Uwe O. zu Sicherungsverwahrung verurteilt

Vor wenigen Monaten berichtete ich über einen Bruchsaler Strafgefangenen, den 50-jährigen Uwe O., der nur Tage vor seiner Haftentlassung erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft die nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragt habe (vgl. http://de.indymedia.org/2012/12/338772.shtml und
http://de.indymedia.org/2013/01/340447.shtml). Nunmehr wurde er antragsgemäß verurteilt.

Nachträgliche Sicherungsverwahrung


Ob unter Gefangenen oder in Medienberichten, allerorten heißt es, die nachträgliche SV sei abgeschafft; dies stimmt so jedoch nicht. Unter engen Voraussetzungen kann weiterhin die Sicherungsverwahrung, also die potentiell unbegrenzte Freiheitsentziehung, auch noch kurz vor Haftende beantragt werden, zumindest wenn die Betroffenen ihre Tat vor dem 01.01.2011 begangen haben. Das betrifft die Mehrzahl jener zur Zeit in den Gefängnissen einsitzenden Männer und Frauen. Tatsächlich beantragt wird die nachträgliche SV jedoch, zugegebenermaßen, nur in den wenigsten Fällen.

Der Fall Uwe O.

Erst durch die Berichterstattung in der Stuttgarter Zeitung (http://www.stuttgarter-zeitung.de/) wurde den Mitgefangenen bekannt, dass Uwe O. mehrfach wegen Vergewaltigung vorbestraft war; sein letztes Opfer, eine 39-jährige Frau aus Freiberg (Bezirk Stuttgart), tötete er nach der Vergewaltigung und verstümmelte sie. Hierfür wurde er zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt; nicht zu „Lebenslang“, da er wegen seines Alkoholkonsums als vermindert steuerungsfähig galt. Nachdem er dann am 30. November 2012 die Strafe vollständig verbüßt hatte, kam ernicht frei, sondern wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart vorläufig weiter in Haft gehalten, bis über den Antrag auf nachträgliche SV entschieden wurde.

Der Prozess

Vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart wurde an drei Verhandlungstagen im März 2013 über den Antrag der Staatsanwaltschaft verhandelt. Gehört wurden ehemalige Mitpatienten von Uwe O., insbesondere jedoch zwei Psychiater, Dr. Borg und Dr. Winckler (Tübingen). Laut Presseberichten bescheinigten beide Sachverständigen ihm schwere Alkoholabhängigkeit und eine ebensolche Persönlichkeitsstörung mit sadistischen Triebtendenzen. Da Uwe O. sich beharrlich jeglichen Therapieversuchen widersetzt hätte, in Haft mit Alkohol auffällig geworden sei, im Übrigen ein ehemaliger Mitpatient bekundet habe, wie Uwe O. ihm gegenüber auf eine Frau gedeutet und gesagt haben soll: „Die kann man auch mal packen“, und die Gutachter davon ausgehen würden, dass Uwe O. binnen kürzester Zeit oder einiger Jahre ähnlich schwere Sexualdelikte, bis hin zu Mord, begehen würde, wurde am 20. März 2013 die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet.

Versuch einer Analyse

Der Fall des Uwe O. hat ganz unterschiedliche Dimensionen oder Facetten.
Nicht Wenige werden sagen: „Gut so! Endlich ein Urteil im Sinne des Opferschutzes!“ Das ist eine spontane Reaktion, die durchaus nachvollziehbar ist. Hier wird Uwe O. dann nicht nur als Individuum gesehen, das 1997 eine Frau vergewaltigt und getötet hat, sondern er dient auch als Folie für die Projektion von Ängsten und Sorgen in einer scheinbar immer unsicherer werdenden Zeit. Der Schritt zur Dämonisierung, zur Vorstellung, Uwe O. repräsentiere das Böse schlechthin, ist nicht weit.

