„Therapievollzug“ in Bruchsal

Seit dem 04. Mai 2011, als das Bundesverfassungsgericht in einem spektakulären Urteil die Sicherungsverwahrung als verfassungswidrig einstufte (vgl. http://www.freedom-for-thomas.de/thomas/texte/knast/PyDLOwAbkR.shtml), steht PolitikerInnen und VollzugsjuristInnen der Angstschweiß auf der Stirn. Angst davor, dass auf Grund ihrer Fehlleistungen einige hundert als „besonders gefährlich“ klassifizierte Gefangene und Verwahrte auf freien Fuß kommen könnten.

 

Bisherige SV-Praxis

Sicherungsverwahrung (§§ 66 ff Strafgesetzbuch) ist seit dem „Gewohnheitsverbrecher-Gesetz“ vom 24.11.1933 Bestandteil des deutschen Strafrechts und ermöglicht Gefangene, von denen gemutmaßt wird, sie könnten erneut straffällig werden, auch über das eigentliche Strafende hinaus in Haft zu halten. Bislang war es üblich, dass bei Strafgefangenen mit für den Anschluss vorgemerkter Sicherungsverwahrung während der Strafhaft fast derselbe Verwahrvollzug praktiziert wurde wie später in der Sicherungsverwahrung. Man überließ sie sich selbst und sie saßen ihre Strafe ab, weitestgehend ohne nennenswerte „behandlerische Maßnahmen“ und kamen dann in die Sicherungsverwahrung, wo dann wenig mehr mit ihnen veranstaltet wurde. Nach spätestens 10 Jahren in der SV musste man sie freilassen, so die Rechtslage bis 1998.

Seinerzeit wurde die 10-Jahresfrist durch eine potentiell lebenslange Verwahrdauer ersetzt. Schon damals wiesen namhafte Vollzugsexperten auf die Bedenklichkeit dieser gesetzgeberischen Entscheidung hin.
Und so mokierte in einem ersten Urteil 2004 das Bundesverfassungsgericht den faktischen Verwahrvollzug, ohne jedoch mit seiner Kritik im Vollzugsalltag Veränderungen hervorzurufen. (vgl. http://www.freedom-for-thomas.de/thomas/texte/knast/75cL8EPuKg.shtml)
Erst nach dem Urteil vom 04. Mai 2011 brach hektische Betriebsamkeit aus, denn das Gericht genehmigte den Gerichten und Behörden nur einen Übergangszeitraum bis 31. Mai 2013; sollten bis dorthin die Landes- und der Bundesgesetzgeber keine verfassungskonformen Vollzugsbedingungen schaffen, wären zwangsläufig alle Verwahrten (zur Zeit ca. 450) freizulassen und niemand dürfte zur Sicherungsverwahrung verurteilt werden. Die entsprechenden BILD-Schlagzeilen und RTL-Explosiv-Nachrichten wollte sich offenbar keiner aus Politik und Justiz wirklich vorstellen.

Hektik in der JVA Bruchsal

Spürten die Gefangenen in Bruchsal (http://www.jva-bruchsal.de), hier wird für Baden-Württemberg die vor Antritt der Sicherungsverwahrung zu verbüßende Freiheitsstrafe vollstreckt (die SV selbst wird dann in der JVA Freiburg abgesessen), 2011 noch keine Veränderungen, nahm Ende 2012 und Anfang 2013 der Zug an Fahrt auf: nahezu alle Gefangenen mit SV, wie man im Gefängnisjargon so sagt, „auf dem Buckel“, mussten in den 4. Flügel (einen der insgesamt 5 Haftbereiche der Anstalt) umziehen. Im Unterschied zu den übrigen drei Flügeln gibt es dort separierte WCs, in den anderen Flügeln steht die Kloschüssel offen im Eck der Zelle, und nun werden auch noch Stockwerks-Küchen eingerichtet. Außerdem wurde Hafthaus 5 (ein in Containerbauweise errichtetes Sondergebäude) geräumt und brandschutztechnisch auf den neuesten Stand gebracht, so dass dort Mitte Januar 2013 ein gutes Dutzend Gefangene mit anschließender SV (sowie weitere Gefangene, die spezielle „Gewalt- oder Sexualtäter-Programme“ durchlaufen sollen) einziehen konnten. In für Vollzugsverhältnisse der JVA Bruchsal „De-Luxe“-Suiten: Fußbodenheizung, abgetrenntes WC, die Zelle ist von morgens bis abends geöffnet, Küche ist obligatorisch, Fenster auf normaler Höhe (in den übrigen Trakten befinden sich die Fenster in 2 Metern Höhe).

