Auch Gefangene zahlen für Strom – Abzocke pur?

Das Leben im Gefängnis ist keine „all-inclusive“ Veranstaltung, denn die Justizverwaltungen bemühen sich, Inhaftierte für alle möglichen Leistungen zur Kasse zu bitten.

Im folgenden Beitrag soll es um die Stromkostenbeteiligungen im baden-württembergischen Justizvollzug gehen.

Rechtslage

Schon vor über 10 Jahren stellte das Oberlandesgericht Karlsruhe (Az.: 1 Ws 194/01, 23.05.2002) fest, dass ungeachtet einer konkreten strafvollzugsrechtlichen Regelung, Gefangene zivilrechtlich verpflichtet seien, für die von ihnen verbrauchte Energie zu bezahlen. Rechtsgrundlage sei das bestehende privatrechtliche Verhältnis gemäß § 151 BGB. Zwischenzeitlich wurde im Zuge der Föderalismusreform die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder übergeleitet und so findet sich seit 2010 im Justizvollzugsgesetzbuch-1 für Baden-Württemberg die Regelung, dass Gefangene an den Betriebskosten der in ihrem Besitz befindlichen Geräte beteiligt werden können ( § 9 Abs. 2 JVollzGB-1).

Stromkostenerhöhung zum 01.01.2014

Zum 01.01.2014 wurde durch Erlass des Justizministeriums in Stuttgart die Stromkostenbeteiligung erheblich erhöht, stellenweise verdoppelt.

Beispiele: bis zum 31.1.2.2013 fielen für den Wasserkocher monatlich 1,55 Euro, für den Kühlschrank 2,69 Euro und eine Kaffee-Maschine 1,55 Euro an. Ab dem 01.01.2014 wurden für den Wasserkocher 2,50 Euro, den Kühlschrank 4,86 Euro und die Kaffee-Maschine 2,50 Euro monatlich ab gebucht.

Streit um die „Beteiligung“

Seit Januar 2014 streiten sich Inhaftierte, darunter auch ich selbst, mit den Vollzugsanstalten um den Begriff der Stromkosten-Beteiligung. Eine gute Freundin machte mich auf eine Entscheidung des OLG Hamburg vom 04.02.2011 (http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?show…) aufmerksam. Dort entschied das Gericht, der Begriff der „Beteiligung“ bedeute denknotwendig, dass die von den Inhaftierten abverlangten Beträge unter den der JVA real entstandenen Kosten liegen müssten.

Landgericht Freiburg 04.07.2014 – Teil 1

Mit Beschluss vom 04.07.2014 (Az. 13 StVK 47/14) verwarf das Gericht meinen Antrag gegen die Stromkostenrechnung für Januar 2014 als unbegründet, da keinerlei Ermessenfehler der JVA erkennbar wären. Dieser Beschluss, wie weitere im Folgenden genannte Unterlagen sind als PDF-Dateien in diesem Artikel als Anhang zu finden.

Oberlandesgericht Karlsruhe 20.08.2014 – Teil 1

Auf immerhin acht Seiten bescheinigte das OLG der ersten Instanz, wie auch der JVA erhebliche Rechtsfehler

Das Gesetz sehe lediglich eine Beteiligung an den Stromkosten vor, dies verbiete von Inhaftierten Beträge zu verlangen, die über den Realkosten liegen. So mokierte das OLG, dass die JVA Freiburg ihrem Stromtarif 0,29 Euro/kWh zugrunde lege, obwohl ich bestritten hatte, dass der Anstalt als Großkundin ein solcher Tarif ihres Energielieferanten in Rechnung gestellt werde. Ferner merkte das Gericht an, es bestehe ein verfassungsrechtlich     abgesicherter Grundbedarf, z.B. auf heißes Wasser, so zu prüfen sei, ob man den Wasserkocher überhaupt berechnen dürfe.

Folglich hob das OLG den LG-Beschluss auf und gab die Sache an das LG zurück zur neuen Entscheidung.

Landgericht Freiburg 30.03.2015 – Teil 2

Nachdem nunmehr das LG prüfte, welche Stromkosten der JVA realenstanden sind (sie zahlt 18,9 Cent an ihren Energierversorger/kWh), beanstandete mit Beschluss vom 30.03.2015 (13 StVK 47/14) der Richter nunmehr zumindest die Abrechnungen für Kühlschrank und Wasserkocher, hielt jedoch die 2,50 Euro/Monat für die Kaffeemaschine für angebracht.

