Razzia in der JVA Freiburg – Intensivkontrolle im November

Am 18. November 2019, es war draußen noch dunkel, betraten drei Uniformierte meine Zelle in der JVA Freiburg und forderten mich auf mitzukommen. Ich dürfe nichts mitnehmen, es handele sich um eine „Intensivkontrolle“. Die drei Gefängnisbeamten eskortierten mich in den Keller der Anstalt, ich musste mich nackt ausziehen, nach dem Ankleiden ging es auf eine andere Station als zuvor.

 

 Das System der Intensivkontrollen

 

Im Knast geht es darum die BewohnerInnen unter Kontrolle zu halten, dies schließt die jederzeitige Durchsuchung der Körper der Menschen ebenso ein, wie der Räume in denen sie leben. Körper, wie Räume werden als Objekte behandelt, die letztlich Gefahrenräume oder Gefahrenherde darstellen. In Freiburg wird bei einer Intensivkontrolle die Zelle versiegelt, danach wird in akribischer Arbeit von den Gefängnisbeamten die Zelle leergeräumt und alles , wirklich alles genauesten durchsucht und durch den Röntgenapparat geschoben, um auch bloß nicht zu übersehen.

Wenn diese Arbeit getan ist, kommen die Elektriker und die Installateure. Sogar das WC wird dabei abgeschraubt! Zumindest hier in Freiburg ist das Standard.

 

Intensivkontrolle in meinen Fall

 

Nun fand ich mich plötzlich auf dem ersten Stock wieder, die Zellentüre blieb zwar offen, aber in der Zelle befanden sich nur die regulären Einrichtungsgegenstände. So ging ich erst einmal zum Kaffeeetrinken zu einem langjährigen Mitverwahrten, der nun schon ins 18. Jahr der Sicherungsverwahrung geht, von ihm stammt der Wahlspruch „Hier wird gestorben– nicht entlassen“, eine Feststellung, die der Leiter der Einrichtung Thomas G. als unwahr, als falsch bezeichnet, das sei eine ganz falsche Darstellung!

Wie dem auch sei, in der Zwischenzeit hatten die beiden Beamten, die meine Zelle kontrollierten „gut zu tun“. Sie waren rund drei Tage beschäftigt meine Zelle zu razzen und eben zu leeren. Dabei nahmen sie alle Bücher mit, sämtliche Poster, Briefe, Unterlagen, Kleider und so weiter. Am ersten Tag bekam ich zumindest meinen Kühlschrank und die Lebensmittel wieder, nachdem sie durchsucht und durchleuchtet worden waren. Sukzessive bekam ich in den Folgetagen ein paar Sachen zurück, nachdem die kontrolliert worden waren, aber eben nur einen Teil.

Es sei verfügt worden, ich dürfe nur „nach Rahmenverzeichnis“ meine Sachen erhalten. In der Anstalt gibt es eine Liste von Sachen, die man besitzen darf und wenn, wie viele (z.B. 20 Unterhosen) besitzt, was nicht auf der Liste stehe, bekäme ich diese nicht zurück. Nur wenn es dann, wann auch immer, eine „Sondergenehmigung“ geben sollte. Das führt zu skurrilen Auswüchsen. Selbst das Nudelsieb bekam ich nicht mehr, das der Knastshop Massak Logistik GmbH verkauft, denn zwar steht das Sieb auf dessen Einkaufsliste, aber nicht im „Rahmenverzeichnis“. Und die beiden als „Mr.100%“ bekannten Beamten, die die Aushändigung durchführten, verwiesen darauf, dass es nun mal verfügt worden sei, ihnen die Hände gebunden seien, ich solle doch einfach einen Antrag stellen, dann werde man diesen prüfen und wenn alles seine Richtigkeit habe, erhielte ich „bestimmt“ die Sachen irgendwann wieder ausgehändigt. Für die Unterlagen und Bücher seien sie jedoch nicht zuständig.

 

Die Rückkehr in Zelle 133 und Gespräche mit Vollzugsleiter G.

 

Am Freitag, 22.11.2019 zog ich wieder in meine alte Zelle um und kam in ein Chaos, wie halt ein Raum nach einer Razzia so aussieht! Über Stunden beschäftigte ich mich dann mit dem putzen und einräumen.