Für die von SV betroffenen Gefangenen werden zudem spezielle Arbeitsbetriebe eingerichtet; wer sich in einem arbeitstherapieähnlichen Bereich „bewährt“, soll dann „aufsteigen“ können und wird der Schuhmacherei oder Polsterei zugeteilt (wo auch der kärgliche Lohn ein bisschen höher ausfällt.) Am 21.01.2013 schaute sich der baden-württembergische Justizminister Stickelberger (SPD) vor Ort alles einmal selbst an.
Hinzu kommen Gesprächsgruppen, sowie gelegentliche Einzelgespräche mit frisch verpflichteten TherapeutInnen (zwei an der Zahl).

Nicht wirklich, so wird verlautbart, angedacht ist, dass die in der JVA Bruchsal angebotenen therapeutischen Interventionen dann zu einer „vorzeitigen“ Entlassung oder Verlegung in den offenen Vollzug (von dort aus können Gefangene in Freiheit arbeiten und übernachten nur nachts in der Anstalt) führen sollen, sondern nur der Vorbereitung auf eine langjährige Sozialtherapie (in einer anderen JVA) dienen, oder – man höre und staune – auf den „Wohngruppenvollzug in der Sicherungsverwahrung vorbereiten“ sollen. Man wird also in Strafhaft auf die Haftbedingungen in der SV „vorbereitet“.

Es regt sich Unmut

Unter Gefangenen, die nicht zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurden, regt sich Unmut, denn ihre Haftbedingungen sind erheblich schlechter: die Zellen sind überwiegend verschlossen, d.h. sie sitzen eingesperrt in ihren Hafträumen, man kürzte ihnen die Freizeit am Spätnachmittag um eine knappe Stunde, Kochen und Backen sind nicht möglich und die therapeutische „Begleitung“ sieht auch eher mau aus.
Berücksichtigt man dann noch, dass mehr als die Hälfte derer, die mit Sicherungsverwahrung hier sitzen, wegen einschlägiger Sexualdelikte (bis hin zu hundertfachem Kindesmissbrauch) Haft verbüßen, schürt dies weiteren Unmut. An allen Ecken und Enden hört man Sprüche wie: „Den Kinderfickern und Sittichen wird der Zucker vorne und hinten rein geblasen!“ Zyniker sagen dann auch: „Hätte ich anstatt wegen einer Schlägerei ein Urteil wegen Vergewaltigung, mir ging’s hier im Knast von den Vollzugsbedingungen her wesentlich besser“.
Letztlich bleibt es jedoch bei bloßem Murren.

Einblick

Wie Insider aus dem oben erwähnten Hafthaus 5 berichten, gab es schon in den ersten Tagen nach dem Neubezug der Abteilung die ersten Konflikte. Zwar werden im sogenannten „delikt-spezifischen“ Teil der Therapiegruppen die Sexualtäter und die Gewalttäter in getrennten Gruppen behandelt, jedoch gibt es auch einen „delikt-unspezifischen“ Teil und dort sind dann die Therapiegruppen gemischt. Prompt, so die Insider, habe sich ein wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs seiner kleinen Tochter verurteilter Gefangener empört über einen Mitgefangenen, der wegen Körperverletzung verurteilt ist. Dieser sei doch ein Krimineller, ein Gewalttäter, er selbst hingegen jedoch nicht, denn das mit seiner Tochter sei „was ganz anderes“ gewesen.
Wer dann den Sexualtätern verbal zu sehr „Contra“ gibt, läuft Gefahr aus „Haus 5“ verbannt zu werden, was so mancher fürchtet, da dann eine vorzeitige Entlassung nahezu aussichtslos wird. Selbstverständlich muss auch gemeinsam zu Mittag gegessen werden; auch hier gilt: wer sich dem zu entziehen versucht und sagt, er wolle nicht mit einem Serienvergewaltiger oder Kindesmissbraucher an einem Tisch sitzen, wird schnell vor die Wahl gestellt den Mund zu halten, oder aber „Haus 5“ verlassen zu müssen.
Die Reaktion des Kindesmissbrauchers ist ein in der JVA Bruchsal nicht selten anzutreffendes Argumentationsmuster von Sexualtätern: diese sehen sich als „etwas besseres“ an. In dieser Meinung werden sie von der Anstalt zumindest indirekt auch gestützt, denn besonders beliebte oder mit gelockerter Aufsicht verbundene Jobs innerhalb der Mauern werden gerne an solche Täter vergeben. So hat der oben erwähnte Gefangene, der seine Tochter missbrauchte, einen Job in dem Anstaltsbetrieb „Garage“ gefunden, wo er dann auch Beamtenautos reinigen darf, eine Arbeit, die die Beamten naturgemäß nur Gefangenen anvertrauen, denen sie Vertrauen entgegenbringen. Hier eignen sich Sexualtäter in besonderem Maße: vielfach entstammen sie geordneten Verhältnissen, wie es so schön heißt, haben also keinen Bezug zu sonstiger Kriminalität oder Regelverletzung, abgesehen von der devianten Sexualität.

