Hoffnung für Sicherungsverwahrte – über die Freilassung dutzender Verwahrter

So kritisch die Reform der Regelungen zur Sicherungsverwahrung von Dezember 2010 auch zu bewerten ist (vgl. http://de.indymedia.org/12/29706.shtml), so bedeutet die Neukonzeptionierung doch auch, dass bis spätestens 30.6.2011 dutzende Einbrecher, Diebe, Betrüger, Heiratsschwindler aus der SV zu entlassen sind. Dies regelte der Bundestag in einem recht versteckten Absatz des vielen Laien nicht bekannten EGSTGB (= Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch).

In Artikel 316e EGSTGB bestimmte der Gesetzgeber zum einen, dass zu Sicherungsverwahrung verurteilte Gefangene diese erst gar nicht antreten müssen, bzw. jene, die aktuell schon in Sicherungsverwahrung sitzen, bis allerspätestens 30. Juni 2011 zwingend freizulassen sind, sofern sie nach der nunmehr geltenden Regel über die Anordnung der SV nicht mehr zu selbiger hätten verurteilt werden dürfen.

Interessanterweise liest man hierzu in den Zeitungen so gut wie nichts, dabei bedeutet Artikel 316e ESTGB die zu begrüßende realistische Chance für dutzende Einbrecher, Betrüger, Heiratsschwindler, Diebe innerhalb der nächsten Wochen und Monate auf freien Fuß zu kommen, sofern sie in SV sitzen, bzw. jene, die noch Freiheitsstrafe verbüßen, dass diese die SV nicht anzutreten haben. Der Gesetzgeber räumte lediglich für die schon in Verwahrung befindlichen Betroffenen den Gerichten ein, ungeachtet der Pflicht, sofort (!) die Erledigung der SV anzuordnen, den konkreten Entlassungszeitpunkt bis zum 30.6.2011 zu verschieben, um so zumindest eine rudimentäre Entlassungsvorbereitung zu ermöglichen.

Bei aller Zustimmung, die diese gesetzgeberische Einsicht in die Unverhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung für Diebe, Einbrecher und ähnliche Delikte verdient, besteht großer Zweifel daran, dass sich die Politik in absehbarer Zeit zu einem vollständigen Verzicht auf die – dies kann nicht oft genug wiederholt und betont werden – von den Nationalsozialisten im Jahre 1933 ins Strafgesetzbuch aufgenommenen Regelungen zur SV bewegen lassen wird.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de

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Immer noch Sicherungsverwahrung und kein Ende

Am 13.01.2011 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erneut Gelegenheit, sich zur deutschen Regelung der Sicherungsverwahrung zu äußern. In den vier zur Entscheidung stehenden Fällen verurteilte der EGMR jeweils die Bundesrepublik Deutschland, da diese die Menschenrechte der Verwahrten verletzt habe. 

 

Ich möchte (in gebotener Kürze) die Regelungen darstellen, die der EGMR beanstandete (a.), auf die Entscheidungsgründe des EGMR eingehen (b.) und mit einer eigenen Bewertung bzw. einem Ausblick schließen (c.).

a.) Sicherungsverwahrung

Im Jahre 1933 führten die Nationalsozialisten (freilich nach Vorarbeiten, die in der Weimarer Zeit liefen, auch unter Beteiligung der Sozialdemokraten) die Maßregel der Sicherungsverwahrung (SV) ein. Damit sollte ermöglicht werden, Menschen auch nach Verbüßung ihrer Haftstrafe im Gefängnis zu behalten, so sie denn (angeblich) „gefährlich“ seien für die Gesellschaft.

Bis zum Jahre 1998 durfte die erstmalige Unterbringung in der SV maximal 10 Jahre dauern. Die CDU/FDP-Koalition beschloss im Frühjahr 1998, dass diese 10-Jahresgrenze ersatzlos entfallen soll, soweit für potentielle Opfer schwere körperliche oder seelische Schäden drohen. Jedoch entfiel diese Obergrenze nicht nur für künftige Fälle/Täter, sondern auch rückwirkend für alle schon Verurteilten.