Losgelöst von solchen Affekten eröffnen sich jedoch weitere Dimensionen. Carmen, sie sitzt selbst in nachträglicher Sicherungsverwahrung, meinte zu dem Fall Uwe O., in Kenntnis seiner Sexualtaten, dass ihr weder Mensch noch die Tat sympathisch wären, aber es gehe nicht an, einfach nachträglich die SV anzuordnen.
Auch Mitgefangene, die zuerst schockiert waren über die Tathintergründe, sagen: „Einerseits ist es nicht schade um ihn, dass er nun im Knast bleibt, andererseits, so geht’s doch nicht. Man sitzt seine Strafe abund kurz vor dem Ende erfährt man, dass man nun lebenslang weggesperrt werden soll!“

Nicht umsonst wurde Deutschland schon mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, denn die nachträgliche SV ist ganz klar menschenrechtswidrig.

Solche Urteile wie das des LG Stuttgart geben den Gefängnisleitungen ein „hilfreiches“ Disziplinarinstrumentarium in die Hand: nicht wenige Gefangene fürchten, auch sie könne es eines Tages treffen, denn wie der Fall Uwe O. belegt, selbst wenige Tage vor Entlassung kann immer noch ein Antrag ins Haus flattern. Umso fügsamer und schweigsamer werden sie sich im Haftalltag geben.

Politik und Justiz zeigen, dass sie sich, wenn sie es für angebracht halten, über Menschenrechtskonventionen hinwegsetzen. Hier ist die nachträgliche SV ein Baustein in einem komplexen Gefüge, welches von der Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen, über Einsatz oder Androhung von Folter gegen Tatverdächtige, bis hin eben zur zeitlich unbeschränkten Inhaftierung von zur Aussonderung aus der Gesellschaft vorgesehenen Menschen reicht.

Es ist wahr, heute trifft die Sicherungsverwahrung zu über 60% Sexualtäter (die nachträgliche SV zu nahezu 100%, zumindest was männliche Verwahrte betrifft), aber das Instrument ist vorhanden, künftig auch politische AktivistInnen zu treffen, [nicht nur – Anmerkung des Abtipp-Menschen*] sofern ihre Aktionen geeignet sind Leib oder Leben und Gesundheit Dritter zu schädigen.

Weitere Links zum Fall Uwe O.:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nachtraegliche-sicherungsverwahrung-frauenmoerder-bleibt-weiter-hinter-gittern.1958a033-2c29-47e7-8116-10d9978b2e96.html
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wegen-rueckfallgefahr-gericht-verhaengt-nachtraegliche-sicherungsverwahrung.8014e689-5ebd-4c06-b97d-856c3863fc35.html

 

*[bspw. 129a, 129b, Generalstreik, Sabotage an Kriegsgerät ohne Gefährdung von Menschen, Brandstiftung ohne Gefährdung von Menschen, „schwerer Landfriedensbruch“ in Form von „Plündern“ oder Anrichten von bedeutendem Sachschaden (vgl. § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b STGB) oder auch, wenn der Staat wahrheitswidrig eine Gefahr für Leib, Leben oder Gesundheit unterstellt – Anm. des Abtipp-Menschen]

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D – 76646 Bruchsal
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Berlinerin in Todeszelle – bald frei?

Seit 22 Jahren sitzt Debbie in Arizona (USA) im Todestrakt, stets davon bedroht, hingerichtet zu werden. Jetzt entschied ein Bundesberufungsgericht, dass ihr entweder erneut der Prozess gemacht werden oder sie binnen 30 Tagen auf freien Fuß gesetzt werden müsse.

Die Vorgeschichte

Vor 48 Jahren wurde Debra Jean Milke in Berlin geboren. Einige wenige Erinnerungen an die frühe Kindheit in Berlin hat sie noch, da jedoch die Mutter mit ihr in die USA auswanderte und Debbie, wie alle, die sie kennen, sie nennen, dort die US Staatsbürgerschaft erhielt, gilt sie formal als US-Amerikanerin.
Im Dezember 1989, Deutschland war gerade im Freudentaumel über den Fall der Mauer, spielte sich im fernen Arizona ein Drama ab. Debbies damaliger Lebenspartner, James Styers gab vor, er wolle mit ihrem vierjährig Sohn zum Einkaufen fahren. Stattdessen jedoch fuhr Styers zusammen mit einem Kumpanen in die Wüste, schoss dem Jungen drei Mal in den Kopf und wollte so die Lebensversicherung für das Kind kassieren.
Für eine Versicherung in Höhe von 50.000 Dollar musste das Kind sterben.