Oberlandesgericht Karlsruhe 23.06.2015 – Teil 2

Jetzt erhielten die drei OLG-Richter, unter Vorsitz des Herrn Endress erneut Gelegenheit sich mit der Frage der Stromkostenbeteiligungen zu beschäftigen.

In einem stellenweise etwas ungehalten klingenden, immerhin sieben Seiten umfassenden Beschluss (Az. 2 Ws 156/15, vom 23. Juni 2015) beanstandete das OLG erneut die Vorgehensweise des Landgerichts und sah sich auch zu grundlegenden physikalischen Erläuterungen veranlasst („Die Energie, die für die Erhitzung von einem Liter Wasser von etwa 20 Grad auf 100 Grad benötigt wird, ist stets konstant“) und fand es erstaunlich, dass das Landgericht, der JVA darin folgend, davon ausgehe, eine Kaffeemaschine verbrauche fast doppelt soviel Strom wie ein Wasserkocher, wo doch das OLG Hamburg (a.a.O.) genau das Gegenteil annahm.

Abschließend merkte in einem Hinweis der Senat an, es sei – wie von mir beantragt – zumindest nicht ausgeschlossen, dass über den Rechtsstreit vom Gericht in einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung zu verhandeln sei, da ein solcher Anspruch auf Artikel 6 EMRK begründet werden könnte.

Leicht pikiert lautete der letzte Hinweis der drei OLG-Richter, der Richter der 1. Instanz möge künftig den von ihm erlassenen Beschluss unterzeichnen, damit man wisse, wer eine Entscheidung getroffen habe und schickte den Vorgang erneut ans Landgericht zurück.

Justizministerium und Vollzugsanstalt reagieren

Zum 01.08.2015 wurden nun erstmalig, die Stromkostenbeteiligungen für alle Inhaftierten des Landes gesenkt.

So kostet der Strom für den Kühlschrank 3,00 Euro (zuvor 4,86 Euro), für den Wasserkocher fallen 0,50 Euro (zuvor 2,50 Euro) und die Kaffee-Maschine 1,00 Euro (zuvor 2,50 Euro) an.

Landtag prüft Petition

Der Landtag von Baden-Württemberg (petitionen@landtag-bw.de) prüft nunmehr, ob allen Inhaftierten des Landes die zu viel bezahlten Stromkostenbeteiligungen seit dem 01.01.2014 zurückzuerstatten sind (Petition Nr. 15/05383). Denn faktisch hat das Land zu Unrecht zehntausende von Euro vereinnahmt- und das von Inhaftierten, die in der Regel nicht über das Wissen, oder die notwendigen finanziellen Mittel verfügen, um gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen.

Bislang weigern sich die Vollzugsanstalten, so auch die Leitung der JVA Freiburg, jenen Inhaftierten die nicht vor Gericht gezogen waren, die zu viel bezahlten Beteiligungen zurück zu erstatten.

Nebenschauplätze

Die Staatsanwaltschaft Freiburg hatte auf Strafanzeige hin ermittelt, ob sich Bedienstete der JVA strafbar gemacht haben könnten, weil sie zu hohe Stromkostenbeteiligungen von den Gefangenen verlangt hatten.

Die Staatsanwaltschaft stellte nur wenige Monate später das Verfahren ein (220 Js 13861/15), da weder Betrug, noch Untreue bejaht werden könnten. Eigenwillig mutete an, dass der ermittelnde Staatsanwalt die Erklärung eines der Beschuldigten wörtlich in die Einstellungsverfügung übernahm und diese Äußerung des Beschuldigten dann die Begründung für die Einstellung darstellte. In der eingangs erwähnten PDF-Datei findet sich die Originalverfügung der Staatsanwaltschaft.

In einem Parallelverfahren zu der Stromkostenthematik, denn aus rechtlichen Gründen muss man jeden Monat gegen die jeweils erfolgte Stromkostenabbuchung Klage einreichen, hatte der Leiter der Wirtschaftsverwaltung der JVA Freiburg dem Landgericht einen kompletten Kontoauszug meiner Person überreicht, aus welchem sich ergab, wer mir wann Geld zugeschickt hatte, welche Rechnungen ich bezahlte und welche sonstigen Ausgaben zu begleichen waren.