Am Nachmittag wurde ich zu Vollzugsleiter G. gerufen, dem ich in deutlichen Worten meinen Unmut über diesen Umgang vermittelte. Woraufhin der Vollzugsleiter die Gelegenheit ergriff seine Sichtweise ausführlich dazulegen. Weder sei er ohne Empathie und plötzlich kam er irgendwie auf den Spruch „Hier wird gestorben – nicht entlassen“ und empörte sich über diesen, da der ja mal so was von falsch sei. Viel Raum nahmen auch die Zeitprobleme ein, die seinen Dienstalltag prägen würden.

Als Insasse sitzt man jedenfalls da und denkt sich: „Will da gerade der Mensch, der für die Haftbedingungen wesentlich Verantwortung trägt, um Verständnis für sein schweres Los werben?!“

Ich solle nun erstmal eine Liste von Sachen schreiben, die ich nicht ausgehändigt bekommen hätte und dann werde man mal weitersehen; und wenn sie mir zustehen, so der Herr G., dann bekäme ich sie auch wieder, aber all das brauche Zeit (zu seinen Zeitproblemen hatte er sich ausführlich genug geäußert). Was für ein herzensgütiger Mensch, nicht wahr!? Als Insasse bestellt und kauft man etwas, bekommt es ausgehändigt. Eines Tages fällt der Anstalt ein, man müsse eine Razzia machen und nimmt den Insassen alles weg- aber die Gefangenen dürfen ja dann gnädigerweise die „Wiederaushändigung“ beantragen. Fast können einem die Tränen angesichts dieser Großherzigkeit kommen.

Am 26. November bekam ich dann einige Sachen von der Liste tatsächlich zurück (sogar das Nudelsieb; wenn nicht alles so nervig wäre, könnte man darüber lachen).

 

 Bewertung

 

Warum die Razzia? Das weiß ich auch nicht. Die Anstalt hat rechtlich jederzeit die Möglichkeit die Menschen und Zellen zu durchsuchen, sie muss das nicht mal begründen. Da alles was Buchstaben hat konfisziert wurde und nun von zwei hochdotierten Juristen der Anstalt persönlich durchgelesen und durchgesehen wird, kann man vermuten, sie hatten irgendwas Besonderes im Sinn. Es mag mit den Fällen von Shorty und Herrn H., über die kürzlich berichtete, zusammenhängen, oder auch andere Hintergründe haben.

Jedenfalls habe ich, da der weitere Vollzug in Baden-Württemberg sowieso nur auf ein Warten auf den Tod zulaufen würde, die Verlegung nach Bautzen beantragt, da in Sachsen enge Bezugspersonen leben. Besagter  Vollzugsleiter steht diesem Ansinnen nicht abgeneigt gegenüber. Allerdings dauert die Prüfung so einer Verlegung Monate.

Aber zurück zur Intensivkontrolle, an der sich nämlich der wirkliche Status der gefangenen Menschen festmachen lässt. Die Sonntagsreden von der Würde der Gefangenen, dem Behandlungsvollzug, dem „therapeutischen Klima“, das insbesondere die Knast-PsychologInnen im Munde führen, erweisen sich als das was sie sind, als potemkinsche Dörfer. Der gefangene Körper ist ein Gefahrenherd. Und Gefahrenherde, die bekämpft man.

Privat- und Intimsphäre sind in Knästen Fremdworte. Mitunter ist die Rede von den traumatischen Folgen von Einbrüchen, denn Menschen, denen Einbrecher die Wohnung durchwühlt haben, nächtelang nicht schlafen können, sich nicht mehr „sicher“ oder auch „beschmutzt“ fühlen, weil fremde Finger ihre Wäsche oder Korrespondenz durchwühlt haben. Für Gefangene ist dieses Alltag!

Aber gut, es gibt viel zu viele Orte, ob in Deutschland oder sonst wo auf der Welt, wo es für Gefangene um das nackte Überleben geht. Dort werden Menschen körperlich schwer gefoltert. Da verbrennen Menschen in Polizeirevieren. Allerdings sollte nicht das schrecklichste Szenario der Maßstab sein, Vorgänge in hiesigen Gefängnissen zu bewerten.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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Shorty wird mit Sicherungsmaßnahmen eingedeckt!

Vor ein paar Wochen berichtete ich über Herrn H. aus der JVA Freiburg, der in Einzelhaft landete. Jetzt hat es auch Shorty, einen Verwahrten Anfang 40 und an ADHS erkrankt, erwischt. Er wurde mit umfangreichen Sicherungsmaßnahmen eingedeckt und auf eine andere Station verlegt.

Die Vorgeschichte

Shorty und Herr H. saßen beide auf der Station 2 der Freiburger Sicherungsverwahranstalt, aus den ersten Jahren meiner Berichterstattung als „Todesstation“ bekannt, da hier mehrfach Insassen starben. Sie kochten täglich zusammen, spielten Schach und schauten im Gruppenraum zusammen fern. Beide waren, wie so viele Verwahrte, unzufrieden. Unzufrieden mit den Haftbedingungen, aber besonders mit der fehlenden Perspektive, denn in überschaubarer Zeit frei zu kommen ist für Shorty wie für Herrn H. nicht zu erwarten.

In einem Gespräch der beiden mit dem Vollzugsleiter Thomas G., er zeichnet primär verantwortlich für die Leitung der SV-Abteilung, kam es dann zur Konfrontation. Herr H. bekundete über personenbezogene Details des Vollzugsleiters zu verfügen, darunter Geburtsdatum und Geburtsort. Er fand sich dann alsbald in der Isolationsstation der Strafhaft wieder (https://de.indymedia.org/node/42318) und wurde zwischenzeitlich per Einzeltransport in die bayrische JVA Straubing verlegt.

Bei Shorty brauchte es noch einige Tage bis die Anstalt reagierte. Er setzte in Umlauf, er verfüge über einen Therapiebericht, betreffend den Vollzugsleiter. Dieser solle einmal selbst in Behandlung gewesen sein und er, Shorty, habe dazu einen Therapiebericht. Außerdem wisse er noch viel, viel mehr.

Die erste Reaktion der Anstalt

Man räumte daraufhin alles an Papier aus Shortys Zelle, da wohnte er noch auf Station 2. Nein, nicht alles Papier, das Klopapier, das beließ man ihm, aber ansonsten sämtliche Unterlagen, Akten, selbst Zeitungen nahm man mit und durchsuchte sie, immer auf der Suche nach irgendwelchen „geheimen“ oder „vertraulichen“ Daten. Shorty machte sich auch einen Spaß daraus, das Personal zu foppen. Da geriet ihm ein etwas verschwommener Ausdruck einer Phantasiefigur, nach deren Vorlage Shorty im Rahmen der Arbeitstherapie aus einem Holzklotz selbige nachschnitzt, zu einer „Röntgenaufnahme des Knies“ des Vollzugsleiters. Was auch wieder hektische Klärungsversuche seitens der Anstalt nach sich zog, bis man dann sicher war, diese Bilder zeigen keineswegs das Kniegelenk des Herrn Thomas G., sondern die in der Arbeitstherapie zu schnitzende Figur. Das Gelächter auf den Stationen über diese Episode war vernehmlich. Wenn man aber seitens der Anstalt etwas nicht leiden kann, dann Spott.

Der Fund angeblich brisanter Daten

In einem Kalender von Shorty stieß man seitens der Anstalt auf angeblich vertrauliche Daten, so die JVA. Nämlich Informationen über Fortbildungsveranstaltungen der Bediensteten. Ferner sei ein ausgedruckter E-Mail-Header gefunden worden, aus welchem sich der Verteiler der Anstalt ergebe, mithin auch die Vornamen der entsprechenden Bediensteten. Hierzu fand dann eine Anhörung Shortys statt. Allerdings machte dieser zur Herkunft der Daten keine Angaben. Was ihm dann auch negativ ausgelegt wurde.

Die Sicherungsverfügung vom 30.09.2019 und die Klage hiergegen

Die Anstalt ordnete am 30.09.2019 umfangreiche besondere Sicherungsmaßnahmen gegen Shorty an. Zum einen müsse er von der Station 2 auf eine andere Station umziehen. In den Hof dürfe er nur noch alleine, und zwar morgens in aller Herrgottsfrühe, und dies auch nur eine einzige Stunde pro Tag. Ferner dürfe er tagsüber an Werktagen zwar vormittags in die Arbeitstherapie, allerdings ab 13 Uhr sei er in seiner Zelle wegzuschließen. Andere Stationen als die seinige dürfe er nicht mehr betreten, also auch keine Insassen mehr im Rahmen des „Stations-Umschlusses“ besuchen gehen. Zu diesen und weiteren Maßnahmen finden sich die Details in dem als PDF angefügten Beschlusses des Landgerichts Freiburg.