Ferner werden sie tendenziell von ihren Mitgefangenen geächtet oder mit Distanz betrachtet, so dass aus Sicht der Justiz die Wahrscheinlichkeit, dass die auf diesen „Vertrauensposten“ eingesetzten Gefangenen ihre Arbeit dazu nutzen, um z.B. Drogen zu schmuggeln oder sonstwie gegen Regeln zu verstoßen, geringer ist als bei anderen Gefangenen.

Ausblick

Da formal die Landesgesetzgeber und auch der Bund neue gesetzliche Regelungen für den Vollzugsalltag der Sicherungsverwahrten und mannigfache Therapiekonzepte beschlossen haben (vgl. https://linksunten.indymedia.org/de/node/68014), dürfte erstmal keine „Entlassungswelle“ anstehen. Aber auch mittel- und langfristig dürfte nicht zu erwarten sein, dass die Entlassungszahlen von Sicherungsverwahrten oder davon betroffenen Strafgefangenen erheblich über jenen der Vergangenheit liegen. Aus der Innenansicht mutet es mehr an, als errichteten Gesetzgeber und Vollzugsanstalten potemkinsche Dörfer, sprich bloße Fassaden, die letztlich das Bundesverfassungsgericht und ein stückweit die Öffentlichkeit beeindrucken und auch beruhigen sollen. Zugleich schafft die vollzugliche Binnendifferenzierung hinsichtlich der materiellen Vollzugsbedingungen (hier: komfortable Zellen mit Fußbodenheizung und Küchen, dort: kahl-kalte Zellen, die nur stundenweise beheizt werden und überwiegend Verwahrvollzug) ein Unruhepotential, das auf Dauer nicht unterschätzt werden sollte; vielleicht bietet das eines Tages die Möglichkeit insgesamt, wenn schon nicht die Abschaffung der Knäste zu fordern, zumindest eine Verbesserung der Haftbedingungen für alle Inhaftierten zu erkämpfen, unabhängig davon, ob sie von SV bedroht sind, oder nicht.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, 76646 Bruchsal
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Nachträgliche Sicherungsverwahrung – Uwe O.

Ab 8. März 2013 wird das Landgericht Stuttgart (Schwurgericht) in einem mehrtägigen Prozess darüber entscheiden, ob Uwe O. (vgl. Vorberichterstattung http://de.indymedia.org/2012/12/338772.shtml) nachträglich in Sicherungsverwahrung soll.

Vorgeschichte

Uwe O. wurde 1996 wegen Mordes zu einer zeitlich befristeten Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Nur eine Woche vor seiner für Ende November 2012 geplanten Freilassung wurde ihm per Telefax der Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart, mit welchem diese beantragt hatte, die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, in die JVA Bruchsal zugestellt.

Weiterer Verfahrensgang

Das Landgericht Stuttgart eröffnet Uwe O. im November 2012 den sogenannten „Unterbringungsbefehl“, d.h. trotzdem er seine Strafe voll verbüßt hat, bleibt er weiter in Haft und zwar bis zum Abschluss des nun anhängig gewordenen Verfahrens über die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung (§ 66 b StGB alte Fassung).

Zugleich ordnete das Gericht die Einholung zweier Sachverständigengutachten zur Frage an, ob Uwe O. psychisch gestört und auf Grund dieser Störung für die Allgemeinheit gefährlich sei.

Wie Uwe O. berichtet, hätten ihm gegenüber beide Sachverständige, die Tübinger Gutachter Winckler und Dr. Bork, am Ende der jeweiligen Exploration zu erkennen gegeben, dass aus psychiatrischer Sicht die Voraussetzungen für die Unterbringung in der SV wahrscheinlich nicht vorlägen.

Prozessbeginn – 8. März 2013

Der Prozess im März 2013 wird öffentlich sein, wobei die Möglichkeit besteht, dass für Teile der mündlichen Verhandlung die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, insbesondere, wenn höchstpersönliche Umstände von Uwe O. erörtert werden. Verteidigt wird Uwe O. von dem renommierten Stuttgarter Fachanwalt für Strafrecht, Wizemann (www.strafverteidiger-stuttgart.de).

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Stilles Ende um „Bush-Prozess“

Vor bald 7 Jahren besuchte der damalige US-Präsident George W. Bush jr. Mecklenburg-Vorpommern, um dort mit Bundeskanzlerin Merkel zu grillen. Die Boulevardpresse sprach bald von der „teuersten Grillparty der Welt“, da der Einsatz der rund 12.000 Polizisten zig-Millionen Euro verschlang.

 

Der Prozess

Ich hatte schon 2006 das Innenministerium in Schwerin um Zugang zu den Rechnungen für den Bush-Besuch gebeten. Grundlage für die Anfrage war das dortige Informationsfreiheitsgesetz. Als das Ministerium den Zugang zu den Unterlagen ablehnte, reichte ich Klage beim Verwaltungsgericht Schwerin ein.

Erst vier Jahre später wollte das Gericht über die Klage verhandeln. Vertreten wurde ich von Rechtsanwalt Stefan Schulz von der Kanzlei Lorentz, Macht & Fandel ( http://www.die-verteidiger.de). Das auch überregionale mediale Interesse war recht rege, denn nicht Wenige schien es zu verblüffen, dass ein in Haft sitzender Mensch sich für die Kostenlegung des Bush-Besuchs interessieren könnte.

Mit Urteil vom 27.08.2010 verpflichtete das Verwaltungsgericht Schwerin (Az. 1 A 389/07) das Innenministerium mir Kopien aller Rechnungen von Amtshilfe leistenden Behörden anderer Bundesländer auszuhändigen, gestattete jedoch zugleich dem Land alle Einzelposten zu schwärzen und nur die jeweiligen Gesamtkosten mitzuteilen.

Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht

Da mich insbesondere die Details der einzelnen Rechnungen interessierten, beantragte Rechtsanwalt Schulz beim Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung. Diese wurde mit Beschluss vom 14.09.2012 (Az.: 1 L 195/10) nicht zugelassen.
Das OVG warf mir, bzw. dem Rechtsanwalt vor, in der 1. Instanz nicht nachdrücklich genug auf die ungeschwärzten Fassungen der Rechnungen bestanden zu haben.

Einsicht in die Kopien

So wie nun im Internet die als PDF-Datei eingestellten Kopien einzusehen sind ( http://de.indymedia.org/2013/01/340340.shtml), wurden sie mit Schreiben vom 12.11.2012 durch das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung gestellt. Der Informationsgehalt tendiert, sieht man von den ungeschwärzten Endbeträgen ab, gegen Null. Freilich versäumte es das Ministerium nicht, für die Überlassung der Kopien exakt 88,91 Euro einzufordern.

Freundlicherweise übernahm die Bezahlung dieses Betrages, sowie der Gerichtskosten für die letztlich erfolglose Einschaltung des Oberverwaltungsgerichts Herr Ehregott R. aus Köln, der sich schon 2010 in Folge eines SPIEGEL-Artikels über den Fall bei mir meldete.