Die Anklage gegen Debbie

Der seinerzeit ermittelnde Polizeibeamte, Armando Saldate behauptete, Debbie hätte ihm, als sie einen kurzen Moment mit ihm alleine im Sheriffs-Büro saß, gestanden, sich mit ihrem Freund und dessen Kollegen dazu verschworen zu haben, das Kind zu ermorden, um an die Lebensversicherung zu gelangen. Obwohl schon 1990 in Arizona polizeiliche Vernehmungen verpflichtend auf Video aufzuzeichnen waren, gibt es keine solche Aufnahme.
Der Sheriff galt bereits 1990 als eigentlich wenig Vertrauen erweckend, er hatte vor Gerichten gelogen, Verhaftete rechtswidrig gefesselt, aber all das verschwiegen Polizei und Staatsanwaltschaft der Jury. Basierend auf der Aussage Saldates, Debbie habe ihm den Mordplan gestanden, wurde sie 1990 zum Tode verurteilt.

Der Kampf um Gerechtigkeit

Stets beteuerte Debbie, sie sei unschuldig; nach ihrem ermordeten Sohn sei sie das zweite Opfer dieses grausamen Verbrechens. In den Folgejahren, die sie in der Isolationshaft der Todeszelle zubrachte, fand sie Anwälte, die an ihre Unschuld glaubten und vor Gericht den Kampf aufnahmen. Zwischenzeitlich wurde der Polizist Saldate aus dem Dienst entfernt, er hatte es in anderen Strafsachen wohl auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft „zu toll“ getrieben, zu oft gelogen, um Verurteilungen zu erreichen. Stets schwebte über allen juristischen Bemühungen das Damoklesschwert der Hinrichtung; und tatsächlich, eines Tages kam Sanitätspersonal in Debbies Zelle. Man wollte ihre Venen untersuchen, dort wo dann die Nadeln für die Giftspritze gesetzt werden
sollten.

War anfangs das Verhältnis zur Mutter, die in Baden-Württemberg lebt, angespannt, auch weil sie erst an Debbies Unschuld zweifelte, besserte sich die Beziehung zusehends und die Mutter versuchte in Deutschland Menschen für den Fall ihrer Tochter zu interessieren. Offizielle Stellen erteilten eine Absage, da Debbie, trotzdem sie Tochter einer deutschen
Staatsbürgerin ist und in Berlin geboren worden war, US-Bürgerin sei.
Allerdings gab es einige Prominente, darunter Schauspielerin Uschi Glas und auch der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, die sich für Debbie einsetzten.
In den letzten Jahren gab es dann auch diverse Radio-Features und Fernsehberichte über Debbie.

Debbies Wünsche

Debbie wünscht sich, wie sie mir schrieb, nichts sehnlicher nach einer'Freilassung als die USA sobald wie möglich zu verlassen; gerne würde sie nach Deutschland kommen, in das Land ihrer frühesten Kindheitserinnerungen. Den Schnee genießen, die Berge sehen.
Um den alltäglichen Wahnsinn zu überleben, musste Debbie in den letzten Jahren Psychopharmaka nehmen. Sie liest viel, hört Radio und schaut fern. Stets isoliert von ihren Mitgefangenen.

Das Urteil

Nach einer Anhörung der Anwälte vor dem Bundesberufungsgericht schon 2011 sollte es noch bis März 2013 dauern, bis das Gericht dem Justizsystem in Arizona eklatantes Fehlverhalten vorwarf. Die Staatsanwaltschaft habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Jury 1990 über den zweifelhaften Ruf des Sheriffs zu informieren. Das Gericht kam
zudem zu dem Schluss, dass selbst der Freund von Debbie sie niemals beschuldigt habe, an dem Mordkomplott beteiligt gewesen zu sein. Es gab nur die dürre Aussage des von Ehrgeiz zerfressenen Polizisten.

