Shorty gewinnt vor Gericht – mal wieder!

Das Jahr 2021 ist noch jung, doch schon ereilte Shorty der erste Gerichtsbeschluss. Mal wieder hat er sich, zumindest vorläufig, vor Gericht durchgesetzt.

Wer ist Shorty?

Geboren 1978, sitzt er seit einem halben Jahrzehnt in Freiburg in Sicherungsverwahrung. Immer wieder berichte ich über seine bisweilen sehr kreativen Einfälle, die den Haftalltag abwechslungsreich gestalten (zuletzt über Shorty und die Armbrustaffäre), auch wenn er mitunter der Anstalt dadurch Gelegenheit gibt, ihn abzustrafen.
So sitzt er seit rund drei Monaten in Isohaft, nachdem bei ihm eine kleine, selbstgebastelte Armbrust gefunden wurde. Für ihn, der an ADHS leidet, eine ganz besonders bedrückende Situation.

Immer wieder hat er sich aber erfolgreich gegen Maßnahmen der JVA vor Gericht gewehrt. Ob es auch in folgendem Fall für ihn erfolgreich ausgehen wird, das ist noch offen.

Die Vorgeschichte

Am 10.06.2020 disziplinierte ihn die Haftanstalt, weil er mehrfach aus dem Fenster seiner Zelle geschrien haben soll, er wolle sein Ritalin. Ferner habe er Mitgefangene dadurch versucht aufzuwiegeln, dass er zu ihnen gesagt habe, sie mögen nicht zum Anstaltsarzt gehen, da die „euch hier alle umbringen in dem KZ“. Letztere Aussage bestritt Shorty. Seine Rufe aus dem Fenster räumte er ein. Anlass sei gewesen, dass die zuständige Vollzugsbeamtin, Frau P. sich geweigert habe, ihn in den Sanitätsraum zu bringen, wo er sein allmorgendliches Ritalin bekommen sollte, weil er zu spät bei ihr vorgesprochen habe. Denn hier in der JVA müssen Insassen, die bestimmte Medikamente erhalten, zu deren Einnahme dem Sanitätsdienst „zugeführt“ werden, wie das im Bürokratendeutsch heißt. Dies übernehmen die Stationsbediensteten, wie zum Beispiel Frau P.. Als sie dann meinte, sie bringe ihn jetzt nicht mehr zum Sanitätsdienst habe er sich nicht mehr weiter zu helfen gewusst, als aus dem Zellenfenster zu schreien, er wolle sein Medikament.

Der erste Gerichtsbeschluss – Landgericht Freiburg

Da die genannte Bedienstete den ganzen Vorgang der Behördenleitung meldete, wurde Shorty disziplinarisch verfolgt, insbesondere habe er das geordnete Zusammenleben gestört. Hiergegen wandte er sich an das Landgericht Freiburg, welches mit Beschluss vom 11.08.2020 (Az.: 13 StVK 247/20) seinen Antrag abwies. Er sei zurecht von der Anstalt für sein Verhalten bestraft worden.

Der zweite Gerichtsbeschluss – Oberlandesgericht Karlsruhe

Shorty fühlte sich weiterhin zu Unrecht von der Anstalt bedrängt und zog in die zweite Instanz. Zum OLG Karlsruhe nämlich. Dieses entschied nun am 12.01.2021 (Az.: 2 Ws 231/20), unter Vorsitz von Frau Richterin am OLG Beese, dass der Beschluss des Landgerichts inhaltlich unzureichend sei. Er entspreche nicht den Mindestanforderungen, welche an einen solchen Beschluss zu stellen seien. Zudem sei zu vermuten, dass sich das Landgericht nicht darüber bewusst gewesen zu sein scheine, dass es sich eine „eigene Überzeugung“ zu bilden habe und nicht einfach nur die Sachverhaltsdarstellung der Anstalt wiederzugeben habe. So hätte sie, weil Shorty die Aussage mit dem KZ bestritt, diesem Bestreiten näher nachgehen müssen.