Des Weiteren wurde im Jahr 2004 die sogenannte nachträgliche SV eingeführt; d.h. noch bis zum Ende der Haftzeit durfte, so die sonstigen Voraussetzungen vorlagen, nachträglich im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung die Sicherungsverwahrung angeordnet werden.

b.) Entscheidungen des EGMR

Schon im Dezember 2009 urteilte der EGMR, dass die rückwirkende Verlängerung der SV von 10 Jahren auf quasi-Lebenslang mit der Menschenrechtskonvention unvereinbar sei (vgl. auch meine Besprechung http://de.indymedia.org/2010/01/270543.shtml).

Diese seit Mai 2010 rechtskräftige Entscheidung bekräftigte nun am 13.01.2011 der EGMR in vier weiteren Urteilen und verurteilte die BRD wegen Verstoßes gegen das Menschenrecht auf Freiheit und wegen Verletzung des Artikel 7 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention), welcher die rückwirkende Verlängerung von Strafen verbietet.

Hatte noch 2004 das Bundesverfassungsgericht feinsinnig argumentiert, die SV stelle keine Strafe dar, schließlich wirke sie nicht repressiv, sondern habe rein vorbeugenden Charakter, beurteilte der EGMR die SV angesichts der realen Vollzugsbedingungen als Strafe im Sinne der Konvention.

Erneut hob der EGMR hervor, dass die materiellen Haftbedingungen in der bundesdeutschen SV-Wirklichkeit von Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit geprägt seien, die Betroffenen in der Tat bloß „verwahrt“ würden und sich die Situation letztlich kaum von der in Strafhaft unterscheide.

Dem gemäß muss die BRD den vier Klägern auch eine Geldentschädigung in fünfstelliger Höhe zahlen (je nach Fall zwischen 25.000 Euro und 70.000 Euro).

Die Urteile können über die Homepage des EGMR abgerufen werden:
http://www.echr.coe.int/echr/Homepage_EN
http://www.echr.coe.int/echr/en/header/case-law/hudoc/hudoc+database/

c.) Bewertung und Ausblick

Erneut mussten Verwahrte erst den viele Jahre dauernden Weg nach Strasbourg gehen, bevor sie mit ihren begründeten Rügen Gehör fanden. Es mutet bedenklich an, mit welchem Nachdruck die Bundesregierung und mit ihr das Gros der PolitikerInnen eine Regelung aus der Zeit des 3. Reichs verteidigt.

EGMR, Anti-Folterkomitee des Europarats, ja sogar die UNO haben die Haftbedingungen in der Sicherungsverwahrung als absolut desolat bezeichnet. Auch Vollzugsbedienstete räumen ein, dass es keine speziellen Behandlungsangebote für Sicherungsverwahrte gebe. So sind die JVA-Sozialarbeiter Gorzel und Lefering (beide: JVA Freiburg) zwar Vollzeit in der Anstalt tätig, dürfen aber jeweils nur 25% ihrer Zeit für die knapp 60 Verwahrten aufwenden („Wegschließen – und zwar für immer?“ in Forum Strafvollzug 2010, S. 136 ff).

Es kann jedoch nicht darum gehen, speziell für die Verwahrten einen „Rundweg zum Spazierengehen, Sitzecken, ein Grillplatz, ein Biotop mit Teich, eventuell mit Schildkröten und Goldfischen“, so ein Gutachten des Kriminologischen Dienstes des bayerischen Strafvollzugs (zitiert nach: Süddeutsche Zeitung vom 06.12.2010, „Goldfische für Gewalttäter“) anzulegen, sondern die Forderung lautet: „Freilassung!“.

Ja! Es sind mitunter schreckliche Taten, die die Verwahrten begangen haben. Abstoßend und abscheulich. Aber zum einen sind diese nicht in der Mehrheit, so sitzen nämlich auch Diebe, Heiratsschwindler, Einbrecher, Betrüger in Sicherungsverwahrung. Und zum anderen haben sie in aller Regel einen Jahrzehnte dauernden Freiheitsentzug hinter sich und sind in der Regel vollkommen ungefährlich. Kaum ein renommierter forensischer Psychiater, der nicht einräumt, dass die Gefährlichkeit der Sicherungsverwahrten vollkommen überschätzt werde.

