Knast – Gesundheit – Apotheke – über Privatisierung im Gesundheitswesen der Gefängnisse

Heute möchte ich über die Erfahrungen mit der „Privatisierung“ von Apothekenleistungen im Strafvollzug der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal berichten.

Vor der Privatisierung

Bis Ende 2009 erhielten die Gefangenen in Baden-Württemberg sämtliche notwendigen medizinischen Produkte kostenlos über die Anstaltsärzte (in der Gefangenensprache „Revier“ genannt). Dies schloss auch Wundsalben, fettende Salben, Hustentabletten und ähnliches ein.

Nach der Privatisierung

Die Anstalten schrieben die Versorgung der Gefangenen mit nicht verschreibungspflichtigen Apothekenprodukten aus und zumindest in Bruchsal werden seit Anfang 2010 die Insassen von der Stern-Apotheke (Inhaber: Apotheker Boris Osmann in Hohe Börde/Irxleben in Sachsen-Anhalt; http://www.sternapo.de, email: apotheke@sternapo.de) beliefert. Damit einher ging auch eine Verpflichtung der inhaftierten Patienten, nunmehr selbst für Dinge wie Erkältungssalben, Husten-, bzw. Halsschmerztabletten und vieles mehr, zu bezahlen. „Stärkung der Eigenverantwortung“ wurde dieses Sparprogramm genannt.

Erfahrungen mit der Stern-Apotheke

Da das Revier, laut Arzt, keinerlei Vorrat an von den Gefangenen selbst zu bezahlenden apothekenpflichtigen Produkten präsent hat, muss man zwingend bei Apotheker Osmann bestellen. Wer also mit einer akuten Grippe und Halsweh zum Arzt der JVA geht, erhält zwar Kopfschmerztabletten, aber weder Erkältungsbalsam, noch Halsschmerz-Pastillen (wie etwa Dobendan). Gerne darf der Patient diese jedoch bei Herrn Osmann bestellen. Man reicht also seine Bestellung ein, diese wird per Fax an die Stern-Apotheke übermittelt. Umgehend erfolgt auch eine Rechnungsstellung (d.h. Vorauskasse).

Nun beginnt die Warte- und Leidenszeit, denn mit der Lieferung nimmt es die Apotheke nicht so genau.

Ich selbst wartete auf eine Bestellung, die am 10.01.2011 bezahlt wurde, bis zum 03.02.2011. Darunter das auch schon erwähnte Dobendan gegen Halsschmerzen.

Irgendwelche „Zwischennachrichten“ zu erteilen hält die Apotheke nicht für notwendig; auch Anrufe seitens des Krankenpflegepersonals bei der Apotheke fruchten nichts.

Wer also krank wird, der sollte dies rechtzeitig im Voraus wissen.

Es handelt sich hierbei nicht um einen bedauerlichen und deshalb nicht erwähnenswerten Einzelfall; vielmehr kann den Informationstafeln der Gefangenen-Vertretung der JVA Bruchsal entnommen werden, dass man sich schon auf Grund zahlreicher Beschwerden von Gefangenen intensiv über diese Lieferverzögerungen mit dem Anstaltsleiter ausgetauscht habe. Dessen sinnige Lösung: Er kapituliert faktisch vor der Praxis des Apothekers Osmann, denn nunmehr kann in Akutfällen über eine Apotheke in Bruchsal der Patient dringend erforderliche Arzneimittel bestellen und erhält diese dann in der Tat zeitnah.

Rechtliche Problematik

Laut Landtag Sachsen-Anhalt betreibt Apotheker Osmann „mit Erlaubnis des Landesverwaltungsamtes einen Versandhandel mit Arzneimitteln“ (10.09.2010, Az. 5-A/00293). Wenn dem so ist, dann trifft die Stern-Apotheke jedoch gemäß § 11a Apothekengesetz eine Vielzahl von Pflichten gegenüber der Kundschaft. § 11 a Nr. 3 a ApoG bestimmt, dass „innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Eingang der Bestellung das bestellte Arzneimittel versandt wird (…)“. Nur wenn zwischen Apotheke und Kunden eine längere Lieferzeit vereinbart wurde, darf auch später geliefert werden; zumindest jedoch muss der Apotheker zwingend bei Verzögerungen den „Besteller in geeigneter Weise davon (…) unterrichten“.