Am selben Tag noch wandte sich Shorty an das Landgericht Freiburg und beantragte Eilrechtsschutz. Ferner bat er die Aufhebung der Maßnahmen gerichtlicherseits anzuordnen. Zum einen seien diese nämlich nicht ausreichend begründet worden, zum anderen seien sie auch inhaltlich ungerechtfertigt, da kein Sachverhalt vorliege, der solche Einschränkungen auch nur ansatzweise rechtfertige.

Die Entscheidung des Gerichts und die Reaktion der Anstalt

Nur wenige Tage später entschied Richter Z. vom LG Freiburg (Az.: 13 StVK 738/19, Beschluss vom 12.11.2019), dass sämtliche von Shorty angefochtenen Maßnahmen „aufgehoben“ seien, d.h. er siegte in vollem Umfang. Die JVA müsse, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, neu entscheiden. Wie erwähnt, der Beschluss findet sich anonymisiert als PDF-Anhang zu diesem Artikel. Richter Z. rügte ins besonders, dass die erheblich in die Lebenssituation von Shorty eingreifenden Maßnahmen nicht nachvollziehbar begründet seien.

Shorty verlangte daraufhin sofort wieder wie ein ganz normaler Sicherungsverwahrter behandelt zu werden, also in den Hof zu dürfen, wann er wolle und andere Insassen auf deren Stationen besuchen zu dürfen. Aber es sollte anders kommen!

Am 15.11.2019 wollte der Bereichsdienstleiter Herr W. Shorty eine umfangreiche Verfügung der Anstaltsleitung eröffnen, denn die Anstalt hatte in Folge der Gerichtsentscheidung tatsächlich neu entschieden. Allerdings sollte Shorty mehrere eng bedruckte Seiten durchlesen, auf welchen fast dieselben, eigentlich aufgehobenen Maßnahmen erneut festgelegt wurden. Nunmehr jedoch ausführlich begründet. Lediglich die Zelleneinschlusszeit sei auf nunmehr 17:30 Uhr bestimmt worden, statt wie üblich 22 Uhr, so Shorty. Ansonsten bliebe es bei den schon zuvor angeordneten Einschränkungen.

Angesichts der ADHS-Erkrankung, an der Shorty leidet, war es ihm nicht möglich, den Inhalt des umfangreichen Textes der Begründung der Verfügung zu erfassen und schon gar nicht konnte er sich den umfangreichen Schriftsatz merken. Selbst ein Mensch ohne eine solche ADHS bedingte Einschränkung wäre dazu wohl eher nicht in der Lage gewesen. Herr W. habe, so Shorty, es ausdrücklich abgelehnt, ihm eine Kopie der Verfügung zu überlassen.

Mittlerweile, so Shorty, habe aber sein Vater sich telefonisch und per E-Mail beim Anstaltsleiter, ferner beim Justizministerium und auch bei Richter Z. vom Landgericht Freiburg darüber beschwert, wie sein Sohn in der Sicherungsverwahrung behandelt werde. Des weiteren will Shorty gegen die neue Verfügung ebenfalls vor Gericht ziehen, denn er beharrt darauf, dass ihm hier eklatantes Unrecht widerfahre.

Resümee

Hier wird nicht mit dem Florett gefochten, sondern mit dem Holzhammer. Während die Insassen für die Anstalt zu gläsernen Wesen mutieren, deren Regungen notiert und aktenmäßig erfasst, analysiert und bewertet werden, wird man als Insasse mit massiven Repressionen konfrontiert, sobald das Personal meint es werde seinerseits „ausgeforscht“. Da müssen dann auch banalste Informationen, wie ein E-Mail-Header für die Spekulation herhalten, dass damit „Bedienstete unter Druck“ gesetzt werden könnten. Wie man Bedienstete vermittels Kenntnis ihrer Vornahmen „unter Druck“ setzen können soll, das bleibt wohl ewigliches Geheimnis der talentierten und kreativen Köpfe der Anstaltsleitung, zumal sich das Personal hier im Alltag durchweg mit Vornamen anspricht, diese also allgemein bekannt sind.

