Biografie über das Leben Marco Camenischs erschienen!

Nicht oft ereignet sich, dass über einen noch lebenden Gefangenen eine Biografie publiziert wird. Im April 2015 erschien im Schweizer Echtzeit Verlag (http://www.echtzeit.ch) ein rund 200 Seiten starkes Buch über Leben, Kampf, Widerstand und Liebe des nicht nur in der Schweiz bekannten Anarchisten Marco Camenisch.

Geboren Anfang 1952 im Unterengadin führte der Lebensweg von Camenisch schon früh in den Widerstand; wie bei nicht wenigen ProtagonistInnen der damaligen Zeit politisierte ihn u.a. der Protest gegen den Bau von Atomkraftwerken. Jedoch verstand er alsbald, dass bloße Demonstrationen und das Verteilen von Flugblättern die Atomwirtschaft weder beeindrucken, geschweige denn aufhalten würde, sondern direkte Aktionen, in seinem Fall, Angriffe auf Strommasten, erforderlich sein würden.

Der Schweizer Journalist und Lehrbeauftragte an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Kurt Brandenberger, beschreibt ebenso spannend wie authentisch, gestützt auf intime Aktenkenntnis, vertieft durch Gespräche mit FreundInnen, WegbegleiterInnen und Familienangehörigen Camenischs den Weg des jungen Marco, der in einem kleinen Dorf aufwuchs, als Sohn eines Grenzwächters, hinein in den aktiven politischen Widerstand.

Nach einem Sprengstoffattentat auf ein Kraftwerk an Weihnachten 1979, erfolgter Festnahme und Untersuchungshaft erging 1981 das drakonische Urteil: 10 Jahre Zuchthaus für Marco und siebeneinhalb Jahre für seine Genossen.

Ein klassisch politischer Strafprozess war es gewesen, viel Solidarität von außen, politische Erklärungen der Angeklagten. Die Rede die Marco vor Gericht hielt, ‚Friede den Hütten – Krieg den Palästen‘ analysierte die politischen Hintergründe für den Anschlag und zeigte auf, weshalb es notwendig geworden war zu handeln!

Wenige Monate nach der Verurteilung, gelingen Marco und anderen Gefangenen die Flucht; rund zehn Jahre wird er in Freiheit, in Italien leben, bevor er 1991 erneut verhaftet wird.

Auf den 200 Seiten erzählt Brandenberger das Leben eines widerständigen Menschen, der ohne Rücksicht auf sich selbst, für eine politische Idee und deren Umsetzung brennt. Dabei ist die Biografie nie der Versuchung erlegen eine Gefälligkeitswerk zu werden. Kritische Aspekte bekommen ihren Raum- da ist beispielsweise die Rolle als Vater. Durch Haft und Flucht war er nie wirklich präsent im Leben seiner Tochter, wie sie selbst in Gesprächen mit Brandenberger erklärt.

Erst am 08.Mai 2018 wird Camenisch auch den letzten Hafttag verbüßt haben, und erst dann will die Schweizer Justiz ihn frei lassen. Kürzlich bekräftigte dies das Kantonale Amt für Justizvollzug, verlangte ultimativ als Voraussetzung für die Gewährung von Hafturlauben und ähnliche Lockerungen des Vollzugsregimes, dass er sich ein „delinquenzfernes soziales Umfeld“ aufbaue, er sich folglich von seinem langjährigen Kreis an FreundInnen und GenossInnen trennen müsse, bevor man irgendwelche Maßnahmen erwägen könne. Eine ebenso indiskutable wie abstruse Forderung der Schweizer Justizbehörden.

Brandenbergs Buch gewährt einen mitunter sehr intimen Einblick in das Leben eines politischen Aktivisten, vermittelt ein Bild der Kämpfe der 70er/80er Jahre und gibt lebendig Zeugnis davon, wie ein Mensch auch nach Jahrzehnten der Haft aufrecht geblieben ist, dessen Herz unverändert für den Widerstand schlägt.

Bibliografische Angaben:

Kurt Brandenberger

‚Marco Camenisch – Lebenslänglich im Widerstand‘

Echtzeit-Verlag (Schweiz)

ISBN: 978-3-905800-92-0

Preis: 29 Franken

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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Geldentschädigung für Sicherungsverwahrten?

Mit Klageschrift vom 15.12.2014 versucht der in Freiburg in Sicherungsverwahrung sitzende Herr H. vom Land Baden-Württemberg über 10.000 Euro Geldentschädigung für rechtswidrig erlittene Freiheitsentziehung zu erstreiten.

Sachverhalt

Mit Urteil vom 20.02.2004 wurde Herr H. zu neun Jahren Freiheitsstrafe mit anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt. Strafhaftende wurde am 17.10.2012 erreicht. Entgegen den gesetzlichen Vorgaben, die vorsehen, dass (rechtzeitig) vor Strafhaftende über die Erforderlichkeit der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung (SV) zu entscheiden sei (vgl. § 67c StGB), kam es im Fall des Herrn H. zu einigen Verzögerungen.

So wurde schon die erforderliche mündliche Anhörung erst auf den 22.10.2012 terminiert. Ohne Einholung eines psychiatrischen Sachverständigen-Gutachtens wurde dann am 06.02.2013 (15 StVK 251/12-BR-) vom Landgericht Karlsruhe entschieden, dass die Vollstreckung der SV nicht erledigt sei. Diesen Beschluss hob das OLG Karlsruhe (2 Ws 91/13) nur wenige Wochen später, am 06.03.2013 auf, da die untere Instanz es zu Unrecht versäumt habe, ein Prognosegutachten einzuholen.

gewähren, ohne dass es darauf ankommt, dass einem/einer konkreten RichterIn ein

Erst am 23.12.2013 erstattete Dr. O.-F. ein schriftliches Gutachten und kam zu dem Ergebnis, dass es nicht verantwortet werden könne, Herrn H. jetzt schon zu entlassen. Das Landgericht benötigte bis zum 16.05.2014, bis es dann die Entscheidung traf, die Vollstreckung der SV sei erforderlich.

Zwar bestätigte dies dann das OLG Karlsruhe (2 Ws 217/14, Beschluss vom 21.07.2014), stellte jedoch zugleich fest, dass auf Grund der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen der bislang erlittene Freiheitsentzug in der SV rechtswidrig gewesen sei. Auf diese Entscheidung stützt Herr H. nun seine Zivilklage gegen das Land Baden-Württemberg.

 Die Klageschrift

 Nachdem die 2.Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe (Az.: 2 O 333/14) Prozesskostenhilfe bewilligte und die Freiburger Rechtsanwältin Christina Gröbmayr Herrn H. beiordnete, erhob diese am 15.12.2014 in seinem Auftrag Klage. Unter Hinweis auf Artikel 5 Absatz 5 EMRK (Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte), der einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch bei Verletzung des Freiheitsgrundrechtes vorsieht, wurde für jeden Monat der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung ein Beitrag von 750,- Euro geltend gemacht.

Artikel 5 Abs. 5 EMRK soll also dem Einzelnen eine Geldentschädigung persönliches Fehlverhalten nachgewiesen werden muss, es reicht, wenn ein Gericht zu der Einschätzung gelangt, die Freiheitsentziehung sei rechtswidrig gewesen.

Ausführlich legte die Rechtsanwältin zudem dar, wie die 21 Monate Sicherungsverwahrung Herrn H. psychisch belastet hatten, insbesondere weil die ganze Situation ungeklärt gewesen und die Anstalt der Ansicht gewesen sei, ohne einen rechtskräftigen, das bedeutet den Vollzug der SV für erforderlich erachtenden Beschluss, habe man keinen ‚Arbeitsauftrag‘ und könne folglich auch nicht ernsthaft in eine therapeutische Aufarbeitung eintreten.

Die Reaktion des beklagten Landes

Das Land lässt sich anwaltlich vertreten von der Karlsruher Anwaltskanzlei Hannemann, Eckel & Moersch (http://www.rechts-undsteuerkanzlei.de). Auf 23 Seiten versucht RA Hannemann mit Schriftsatz vom 16.03.2015 die Klageschrift zu zerreden und zu zerpflücken.

