.
Was das Buch bedeutend macht, ist der systemübergreifende Ansatz Wacquants, der aufzeigt, wie der Neoliberalismus nicht nur die sozialen Sicherungssysteme und den „Wohlfahrtstaat“ ergreift, sondern geradezu als integralen Bestandteil das Gefängniswesen benötigt. Deshalb schadet es auch der Studie nicht, wenn dort überwiegend Zahlen aus den USA oder Frankreich referiert werden, denn die zentralen Entwicklungslinien in USA wie Europa sich in zu vielen Punkten.

Alles in allem ist es eine ebenso gelungene wie wichtige Analyse, die auch dazu beitragen kann eigene Argumentationsstrukturen bei der Bekämpfung des Gefängniswesens zu untermauern und zu unterstützen.

Bibliografische Angaben:

Loic Wacquant, „Bestrafen der Armen- Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit“
erschienen 2009 im Verlag Barbara Budrich, ISBN 978-3-86649-188-5, Preis: 29,90 Euro.

Thomas Meyer Falk, c/o JVA-Z.3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de http://www.freedomforthomas.wordpress.com