Wir leben heute in einer Zeit realer Sicherheit, aber gefühlter Unsicherheit. Kaum einer weiß oder nimmt zur Kenntnis, dass in Deutschland beispielsweise noch 1993 mehr als doppelt soviele Tötungsdelikte begangen wurden wie heute. Das heißt in bald zwanzig Jahren ging die Zahl dieser Taten um mehr als die Hälfte zurück!

Angesichts des Kampagnenjournalismus von BILD, SPIEGEL, FOCUS und anderer Medien muss man freilich befürchten, dass Deutschlands PolitikerInnen (zumal in einem Superwahljahr wie 2011) alles tun werden, um die EGMR-Urteile auszuhebeln.

Hierbei könnten sie auch Unterstützung von Seiten des Bundesverfassungsgerichts erfahren. Dieses verhandelt am 08.02.2011 seinerseits über mehrere Verfassungsbeschwerden von Betroffenen (vgl. http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-117.html), die sich gegen die Fortdauer ihrer Verwahrung wehren und auf die Strasbourger Entscheidung von Dezember 2009 berufen. Als nämlich 2004 über Ländergesetze (u.a. aus Bayern) zur nachträglichen Sicherungsverwahrung zu entscheiden war, wurden zwar die entsprechenden Ländergesetze als verfassungswidrig beurteilt, jedoch weigerte sich die Senatsmehrheit, die auf Grund der verfassungswidrigen Gesetze untergebrachten Gefangenen freizulassen. Vielmehr wurde dem Bundestag eine Frist von 6 Monaten gesetzt, innerhalb derer ein verfassungskonformes Gesetz erlassen werden könnte.

Dies weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht bereit ist seinerseits die Verfassung zu brechen (dies wurde auch der Senatsmehrheit von anderen Mitgliedern des Senats, die für eine sofortige Freilassung der Kläger plädierten, vorgeworfen), wenn es politisch opportun ist. Die Scheu vor BILD-Schlagzeilen im Stile von „Irrsinn Justiz! 5 Polizisten bewachen einen freigelassenen Vergewaltiger“ (BILD vom 11.08.2010) scheint groß zu sein.

Wer sich vor Augen führt, dass jede der Taten, die Menschen in die Sicherungsverwahrung führt, auf allen Seiten Opfer hinterlässt: die konkret geschädigten Opfer, deren Familien, aber ebenso die Familien der Täter und schlussendlich auch die gebrochenen Biografien der Täter selbst, kann erkennen, dass irgendwann Schluss sein muss mit Bestrafung. Die Gefängnisse zerstören erst die Gefangenen, dann deren Familien und Freunde bzw. die Beziehungen zu und mit ihnen. Sie zerstören auch seelisch die in den Anstalten Beschäftigten und am Ende die Gesellschaft.

Die Verantwortlichkeit der Sicherungsverwahrten (es sind in fast 99% der Fälle Männer, auch wenn die Justiz in den letzten Jahren dazu übergeht, auch Frauen in die Sicherungsverwahrung zu stecken) soll nicht in Abrede gestellt werden, aber „Kriminalität“ hat stets mehrere Ursachen und alles auf „den“ Täter zu konzentrieren bedeutet die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen.

Absolute Sicherheit kann und wird es niemals geben.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z. 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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Sicherungsverwahrung und kein Ende

SV – Was ist das?


Die Sicherungsverwahrung (SV) wurde 1933 von den Nazis (nach Vorarbeiten in der Weimarer Zeit) ins Strafgesetzbuch aufgenommen und ermöglicht seitdem Menschen auch nach Verbüßen der eigentlich zugemessenen Freiheitsstrafe, ggf. bis zu deren Tod zu verwahren.
Gingen in Deutschland (nebenbei: in der DDR wurde die SV als „faschistisch“ gebrandmarkt und verboten) die Zahlen der Verwahrten auf 176 im Jahr 1996 zurück, steigen seitdem die Zahlen, auf mittlerweile 520 Sicherungsverwahrte.
Nach diversen „Reformen“ seit 1998 können mittlerweile Ersttäter genauso in der SV landen, wie nach Jugendstrafrecht Verurteilte. War bis 1998 die erstmalige Unterbringung in der SV auf 10 Jahre begrenzt, kann sie seitdem lebenslang vollstreckt werden; nur alle zwei Jahre wird überprüft, ob der/die Betroffene weiterhin „gefährlich“ ist.

