Hier das Interview mit Thomas vom Februar. Er berichtet u.a. vom „vorweihnachtlichen Stress“ im vergangenen Jahr und über die Solidarität zu und mit anderen Gefangenen.
https://www.freie-radios.net/93623
Hier das Interview mit Thomas vom Februar. Er berichtet u.a. vom „vorweihnachtlichen Stress“ im vergangenen Jahr und über die Solidarität zu und mit anderen Gefangenen.
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Zuerst erschienen in: Bruchstellen, Nr. 42, Österreich
„Solidarität ist eine Waffe“, so das Motto der zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen noch nicht verbotenen Roten Hilfe e.V. in Deutschland, auch wenn deutsche Repressionsbehörden, so man Berichten in der taz und FAZ Glauben schenken mag, eifrig an einem etwaigen Verbot arbeiten.
Solidarität ist jedoch nicht nur eine Waffe, sie ist mehr, viel mehr: sie bedeutet, an der Seite von Menschen zu stehen, mit ihnen zusammen, auch wenn der Wind in Orkanstärke von vorne ins Gesicht bläst, wenn das Tränengas einen fast kotzen lässt, das die Polizei mal wieder versprüht. Solidarität meint, Menschen zu stützen, wenn sie bedrängt werden, sich vor, hinter und an ihre Seite zu stellen.
Solidarität ist lebendiges, lebensbejahendes Leben; nicht das isolierte Individuum das sich selbst überlassen bleibt und vom Kahn hinunter ins tosende Meer gestoßen wird um zu ersaufen, sondern gemeinsam an einer neuen Zukunft zu arbeiten. Denn das ist Solidarität gleichfalls: Arbeit! Sie ist anstrengend, fordernd, kräftezehrend – und genau dies, und all das zusammen kann sie so befriedigend und erfüllend machen.
Wie ist es nun um die Gefangenensolidarität bestellt? Wenn ich auf die letzten 20 Jahre zurückschaue, also sehr subjektiv gefärbt, dann beobachte ich eine Wellenbewegung. Auf ein Tal folgt eine Anhöhe und dieser wieder ein Tal. In den 90er und 2000er Jahren begannen sich zunehmend wieder Anti-Knastgruppen zu bilden, nach anarchistischen Grundsätzen. Ich denke nicht nur an ABC, sondern auch an LOM (Libertad o muerte), die Anti-Knast-Gruppe Bielefeld und viele andere Gruppierungen. Heute sind neben (mittlerweile wieder sehr wenigen) ABC-Gruppen, dem „gefangenen-info“-Projekt, der Gefangenengewerkschaft GG/BO, Roter Hilfe im deutschsprachigen Raum nur wenige sonstige Gruppen aktiv. Und selbst die namentlich hier aufgezählten leiden in der Regel an personellem Schwund.
Die Bereitschaft sich zu engagieren scheint zudem mit zunehmendem Alter zu schwinden, wer noch mit 18, 20, 25 sehr aktiv ist, kehrt oft mit 30 oder 35 ins bürgerliche Leben ein und zieht sich von emanzipatorischen Bewegungen zurück (das betrifft selbstredend nicht alle).
Misslich aus Gefangenensicht: Immer weniger Menschen sind bereit sich offen zu bekennen, schreiben nur noch anonym, oder unter Pseudonym, wenn überhaupt! Dabei ist gerade Post der elementare Lebensfaden für die Gefangenen, die sie mit dem Leben vor den Mauern in Verbindung hält.
Selbst jene, die in politischen Zusammenhängenden aktiv sind, scheuen sich Gefangene zu besuchen, denn dort könnte ja die Justiz ihre Personalien abgreifen und Mensch wäre fürs Leben gebrandmarkt. Eine im Regelfall überflüssige Sorge; im Regelfall deshalb, weil wer später mal im Staatsdienst arbeiten möchte durchaus in Einzelfällen Gefahr laufen kann, dass so ein Besuchskontakt in irgendeiner VS-Datei landet und hervorgezaubert wird. Das sind aber Einzelfälle.
Aber auch ganz handfeste materielle Hilfe unterliegt diesen Wellenbewegungen; oder auch die Proteste vor den Knastmauern. Zwar gibt es erfreulicherweise immer regelmäßiger die Knastdemos an Silvester aber eben fast nur an Silvester. Quasi der „Muttertag“ der Linken, wenn ich es mal böse formulieren mag, mensch erinnert sich und andere daran, dass da doch irgendwas ist, um dann 364 Tage des Restjahres wieder in Schweigen zu verfallen.