Ausblick

Nun wird sich das Landgericht Freiburg in einem zweiten Anlauf dieser Sache anzunehmen haben. Wie das Verfahren ausgehen wird, ist offen, denn in der Vollzugspraxis erleben Inhaftierte allzu häufig, ähnlich wie die Opfer von Polizeigewalt, dass den Beamtinnen und Beamten in vollem Umfange geglaubt wird, wie sollen sie auch das Gegenteil beweisen können!? Wie wichtig die Versorgung von Shorty mit seinem Medikament Ritalin ist, hatte das OLG vor einiger Zeit selbst festgestellt, denn die Justizvollzugsanstalt hatte Shorty nach einem angeblichen Betrugsversuch – er soll versucht haben, die Einnahme nur vorzutäuschen, um die Pille dann aus dem Raum zu schmuggeln – radikal das Medikament abgesetzt. Hiergegen zog er seinerzeit vor Gericht. Auch damals verlor er vor dem Landgericht Freiburg und obsiegte erst vor dem OLG. Nach dem Sieg vor dem OLG sollte es allerdings noch Monate dauern, bis die JVA ihn wieder medikamentös versorgte.

Offen scheint nun im vorliegenden Fall auch zu sein, inwieweit sich eigentlich die JVA-Beamtin (oder Sanitätspersonal) dienst- bzw. strafrechtlich zu verantworten hätte, da sie die erforderliche Zuführung Shortys 2020 ausdrücklich (und unstreitig) ablehnte, weil er zu spät bei ihr um die Zuführung gebeten habe. Schließlich ging es nicht um eine Bagatelle, sondern die Einnahme eines von einem Arzt verordneten Medikaments. Warum hat die Beamtin Shorty nicht in dessen Haftraum rechtzeitig aufgesucht und abgeholt, um ihn zum Sanitätsdienst zu bringen!? Weshalb hat nicht der diensthabende Sanitäter rechtzeitig telefonisch bei der Stationsbeamtin nach dem Verbleib von Shorty gefragt? Vielleicht wird das Landgericht auch diesen Fragen nachgehen, denn selbst wenn die entsprechende Aussage,  die Shorty zur Last gelegt wird, vom Gericht bestätigt werden sollte, wäre all das relevant für die Frage, ob denn eine disziplinarische Ahndung überhaupt angemessen wäre.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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Corona-Winter in der Justizvollzugsanstalt in Freiburg

Nicht nur vor den Mauern wird es winterlich und kalt, auch in den Gefängnissen der Republik, wobei auch dort jedes Bundesland macht, was es möchte, für sinnvoll oder rechtlich vertretbar hält.

Besuche durch Freund_Innen, Familie, Bekannte

In Freiburgs JVA wurden zum 24.12.2020 sämtliche Besuche ausgesetzt, es wurde vollständig auf Skype umgestiegen. Offenbar beruht dies auf einer Weisung des Justizministeriums Stuttgart für alle Haftanstalten des Landes Baden-Württemberg.

Aus anderen Bundesländern wird berichtet, es sei nach wie vor ein Besuch vor Ort möglich. Es versteht sich von selbst, dass die Skype-„Besuche“ genauso streng reglementiert sind wie normale Besuche, sie also eines schriftlichen Antrags- und Genehmigungsverfahrens bedürfen. Gewährt wird zudem nur ein absolutes Minimum, für den Bereich der Strafhaft sind das 60min/Monat (für SV: 10 Stunden). Wer finanzielle Unterstützung genießt durch Menschen außerhalb der Anstalt, kann sich Geld einzahlen lassen, als monetäre Kompensation für das Besuchsverbot, welche freilich den Staat gar nichts kostet.

Ausführungen und sonstige Lockerungen

Vollzugslockerungen, einschließlich bewachter Spaziergänge außerhalb der Anstaltsmauern,ruhen gleichfalls. Sodass die inhaftierten Menschen nun seit Monaten vollständig auf die Gefängnisumgebung beschränkt sind, wobei das letztlich keine neue Erfahrung für sie darstellt. Ohne Vollzugslockerungen tun sich Gerichte aber schwer Menschen „vorzeitig“ aus der Haft zu entlassen, sodass die Corona-Pandemie letztlich eine Haftzeitverlängerung in nicht wenigen Fällen bewirken dürfte.