Eigentlich sollte auch für inhaftierte das Grundrecht auf Datenschutz („informationelle Selbstbestimmung“) gelten, weshalb ich beantragt hatte festzustellen, dass die Übermittlung eines vollständigen Kontoauszugs rechtswidrig war. Im ersten Anlauf billigte der promovierte Richter Dr. G. vom LG Freiburg (13 StVK 71/14) die Vorgehensweise der JVA. Das hiergegen angerufene OLG Karlsruhe (2 Ws 245/14)hob den Beschluss am 10.11.2014 auf und wies darauf hin, dass die JVA schließlich die nicht relevanten Daten auch hätte schwärzen können.

Nun kam das Landgericht nicht mehr um hin die beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit auszusprechen (Beschluss vom 26.06.2015, Az.: 13 StVK 71/14). Auch diese Beschlüsse finden sich in der PDF-Datei zum Nachlesen.

Resümee

Wir haben gesehen, es ist ein langwieriger, mühseliger Weg, sich gegen Rechtsverletzungen die durch Bedienstete der Vollzugsanstalten begangen werden, vor Gericht zu wehren.

Mal gewinnt man, mal verliert man – und stets lässt man sich auf jene Form der Auseinandersetzung ein, die der Staat den Bürgerinnen als „Spielwiese“ zur Verfügung stellt. Irgendein Unrechtsbewusstsein auf Seiten der Vollzugsbediensteten war zu keinem Zeitpunkt zu spüren (man kann deren Schriftsätze selbst in der PDF-Datei nachlesen). Kaum ein Gefangener nimmt deshalb, selbst wenn es ihm einen finanziellen Vorteil brächte, den Rechtsweg in Anspruch

Politisch ist es eine sehr zwiespältige Angelegenheit sich der Waffen dieses Staates zu bedienen, um gegen dessen Organe der Exekutive vorzugehen; und mich selbst kostet es stets aufs Neue Überwindung diese Möglichkeiten zu nutzen, denn ich sehe und spüre diesen inneren Widerspruch

Trotzdem kann es richtig und wichtig sein – vorliegend sieht man an der Änderung im Bereich der Stromkosten, dass nun viele tausend Gefangene in Baden-Württemberg einen unmittelbaren finanziellen Vorteil durch die gerichtlichen Entscheidungen haben werden.

Thomas Meyer-Falk c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com
http://www.freedom-for-thomas.de

Zwei Jahre Sicherungsverwahrung

An einem sonnigen Juli-Tag vor zwei Jahren wurde ich in einem vergitterten Gefängnisbus von der JVA Bruchsal (jva-bruchsal.de) in die JVA Freiburg (jva-freiburg.de) überführt. Um Mitternacht, des 8. Juli 2013 hatte die Sicherungsverwahrung begonnen.

Was ist Sicherungsverwahrung (SV)?

Eingeführt 1933 von den Nationalsozialisten, ermöglicht die SV dem Staat Menschen über das Ende der Strafhaftzeit hinaus so lange in einem Gefängnis zu verwahren, wie der/die Gefangene vorgeblich eine „Gefahr für die Allgemeinheit“ darstellt. Die §§ 66 ff. StGB, die das Recht hinsichtlich der Anordnung der SV regeln, wurden in den letzten Jahren einer auch für Fachleute kaum noch zu überblickenden Art und Weise geändert. Im Regelfall ist es zumindest seit 2011 durchaus so, dass sich in den SV-Anstalten unter den aktuell rund 500 Verwahrten in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend Sexualtäter befinden, rund 70-80%, bei den übrigen Untergebrachten handelt es sich um wegen Körperverletzung, Raubes, Totschlag, Brandstiftung und in Einzelfällen auch wegen Drogendelikten verurteilte Personen. Fast alle sind männlichen Geschlechts.

Der Vollzugsalltag

Während die Strafgefangenen in Bruchsals Gefängnis die meiste Zeit des Tages in ihren Zellen weggeschlossen waren und sind, ist es in der SV üblich, und auch von den jeweiligen Landesgesetzgebern so geregelt, dass die Hafträume (die allerdings offiziell tatsächlich „Zimmer“ heißen, was die Betroffenen als zynisch erleben) von morgens bis spätabends geöffnet zu sein haben. Das ist eine erhebliche Umstellung, da man plötzlich wieder lernen muss die Tage in sozialer Gemeinschaft zu verbringen und nicht mehr oder weniger isoliert alleine in seiner Zelle.