Der gerichtliche Sieg von Shorty zeigte erstmal nur geringe Wirkung, vielleicht wird in einem zweiten gerichtlichen Verfahren der Anstalt dann deutlicher ihre Grenze aufgezeigt. Im Fall des eingangs erwähnten Herrn H. ist noch nachzutragen, dass dieser in einem Brief aus Straubing berichtete, er habe gegen die Einzelhaft, die in Freiburg angeordnet war, auch vor dem LG Freiburg geklagt. Er habe dort gewonnen. Nur sei als Konsequenz seines gerichtlichen Sieges die Verlegung nach Straubing erfolgt!

Shorty sagt, er selbst lasse sich jedenfalls nicht unterkriegen und der Umgang mit ihm bekräftige ihn vielmehr in seiner kritischen Haltung, denn während man von ihm verlange, er solle sich an Gesetze halten, erlebe er, dass wenn es um seine Rechte gehe, selbst gerichtliche Entscheidungen zu seinen Gunsten im Alltag wenig helfen würden.

Solange es an einer breiteren gesellschaftlichen Unterstützung von inhaftierten Menschen mangelt, wird sich dort nicht viel verbessern. Da kann das Bundesverfassungsgericht noch so oft betonen, dass im Bereich der Sicherungsverwahrung die Inhaftierten ein „Sonderopfer“ für die Gesellschaft erbrächten, weil sie nämlich lediglich aufgrund von Spekulationen weiterhin in Haft gehalten würden, ggf. bis zum Tod (erst vor wenigen Wochen starb ein weiterer Freiburger Sicherungsverwahrter).

Wie man an den Fällen von Herrn H. und Shorty anschaulich verfolgen kann, nützen gerichtliche Entscheidungen in der Praxis oftmals nicht allzu viel. Wehren sich aber Inhaftierte nicht mit legalistischen Mitteln, sondern mit „illegalen“, werden sie dann dafür verfolgt und bestraft. Im Grunde also eine paradoxe Situation: Egal ob sie vor Gericht ziehen oder sich anderer Mittel bedienen, am Ende läuft es auf dasselbe Ergebnis hinaus.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com
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Polizei auf Suche, nach Brand eines Lastkraftwagens (LKW)

Vor einigen Monaten soll ein LKW der Firma Massak Logistik GmbH in Bayern verbrannt sein. Die Firma beliefert bundesweit Gefängnisse mit Waren des täglichen Bedarfs.

Kürzlich wurde ich von einem JVA-Beamten befragt, ob ich bereit wäre als Zeuge auszusagen, die Kripo Bamberg habe hier in der Anstalt angerufen. Ich verzichtete auf ein Gespräch. Nunmehr verschickte die Polizei, Abt. Staatsschutz wohl auch Briefe an Menschen in Dresden und Freiburg.

Offenbar reichte in meinem Fall schon der Umstand, dass ich kritisch über die Firma berichte, um ins Fadenkreuz der Polizei zu geraten. Bei drei Briefempfänger*innen reichte dann aus, dass die mich kennen.

Das finde ich spannend. Während Nazis mordend durchs Land ziehen können, Menschen bedrohen, zusammen schlagen, während in vielen Fällen sehr zurückhaltend ermittelt wird, scheint der Staatsschutz über genügend Ressourcen zu verfügen, wenn es darum geht, wegen eines möglichen verbrannten LKWs das große Besteck auszupacken. Bundesweite Ermittlungen!

Das ist er, der Rechtsstaats 2019!

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

Wir sind die fucking Zukunft – eine Rezension!

Im Oktober 2019 erschien im unrast-Verlag ein kleiner Band der anarchistischen Aktivistin Hanna Poddig unter dem Titel ‚Klimakämpfe – Wir sind die fucking Zukunft!‘.

Auf den 103 Seiten bietet die Autorin eine zusammenfassende Übersicht zu brandaktuellen Handlungsfeldern insbesondere der jüngeren Generation. Ob Tierbefreiung, Mobilität (Auto, Flugzeug, Öffentlicher Nahverkehr, etc.), insbesondere die Klimabewegung. In drei großen Kapiteln werden zum einen die Themenschwerpunkte dargestellt in welchen sich die aktuellen Bewegungen besonders entwickeln, in einem weiteren die zentralen Motive und Zielsetzungen, und in einem dritten Kapitel die wesentlichen Akteurinnen und Akteure (von ‚Fridays for Future‘, über ‚Extinction Rebellion‘, bis hin zum ‚Hambacher Forst‘), und deren Strategien.