Man braucht es eigentlich kaum erwähnen, aber ich tue es dennoch: Weder hält sich der Apotheker an die Lieferfrist von 2 Arbeitstagen, noch sind längere Lieferfristen vereinbart mit den Endkunden, geschweige denn erteilt er Zwischennachrichten.

Als Patient sitzt man nur da und wartet, und wartet, und wartet.

Und das, obwohl die Medikamente mitunter seit drei, vier, fünf und mehr Wochen bezahlt sind. Die Anstalt zeigt sich hilflos.

Prüfung durch Apothekerkammer und Landesverwaltungsamt

Nach Beschwerden bei der Apothekerkammer (http://ak-sa.de) und beim Landesverwaltungsamt wird zur Zeit das Geschäftsgebaren des Apothekers Osmann geprüft. Wie die Apothekerkammer mit einem Schreiben vom 21.02.2011 (Az. 15/11, Herr Marcus Bondick) mitteilt, leugnet Herr Osmann alle Vorwürfe, weshalb die Apothekerkammer weitere schriftliche Unterlagen angefordert hat. Es bleibt abzuwarten, wie diese Prüfungen enden werden.

Ergebnis

Wieder zeigt sich, welche Folgen die Privatisierung im Strafvollzugsbereich haben kann – und das auf Kosten der Gesundheit der Gefangenen.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de

https//freedomforthomas.wordpress.com

Entsorgt in der Psychiatrie

In der (auch linken) Öffentlichkeit ist vielfach unbekannt, wie einfach Menschen in Deutschland hinter den Mauern der Psychiatrie verschwinden können. Wie schon vor einigen Jahren an anderer Stelle berichtet
( http://www.freedom-for-thomas.de/thomas/texte/sozia/wZ908x.shtml
http://de.indymedia.org/2008/03/211923.shtml)
reichen kleinste „psychische Auffälligkeiten“ mitunter aus, um von Gerichten in die Psychiatrie gesperrt zu werden.

Heute soll die Rede sein von einem Fall, der sich im Landgerichtsbezirk Chemnitz 2010 zutrug.

Vorgeschichte
Der 1972 geborene Betroffene steht seit 2006 unter Betreuung. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch (§1896) kann ein Volljähriger unter Betreuung gestellt werden, sobald er/sie „auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann“.

Am 01.06.2010 beantragte die Betreuerin des hier Betroffenen beim Amtsgericht (AG) dessen Unterbringung in der Psychiatrie. Das AG ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens an und beauftragte hiermit die Hausärztin des Betreuten, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin und Akupunktur.
Mit Formularbeschluss vom 17.06.2010 verfügte das AG eine Unterbringung in der Psychiatrie bis zum 17.09.2010. Zudem genehmigte es die „zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung (…) durch mechanische Vorrichtungen, nämlich Fixierung der Extremitäten, (…) bis zur Entscheidung der Betreuerin.“
Hiergegen erhob der Betroffene Beschwerde zum Landgericht Chemnitz, welches am 21.07.2010 diese zurückwies.
Nunmehr wandte er sich in seiner Verzweiflung an den Bundesgerichtshof (BGH); und dieser hob am 15.09.2010 den Beschluss des Landgerichts Chemnitz auf und ordnete eine neue, gründliche Prüfung an (vgl. Neue Juristische Wochenschrift 2011, S. 520-522, Az. XII ZB 383/10).