Arbeitsplätze Sicherungsverwahrung

Seit Ende 2020 dürfen Sicherungsverwahrte bis auf weiteres nicht mehr in den Anstaltsbetrieben zusammen mit Strafgefangenen arbeiten. So sollen mögliche Infektionen innerhalb der Anstalt mir Sars-Cov-2 begrenzt werden. Ersatzweise wurde ein Montagebetrieb ausschließlich für den SV-Bereich bereit gestellt, sodass wer dort arbeiten möchte, dies darf.

Therapiemaßnahmen

Still ruht der See, nichts anderes gilt für die ganzen therapeutischen Gruppenmaßnahmen. Allerdings werden im Bereich der Sicherungsverwahrung zumindest teilweise neue Wege gegangen. Da die Zellen über Haftraumtelefonie verfügen, d.h. in den Zellen hängt ein Telefon, können die Gefängnispsycholog_Innen und ebenso die Mitarbeitenden des Sozialdienstes die Verwahrten auf deren Wunsch hin oder bei Rückfragen auch anrufen (nicht jedoch die Insassen ihrerseits die Bediensteten). Darüber hinaus finden therapeutische Einzelgespräche nur in einem sehr reduzierten Umfang statt, da diese im Trennscheibenraum durchgeführt werden.

 Auch hier gilt das zu den Vollzugslockerungen schon festgestellte. Ohne umfängliche Therapieteilnahme reduziert sich die Chance auf Freilassung und so wird auch hier eine Folge der Pandemie de facto eine Haftverlängerung sein.

Täglicher Wahnsinn

Es scheint als würde das Nervenkostüm mancher Bediensteter dünner werden. Immer wieder tönt es schon morgens beim Zellenaufschluss über den Flur: „So ein Scheiß, wieder muss ich heute hier zum Dienst kommen.“ Andere empören sich darüber, dass sie nun für ihren Autoparkplatz vor der Anstalt bezahlen sollen, wieder andere beschweren sich darüber, dass sie seit neustem höchstselbst Akten vom SV-Trakt in den Strafhafttrakt tragen müssen, etwas das zuvor ein extra für solche Aufgaben eingestellter Beamter zu verrichten hatte. Ganz unverblümt kündigte ein sichtlich wütender Bediensteter Obstruktion an: er werde den Teufel tun und sich vor diese „Riesenwand“ an Aktenfächern im Aktenverteilraum stellen und mühsam nach jeden Fächern suchen, in welche die Akten einzulegen seien. Auf gut Glück werde er „ein paar Akten hier hinein und ein paar Akten dort hinein“ legen, sollen sich um die Feinarbeit andere kümmern. Letztlich werden das dann die Insassen ausbaden müssen, wenn nämlich deren Anträge nicht an zuständige Stellen gelangen sollten, wird es ganz schnell im Getriebe haken.

Aber auch Insassen nehmen sich gegenseitig in Visier. Da schrieb ein Sicherungsverwahrter einen anonymen Brief an die Anstalt und beschuldigte den Stationsreiniger der Station 2, er habe während seiner Arbeitszeit im Gefängnishof gesessen und Pizza gegessen! Skandal! Es ist fast ein bisschen wie im Kindergarten. Dem Betreffenden war der Gang in den Hof vom Stationsbeamten ausdrücklich erlaubt gewesen.

Zwei andere Insassen brachen ein Schachtgitter im Hof auf und einer der beiden stieg hinunter; nicht, dass es dort in Richtung Freiheit gehen würde. Es soll ihnen wohl etwas in den Schacht gefallen sein, was sie wiederholen wollten. Da jedoch alles mit Kameras überwacht wird, bekamen sie anschließend ziemlich Ärger mit dem Vollzugsleiter Thomas G. und spazieren nun seit Wochen alleine, bewacht von einem Beamten, ihre Hofrunden.