Resümee

Auch wenn nach nun fast sieben Jahren Rechtsstreit der Erkenntnisgewinn in der Sache gleich Null ist, so sollten die Bürgerinnen und Bürger doch reger von den einzelnen Informationsfreiheitsgesetzen der Länder und des Bundes Gebrauch machen. So machte vor einiger Zeit ein Prozess in Berlin Schlagzeilen, als Bürger über ein von Bundeskanzlerin Merkel veranstaltetes Geburtstagsessen zu Ehren des – damaligen – Deutsche Bank Chefs Ackermann Auskunft verlangten – und vor Gericht dann auch erfolgreich erstritten. So kann zumindest ein Ansatz an Transparenz versucht werden zu erreichen. Gerade marginalisierte Kreise können die Informationsfreiheitsgesetze zudem auch als Waffe verwenden. Erst die Klagen von Arbeitslosen und ihren Verbänden brachten die Bundesagentur für Arbeit dazu, bis dorthin weitgehend geheim gehaltene interne Arbeitsanweisungen offenlegen zu müssen.
Deshalb sollte sich niemand von dem teils renitenten Verhalten von Behörden, den gesetzlich vorgesehenen Zugangsanspruch zu Akten zu verwehren, abhalten lassen.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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Knast in Burg und der Rechnungshof

Kürzlich berichtete Klaus Sonntag (http://de.indymedia.org/2012/12/338948.shtml) über die „Gefängnisindustrie in Sachsen-Anhalt“ über die Kritik des Landesrechnungshofes am PPP-Projekt der JVA Burg. Ich möchte heute die erwähnte Kritik des Landesrechnungshofes näher darstellen.

 

Vorgeschichte

 

Im Jahr 2006 hatte das Land Sachsen-Anhalt mit dem Baukonzern Bilfinger-Berger Verträge über Errichtung und teilweisen Betrieb einer JVA in Burg

(http://www.sachsen-anhalt.de/index.php?id=33810) geschlossen.

Seit Mai 2009 ist die Anstalt in Betrieb; der Konzern, bzw. vertraglich verpflichtete Subunternehmen sind zuständig für Reinigung, Entsorgung und Ausstattung der Anstalt, für Verwaltungshilfsdienste, EDV-Systembetreuung, Verpflegungsleistungen, Gesundheitsfürsorge, Sozialfürsorge und Sicherheitshilfsdienste (vgl. Landesrechnungshof Sachsen-Anhalt, Jahresbericht 2012, Seite 44).

 

Vereinbart wurde eine Vertragslaufzeit von 25 Jahren, wobei einzelne der genannten Dienstleistungsverträge nach frühestens 5 Jahren gekündigt werden können.

 

Im Verlaufe der 25 Jahre sollten dem Land Gesamtkosten von 512 Millionen Euro entstehen, davon circa 175 Millionen Euro für Bau und Finanzierung der JVA und weitere knapp 337 Millionen Euro für deren Betrieb.

 

Kritik des Landesrechnungshofes

 

Auf immerhin gut 20 Seiten seines Jahresberichts setzt der Landesrechnungshof sich ausführlich mit dem „Public-Private-Partnership“-Projekt der Landesregierung auseinander und hält die Missstände für so gravierend, dass der Präsident des Rechnungshofes in der Landespressekonferenz am 05.12.2012 diese breit referierte.

Im Folgenden sind nur die gravierendsten Mängel benannt:

 

1. ) Mangelhafte Transparenz der Projektkosten

 

Die Landesverfassung verpflichtet eigentlich dazu, alle Ausgaben klar zu gliedern und transparent zu machen. Neben den aktuell circa 11 Millionen Euro „PPP-Rate“ (also dem vertraglich vereinbarten Entgelt) jährlich, sind jedoch auf zahlreiche andere Haushaltstöpfe jährlich über 2,2 Millionen Extrazahlungen verteilt, man könnte auch sagen „versteckt“, die für den Betrieb der JVA Burg anfallen. Und ab 2013 steigt diese Summe um weitere 500.000 Euro pro Jahr, da für die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung höhere Kosten anfallen.

 

2.) Künftige Haushaltsbelastungen höher als angenommen

 

Schon vor drei Jahren (2010) lagen die tatsächlichen Kosten für das PPP-Projekt um fast 400.000 Euro höher als prognostiziert. Das hat zur Folge, dass bis Ende der Vertragslaufzeit 2034, je nach Szenario zwischen 7,4 Millionen und 42,5 Millionen Euro Mehrkosten anfallen, als noch 2006 vorhergesagt.