Entweder, so das Gericht, müsse man Debbie erneut anklagen, ihr also einen neuen Prozess gewähren, oder aber sie binnen 30 auf freien Fuß setzen.

Es scheint, als würde der nun schon über 23 Jahre dauernde Alptraum endlich zu Ende gehen und Debbie sich ihre Wünsche bald erfüllen können.

Weitere Links zum Fall von Debbie:
http://debbiemilke.com/
http://www.youtube.com/user/DebraMilke
en.wikipedia.org/wiki/Debra_Milke
http://www.todesstrafe-usa.ch/debra-jean-milke.html

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA, Schönbornstr. 32, D – 76646 Bruchsal
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Karlsruher Landrecht

Über den skandalösen Umgang durch Richterinnen und Richter des Landgerichts Karlsruhe (http://www.lgkarlsruhe.de) mit Anträgen von Bruchsaler Gefangenen habe ich schon des öfteren berichtet; zuletzt auch ausführlich im Jahr 2012, als besagte RichterInnen die flehentlichen Anträge eines todkranken HIV-kranken Gefangenen (Willi K.) so lange liegen ließen, bis Willi starb (http://de.indymedia.org/2012/04/328276.shtml).

Augenscheinlich haben die RichterInnen am Landgericht nichts daraus gelernt.

 

„Frank O.“

 

In der heutigen Geschichte, die auf Fakten basiert, soll er Frank O. heißen, geboren 1963, schwer gezeichnet von jahrzehntelangem Drogenkonsum. Im Jahr 2004 vom Landgericht Karlsruhe zu sieben Jahren Haft mit anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt. Er hatte für sich keinen anderen Ausweg mehr gesehen und erst einen Mitgefangenen und nach der Verlegung in die Psychiatrie einen Mitpatienten attackiert.

Lange Zeit schon sitzt O. in Einzelhaft, sprich Isolation.

 

Entscheidung über Antritt der Sicherungsverwahrung

 

Auch wenn ein Gericht einen Angeklagten zu Sicherungsverwahrung, d.h. unbefristeter Freiheitsentziehung, die nach Abbüßen der reinen Haftstrafe erfolgt, verurteilt, muss vor Ende der Strafhaftzeit und vor Beginn der Zeit in der SV die zuständige Strafvollstreckungskammer den Fall prüfen und ggf. den Antritt der SV beschließen (vgl. § 67 c StGB).

 

Verfahrensgang im Fall „Frank O.“

 

Denkbar knapp, aber immerhin rechtzeitig legte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am 22.07.2011 die ganzen Akten den RichterInnen vor, denn ab dem 08.10.2011 war dann der Beginn der SV notiert. Alle Strafen wären verbüßt, „nur“ noch die Sicherungsverwahrung offen.

Nach Eingang der Akten im Juli 2011 wartete die Kammer bis zum 10.10.2011 zu, bis man sich entschied, es müsse erst noch ein Gutachten eines Psychiaters her, der sich zur „Kriminalprognose“ äußern solle, d.h. zu der Frage, ob man Frank O. frei lassen könne.

 

Der Gutachter, Dr. Splitthoff, Chefarzt des Zentrums für Psychiatrie in Wiesloch

(http://www.pzn-wiesloch.de/) ließ sich viel Zeit, er kannte Frank O. schon von früher und außerdem ist er ein gefragter Gutachter. Am 22.02.2012 erschien Splitthoff in der JVA Bruchsal, um mit Frank O. ein persönliches Gespräch zu führen. Einen weiteren Monat später legte er dem Gericht ein nicht mal 20 Seiten umfassendes „Gutachten“ vor, in welchem er sich gegen eine Freilassung aussprach.

 

Erst für den 31. Mai 2012 wurde von dem Vorsitzenden Richter am Landgericht KLEINHEINZ eine mündliche Anhörung von Frank O. und dessen Anwältin angesetzt.