Zu den Entscheidungsgründen des BGH

Zwar hielt es der BGH für unbeachtlich, dass die Hausärztin des Beschwerdeführers das zur Unterbringung führende Gutachten erstattet hatte, denn nur in Fällen mit einer Unterbringungsdauer von mehr als vier Jahren soll kein behandelnder Arzt das Gutachten erstatten, und somit sei das Gutachten der Hausärztin verwertbar, denn die Unterbringungsdauer betrug „nur“ drei Monate, jedoch beanstandete das Gericht, dass die Gutachterin keine Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie habe, obwohl eine solche vom Gesetz gefordert werde.
Freilich hatte am 03.06.2010 der Amtsrichter einen „Telefonvermerk“ gefertigt, aus welchem sich ergab, dass auf Nachfrage des Richters bei der Ärztin, diese ihm versichert habe, sie verfüge über „genügend Erfahrung“, um die Erforderlichkeit einer Unterbringung beurteilen zu können. Dies ließ der BGH nicht gelten. Erforderlich sei die objektive Qualifikation und nicht die bloße Selbsteinschätzung des Gutachters. Ist ein Gutachter nicht hinreichend qualifiziert, so der BGH weiter, ist dessen Gutachten unverwertbar, mithin war die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Chemnitz rechtsfehlerhaft und musste aufgehoben werden.
Des Weiteren beanstandete der BGH, dass dem Betroffenen, nachdem er in der Psychiatrie gelandet war, nicht mitgeteilt wurde, dass nunmehr eine Stationsärztin gutachterlich vom Landgericht angehört würde.

Völlig unverständlich für den BGH war darüber hinaus, dass das Amtsgericht die Fesselung ans Bett genehmigt hatte, denn weder wurde dies von der Betreuerin jemals beantragt, noch hätte das Gericht die Beendigung der Fixierung in das Ermessen der Betreuerin stellen dürfen.

Bewertung des Geschehens

Hätte sich der Betreute nicht bis zum BGH durchgekämpft, er läge vielleicht heute fixiert im Bett einer geschlossenen Psychiatrie. Verräterisch ist doch schon die Wortwahl: „Formularbeschluss“, so nennen die Juristen in der Tat ein mit dem Wort „Beschluss“ überschriebenes Formular. Dort brauchen die Richter nur noch Kästchen anzukreuzen, mit jeweils vorformulierten Textbausteinen – und das ist dann die Grundlage für eine angeblich „rechtmäßige Freiheitsentziehung“, denn nichts anderes bedeutet die zwangsweise Einweisung in die Psychiatrie.

Wie sollen Patienten Vertrauen zu einem Arzt haben, der gegebenenfalls vor Gericht für die Einweisung des eigenen Patienten plädiert? Hier wird das Vertrauensverhältnis ad absurdum geführt. Interessant ist hier die Argumentation des BGH. Er macht deutlich, dass wenn ein Patient seinen Arzt nicht von dessen Verschwiegenheitspflicht entbindet, der Arzt sich zwar ggf. strafbar mache, wenn er sich eines Bruchs des Berufsgeheimnisses schuldig mache, daraus folge jedoch nicht, dass dessen Gutachten nicht verwertet werden dürfe.

Betreuungsverfahren, wie auch Unterbringungsangelegenheiten sind Massenverfahren; zigtausende Menschen werden pro Jahr gewissermaßen (wie es früher hieß) entmündigt und/oder in geschlossene Heime oder Psychiatrien gesperrt. Die unteren Gerichtsinstanzen missachten dabei selbst grundlegendste Formalien. Wer dann nicht die Kraft, den Mut und auch Unterstützung hat, sich bis zum Bundesgerichtshof, mitunter aber auch bis zum Bundesverfassungsgericht durchzukämpfen, der liegt mit Psychopharmaka ruhiggestellt oder von Gurten fixiert in der Psychiatrie.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z. 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de
http://www.freedomforthomas.wordpress.com

 

 

Karlsruhe und die Sicherungsverwahrung

Wie schon vor wenigen Wochen berichtet ( http://de.indymedia.org/2011/01/298027.shtml) hat das Bundesverfassungsgericht eine umfangreiche mündliche Verhandlung zum Themenkomplex „Sicherungsverwahrung“ angesetzt. Diese Anhörung fand nun am 08. Februar 2011 statt.

Worum ging es?