 

Welches Menschenbild steckt hinter der SV?

Die SV geht seit ihren Anfängen von einem reduktionistischen Weltbild aus, kurz gesagt: „Einmal kriminell, immer kriminell“. Goebbels, dem Propagandaminister der Nazis, ging es nach eigenem Bekunden darum „Volksschädliche unschädlich“ zu machen. Dieses Menschenbild schwingt heute zumindest implizit immer noch mit, so als vor etwa 10 Jahren der damalige Kanzler Schröder ein „Wegschließen für immer“ verlangte. Aus vergangenem Verhalten auf eine künftige angebliche „Gefährlichkeit“ zu schließen entspricht qualitativ der Prognose: „Weil es gesten regnete, muss es auch morgen, übermorgen und nächsten Monat regnen“. Eine Aussage, eine Prognose die wohl kaum jemand für vernünftig halten würde; nur wird auf vergleichbarem Niveau über Gefangene geurteilt, was deren künftiges Verhalten anbelangt. Es regiert das Vorurteil und mit Vernunft bestimmtem Wissen möchte man sich tunlichst nicht konfrontieren.

Vernunft bestimmtes Wissen?

Es gibt eine Studie aus dem Jahr 2010 (Dr. Alex, „Nachträgliche Sicherungsverwahrung- ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel“) die eindrucksvoll belegt, dass die absolute Mehrzahl jener die als extrem „gefährlich“ diagnostiziert wurde, eben keine Straftaten mehr begingen, als man sie trotz dieser angeblichen Gefährlichkeit in die Freiheit entlassen musste. Selbst renommierte forensische Psychiater, die zu den herausragenden Köpfen ihrer Zunft in Deutschland zählen, wie die Professoren Kröber und Leygraf, gehen davon aus, dass maximal 10-20% der langjährig Inhaftierten wieder rückfällig werden.

Aktuelle SV-Reform

Angestoßen durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009, reformierte der Bundestag im November 2010 die Regelungen zu SV. Während es künftig keine nachträgliche SV geben soll (freilich nur für den Personenkreis der nach In-Kraft-treten des Gesetzes verurteilt werden wird. D.h. Für alle schon Verurteilten, bleibt das Damoklesschwert der nachträglichen SV, d.h. die Verhängung der SV erst kurz vor oder sogar nach Haftende, über ihren Köpfen schweben), und auch Einbrecher, Betrüger und Diebe nicht mehr in der SV landen sollen, diese Gruppe machte etwa 20% der Verwahrten aus, wird die sogenannte „vorbehaltene SV“ exzessiv ausgeweitet. Bei der vorbehaltenen SV erfolgt im Haftzeit eine neue Hauptverhandlung, in der dann anhand der Entwicklung während der Haft entschieden wird, ob die SV angeordnet wird, oder ob nicht.

SV für politische Delikte

Auch Verurteilungen nach §129a StGB („Terroristische Vereinigung“), ja selbst KFZ-Brandstiftung kann nach wie vor die Anordnung der SV rechtfertigen. Es ist also mitnichten so, dass die SV sich auf Sexualverbrecher beschränken würde, wie selbst viele in der politischen Linken glauben.

Perspektiven für die Verwahrten

Auch wenn sich ein großer Teil der Betroffenen der Hoffnung hingibt, durch eine „Sozialtherapie“, durchgeführt in speziellen therapeutischen Knast-Abteilungen, der SV zu entkommen, wird die Zahl der Verwahrten weiter ansteigen, denn in einer gesellschaftspolitisch so angespannten Lage wie der heutigen, in der eines der vordringlichen Ziele, die Vermeidung jeglichen Risikos ist, werden immer weniger Gerichte und Gutachter den Verwahrten eine wohlwollende Sozialprognose zu stellen bereit sein. Stattdessen wird in Arbeitsgruppen der Justizministerien länderübergreifend an einem (kein Scherz!) „humanen Sterben im Justizvollzug“ gearbeitet. Und die bayrische Justizministerin Merk, sonst als absolute Hardlinerin bekannt, möchte den Vollzug der Verwahrten aufbessern, durch eigene „Zimmer mit Dusche“, anstatt schnöder Knastzellen, sowie vielleicht einem Teich „mit Goldfischen“ im Hofbereich. Nicht umsonst nennen Sicherungsverwahrte ihre die Verwahrung eine „Todesstrafe auf Raten“, nur dass diese künftig offenbar in anheimelenderem Ambiente vollzogen werden soll…