 

Und weitere fast sieben Monate später erging der die Entlassung ablehnende Beschluss der drei RichterInnen der Strafvollstreckungskammer.

 

Das Oberlandesgericht greift ein

 

Immer wieder muss das OLG Karlsruhe die KollegInnen der unteren Instanz rügen. So auch am 25.01.2013. Unter Vorsitz von Richter am OLG Schubart entschied der 2. Strafsenat (http://www.lgkarlsruhe.de), dass das „Gutachten“ nicht ansatzweise den „Mindestanforderungen, die an Prognosegutachten zu stellen“ seien, entspreche. Ferner beanstandete das OLG. dass nicht drei RichterInnen des Landgerichts die Anhörung durchführten, wiewohl dies das Gesetz explizit vorschreibe, sondern nur der Vorsitzende alleine.

Schlussendlich sah sich der 2. Strafsenat noch zu dem deutlichen Hinweis auf die Untätigkeit veranlasst; die Kammer des Landgerichts habe nun endlich den „Beschleunigungsgrundsatz“ zu befolgen (Az. des Beschlusses: 2 Ws 29/13).

Bemerkenswert waren die deutlichen Worte des Oberlandesgerichts, wie auch die Zügigkeit der Entscheidungsfindung, denn genau 11 Tage nach Einreichung der Beschwerde vom 14. Januar zerpflückte der Senat den Beschluss der 1. Instanz, sowie das sogenannte „Gutachten“ des Dr. Splitthoff.

 

Wo ist das ein Problem?

 

Wenn ein mehrfach wegen teils schwerer Körperverletzungen von Gerichten strafrechtlich belangter Mensch in die SV gesteckt werden soll, wo sollte da ein Problem sein? Es ist nicht nur der historische Kontext der SV ein Problem, denn es blieb den Nationalsozialisten vorbehalten, im November 1933 die SV zu institutionalisieren, sprich ins Strafgesetzbuch aufzunehmen; sondern auch in psychologischer, wie politischer Hinsicht erweist sich das prototypische Verhalten des Landgerichts Karlsruhe, bzw. dessen RichterInnen als beachtenswert.

 

Aus psychologischer Sicht ist festzustellen, dass die eklatanten Verfahrensfehler, die Untätigkeit, das kritiklose Übernehmen eines „Gutachtens“, welches nach der überzeugenden Analyse des Oberlandesgerichts nicht die Mindeststandards erfüllt, welche ein Gutachter zu beachten hat, dass all dies zusammen genommen bei dem Betroffenen und seinen Mitgefangenen den Eindruck hinterlässt, mit ihren (Grund)Rechten dürfe der Staat nach Belieben verfahren. Da hilft es auch wenig, dass Frank O. vor dem OLG obsiegte, denn die „Stimmung“ beim Landgericht dürfte angesichts der deutlichen Kritik, die das Oberlandesgericht geäußert hat, nicht zur Sympathiesteigerung für Frank O. führen. Einerseits sollen Gefangene wie auch Sicherungsverwahrte lernen, sich an Gesetze zu halten, zugleich lebt jedoch das Gericht, das über eine Freilassung zu entscheiden hat vor, dass es nicht gewillt ist, sich an grundlegende Verfahrensnormen und verfassungsgerichtliche Vorgaben zu halten.

 

Politisch ist dieses Verhalten des Landgerichts bezeichnend, denn letztendlich setzt das Gericht, wenn auch unter Bruch von Recht und Gesetz den „Volkswillen“ um, schon seit Goebbels gilt, dass es sich bei den Sicherungsverwahrten um „Volksschädlinge“ handelt, die es gilt „auszurotten“; die Wortwahl hier stammt von 1933, aber der Ungeist wirkt bis heute fort, als wäre nie nimmer nichts geschehen.

 

Wie geht es für Frank O. weiter?