Ausblick

Wann Gefangene geimpft werden sollen, darüber gibt es bislang keine verlässlichen Auskünfte. Zumindest wird mal wieder, wie schon letztes Jahr, auf die Erhebung der Stromkosten für die eigenen Elektrogeräte verzichtet und die Mietkosten für Fernseher ausgesetzt. Für Gefangene, die mit 50 € oder 100 € im Monat auskommen müssen, bedeutet das eine erkleckliche Entlastung, denn es kommen schnell an die 10 € zusammen alleine für Stromkosten und Antennenmiete, wer zudem einen Mietfernseher hat, der spart noch mehr. Auch wurden endlich für Insassen, die über 60 Jahre alt sind oder zu Risikogruppen gehören FFP-2 Masken kostenlos ausgegeben, anstatt sie weiterhin auf die aus Knastbettlaken gefertigten Mund-Nase-Schutzmasken zu verweisen.

Bei allen Belastungen durch die Anti-Corona-Maßnahmen soll aber nicht unterschlagen werden, dass zumindest an Freiburgs Haftanstalt bislang der Kelch eines größeren Ausbruchs vorbeigegangen ist.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

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Silvesterdemo 2020 in Freiburg aus Insassensicht

Am 30.12.2020 saßen wir in einer Zelle des Freiburger SV-Traktes und
hörten ab 18 Uhr der Liveübertragung auf RDL (https://rdl.de/) von der
Anti-Knastdemo zu.

Die Radioübertragung

Wie schon in Vorankündigungen mitgeteilt wurde, fand die Silvesterdemo
dieses Jahr pandemiebedingt am 30. Dezember statt. Da der SV-Trakt
akustisch etwas ungünstig liegt, waren wir hier froh, über das Radio die
Musik und vor allem die kämpferischen Redebeiträge hören zu können. Die
Insassen die hier mithörten waren begeistert, nicht nur von den
Inhalten, sondern auch darüber, dass wieder Menschen kamen die für eine
Welt ohne Gefängnisse streiten!

Ihre erste Demonstration

Sie ist schon Mitte 70 und wohnt in einer Umlandgemeinde, aber am 30.
Dezember war sie auf ihrer allerersten Demonstration. Wie sie mir
später am Telefon erzählte war sie erst verunsichert, weil sie rund 10
Polizeiautos zählte. Sie habe dann an einem Auto gegen die Scheibe
geklopft und ein Polizist habe gesagt, die Demos in Freiburg verliefen
immer recht friedlich, sie möge aber weiter ihren Mund-Nasenschutz tragen
und den Abstand einhalten. Später kam sie noch mit Demonstrant_innen ins
Gespräch. Sehr bewegte sie das laute Rufen aus den Zellenfenstern, das
sie als Ausdruck von Schmerz wahrnahm.

Der Schmerz!? Die Wut – und auch die Freude!

Wenn menschliche Körper über Wochen, Monate, Jahre und sogar Jahrzehnte
eingesperrt werden in die Verliese dieses verrottenden Systems, staut
sich nicht nur Schmerz, sondern auch Wut an.
Schmerz über das Abgeschnitten sein von Familien, Freundinnen und
Freunden, dem Leben vor den Mauern. Wut über die alltägliche Behandlung
im Knast, Wut über die Zustände, Wut auf jene die diese Zustände
herbeiführen und zulassen. Aber es gibt auch die Freude darüber, dass
dann Menschen vor den Knast ziehen und lautstark, unüberhörbar eine Welt
ohne Gefängnisse einfordern und denen die hinter den Mauern in ihren
Kerkerzellen sitzen, ihre Solidarität bekunden und Mut machen.

Epilog

Mir bleibt heute nur, auch im Namen der mithörenden anderen Gefangenen,
herzlich jene zu grüßen die sich am 30. Dezember hier eingefunden
hatten, aber auch noch am 31. das ein oder andere Feuerwerk zündeten,
dem Orga-Team zu danken, gleiches gilt für RDL, die solidarisch die
Übertragung ermöglichten und allen ein kämpferisches, gesundes Jahr 2021
zu wünschen! Wieder ein Jahr näher, einer Welt ohne Knäste!