Wer möchte, kann an arbeitstherapeutischen Maßnahmen ebenso teilnehmen, wie in Arbeitsbetrieben z.B. Akkordarbeit für Drittfirmen verrichten.

Ansonsten ist man im Vollzugsalltag primär sich selbst überlassen, wer nicht in der Lage ist seine Tage selbst zu strukturieren, der lebt so vor sich hin. Es gibt also auch jene, die die Tage durchschlafen, nachts fernsehen, oder vor ihrer Spielekonsole sitzen und sich in die fiktionalen Geschichten dort flüchten.

Die Therapie

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem spektakulären Urteil 2011 verlangt, dass künftig der Vollzug der SV nicht die bloße Verwahrung zum Inhalt haben dürfe, sondern durch therapeutische Maßnahmen, alsbald eine Freilassung sicherzustellen sei; nur in absoluten Einzelfällen sei eine Verwahrung bis zum Tod denkbar.

Dieser „therapeutische Optimismus“ wurde in der Fachwelt stellenweise kritisiert; bekannteste Kritikerin dürfte Frau Dipl.Psych.in Preusker (ehemals JVA Straubing/Bayern) sein, die in diversen Publikationen pointiert fordert: „Lasst sie niemals frei“ (so auch der Titel eines Aufsatzes von ihr im FOCUS).

In Freiburgs SV wird neben therapeutischen Einzelgesprächen, auch ein Gruppenangebot gemacht. Bspw. das BPS: ein Behandlungsprogramm für Sexualdelinquenten. Bis zu 10 Gruppenteilnehmer verbringen circa 1 1/2 Jahre wöchentlich ein-zwei Sitzungen gemeinsam, um mit den Therapeutlnnen in einem tatunspezifischen Teil grundlegende Fragen der Sozialkompetenz, der Eigen- und Fremdwahrnehmung oder Geschlechterstereotype zu behandeln.

In einem tatspezifischen Teil müssen die Teilnehmer ihre Sexualtaten, deren dynamische Entstehung, deren Verlauf und die heutige Einstellung dazu reflektieren.

Das Gegenstück zum BPS ist das Behandlungsprogramm für Gewalttäter (BPG); wobei dieses, mangels ausreichender Zahl an Sicherungsverwahrten, in Kooperation mit Strafgefangenen stattfindet. Daneben wird kunsttherapeutisch (Maltherapie) gearbeitet oder in einer „Suchtgruppe“ die Abhängigkeit von Drogen bzw. Alkohol bearbeitet.

Der Vollzugsalltag wird etwas euphemistisch als „milieutherapeutische Arbeit“ verklärt; dies bedeutet, auf den Therapiestationen essen Beamtinnen und Beschäftigte der Fachdienste gelegentlich zusammen mit den Bewohnern, es werden Spieleabende veranstaltet und wöchentlich eine (verpflichtende) Stationsversammlung.

Die Missstände

In den vergangenen Jahren habe ich ausführlich über die unterschiedlichsten Herausforderungen hier aus dem Vollzug der Sicherungsverwahrung der JVA Freiburg berichtet.

Die Spannbreite reicht von -scheinbaren Kleinigkeiten- dem Verbot des Besitzes zuvor in der JVA Bruchsal teuer erworbener Nagelscheren oder Teegläsern, über die indiskutable Praxis der Kleingruppenisolation, dem bloßen „Sich-selbst-Überlassen“ retardierter und ernstlich kranker Gefangener, bis hin zu diversen Todesfällen.

Scheinbare Kleinigkeiten

Für die Leserin oder den Leser dieses Beitrages ist die Nutzung einer Nagelschere wohl etwas Alltägliches; hier in der SV-Anstalt gilt sie als eine gefährliche potentielle Waffe. Was deshalb skurril anmutet, weil im vorangegangenen Strafvollzug in der JVA Bruchsal, die hiesigen Verwahrten problemlos Nagelscheren kaufen und besitzen dürfen bzw. durften.

Angesichts der zahlreichen Restriktionen, die Menschen in jeder Haftanstalt unterliegen, ist jede Form zusätzlicher Beschränkung besonders ärgerlich.

Selbst Rasierwasser, das Verwahrte zuvor in Bruchsals Gefängnis teuer kaufen konnten, wird ihnen hier in der SV dann verboten.