Er unterstellt dem Kläger, an Ich-Bezogenheit kaum überbietbar zu sein, der lieber einmal Tatunrecht einsehen und an sich arbeiten solle, anstatt ungerechtfertigte Ansprüche gegen das Land zu erheben. Zwar gestehe man zu, dass es zu Verfahrensverzögerungen gekommen sei, jedoch sei der Kläger ausreichend hierfür entschädigt worden, in dem nämlich das Oberlandgericht am 21.07.2014 bestätigt habe, dass die Verfahrensverzögerung rechtswidrig gewesen sei, wie auch der bis dorthin erlittene Freiheitsentzug. Dies sei eine ausreichende Genugtuung für den Kläger.

Bei welchem es sich im übrigen um einen sehr gefährlichen Wiederholungstäter handele, der in Folge eines extrem egozentrischen, von Anspruchsdenken beherrschten Weltbildes zu der völlig verfehlten Ansicht gelangt sein müsse, ein Haftaufenthalt müsse nach Art eines Erlebnisurlaubs gestaltet sein.

Auch der klägerische Antrag, dem Land zu untersagen, eine etwaige Geldentschädigung nicht mit dem Land noch aus anderen Verfahren zustehenden Prozesskosten verrechnen zu dürfen, sei Ausweis für die dissoziale Ich-Bezogenheit des Klägers.

Die Erwiderung von Herrn H.’s Anwältin Gröbmayr vom 22.04.2015

Auf ganzen 30 Seiten nimmt, mit gewisser Schärfe, die Rechtsanwältin von Herrn H. den Vortrag der Gegenseite auseinander. Schon einleitend stellt sie fest, dass das Land, bzw. dessen anwaltliche Vertreter sich offenbar darin gefielen, den Kläger zu diffamieren und im übrigen weitestgehend laienpsychologische Interpretationen anstellen würden, die ihnen nicht zustünden.

Sie weist dann nach, dass der Vortrag der Gegenseite vielfach einseitig, mitunter objektiv falsch ist und man sich auch aus Schriftsätzen nur jene Passagen heraussuche die genehm seien und der eigenen Sicht widersprechende Passagen unerwähnt lasse.

Insgesamt sei das Vorgehen in dem Schriftsatz der Kanzlei Hannemann, Eckl & Moersch vom 16.03.2015 in höchstem Maße unseriös.

Ausführlich legt sie dar, wäre Herr H. zutreffend beraten und vertreten gewesen, denn vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe hatte Herrn H. die Karlsruher Anwältin M. verteidigt, er – ungeachtet einer etwaigen Gefährlichkeit – sogar seine Freilassung hätte erstreiten können.

Hier bezieht sie sich auf die obergerichtliche Rechtssprechung (u.a. OLG Düsseldorf, 28.07.1992, Az. 2 Ws 303/92) wonach bei einer Überschreitung von Prüffristen, eine weitere Vollstreckung ohne prognostische Abwägung mit der Gefährlichkeit dann nicht mehr in Frage komme, wenn die Verzögerung erheblich ist (im Fall des OLG Düsseldorf: zehn Monate).

Streckenweise lehnt es die Rechtsanwältin auch ab, auf den Vortrag der anwaltlichen Vertreter der Gegenseite einzugehen, da diese sich in haltlosen Diffamierungen des Klägers erschöpfen würden, welche mit einer Wahrnehmung berechtigter Interessen nichts zu tun hätten.

Es stehe fest, nämlich durch die erwähnte OLG-Entscheidung vom 21.07.2014, dass das Freiheitsgrundrecht des Klägers verletzt worden sei, hierfür sei er zu entschädigen.

Ausblick und Bewertung

Der Fall erinnert in seiner Argumentationsweise des beklagten Landes an einen Fall aus Bayern. Dort klagte ein zu Unrecht in SV gehaltener ehemaliger Insasse der JVA Straubing gegen das Land Bayern auf Schmerzensgeld und Verdienstausfall. Die anwaltlichen Vertreter des Landes, die Kanzlei Kroier & Weyer (http://rkw-lawfirm.de) trugen mit Schriftsatz vom 04.09.2013 gegenüber dem Landgericht Nürnberg-Fürth (Az.: 4 O 6720/12) vor, dass dem ehemaligen Gefängnisinsassen „ nicht nur Nachteile“ durch die Unterbringung in der SV entstanden seien, „ sondern auch Vorteile, wie ersparte Aufwendungen für Wohnungsmiete (in der teuren Großstadt München), Kosten für Fahrten zur Arbeitsstätte“, sowie Kosten für häusliche Verpflegung. Diese „ Vorteile“ müssten schadenersatzmindernd Berücksichtigung finden.

Der hier wie dort zum Ausdruck kommende Zynismus empört nicht wenige. Die Bereitschaft der Justiz, bzw. des jeweiligen Landes, Fehler einfach einmal einzugestehen und dann Geldentschädigung zu leisten ist nicht sonderlich ausgeprägt, trifft auch immer wieder jene, die zu Unrecht verurteilt wurden und hernach ihren Schaden einklagen müssen (aus Baden-Württemberg wurde der Fall Harry Wörtz überregional bekannt).

Die in dem nun anhängigen Zivilrechtsfall kritisierte Praxis der Strafvollstreckungskammer des LG Karsruhe, nur sehr verzögert Entscheidungen zu treffen, hat das Oberlandgericht nicht zum ersten Mal gerügt (vgl. ‚Karlsruher Landrecht‘ unter http://de.indymedia.org/2013/03/342720.shtml) ,ohne jedoch damit irgendeine Reaktion bei den RichterInnen-Kollegen zu bewirken.

In ihrem Schriftsatz vom 22.04.2015 stellte Rechtsanwältin Gröbmayr die durchaus nicht unberechtigte Frage, ob hier sogar der Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt sein könnte.

Es bleibt nun abzuwarten, ob die 2.Zivilkammer des LG Karlsruhe der Klage stattgeben und das Land verurteilen wird, für die zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung eine Geldentschädigung zu bezahlen. Bei der selben Zivilkammer ist ebenfalls seit 2014 (Az.:2 O 489/14) ein Verfahren anhängig, in welchem geprüft wird, ob für die aus Sicht der betroffenen Sicherungsverwahrten in der JVA Freiburg dort völlig unzureichenden Haftbedingungen, ebenfalls eine Geldentschädigung von dem Grün/Rot regierten Land zu leisten ist.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

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Freiburgs Gefangene beenden Protest

Wie vor wenigen Tagen berichtet (https://linksunten.indymedia.org/de/node/142695) traten in der JVA Freiburg einige dutzend Gefangene in den Hungerstreik. Zwischenzeitlich wurde dieser beendet.

Anlass des Hungerstreiks

Wie sich erst im Verlauf der Proteste heraus kristallisierte, sollen sich Strafgefangene mit einem GUS-Migrationshintergrund (GUS = ehem. Sowjetstaaten) empört haben über einen angeblich homosexuellen Insassen, der in der Gefängnisküche arbeitete und der es an der Hygiene mangeln lasse.

Der als Anstaltsbeirat ehrenamtlich tätige Nikolaus von Gayling (http://fdp-fraktion.com/Nikolaus_von_Gayling.html) sagte: „Das geht gar nicht, jemanden wegen dessen Homosexualität verfolgen!“.

Lokalzeitung berichtet

Die Badische Zeitung (http://www.badische-zeitung.de/freiburg/70-haeftlinge-in-freiburg-im-hungerstreik–104564456.html) berichtete ausführlich am 9. Mai 2015 auf Seite 1 und Seite 25 über die Aktion. So habe das Justizministerium in Stuttgart den Protest von „rund 70 Häftlingen“ bestätigt. Der Sprecher des baden-württembergischen Justizministeriums, Steffen Ganninger wird mit den Worten zitiert: „Nach unserer vorläufigen Einschätzung könnte es sich um eine Machtdemonstration handeln“.

Reaktion der Anstalt

Nachdem am 8. Mai 2015 der Protest für beendet erklärt wurde, kehrte die Anstalt zum normalen Tagesbetrieb zurück. Der Insasse, der in der Anstaltsküche tätig ist, soll dem Vernehmen nach anstaltsintern mit seiner „Zustimmung“ umgesetzt und künftig in der Beamtenkantine tätig sein.

Bewertung

So erfreulich es ist, wenn sich auch in den Gefängnissen Kollektive bilden, die dann gemeinsam Ziele verfolgen und bereit sind, einen Protest zu organisieren, so indiskutabel ist es, die Homosexualität eines Menschen zum Anknüpfungspunkt zu nehmen.

In diesen Wochen wird breit an das Ende des 2. Weltkriegs vor 70 Jahren erinnert, damit auch an die unsägliche Verfolgung von Homosexuellen während der NS-Zeit.

Vor diesem Hintergrund wäre es ein fatales Signal, sollte die Anstalt tatsächlich dem Druck nachgeben und dies mit der sexuellen Orientierung des betroffenen Gefangenen zu tun haben.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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Massenhungerstreik in Freiburgs Gefängnis

Nachdem schon im November 2014 ein Hungerstreik eines Sicherungsverwahrten (http://de.indymedia.org/node/2558) Schlagzeilen machte, sind aktuell Strafgefangene in der JVA Freiburg in einen Hungerstreik getreten; die Rede ist von dutzenden Gefangenen.

Die Vorgeschichte

Wie so oft bei Gefängnisprotesten in Deutschland, hat sich offenbar der Unmut an der Situation der Gefängnisküche entzündet. Ein dort eingesetzter Insasse soll es mit der Hygiene nicht so genau nehmen. Aus der Gruppe der sogenannten ‚Russland-Deutschen‘ (vgl. zu diesen im Kapitel ‚Der Vollzug‘ meine Ausführungen: http://de.indymedia.org/2013/06/345749.shtml) regte sich nachdrücklicher Protest.

Der 05. Mai 2015

Aus Sicht der Anstalt drohte nun die Eskalation, denn es soll angekündigt worden sein, wenn die Gefängnisleitung nicht auf die Proteste eingehe, würden zahlreiche Gefangenen nach der ihnen zustehenden Hofstunde nicht mehr ins Gebäude zurückgehen.

Prompt wurden alle Strafgefangene nach dem Ende der vormittäglichen Arbeitszeit in ihren Zellen weggeschlossen, die Arbeitsbetriebe nachmittags geschlossen. Der Zugang zum Hof wurde streng überwacht und nach Hofende erneut alle Insassen weggeschlossen; alle abendlichen Sport- und Freizeitgruppen strich der Anstaltsleiter ersatzlos. Auch durfte die Gruppe der Sicherungsverwahrten, denen eigentlich die Teilnahme am Strafhaft-Hofgang zusteht, nicht in den Hof.

Zwischenzeitlich sollen sich türkischstämmige Mitgefangene dem Protest angeschlossen haben.

Als erste Reaktion folgten auch Repressalien: so sollen mehrere ‚führende Köpfe‘ aus der Gruppe der ‚Russland-Deutschen‘ in andere Anstalten verlegt worden sein.

Der 06. Mai

Auch am Mittwoch, den 06. Mai herrschte aus Sicht der Anstalt Alarmstimmung: erneut wurden alle Freizeitaktivitäten gestrichen, die Arbeitsbetriebe schlossen um 12 Uhr ihre Tore und die Strafgefangenen wurden weggeschlossen. Für den nachmittäglichen Hofgang trennte die Anstaltsleitung die Gefangenen in zwei Gruppen. Von 13 bis 14 Uhr hatte die eine Hälfte Hofgang und eine Stunde später wurde die andere Hälfte aus ihren Zellen gelassen, um in den Hof zu gehen; jedoch soll einer größeren Anzahl insbesondere der ‚russland-deutschen‘ Insassenschaft der Hof verwehrt worden sein.

Ferner hätte eine zweistellige Anzahl aus dieser Gruppe, aber vereinzelt auch türkischstämmige Insassen die Annahme des Gefängnisessens verweigert. Des weiteren solle, um die Ernsthaftigkeit ihres Hungerstreiks zu belegen, eine größere Anzahl von Gefangenen auch alle privat gekauften Lebensmittel aus ihren Zellen heraus gegeben haben.

Hungerstreik als Protestform

Insbesondere seit dem Hungertod eines in Isolationshaft gehaltenen Gefangenen in der JVA Bruchsal im vergangenen Jahr (http://community.beck.de/gruppen/forum/neuigkeiten-ber-hungertod-eines-gefangenen) ist das Interesse an der oftmals desolaten Haftsituation von Inhaftierten etwas größer als noch zuvor. Dabei ist die Ernährung sicherlich nur ein Punkt von ganz vielen Missständen. Gerade hier in Freiburg wäre aktuell zu nennen: die nunmehr rigoros praktizierte Regelung, dass alle BesucherInnen, selbst wenn sie von weit anreisen und ein Zug leichte Verspätung hat, oder ein Stau auf der Autobahn die Anreise verzögerte, fort geschickt werden, wenn sie weniger als 20 Minuten vor Besuchsbeginn am Tor klingeln. Selbst bei nur einer- oder zweiminütigen Verspätung erfolgt ohne Prüfung des Falls die Wegweisung. Für die familiären und freundschaftlichen Bindungen eine enorme Belastung.

Oder es ist zu denken an die ökonomische Situation. Ein großer Teil der Gefangenen lebt von ca. 35 Euro Taschengeld im Monat, bzw. wenn jemand arbeitet und Geld verdient, hat er kaum mehr als 80 oder 90 Euro im Monat zur Verfügung. Davon muss jeder dann hohe Strompreise bezahlen – zum 01.01.2014 erfolgte eine Erhöhung auf 29,09 Cent/kwH, obwohl die JVA selbst in mehreren Gerichtsverfahren einräumen musste (vgl. http://de.indymedia.org/node/4105). Wenn Gefangene rund 20 Prozent ihres Taschengeldes, so wie zzgl. 5 Euro im Monat an die Freiburger Gefangenenhilfe bezahlen müssen, die die Satellitenanlage betreibt, stehen für Duschgel, Tabak oder sonstige kleine Vergünstigungen kaum noch Gelder zur Verfügung. Und nur wer vor Gericht klagte, hat überhaupt eine Chance zu viel bezahlte Gelder zurück zu erhalten.

Viele der jetzigen Protestierer werden einen hohen Preis für ihren Widerstand zu zahlen haben: Isolationshaft, Verlegung in andere Anstalten (und damit Verlust der bisher aufgebauten sozialen Beziehungen) und womöglich auch zusätzliche Haftkosten, denn die Anstalten in Baden-Württemberg behalten sich vor, für alle medizinisch erforderlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit einem Hungerstreik, die Gefangenen in Regress zu nehmen.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

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Sicherungsverwahrung für Sex ohne Kondom!

Im Oktober 2014 verurteilte das Landgericht Oldenburg Frau Schmid (Name geändert) zu vier Jahren Freiheitsstrafe mit anschließender Unterbringung in – potentiell lebenslänglicher – Sicherungsverwahrung, da sie, wiewohl HIV-positiv, ungeschützten Geschlechtsverkehr mit Männern gehabt habe und diese auch nicht über ihre Infektion aufgeklärt habe.

Gegen dieses Urteil hat Frau Schmid Revision beim Bundesgerichtshof erhoben. Mit Schriftsatz vom 30.03.2015 hat ihr Verteidiger, Rechtsanwalt Jacob Hösl (Köln) auf 42 Seiten die Sachrüge begründet. Nun prüfte der 3. Strafsenat des BGH (Az.: 3 StR 55/15) die Revisionsschrift.

Das Urteil des LG Oldenburg

Die RichterInnen des LG sahen in dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eine versuchte gefährliche Körperverletzung nach § 223 Absatz 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, da die (mögliche) Infektion eines anderen mit HIV eine „die das Leben gefährdende Behandlung“ darstelle. Sicherungsverwahrung wurde angeordnet, da Frau Schmid vorbestraft sei wegen vergleichbarer Taten, trotz mehrjährigen Freiheitsentzugs nicht zu beeindrucken gewesen sei und folglich eine „gewurzelte Neigung zur Begehung derartiger Straftaten“ vorliege, d.h. sie habe den Hang zur Begehung solcher Taten. Ferner komme in diesen Taten ein hohes Maß an krimineller Energie zum Ausdruck.

Die Revisionsbegründung

Der Verteidiger von Frau Schmid fordert nichts geringeres als die Freisprechung seiner Mandantin. Ausführlich analysiert er die Anwendung des Strafrechts auf sexuell übertragbare Krankheiten und weist nach, dass bis zum Auftreten von HIV in den 80er Jahren wohl noch nie jemand wegen der sexuellen Übertragbarkeit einer Infektionskrankheit strafrechtlich belangt worden sei.

Und dies, obwohl es derer ja diverse gegeben habe und nach wie vor gibt (Syphilis, Hepatitis, u.a.).