Thomas Meyer-Falk
z.Zt JVA (SV)
Hermann-Heder-Str. 8
D.79104 Freiburg
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Grußwort zur Silvesterkundgebung in Freiburg

(audio-Datei am Ende des Textes)

Wieder geht ein Jahr zu Ende, wieder steht ihr heute hier. Deshalb
erstmal herzliche, solidarische und kämpferische Grüße von hier
drinnen zu euch da draußen. Wie schön, dass ihr trotz allen
Widrigkeiten diesmal sogar einen Tag eher gekommen seid als sonst. Was
fürein verrücktes Jahr. Auch in den Knästen, auch hier in Freiburg. Die
Corona Pandemie, sie führte zu gravierenden Veränderungen, was zum
Beispiel Besuche angeht. Aktuell gibt es hier in Freiburg nur noch
Skype-Termine, wegen des Lockdowns. Keine persönlichen Besuche sind im
Moment zugelassen. Allerdings sind wir aus meiner Sicht in Deutschland
noch ganz gut weggekommen. Das betrifft die Haftbedingungen und ebenso
die Infektionsraten, gerade in den Gefängnissen. Da sieht es zum
Beispiel, wenn wir in die USA schauen, viel schlimmer und dramatischer aus.

Im zu Ende gehenden Jahr gab es im Freiburger Gefängnis Todesfälle, es
gab Schlägereien. In einem Fall nahm die Staatsanwaltschaft Freiburg
sogar Ermittlungen wegen versuchten Mordes gegen zwei
Sicherungsverwahrte auf. Die beiden wurden mittlerweile angeklagt und im
April findet vor dem Landesgericht Freiburg deswegen ihr Prozess statt.
Ein anderer Insasse wurde mit scharfen Sicherungsmaßnahmen überzogen, er
landete in Isohaft. Er war seinem kleinen Spieltrieb gefolgt und
bastelte eine Armbrust. Taktisch sicher nicht seine cleverste Idee, aber
wer ihn genauer kennt weiß, er ist einfach ein begeisterte Bastler.
Immer wieder landeten Insassen auch im Bunker, im Keller der
Justizvollzugsanstalt. Für Stunden, für Tage, sie hämmerten verzweifelt
und wütend gegen die Betonwände und sie schrien sich die Seelen aus
ihrem Leib.

Was soll ich sagen? Alles ziemlich düster dieses Jahr. Ziemlich düster
aber auch die Aussichten, zumindest wenn wir uns rasche und
grundlegende Veränderungen erhoffen.
Umso wichtiger erscheint es mir, dass wir für unsere Utopien streiten,
für unseren Utopien kämpfen, für unsere Utopien bereit sind zu leben.
Utopien entstehen in Krisenmomenten, in Übergangsphasen und wir sind
heute mittendrin. Um nur ein paar Schlagworte aufzuzählen: Klima,
Ökonomie, Gesundheit. Dazu noch die immer aggressiver und offensiver
auftretenden Neonazis, aber auch die staatlicherseits permanent
zunehmende Repression in der letzten Wochen und Monaten, inklusive
zahlreichen
Verhaftungen.

Utopien, sie versprechen uns etwas. Nämlich, dass eine andere Welt
möglich ist. Aber wir sind es, die dafür zu kämpfen und dafür zu
streiten haben, für diese Utopien und auf sie hin leben müssen. Denn
eine Utopie die zu keinen konkreten Aktionen führt, sie ist nicht mehr
als eine Flucht vor der Wirklichkeit.

Ich wünsche euch allen ein gesundes Jahr 2021, ein streitbares 2021, ein
mutiges Jahr 2021.
Denn wir sind es, wir alle gemeinsam vor und hinter der Knastmauern die
die Utopie Wirklichkeit werden lassen.