Ein Verwahrter, der aus der JVA Schwalmstadt nach Freiburg verlegt wurde, staunte nicht schlecht, als man ihm hier seinen großen Fernseher und den Besitz der X-Box, nebst PS-3 verbot – obwohl er doch alles dort in der hessischen JVA gekauft und in Besitz hatte.

Kleingruppenisolation

Während es in anderen Bundesländern ganz normal ist, dass sich Sicherungsverwahrte in der Einrichtung frei bewegen und gegenseitig besuchen, sind in Freiburg die SV-Stationen hermetisch voneinander getrennt. Nur zu festgesetzten Zeiten kann man einander besuchen; und wer auf der „Station 2“ wohnt, auch nur dann, wenn er eine Woche im Voraus einen begründeten, schriftlichen Antrag stellt, der dann, sofern er bewilligt wird, zu einem einmaligen Besuch auf einer der anderen drei SV-Stationen berechtigt.

Verwahrte, die sich mitunter seit Jahrzehnten kennen, werden so voneinander fern gehalten, alles unter dem Blickwinkel: Therapie und Sicherheit. Angeblich soll so verhindert werden, dass Verwahrte einander schädlich beeinflussen oder drangsalieren.

Sich-selbst-Überlassen retardierter Verwahrter

Man muss nichts beschönigen: in der Sicherungsverwahrung treffen wir vielfach auf Menschen, die verhaltensoriginell agieren (Psychiater würden von Persönlichkeitsstörungen sprechen).

In all der Buntheit und Vielfalt sonderbarer Verhaltensmuster strahlt der Vollzugsalltag. Aber selbst hier gibt es dann Menschen, die besonders hervor stechen; die, sich selbst überlassen, in ihren Zellen vermüllen, die sich regelmäßig einkoten, die Notdurft in das Waschbecken verrichten, die, die ohne Unterbekleidung über den Flur irren, die nachts über Stunden wie ein (einsamer) Wolf heulen, die mit sich selbst lautstark sprechen.

Bei zwei Mitverwahrten reinigt ein anderer Verwahrter wöchentlich mindestens einmal, meist mehrfach die jeweilige Zelle, richtet ihnen die Wäsche und übernimmt gewissermaßen pflegerische Funktionen. Ein irgendwie gesteigerter Betreuungsaufwand durch das JVA-Personal konnte bislang nicht beobachtet werden.

Dann bleibt es nicht aus, dass solche Menschen sterben, so wie Karl am 11.11.2014, der über Wochen mit wunden Füßen und Beinen über den Flur schlich, zuletzt dann auch ohne Unterbekleidung, da sein Hoden abnorm vergrößert war.

Mitverwahrte waren und sind der Ansicht, hier wurde ein Mensch sehenden Auges sich selbst überlassen (noch ermittelt die Staatsanwaltschaft Freiburg u.a. gegen den Leiter der Anstalt wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen).

Todesfälle

Nicht nur Fälle wie jene von Karl bewegen dann besonders die Bewohner hier, sondern auch der plötzliche Tod von Mario am 19.01.2014, der tot im Freizeitraum aufgefunden wurde, oder jener von Reinhold. Der starb zwar in Freiheit, aber er wurde erst entlassen, nachdem er fast 10 Jahre in der SV zugebracht hatte und man ihm einen Unterschenkel amputierte. Weitestgehend unbeweglich im Rollstuhl sitzend verbrachte er die Monate bis zu seinem Tod in einer Wohnung.

In der Zelle, in der ich lebe, ist wenige Monate vor meinem Einzug ein Insasse tot aufgefunden worden.

Gerade weil hier weitere Mitverwahrte krank sind, über 60 oder über 70 Jahre, einige sehr übergewichtig (bis zu 200 kg), oder auch anorektisch, muss mit weiteren Todesfällen gerechnet werden.

Sicherlich gehört das Sterben zum Leben dazu, auch hinter Gefängnismauern. Nur geht selbst der juristische Leiter der Anstalt, Oberregierungsrat R. davon aus, dass jährlich lediglich ein bis zwei Verwahrte entlassen werden. Simple Mathematik lässt einen dann zu dem Schluss kommen, dass das bedeuten wird, ein Großteil der jetzigen Insassen muss hier sterben. Denn ein heute 60, 65 oder 70 jähriger Insasse wird wohl kaum noch 10, 15 oder 20 Jahre leben.