 

Weiter kritisiert der Rechnungshof, sollte die JVA tatsächlich mit 272 Landesbediensteten (und 57,5 Stellen, die die PPP-Partner besetzen) arbeiten, anstatt den eigentlich geplanten 203,5 Stellen für Landesbedienstete, würden allein durch den fehl kalkulierten Personalbedarf jährlich zusätzliche 5 Millionen Euro Mehrkosten anfallen.

 

3.) Mangelnde Auslastung der JVA

 

Bei einer Belegungsstärke von maximal 658 Gefangenen wurde zwischen Land und dem PPP-Konsortium eine „Durchschnittsbelegung“ von 600 Inhaftierten vereinbart. Nach Berechnungen führte „durchschnittliche Unterbelegung von 82 Inhaftierten“ im Jahr 2011 zu Ausgaben von 1,1 Millionen Euro ohne eine gleichwertige Gegenleistung. Da das Land die an Bilfinger-Berger und übrigen Vertragspartner zu zahlenden Beträge nicht kürzen darf, wenn weniger Insassen einsitzen, führt das zu Einnahmen auf Konzernseite, für die keine Gegenleistungen erbracht werden müssen.

 

4.) Unzureichende Vertragserfüllung durch PPP-Partner

 

Nach Recherchen des Landesrechnungshofes erfüllen die Vertragspartner des Landes teilweise ihre vertraglichen Pflichten nicht (Bericht, a.a.O., S. 57): So hapert es bei der Organisation und Durchführung von fachärztlichen und zahnärztlichen Leistungen, bei der sachgemäßen Bestellung, Lagerung und ordnungsgemäßen Verwendung der Arzneimittel, medizinischen Verbrauchsmittel und Heil-, bzw. Hilfsmittel.

 

5.) Umplanung im Bereich Seelsorge

 

Weil es das Justizministerium unterlassen hatte, rechtzeitig vor Vertragsschluss mit dem PPP-Partner die Kirchen zu beteiligen, fielen durch erforderliche Umplanungen zusätzliche knapp 200.000 Euro an, sowie, wie der Landesrechnungshof detailverliebt verrechnet, weitere monatliche „Wartungs- und Instandhaltungskosten in Höhe von 44,76 Euro“.

 

6.) Prinzipielle Kritik des Landesrechnungshofes

 

Wie der Präsident des Rechnungshofes am 05.12.2012 mitteilte (vgl. Pressemitteilung S. 5), hätte ein Verzicht auf PPP, also bei einer Finanzierung, Bau und Betrieb ausschließlich durch das Land, anstatt unter Einbeziehung des Bilfinger-Berger-Konzerns, zumindest zu einer Ersparnis der „kalkulierten Gewinnzuschläge“ des Konzerns, deren Höhe nicht bekannt sind, geführt. Ferner würde der vertraglich vereinbarte „Bonus“ von 5 % bei Vertragserfüllung nicht anfallen. Denn der Konzern hatte sich zusagen lassen, dass bei vertragsgemäßer Erfüllung zusätzlich ein Bonus von maximal 5 % vom Land zu zahlen sei.

 

Proteste der Gefangenen der JVA Burg

 

Seit 2009 kam es zu mehreren Hungerstreiks und Protestaktionen durch Inhaftierte der JVA Burg, sowie zu zahlreichen Klagen bei den zuständigen Gerichten.

Auch die in Burg untergebrachten Sicherungsverwahrten schlossen sich teilweise den Protesten an. Zumindest für diese wird sich die Unterbringungssituation ein bisschen verbessern (vgl. https://linksunten.indymedia.org/de/node/73760; dort C. Zellen für Sicherungsverwahrte in der JVA Burg) und das Land nimmt nach Berechnungen des Landesrechnungshofes bis 2034 mindestens 15 Millionen Euro in die Hand.

 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Der Bericht des Landesrechnungshofes ist online abrufbar unter

http://www.lrh.sachsen-anhalt.de/fileadmin/user_upload/Berichte/12a.pdf , ab Seite 42

 

 

Die erwähnte Pressemitteilung des Präsidenten des Landesrechnungshofes vom 05.12.2012 unter

http://www.lrh.sachsen-anhalt.de/fileadmin/user_upload/Berichte/statement12-1.pdf , ab Seite 3