Geklagt haben vier in Sicherungsverwahrung befindliche Gefangene. Entweder sitzen sie in nachträglich angeordneter SV, oder aber es handelt sich um „Altfälle“, d.h. ihr Urteil stammt aus der Zeit vor 1998, als eigentlich die erste Unterbringung in der SV auf 10 Jahre begrenzt war. Jedoch verlängerte die damalige Kohl-Regierung die Maximaldauer auf „Lebenslang“.
Beides, die nachträglich verhängte SV, wie auch die rückwirkend verlängerte SV wurden mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für unvereinbar mit den Menschenrechten der Betroffenen erklärt ( http://de.indymedia.org/2011/01/298027.shtml).

Da jedoch vor deutschen Gerichten Uneinigkeit darüber besteht, wie mit diesen Urteilen des EGMR aus Straßburg umzugehen ist, gelangten mehrere Fälle vor das Bundesverfassungsgericht.

Mündliche Verhandlung vom 08.02.2011

Zum Auftakt der Verhandlung begrüßte der Gerichtspräsident Andreas Voßkulhe prinzipiell die Regelungen zur Sicherungsverwahrung als „notwendige“ Ergänzung „des liberalen deutschen Strafrechts“ und rügte zugleich ausdrücklich die Richterinnen und Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Diese, so Voßkulhe, hätten offenbar die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit „nur am Rande in den Blick genommen“.

In der mehrstündigen Sitzung kamen Vollzugspraktiker, wie auch Rechtswissenschaftler und Regierungsvertreter zu Wort. Während die Verteidiger der Beschwerdeführer sich nachdrücklich für eine Freilassung ihrer Mandanten einsetzten, plädierten die Vertreter der Bundesregierung dafür, „nachweislich höchst gefährliche Täter“ weiterhin in Gewahrsam zu halten.

Seitens des Gerichts wurde in Richtung der Bundesländer kritisch angemerkt, dass man dort offenbar die Hinweise des Gerichts aus einem Urteil von 2004 auf Verbesserung der Haftbedingungen der Sicherungsverwahrten nicht sehr ernst genommen habe.

Ausblick

Die mit der Materie vertrauten Journalisten von Süddeutscher Zeitung, die tageszeitung und Neues Deutschland berichteten am 09.02.2011 einhellig, dass ein Konflikt zwischen dem BVerfG und dem Straßburger EGMR zu erwarten sei. Von einer umgehenden Entlassung der Beschwerdeführer sei ihrer Ansicht nach nicht auszugehen, denn die Richter hätten deutlich gemacht, dass in Deutschland die Menschenrechtskonvention in der Hierarchie der Normen unterhalb des Grundgesetzes angesiedelt sei. Mit einem Urteil des Verfassungsgerichts wird in einigen Monaten gerechnet.

Bewertung

Zur Zeit beeilen sich die Landesjustizministerien, die Haftbedingungen der Sicherungsverwahrten zu verbessern; so sollen die Zellen statt 8,5 qm künftig mindestens 15 qm groß sein. Der niedersächsische Justizminister Busemann forderte gar, dass den Verwahrten „das Gefühl gegeben werden soll, nicht mehr eingesperrt“ zu sein. Für Betroffene oder überhaupt für Gefangene nur schwer erträglicher Unsinn, der hier verbreitet wird. Sollte dann das BVerfG tatsächlich eine Freilassung der verwahrten Kläger und anderer Parallelfälle verweigern, hätte dies auch Auswirkungen auf alle übrigen 80.000 Inhaftierten.
Ihnen würde deutlich gemacht, dass ihre Menschenrechte schlicht nichts wert sind; dass sie in einem Land leben, das ein Nazigesetz von 1933 (denn unter Adolf Hitler wurde die Sicherungsverwahrung eingeführt) hofiert und im Konfliktfalle Nazigesetze den Menschenrechten vorgehen.
Nun ist dies politisch gesehen nicht überraschend oder gar neu, jedoch würde erneut ein markantes Zeichen gesetzt seitens des Staates.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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