Die Hoffnung

Trotz der Allgegenwart des Todes flammt immer wieder der Funken Hoffnung auf; die Vorstellung vieler, zu jenen Glücklichen zu gehören, die eines Tages vielleicht doch lebend die Anstalt Verlassen, lässt sie durchhalten und vieles aushalten.

Sicherungsverwahrung schließt sich an den Strafvollzug an, d.h., alle Insassen haben die ihnen zugemessenen Strafen voll verbüßt, sitzen also jetzt nicht (mehr) zur Strafe ein, auch wenn der Vollzugsalltag sich kaum von dem im Strafvollzug unterscheidet. Und sie wissen, wenn sie sich therapeutischen Maßnahmen entziehen, sinken die Chancen gegen Null jemals auf freien Fuß zu kommen. Also versuchen sie die Hoffnung am Leben zu halten.

Ausblick

Bald 20 Jahre befinde ich mich ununterbrochen in Haft, davon die erste Dekade in Isolation. Diese Zeit zu überstehen ist mir wesentlich dadurch gelungen, weil es stets solidarische Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen gab und nach wie vor gibt. Die schreiben, mich besuchen, helfen, wo sie können. In diesem Punkt geht es mir ungleich besser als den meisten der Mitverwahrten, auf die niemand wartet, die niemand besucht, denen keiner schreibt.

Da ich 1997 verurteilt wurde, also vor einer mittlerweile berüchtigten Reform der CDU-FDP-Koalition im Jahre 1998, als man die Dauer der erstmaligen Unterbringung in der SV von maximal 10 Jahren auf faktisch „lebenslang“ erhöhte, baue ich darauf, am 07. Juli 2023 entlassen zu werden. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte in mehreren Urteilen seit 2009, dass diese Praxis der BRD gegen die Menschenrechte verstoße: rückwirkend dürften Strafen nicht erhöht werden. Und nach Ansicht des EGMR handele es sich bei der Sicherungsverwahrung um Strafe, da diese in einem Gefängnis, unter strafvollzugsähnlichen Bedingungen vollzogen werde. Mich dem therapeutischen Diktat zu unterwerfen, das ist keine Option für mich; auch wenn das Landgericht Freiburg wissen ließ, eine Freilassung vor 2023 sei dann recht unwahrscheinlich. Auf dieser Rechtslage des EGMR bauen, bedeuten nicht, ihr zu vertrauen, denn Gerichten können wir nicht vertrauen, sie sind staatliche Organe. Faktisch bleibt mir jedoch zurzeit nichts anderes übrig. So werde ich ab 21. 9. 2015 die Haft sinnvoll nutzen, um das Abitur nach zu holen und besuche die Gefängnisschule.

Es kommt nicht nur darauf an frei zu kommen, sondern auch auf den Weg der dorthin führt.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8
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Hungerstreik beendet – ein Rückblick

In der JVA Freiburg kam es im Juli 2015 zu einem Hungerstreik (HS) zweier Sicherungsverwahrter, der zuletzt, nachdem ein Verwahrter seinen Protest beendet hatte, daran gipfelte, dass der verbliebene Verwahrte entmündigt werden sollte und zwangsweise in das Gefängniskrankenhaus verlegt wurde https://linksunten.indymedia.org/de/node/148745 .

Der Anlass für den Protest

erst hatte Herr P. Mit seinem Hungerstreik begonnen, primär aus Verärgerung über seine eigene konkrete Situation: so wurde eine Ausführung zu seiner Partnerin vorzeitig abgebrochen und er vermutete insbesondere seitens des Vollzugsleiters, des Diplom-Sozialpädagogen G. sinistre Machenschaften. Anstatt sich auf eine baldige Freilassung einrichten zu können, sah sich P. plötzlich mit der Aussicht konfrontiert mindestens einige Jahre hier in der Sicherungsverwahrung zubringen zu müssen.

Am Morgen nach beginn des HS von Herrn P. Schloss sich Herr H. dem an und beide thematisierten die desolate Haftsituation in der Sicherungsverwahrung, die nicht geprägt sei von einem motivierenden Behandlungsvollzug, sondern von dauerhafter Verwahrung – trotz einschlägiger Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Der Verlauf des Hungerstreiks

Die JVA begann das Gewicht von H. und P. zu dokumentieren, insbesondere jedoch die Verweigerung der Anstaltskost.