 

Frank sitzt nach wie vor, gesundheitlich schwer beeinträchtigt, in Einzelhaft; gelegentlich dürfte er mit dem für Freizeitaktivitäten zuständigen Wärter Tischtennis spielen oder basteln. Aus der Zelle geht Frank jedoch in letzter Zeit fast nie, da sein Bein beschädigt ist. Das Versorgungsamt hat ihn zu 50 % als schwerbehindert anerkannt und so bekommt er täglich durch die Luke in der Zellentüre sein Methadon und abends Schlafmittel.

Das OLG hat zwar im Januar das Landgericht deutlich darauf hingewiesen, endlich den „Beschleunigungsgrundsatz“ ernst zu nehmen, aber auf fruchtbaren Boden fiel die Mahnung augenscheinlich nicht, denn mittlerweile, Mitte März, hat weder die vom OLG geforderte Nachbegutachtung, noch eine mündliche Anhörung durch das Landgericht stattgefunden, noch sind entsprechende Verfahrensschritte angekündigt oder gar terminiert. So dürfte bei realistischer Betrachtungsweise auch im zweiten Anlauf das Landgericht kaum die Freilassung von Frank O. anordnen.

 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Polizeibewachung illegal

Wie das Verwaltungsgericht Freiburg (http://www.vgfreiburg.de) am Freitag, den 22.02.2013 entschied, ist die polizeiliche Dauerbewachung eines ehemaligen Sicherungsverwahrten illegal.

Zur Vorgeschichte

Der Kläger war vom Landgericht Stuttgart im Jahr 1985 wegen zweier Vergewaltigungen zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Seinerzeit war die Dauer der Unterbringung in der SV auf maximal 10 Jahre begrenzt; erst die Koalition von CDU und FDP verlängerte 1998 diese auf eine potentiell lebenslange Unterbringungsdauer.
Folglich wurde der Kläger nicht, wie eigentlich gedacht, im Jahre 1999 freigelassen (nach Verbüßung von 5 Jahren Haft und 10 Jahren Sicherungsverwahrung), sondern blieb weiter in der JVA Freiburg hinter Gittern.
Erst das OLG Karlsruhe entließ am 10.09.2010 den Betroffenen, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik Deutschland deswegen verurteilte, weil sie rückwirkend diese Regelung verschärft hatte, also auch für Insassen, die vor der Gesetzesreform 1998 verurteilt worden waren. Hier stellte der Gerichtshof in Strasbourg einen Verstoß gegen das Verbot rückwirkender Strafgesetze fest.

Die Entlassung

Seit dem Tag der Entlassung am 10.09.2010 wurde der Kläger ununterbrochen von der Polizei bewacht und begleitet. Er nahm sich ein Zimmer in einem Männerwohnheim in Freiburg und die Polizei mietete sich im Nachbarzimmer ein. Bis zu fünf Polizeibeamte begleiteten ihn auf Schritt und Tritt. Einziger Rückzugsraum war sein Zimmerchen.

Die Klage vor Gericht

Das Verwaltungsgericht Freiburg lehnte es am 16.08.2011 ab, in einem Eilverfahren der Polizei die Dauerbewachung zu untersagen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (http://www.vghmannheim.de) war erfolglos (Beschluss vom 08.11.2011, Az. 1 S 2538/11).

Durch die lange Haft rechtskundig geworden zog S. alleine vor das Bundesverfassungsgericht. Zwar lehnte es das Gericht
(http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20120227_1bvr002212.html) ab, das Land im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Dauerüberwachung zu beenden, folgte aber im Hauptverfahren der Verfassungsbeschwerde von S. und entschied am 08.11.2012 (Az.: 1 BvR 22/12), dass der VGH Baden-Württemberg und das Verwaltungsgericht Freiburg die Grundrechte von S. verletzt hätten, indem man sichhinsichtlich der angeblichen „Gefährlichkeit“ von S. auf ein viel zu altes Gutachten gestützt hätte (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20121108_1bvr002212.html). DasBundesverfassungsgericht verwies den Rechtsstreit zurück an das Gericht in Freiburg.

Verwaltungsgericht Freiburg

Für Donnerstag, den 14.02.2013 setzte das Gericht eine mündliche Verhandlung über die Sache an (Az. 4 K 2433/12) und erteilte mit Schreiben vom 31.01.2013 einige Hinweise. So sei zu diskutieren, ob das Polizeigesetz des Landes überhaupt eine „Rund-um-die-Uhr-Überwachung“ gestatte und ob sich aus dem Polizeigesetz eine Rechtsgrundlageentnehmen lässt, dass S. sich einer psychiatrischen Begutachtung unterziehen müsse.

Das Urteil

Am 22.02.2013 verkündete das Gericht sein Urteil: es untersagte der Polizei die Rund-um-die-Uhr-Überwachung. Zum einen, so die Kammer, fehle es an einer gesetzlichen Grundlage für solch eine gravierend in die Grundrechtspositionen des Klägers eingreifende Maßnahme. Und zum anderen lägen keine Anhaltspunkte für eine „Gefährlichkeit“ von S. vor. Hier nutzte der Polizei auch nicht ein etwas weinerlich klingender Vortrag des Vertreters des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Dieser hatte sich darüber mokiert, dass S. keine Bereitschaft zur „Kooperation“ mit den ihn bewachenden Polizeibeamten gezeigt habe. Vielmehr sei S. sogar „launisch“ gewesen, was sich daran zeige, dass S. es gewagt habe, früh am Morgen oder sogar bei Regen „urplötzlich Ausflüge mit dem Fahrrad“ zu unternehmen.
Hier blieb es dem Gericht vorbehalten, die Polizei darauf hinzuweisen, dass S. ein freier Mann sei, der tun und lassen könne, was ihm gefalle. Keinesfalls hätte S. eine Pflicht getroffen „für das Gelingen der Observation Sorge zu tragen“, so das Gericht.

Wie geht es weiter für den Kläger?

Nach den Strapazen der Dauerbewachung möchte S., wie er mir schrieb, sich nun eine Wohnung suchen. Denn eine solche war angesichts der Polizeibewachung nicht zu finden. Auch würde er gerne einer kleinen Beschäftigung nachgehen. Schon vor Gericht hatte S. deutlich gemacht, wie sehr er seine damaligen Taten bereue und sich auch intensiv damitauseinandergesetzt habe. Sein Offenburger Rechtsanwalt Reinhard Kirpes (Bürogemeinschaft Kirpes & Steigert:
http://www.ra-steigert.de/index.php?option=com_content&view=article&id=16&Itemid=6)
kündigte an, eine Schadensersatzklage für die Belastungen durch die über zwei Jahre dauernde Polizeibewachung zu prüfen.

Reaktion der Polizei

Gegen 10.30 Uhr am Freitag, 22.02.2013 packten die Polizeibeamten ihre Sachen, bauten die Stromversorgung für einen VW-Bus ab, der permanent vor der Notunterkunft geparkt hatte. Es mutet ein bisschen wie Eingeschnapptsein an, wenn die Badische Zeitung den Polizeisprecher Karl-Heinz Schmid mit den Worten zitiert: „Jetzt hat das Gericht dieVerantwortung für die Sicherheit der Bürgerinnen übernommen“ (Badische Zeitung vom 23.02.2013, „Gericht stoppt die dauerhafte Überwachung“).

Ausblick

Auch wenn sich nun erstmal Bundesverfassungsgericht und Gerichte des Landes Baden-Württemberg auf Seiten der Ex-Verwahrten gestellt haben (so auch schon am 31.01.2013 der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in einem Eilverfahren, betreffend einen wegen Totschlags und mehrfacher sexueller Nötigung verurteilten ehemaligen Freiburger
Sicherungsverwahrten; Az.: 1 S 1817/12), ist damit nicht gesagt, dass es künftig keine Rund-um-die-Uhr-Bewachung mehr geben wird, denn wenn eine entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen wird und sich die Polizei künftig auf zeitnah erstellte „Gutachten“ beruft, anstatt wie in den bisherigen Fällen auf veraltete Unterlagen, muss damit gerechnet werden, dass auch in Zukunft die Polizei von solchen Bewachungsformen Gebrauch machen wird.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D – 76646 Bruchsal
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