Herzschlagende Grüße, euer Thomas

Corona – Quarantäne in JVA Freiburg beendet

Wie vor ein paar Tagen berichtet, herrschte seit dem 04.12.2020 in der südbadischen Haftanstalt Freiburg Corona-Alarm, nachdem ein Insasse positiv auf das Virus getestet worden war.
Am Spätnachmittag des 09.12.2020 endeten die Isolationsmaßnahmen weitestgehend.


Ablauf der letzten Tage – Corona-Alarm am Freitag und Wochenende

Am Freitag, 04.12.2020, erfolgte gegen 17:30 Uhr ein sogenannter „Generaleinschluss“, alle Insassen wurden ohne Mitteilung über die Hintergründe in ihren Zellen weggeschlossen.

Circa 19:30 Uhr gab es eine Durchsage des Anstaltsleiters Völkel, wonach ein Insasse der Station 4-3 positiv auf Covid getestet worden sei und ab sofort „Klappenbetrieb“ angeordnet worden sei. Eine Kontaktnachverfolgung sei gescheitert.
Als erste Reaktion trommelten Insassen gegen die Zellentüren, die Gitter und schrien aus dem Fenster.

Denn de facto bedeutete die Durchsage ab sofort Isolationshaft für alle Insassen. Kein Hofgang, kein Duschen, keine Besuche, die Zelle bleibt 24 Stunden/Tag geschlossen, eine Versorgung mit Essen, WC-Papier etc. wird durch eine kleine Luke in der Türmitte durch das Personal sicher gestellt.


Der Montag, 07.12.2020

Erst am Montag, 07.12.2020, wurde dann zumindest das Einzelduschen ermöglicht, d.h., jeder Insasse, zumindest im Bereich der Sicherungsverwahrung (SV), wurde alleine aus seiner Zelle gelassen, um ein paar Minuten duschen zu können.

Am Vormittag meldete sich der Anstaltsarzt Dr. Teichmann per Durchsage und bat nachdrücklich um Verständnis für die Isolationshaftmaßnahmen der Insassen.

Der Anstaltsleiter meldete sich wenige Zeit später ebenfalls per Durchsage. Danach treffe am Dienstag der „Diagnose-Truck“ ein. Dabei handelt es sich um einen LKW, der in der JVA Mannheim stationiert ist und dessen Personal während der Corona-Pandemie in Baden-Württemberg bei Corona-Ausbrüchen vor Ort Testungen durchführt.
Bis Mittwochabend sollten, so der Behördenleiter, die Ergebnisse vorliegen.

Ferner betonte er, der für diese Woche terminierte „Einkauf“ finde statt.
Dort werden von der Firma Massak Logistik GmbH alle 14 Tage die Waren des täglichen Bedarfs wie Tabak, Kaffee, Lebensmittel geliefert.

Die Stationspsychologin Frau W. und der Sozialarbeiter S. (Abt. SV) ließen über den Stationsbeamten L. einen kurzen Brief an die „Lieben Bewohner der Station 2“ verteilen, in welchem sie Gespräche an der „Klappe“, gemeint ist die genannte Luke in der Zellentüre, anboten und allen Insassen „gutes Durchhaltevermögen und Gesundheit“ wünschten.


Dienstag, 08.12.2020

So erfolgte ab Dienstag, 08.12.2020, eine Testung aller Insassen, d.h., der bekannte Mund-Nasenabstrich. Der „Klappenbetrieb“ wurde fortgesetzt.
Als sich am Mittwoch in den Vormittagsstunden keine Veränderung des Zustandes abzeichnete, begannen wieder Insassen gegen die Zellentüren zu treten, einer forderte dazu auf, das Essen zu verweigern.


Mittwoch, 09.12.2020

Am Mittwoch, 09.12.2020, meldete sich am Spätnachmittag der Anstaltsleiter doch noch gegen 17:15 Uhr und teilte mit, die Testungen hätten bei Insassen keine weiteren positiven Testungen ergeben, so dass man ab Donnerstagnachmittag voraussichtlich zum Regelbetrieb zurück kehren könne.
Das trug nicht wirklich zur Entspannung bei, sofort schrien Gefangene aus den Zellenfenstern und forderten Zellenaufschluss. Im Bereich der SV wurden zumindest noch kurze Zeit von 17:30 – 18:45 Uhr die Hafträume geöffnet, so dass die Insassen sich etwas bewegen konnten.