Wer sich also einen ersten Überblick verschaffen möchte über die Bewegungen im Bereich Klima im deutschsprachigen Raum, sowie deren Methoden um für ihre Ziele zu streiten und zu kämpfen, wird hier gut informiert.

Besonders wichtig erscheint mir das analytische Kapitel ‚Motive und Zielsetzungen‘, in welchem Hanna Poddig sich mit den Grundtypen der Motive der Handelnden beschäftigt: sie unterteilt nämlich die Bewegungen in jene die (lediglich) appellativen und jene, welchen einen revolutionären Anspruch erheben (in dessen abgemildeter Form wird auch noch der transformative Typ erwähnt). Beleuchtet wird die Frage, ob es genüge innerhalb des bestehenden Systems, bei Erhalt aller auch repressiver Strukturen, der Politik lediglich Anstoß zu geben, oder ob nicht doch eine revolutionäre und antiautoritäre Perspektive von Nöten sei (S.39 ff). Die Autorin beantwortet die Frage im letztgenanntem Sinne, was sicherlich auch Ausdruck ihrer politischen Haltung als Anarchistin sein dürfte.

In einem Exkurs (S.42 ff) führt sie in die unausweichlich für politische Aktivistinnen und Aktivisten sich stellende Frage der Gewaltfreiheit ein und kritisiert, wenn in bestimmten Zusammenhängen fast zwanghaft ein Bekenntnis zu absoluter Gewaltfreiheit abverlangt werde und dann die Abgrenzung auch noch in einer Diskreditierung von anderen Aktivisten/innen münde. Zutreffenderweise verweist sie zudem auf strukturelle Gewaltformen; fragt dabei eher rhetorisch, ob es denn keine Gewalt sei, wenn wegen des Klimawandels Menschen ihre Dörfer verlassen müssten und ganze Inseln im Meer versinken würden.

Im Kapitel über die ‚Akteur*innen und Aktionsformen‘ werden ‚Extinction Rebellion‘ (XR) relativ ausführlich dargestellt und deutlich deren Widersprüchlichkeiten aufgezeigt. Es wird deutlich, eine Freundin von (XR) ist die Autorin nicht (S. 55-64) wohingegen sie der noch sehr jungen Bewegung von ‚Fridays for Future‘ (S. 47-55) mehr abzugewinnen vermag, wobei sie auch dort Schwächen sieht, zum Beispiel in der exzessiven Nutzung von Instagram, Facebook und Co. Denn wer sich nicht in diese Kommunikationskanäle zwingen lässt, der sei ausgeschlossen von FFF.

Meist wird sehr deutlich wie die Autorin sich zu einem bestimmten Teil der Bewegungen positioniert. So heißt es schon im einleitenden Kapitel ‚Die leidigen Zahlen‘ (S. 5-9), sie halte Neutralität für unmöglich und erhebe deshalb mit ihrem Buch auch keinen solchen Anspruch. Allerdings hätte ich mir für manche wichtige Zahl die sie nennt genaue Quellenangaben gewünscht, zumal das Buch in der Unrast-Verlagsreihe „transparent“ erschienen ist. An das Internet angebundene Leserinnen und Leser werden dies vielleicht anders sehen, sie können wahrscheinlich die Quellen rasch nachgoogeln.

Abgerundet wird das Buch von Gedanken zur „Repression“ und einem Appell „ … gegen die Resignation“. Zur Repression führt Hanna Poddig exemplarisch die Beschlagnahme einer bunten Holzhütte durch die Polizei im Sommer 2018 an, als sie gerade auf dem Klimacamp im Rheinland war; zudem kritisiert sie das Verbot von‘ linksunten.indymedia.org‘ ebenso, wie die Verschärfungen der Polizeigesetze und ruft auf den Mut zu haben, sich auf die eigene (innere) Stärke zu besinnen. Nämlich nicht, wie es dann unter der Überschrift „ … gegen die Resignation“ heißt, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern im Blick zu halten, dass der eigene politische Kampf nicht nur etwas in einem selbst befreit, sondern auch anderen Menschen mehr Raum zum Atmen gibt, mehr Raum zum Träumen und mehr Mut zu kämpfen!

Angaben zu dem Buch:

‚ Klimakämpfe – Wir sind die fucking Zukunft!‘

Hanna Poddig,

Unrast-Verlag (https://www.unrast-verlag.de)

103 Seiten, 7,80 Euro

ISBN: 978-3-89771-148-8

Buchbesprechung von:

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

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