Rechtsanwalt Hösl beklagt die Stigmatisierung von Menschen mit HIV und legt dar, dass die Ausübung einvernehmlicher sexueller Handlungen eine sozialadäquate Handlung sei. Diese dann zu bestrafen, lediglich weil das Risiko einer HIV-Infektion des Sexualpartners bestanden haben soll (der Anwalt weist darauf hin, dass in keinem der zur Verurteilung führenden Fälle eine Infektion erfolgt sei), verletze die Grundrechte von Frau Schmid, insbesondere ihr Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit.

Kritisch setzt Hösl sich mit der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs auseinander. Der nämlich 1988 die HIV-Infektion eines andern als „Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ bewertete (BGHSt Band 36, S. 1 ff).

Angesichts der Entwicklung der medizinischen Kenntnisse und Behandlungen seit den 80ern könne heute der ungeschützte Geschlechtsverkehr schlechterdings nicht mehr eine „das Leben gefährdende Behandlung“ darstellen.

Es mag sich um (einfache) versuchte Körperverletzung handeln, jedoch keinesfalls um eine (versuchte) gefährliche Körperverletzung.

Zur Sicherungsverwahrung

Deutliche Worte findet Rechtsanwalt Hösl zu der vom Landgericht angeordneten Sicherungsverwahrung. Weder liege ein „Hang“ vor, noch sei die Legalprognose ungünstig, geschweige denn sei die Sicherungsverwahrung vorliegend verhältnismäßig.

Er kritisiert unter anderem, dass hier ein biologischer Vorgang, nämlich der einvernehmliche Geschlechtsverkehr ohne Kondom, als Anknüpfungspunkt für eine potentiell lebenslange Freiheitsentziehung dienen soll.

Im übrigen habe es seine Mandantin auch nicht in der Hand, ob ein Geschlechtspartner ein Kondom benutzt oder nicht. Dies sei letztlich (Lebens-)Risiko der betroffenen Männer.

Das Landgericht habe es auch unterlassen, sich mit der nach wie vor bestehenden Stigmatisierung von Menschen mit HIV näher auseinander zu setzen, denn diese könnte möglicherweise dazu geführt haben, dass Frau Schmid nicht von sich aus die Männer auf ihre bestehende HIV-Infektion hingewiesen habe.

In der Nicht-Offenbarung, bzw. Nicht-Verwendung eines Kondoms eine „erhebliche kriminelle Energie“ erblicken zu wollen, halte verfassungsrechtlicher Prüfung nicht stand.

Bundesgerichtshof verwirft Revision

Mit am 27.04.2015 Frau Schmid zugestelltem Beschluss hat der 3. Strafsenat die Revision als unbegründet, und ohne dies näher auszuführen, verworfen. Ihr Rechtsanwalt erwägt nun gegen diese Entscheidung, wie auch gegen das landgerichtliche Urteil Verfassungsbeschwerde zu erheben.

Kritischer Ausblick

Der Fall von Frau Schmid zeigt, wie niedrig Gerichte die Schwelle zur Verhängung der Sicherungsverwahrung ansetzen. Einer Maßregel, die mit Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933 von den Nationalsozialisten erstmals in das deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen wurde (und deren Einführung schon Kurt Tucholsky vehement zu verhindern suchte, vgl. „Die Weltbühne“ 1928, S. 839). Heute bedeutet Sicherungsverwahrung vielfach eine lebenslängliche Verwahrung – bis zum Tod.

Wenn dann, wie in der Zeit 2010 – 2011, zahlreiche Verwahrte aus formalen Gründen auf freien Fuß kommen, wiewohl ihnen eine in der Regel exorbitant hohe Rückfallgefahr attestiert wurde, und über 50 % gar nicht mehr „rückfällig“ werden, nur ein geringer Teil, im unteren einstelligen Prozentbereich, erneut „einschlägige“ Taten begeht und so die These von der „Allgemeingefährlichkeit“ der Verwahrten faktisch widerlegt wird, fragen sich die Betroffenen, weshalb diese praktischen Erfahrungen sich nicht im Vollzugsalltag niederschlagen.

Nach wie vor wird auf Verwahrung gesetzt. Urteile wie die des LG Oldenburg lassen den Verdacht aufkommen, dass die Gefängnisse mit allen Mitteln gefüllt werden sollen, und – mit sonderbarsten Begründungen – für eine Verurteilung herhalten müssen.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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