Bewertung

Angesichts der hohen Zahl von Insassen, insbesondere im Bereich der SV, welche besonders gefährdet sind, sollten sie sich mit Covid infizieren, war es sicherlich nicht völlig unberechtigt, ganz zu Anfang Maßnahmen zu ergreifen. Allerdings haperte es aus Insassensicht an der Kommunikation ebenso wie am Tempo, an der Gewährleistung grundlegender Alltagsleistungen und ob die Maßnahmen insgesamt verhältnismäßig waren, ist auch klärungsbedürftig.

Zur Kommunikation: insbesondere am Wochenende und auch die weiteren Tage fehlte es an Informationen über Sachstand und Zwischenstand der Maßnahmen.

Vor allem auch in gängigen Sprachen. Die wenigen Durchsagen, die es gab, erfolgten in deutscher Sprache. Dabei sitzen Insassen verschiedenster Nationen in Freiburg ein und nicht wenige dürften sprachlich die Durchsagen kaum verstanden haben. Weshalb keine entsprechenden Übersetzungen in arabisch, türkisch, spanisch und weiteren Sprachen erfolgten, ist nicht nachvollziehbar.

Auch die wenigen Durchsagen reichten nicht aus. Man muss sich vor Augen führen, dass die Insassen schlicht weggeschlossen wurden ohne weitere Information. Hier zeigte sich auch wieder die stahlharte Grundhaltung, die hinter der freundlichen Fassade steckt.
Insassinnen und Insassen haben als Körperobjekte zu fungieren, die auf Anordnung widerspruchslos hinzunehmen haben, dass sie tagelang isoliert werden (und jene, die kein Deutsch verstehen, dass sie nicht einmal die Hintergründe im Ansatz verstehen konnten).

Zum Tempo: weshalb der „Diagnose-Truck“ nicht schon am Samstag zum Einsatz kam, sondern erst am Dienstag, ist nicht erläutert worden.
Wenn er andernorts im Einsatz gewesen sein sollte, hätte man anderweitig schon am Samstag mit den Testungen beginnen und nicht die Insassen tagelang einfach nur wegschließen müssen.

Zu den Alltagsleistungen: zwar klappte die Versorgung mit Anstaltsessen, auch wenn ein Insasse aus der Strafhaft ganz treffend aus dem Fenster brüllte, die Anstalt möge sich „das Schnitzel in den Arsch schieben“, er wolle Zellenaufschluss. Aber schon bei der Versorgung mit frischer Wäsche scheiterte die Anstalt. Zwar wurde „Wäschetausch“ per Durchsage versprochen, zumindest in der SV gab es keinen.
Schließlich die Verhältnismäßigkeit: für den SV, die in einem eigenständigen Anbau untergebracht ist, muss gefragt werden, weshalb hier nicht schon am Wochenende eine Testung aller Insassen durchgeführt wurde, um dann bei negativen Ergebnissen umgehend die Zellen wieder öffnen zu können.

Die Insassen einer ganzen Anstalt in Isolationshaft zu stecken, ist für die Betroffenen seelisch und körperlich enorm belastend. In Hamburg wurden an Insassen zu Beginn der Pandemie Handys verteilt, warum nicht auch hier im Süden? Das würde sofort ganz viel Druck aus der Situation nehmen! Im Bereich der SV haben die Gefangenen zumindest den Vorteil, dass die Hafträume mit Telefonen ausgestattet sind. So konnten zumindest jene Insassen mit Außenkontakten telefonieren.

Zwischenzeitlich hat die JVA alle Insassen im Alter von über 60 Jahren sowie an Risikopatienten FFP-2 Masken verteilt. Die Sicherungsverwahrten dürfen bis auf weiteres nicht zusammen mit Strafgefangenen arbeiten.


Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg
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