Thomas Meyer-Falk, zur Zeit JVA Bruchsal Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Weihnachtsbotschaft aus dem Knast – Eine Glosse

Seit einigen Jahren schon beglückt der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bruchsal, Herr Thomas Müller, immer zur Weihnachtszeit die Insassen mit einer Grußbotschaft. Je nach Tagesform fällt diese dann entweder wenig originell aus (beispielhaft jene von 2003 http://de.indymedia.org/2003/12/70907.shtml ) oder es wird auch schon mal die aus rechten Kreisen bekannte Musikgruppe Boehse Onkelz zitiert (so im Jahr 2009, vgl. http://de.indymedia.org/2010/01/270866.shtml ), wobei zu letzterer Weihnachtsbotschaft der Anstaltsleiter Müller später behauptete, ihm sei die Provenienz des Zitats nicht bekannt gewesen.

Sage niemand, Müller sei nicht einsichtsfähig – zitierte er also vor einem Jahr noch (unbewusst) die Boehsen Onkelz, so darf es 2010 (ganz bewusst offenbar) Mahatma Gandhi sein, den er uns ans Herz legt: „Es gibt wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.“

Jetzt rätseln manche Gefangene, ob das als Drohung oder aber als Versprechen zu verstehen sein soll, denn das Jahr 2010 war geprägt von ziemlich hektischen Entscheidungen seinerseits, die dann teilweise auch wieder revidiert werden mussten (vgl. „Kein gutes Jahr für Gefangene“ http://de.indymedia.org/2010/12/296205.shtml ) und somit im Kontrast stehen zu diesem entschleunigenden Zitat Gandhis.
Der Mitgefangene R. meinte spontan zu der Weihnachtsbotschaft Müllers, die sinnnigerweise auf einem bunten Din-A4-Blatt, eingeklemmt zwischen dem Schmutzwäscheplan und dem Speiseplan der laufenden Woche ihr Dasein fristet, diese „ist so leer wie er – Müller – “. Zu diesem zugegebenermaßen subjektiv geprägten Eindruck mögen die „persönlichen“ Worte des Anstaltsdirektors beigetragen haben.
Thomas Müller schreibt nämlich: „Ich wünsche Ihnen allen ruhige und friedvolle Weihnachtstage sowie für das Jahr 2011 Gesundheit, Glück und persönliches Wohlergehen.“

Nun ja, Mitgefangener S. stellte in den Raum, dass „bei solch einem Anstaltsleiter wir ganz viel von dem Glück benötigen“ würden.
Ob Müller, angesteckt von der Weihnachtsbotschaft der Bibel, sich vom Saulus zum Paulus wandelte und deshalb so pastoral wie salbungsvoll das Wort an uns Gefangene richtete, das entzieht sich meiner Kenntnis; jedenfalls zeigt schon die erwähnte, durch das uniformierte Wachpersonal erfolgte Platzierung zwischen Schmutzwäsche-und Speiseplan, dass man allzu ernst die holde Botschaft nicht nehmen sollte.

Manchem mag es gar menschlich erscheinen, dass ein Anstaltsdirektor überhaupt und in dieser Form das Wort an Strafgefangene richtet. Ja, das ist eben der viel gerühmte Resozialisierungsvollzug; dort richtet dann, wie selbstverständlich, auch ein hochdotierter Beamter herzerwärmende Worte an die werte Gefangenenschaft. Es gibt schließlich auch Inhaftierte, die sich ehrlichen Herzens über diese Weihnachtsbotschaft freuen und dankbar sind.

Wer nun 2011 zitiert werde wird, nach Boehsen Onkelz und Mahatma Gandhi, ist schon Gegenstand von Wetten.

Mit gerührten Grüßen, sich die Träne aus dem Augenwinkel tupfend Ihr und Euer

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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