Ähnliches bekomme ich immer wieder auch von jenen rückgemeldet, welche sich selbst seit Jahren aktiv in Anti-Knastgruppen einbringen, oder auch resigniert aufgeben und sich ins Private zurückziehen. Mitunter hängen Projekte an einem oder an zwei Menschen; spontan fällt mir die Sendung des Knastradios auf Radio Flora, moderiert von Wolfgang, ein: er ist über 60 Jahre und seit den 70ern Aktivist, wenn er mal nicht mehr unter uns weilen sollte, wird’s schwer. Oder hier in Freiburg: die Soligruppe der GG/BO war zu Anfang voller Elan, um dann alsbald sich in alle Winde zu zerstreuen. Diese Extreme, hier die Langlebigkeit, dort das Aufflackern, bestimmen die Soliarbeit; wobei letztere besonders frustrieren.
Trotz allem gilt es beharrlich zu sein, jene die sich vor den Mauern solidarisch verhalten und auch hinter Gittern; Durststrecken müssen ausgesessen werden, denn von bloßem Jammern wird’s auch nicht besser.
Solidarität heißt Leben!
In diesem Sinne
Thomas Meyer-Falk
– in Haft seit 1996 –
https://freedomforthomas.wordpress.com
Der folgend näher geschilderte Fall von Herrn H. beschreibt sein nun bald zwei Jahre andauerndes Vorgehen gegen die JVA Freiburg, um endlich mit medizinischem Cannabis versorgt zu werden. Das zuständige Gericht hat nun zum dritten Mal gegen die Anstalt entschieden
Ich will endlich meine Medizin
Der 41-jährige Sicherungsverwahrte leidet an ADHS, dem sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom und wurde bis 2018 mit einem für erwachsene gedachten Ritalin-Produkt behandelt. Weil dieses zu Nebenwirkungen führt, u.a. Verlust des Hungergefühls, beantragte er 2017 die Verordnung von medizinischem Cannabis.
Die wurde lapidar abgelehnt, ohne Untersuchung und ohne dezidierte Begründung. Einige Monate später hob das LG Freiburg (Az.:13 StVK 304/17) mit Beschluss vom 23.01.2018 diese Entscheidung auf. Aber auch die nächste Verfügung der Anstalt fiel nicht günstig aus, aber auch diesmal verzichtete man auf eine ausführliche Begründung. Und so hob das LG am 08.05.2018 (Az.:13 StVK 148/18) selbige Verfügung auf, schon ein wenig genervt von der Renitenz der Anstalt.
Der Beschluss vom 17.01.2019
Auch im dritten Anlauf fiel der Anstalt nichts ein, was man nur halbwegs eine sachliche Begründung nennen könnte. Lapidar hieß es, Cannabis-Produkte seien nur bei Multipler Sklerose zugelassen, es sei „sicherlich nicht im Sinne der deutschen Justiz (…), Gefängnisinsassen (…) außerhalb einer regulären Zulassung zu Versuchszwecken“ ein Medikament zu Verabreichen. Mit Beschluss vom 17.01.2019 (Az.:13 StVK 242/18) hob das Gericht auch diese Entscheidung der JVA auf.
Dabei nahm das Gericht Kontakt mit der Kassenärztlichen Vereinigung auf und ließ sich bestätigen, dass gerade auch bei ADHS durchaus Cannabis-Medizinprodukte verordnungsfähig seien. Und so erklärte der Richter dem Anstaltsleiter zum dritten Mal, wie eine Prüfung des Antrags auf Verordnung zu bearbeiten und wie er zu bescheiden sei.
Zur Renitenz
Es waren Prof. Feest (Bremen) und Richter am OLG Lesting, die schon in den 80’er Jahren von „renitenten Vollzugsbehörden“ schrieben, also jenen Haftanstalten die ihr Bestes geben, um gerichtliche Entscheidungen nicht befolgen zu müssen. In einem Aufsatz von 2009 (in: Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70.Geburtstag, S.675-690) griffen die beiden Rechtswissenschaftler das Thema erneut auf: ‚Zur Wiederkehr des Themas der renitenten Strafvollzugsbehörde‘. Dort beschrieben sie diverse Fälle aus der Praxis, in welchen Haftanstalten, mitunter ganz offen, sich weigerten Gerichtsentscheidungen zu befolgen.
Für Insider, insbesondere Inhaftierte und mitunter auch deren Angehörigen oder AnwältInnen ist das kein außergewöhnliches Phänomen. Vorliegendes Verfahren ist ein weiterer Beleg. Gerichte geben ganz eindeutige Vorgaben wie zu prüfen sei – und die Anstalt ignoriert es schlicht. Würden Jura-StudentInnen in Klausuren solche ‚Leistungen‘ an der Universität abliefern, sie würden durch die Examina fallen, aber einmal in Lohn und Brot gelangt und Beamter/in geworden, lässt Mensch sich von Vielem beeindrucken, aber nicht von einer Gerichtsentscheidung. Auch nicht von deren zwei – ob nun die dritte Entscheidung etwas bewirkt, das steht in den Sternen.
Zur Lektüre ist der anonymisierte Beschluss als PDF angefügt:
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2019/02/Beschluss.pdf
Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg