Es war (erst) am 29.08.2023, als ich nach fast 27 Jahren Inhaftierung in die Freiheit entlassen wurde. Was hat sich in den nun rund acht Wochen getan, worauf gilt es zu schauen, und wie wird sich die nähere Zukunft gestalten?
Der Rückblick
Die ersten Tage waren sehr ausgefüllt, weniger von Behördengängen, denn jene waren schnell abgearbeitet, sondern mit dem Knüpfen der Verbindungen zu den Menschen vor den Mauern: durch persönliche Begegnungen, Telefonate, e-mails, SMS, so dass mir manchmal fast ein wenig die Luft zum atmen zu fehlen schien. Allerdings hatte ich so viele von ihnen über Jahre vermisst, dass ich dies gerne als Nebenfolge aushielt.
Exkurs: Ämtergänge – JobCenter
Am wichtigsten waren der Gang zum JobCenter und anschließend zur Krankenkasse. Nun hatte ich schon die Möglichkeit mich während der Haft intensiv mit den notwendigen Antragsformularen zu beschäftigen, auch wenn seitens der JVA Freiburg mitunter darauf verwiesen wurde, ich könne dies doch auch alles machen, wenn ich dereinst entlassen sei. Wenn ich mir aber vorstelle, ich hätte mich erst am 29.08.2023 (die Entlassung erfolgte nach 13 Uhr), in all der dann beginnenden Aufregung mit den vielen Formularen beschäftigen müssen, frage ich mich wie das Gefängnispersonal den Inhaftierten solche Ratschläge geben kann, auf welche Unkenntnis über die emotionale Belastung einer Entlasssituation dies auch hindeutet.
Ebenso frage ich mich, wie viele ehemalige Insass*innen im Behördendschungel wohl untergehen, denn einen Termin bekommt mensch im JobCenter in der Regel via Telefon oder im Internet. Aber haben denn alle Ex-Insass*innen vom ersten Moment ein Handy, Internetzugang? Selbstredend nicht! Und werden sie in ihrem Entlasschaos alle wichtigen Unterlagen parat haben? Nein, werden sie nicht! All das wird dann die Antragsbearbeitung und Bescheidung verzögern.
Wer, so frage ich mich weiter, wird sich dann gegen ablehnende Bescheide des JobCenters wehren? Eher nicht so viele- vermute ich. In meinem Fall lehnte das Freiburger JobCenter für die Tage im August 2023 Leistungen ab, da ich mein sogenanntes Überbrückungsgeld, welches ich angespart hatte, mit in die Freiheit brachte. Man hatte aber übersehen, dass es schon vor geraumer Zeit eine Gesetzesänderung gab, in deren Folge darf das Ü-Geld nicht mehr anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Folgerichtig wurde dem Widerspruch auch umstandslos stattgegeben.
Nur weil ich mich schon rechtzeitig vor der Entlassung um alles gekümmert hatte, zumindest partiell unterstützt vom Sozialdienst der JVA und dem Leiter der Sicherungsverwahrung, Herrn G., auch wenn er mitunter etwas von meinem Engagement auf mich genervt wirkte, kam die erste Zahlung des JobCenters binnen weniger Wochen bei mir an.
Exkurs: Ämtergänge – Krankenkasse
Glücklicherweise hatte ich mich ebenfalls noch während der Haft mit meiner ehemaligen Krankenkasse in Verbindung gesetzt, deren Geschäftsstelle in Freiburg im Rahmen der zuletzt dann monatlichen (bewachten) Ausführungen aufgesucht, die notwendigen Formulare ausgefüllt, dazu das Foto vorgelegt für die Krankenkassen-Karte, so dass auch im ersten Monat nach der Entlassung die KV-Karte eintraf (und auf meinen Antrag hin erhielt ich vorab gleich einen Behandlungsschein, den mensch benötigt, wenn noch keine KV-Karte vorliegt).
Das erzähle ich so kleinteilig um zu verdeutlichen, dass vermutlich viele ehemalige Insass*innen durchs Raster fallen, oder unnötig lange auf die ihnen zustehenden Leistungen warten müssen. Erst recht, wenn sie dann auch noch ein Bankkonto eröffnen müssen, denn viele Insass*innen haben garkeins (mehr).
Selbst ich, der halbwegs gut vorbereitet war, hatte mit einer gewissen Stressbelastung zu kämpfen, um wieviel höher wird diese bei jenen sein, die ganz ohne Vorbereitung sich in eine solche Situation geworfen sehen?
Bewährungshilfe
So alle vierzehn Tage treffe ich mich seit der Entlassung mit der Bewährungshelferin, zwischendurch fragt sie auch mal per SMS nach ob etwas anstehe. Der Kontakt ist relativ entspannt, was womöglich auch daran liegt, dass ich nicht, wie viele anderen ehemalige Gefangene existenziell auf die Begleitung angewiesen bin. Da ich sozial gut eingebunden bin, benötige ich auch keine (amtliche) Ansprechperson für sonstige Belange. Bei all der Überwachungs- und Kontrollfunktion die Bewährungshilfe hat, ist es angesichts der fehlenden zivilgesellschaftlichen Strukturen und Ressourcen richtig und wichtig, dass es diese Form auch von Unterstützung für Menschen gibt, die gerade aus der Haft kommen und sich im Leben neu zurecht finden müssen. Die repressive Seite dieser Institution werde ich an anderer Stelle einmal gesondert aufgreifen.
Veranstaltungen
Am Samstag dem 23. September 2023 nahm ich erstmals nach der Entlassung an einer Demo teil. Die FAU protestierte gegen die miesen Arbeitsbedingungen in der Gastrobranche (https://www.freiburg.fau.org/2023/09/14/kundgebung-gegen-miese-arbeitsbedingungen-in-der-gastronomie/) und es fühlte sich gut an dort vor dem Pub zu stehen, gemeinsam mit den anderen und für die Forderungen zu demonstrieren.
Am 13. und 14. Oktober 2023 wiederum sprach ich auf zwei Veranstaltungen, bei der am 14.10.2023 im Kreis von fünf weiteren ehemaligen Gefangenen, über die Situation der Gefangenschaft und die Perspektiven.
Die Veranstaltungsbesuche werden sicherlich mehr werden, hier vor Ort und überregional, ich befinde mich nach der langen Haftzeit nach wie vor in der Phase, dass ich erstmal im Leben vor den Mauern ankommen muss.
Besuche
Schon wie in den ersten Tagen nach der Freilassung, so sind auch die weiteren Wochen von vielen, vielen Begegnungen mit lieben und vertrauten Menschen geprägt, ob von hier vor Ort, aber auch aus anderen Regionen Deutschlands oder der Schweiz- dabei sind diese unmittelbaren Begegnungen qualitativ noch berührender, als Telefonate, e-Mails oder SMS.
Der Haftalltag ist geprägt von Überwachung, Kontrolle und Restriktionen. All das fiel nun weg, von jetzt auf gleich: wir verabreden uns spontan, bestimmen selbst wie lange und intensiv wir uns sehen wollen, ob wir spazieren gehen, wenn ja wohin, ob wir irgendwo noch etwas essen möchten, wenn ja: wo und wie, das entscheiden wir. Das ist für jene die nie im Gefängnis gesessen haben geradezu banal, aber ehemalige Gefangene müssen ich das erstmal wieder erschließen.
Elektronische Kommunikation
In den Jahren der Haft bekam ich viele Briefe und Postkarten, zugleich schrieb ich auch viele Briefe (und Karten). Dies wurde nun weitestgehend von elektronischer Kommunikation abgelöst; technisch sich in die Angebote des 21. Jahrhunderts einzuarbeiten kostet Zeit und Kraft, macht aber auch Freude, denn so eröffnen sich weitere Möglichkeiten der Kommunikation mit Menschen, fast in Echtzeit, auch wenn viele Dimensionen die eine persönliche Begegnung aus- und kennzeichnen, hier dann fehlen. Was ich selbst, nach der langen Haft und der darin geübten Praxis schriftlicher Kommunikation, als nicht wirklich schwierig empfinde.
Gefangenen diese Möglichkeiten in den Austausch mit andern Menschen zu treten systematisch zu versagen, halte ich für indiskutabel und wird -hoffentlich- auch von breiteren Kreisen aufgegriffen werden. Wobei ich immer wieder in Begegnungen feststelle, dass nach wie vor Menschen glauben, meine Texte aus der Haft hätte ich selbst online gesetzt und es dann kaum glauben wollen, wenn ich ihnen erkläre, dass das nur ging, weil solidarische Menschen sie abgetippt und veröffentlich hatten.
Berufliche Perspektive
Durch die Kontakte zu dem Freiburger Radiosender RDL (https://www.rdl.de/) wird es mir ermöglicht Ende Oktober 2023 ein Praktikum zu beginnen, welches dort dann nahtlos in den Bundesfreiwilligendienst übergehen wird. Wir Praktis werden schon schnell an den Sendebetrieb herangeführt und künftig immer Freitags das Morgenradio von 8:00 Uhr bis 10:00 Uhr fahren, aber auch anderen Redaktionen zuarbeiten dürfen.