Nachdem dann auch die Lokalpresse des HS aufgriff, sich im gesamten SV-Gebäude eine gewisse Unruhe bemerkbar machte, kam es auf den vier Stationen der SV-Anstalt zu Sonderkonferenzen, an welchen die führenden Mitglieder der Anstaltsleitung teilnahmen; jedoch ohne konkretes Ergebnis. Man hörte sich die Beschwerden der Verwahrten an und machte weiter wie bisher. Unter den Mitverwahrten gab es jene die sich in einer Erklärung solidarisierten (20 Verwahrte unterzeichneten), aber auch jene die sagten: „ So was bringt doch eh nix!“.

Herr P. hörte auf zu hungern und Herr H. wird verlegt

Nachdem Herr P. aus gesundheitlichen Gründen seinen HS beendete, wurde kurz danach Herr H. zwangsweise morgens um 6:30 Uhr aus der Zelle geholt und ins Gefängniskrankenhaus verlegt. Wie er später nach seiner Rückkehr in die SV-Anstalt berichtete, seien drei Beamte in seine Zelle eingedrungen und nachdem er es abgelehnt habe ‚freiwillig‘ mitzukommen, habe Amtsinspektor H. ihn auf das Zellenbett gestoßen, fixiert, die Arme auf den Rücken gezerrt, was so schmerzhaft gewesen sei, dass er befürchtete man habe ihm den Arm ausgekugelt. Danach seien ihm Hand- und Fußketten angelegt worden. Im weiteren Verlauf des Abtransports habe ihm dann Amtsinspektor H. die mit den Kampfhandschuhen ‚geschützte‘ Hand so fest auf Mund und Nase gepresst, dass er keine Luft mehr bekommen habe. Nur durch ruckartiges Bewegen des Kopfes habe er kurz den Mund frei bekommen um laut um Hilfe rufen und nach Luft schnappen zu können.

Vollzugskrankenhaus Hohenasperg (bei Stuttgart)

Nach rund zwei Stunden Fahrt wurde H. am 16.07.2016 in der ‚Inneren‘ des Gefängniskrankenhauses eingeliefert, wo man, so H. erstaunt gewesen sei, da man gar nicht gewußt hätte, was er hier solle. Das Trinken verweigerte er nun auch; dies hatte er im Vorfeld für den Fall der ‚Verschleppung‘ angekündigt. Erst in Gesprächen mit den ÄrztInnen, PflegerInnen, aber insbesondere seiner Verteidigerin und Prof. Dr. W. vom Stuttgarter Justizministeriums am 17.07.2015 entspannte sich die Situation. Seiner Kritik an den Zuständen in der SV sei nie widersprochen worden; Herr Prof. W. habe darauf hingewiesen, dass gerade für Freiburgs JVA zusätzliche Gelder für Personal in einem Nachtragshaushalt eingeplant worden seien.

Irgendwelche konkreten Zugeständnisse wurden ihm nicht gemacht. Dennoch beendete er am Vormittag des 17.07.2015 seinen Hunger- und Durststreik; bis zum 24.07.2015 verblieb er dann im Gefängniskrankenhaus, da man dort erst eine gewisse Gewichtszunahme habe sehen wollen.

Resümee

Medial war der HS in der Badischen Zeitung, Radio Dreyeckland , sowie im SWR (Radio und Fernsehen) präsent und es kam auch die Kritik der Hungerstreikenden zu Wort. Ob der Protest letztlich einen Anstoß gegeben hat, irgendwelche Maßnahmen zu beschleunigen, muss die Zukunft zeigen. Wie leicht es die Justiz hat, wenn nur ein oder zwei Gefangene protestieren, und das ohne solch eine breite Solibewegung wie bspw. kürzlich in Berlin Gülaferit Ünsal und ihrem fast zwei Monate dauernden HS, wurde vorliegend deutlich: denn einen Hungerstreikenden zu versuchen zu entmündigen (§ 1896 BGB) und dann zwangsweise und gegen seinen Willen gewaltsam in ein Gefängniskrankenhaus zu verlegen, das kann sich eine Verwaltung nur erlauben, wenn sie sich relativ sicher ist, dass es keine solidarische Begleitung durch Dritte gibt.

Andererseits zeigte sich jedoch auch, wie intensiv die Reaktionen im Justizapparat ausfielen, es also durchaus die Möglichkeit gibt etwas in Bewegung zu setzen.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str.8, D-79104 Freiburg

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