Herausforderungen und Klippen
So erfreulich sich das alles gestaltet, so kostet doch jeder Tag (viel) Kraft! Während der Zeit in Haft gab es selbstredend auch Anforderungen welche zu erfüllen waren, Ereignisse und Begegnungen, jedoch verteilten sich letztere über die Wochen, Monate und Jahre. Was ich nun seit dem 29.08.2023 alles erlebt habe, dicht, intensiv, gedrängt, lebendig, sich begegnend und austauschend, würde genügen um drei, vier, fünf oder auch sechs Jahre in Haft abzudecken, allein was die Zahl an Begegnungen betrifft. Sich dieser Intensität anzupassen, braucht Zeit.
Selbst wenn die reine Zahl der Aufgaben, welche ich zu erfüllen habe, im Vergleich zu anderen Menschen die ich kenne, deren Tage seit Jahren eng getaktet und durchstrukturiert sind, immer noch lächerlich gering anmuten mag, stellen meine Aufgaben für mich doch jeden Morgen aufs neue, einen mal mehr, mal weniger hohen Berg dar!
Jedoch, nicht nur die Quantität ist eine andere, sondern auch die Qualität, denn ohne den einengenden Rahmen einer Haftanstalt verändern sich nicht nur aber auch die eigene (Körper)Wahrnehmung ebenso, wie jede konkrete Begegnung mit anderen Menschen.
Gefängnisse, sie beschädigen diejenigen die dort zu leben gezwungen werden körperlich sowie psychosozial: und die Beschädigungen verschwinden nicht einfach so, nur weil jemand freigelassen wird. Das Leben in Haftanstalten ist gekennzeichnet von einer permanenten Grenzüberschreitung der Bewohnenden untereinander, aber auch seitens der Gefängnisbediensteten gegenüber den Insass*innen. Manchmal physischer, oftmals psychischer Art. Um zu überleben, erschien es mir erforderlich, diese Grenzüberschreitungen so gut es geht zu verdrängen. Das hat aber nebenbei zur Folge, dass sich die Wahrnehmung für die eigenen Grenzen, wie auch die eigene Belastbarkeit eintrübt, bzw. verzerrt.
Wenn ich dann alleine morgens über den Platz gehe, das Rauschen der Bäume, das Knarzen von Holz im Ohr, die vielen funkelnden Sterne über mir, ist das manchmal schwer auszuhalten: ich müsste eigentlich dauerfroh und dauerglücklich sein. In diesen Momenten glaube ich zu erahnen, weshalb so viele Menschen, wenn sie dann aus der Haft entlassen worden sind, so zeitnah mit Drogen- oder Alkoholkonsum beginnen. Um diese Leere, den Schmerz, das Alleinsein zu betäuben, weil sie angesichts der zuvor erlebten permanenten Grenzüberschreitungen, welche sie zu verdrängen gezwungen waren, nun den äußeren Druck einer Haftanstalt zwar nicht mehr aushalten müssen. Allerdings, die dicken Gefängnismauern, sie wirken ja nicht nur, in einem metaphorischen Sinne, nach innen drückend, bedrückend und auch erdrückend, sie geben zugleich auch Form und halten dem Druck der von innen nach außen wirkt, stand, so dass eine Art von Kräftegleichgewicht entsteht. In Freiheit gesetzt, fehlt dann eben jener Druck von außen nach innen ebenso, wie das stabilisierende Moment in Richtung Außen. Das Kräftegleichgewicht zerbricht! Sich alledem dann unbetäubt auszusetzen, das ist auch etwas das zusätzlich an den Kräften zehrt.
Nun weiß ich mich eingebettet und eingewoben in ein starkes Netz sozialer Bindungen, von Freundschaften und Solidarstrukturen. Etwas auf das viele ehemalige Gefangene sich nicht stützen können Ich hatte und habe zudem immer eine „wofür“, ein „warum“ und ein „woraufhin“ hin im Herzen. Auch das trägt dann. Allerdings kann ich mich nicht an eine Phase während der Haftzeit erinnern die vergleichbar schwierig gewesen wäre, wie jetzt die ersten acht Wochen nach der erhofften, ersehnten Freilassung- selbst in den elf Jahren der Isolationshaft, so glaube ich sagen zu können, war es nie so derart schwer wie jetzt.
Manchmal fühle ich mich so wie eine etwas altersschwache Batterie in einem Laptop. Man lädt sie auf, die Anzeige weist 100% aus. Dann schalten wir den Computer an, aber schon nach einer oder nach zwei Stunden hat die Batterie nur noch 5% oder 10% Kapazität. Nur geht ein Batteriewechsel beim Menschen nicht ganz so einfach von statten wie bei einem Laptop.
Ausblick
Leben will und muss gelebt werden, mit all seinen Höhen und Tiefen- dem versuche ich mich Tag für Tag, Nacht um Nacht zu stellen. Im Gespräch mit anderen! Im Gespräch mit mir selbst! Im Miteinander! Im Alleinsein! Im Tun! Im Lassen!
Im Leben! In Freiheit!
Thomas Meyer-Falk
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