Knastarzt Dr. M. (Bruchsal)

„Alle Jahre wieder“, so könnte man meinen, meldet sich Bruchsals Gefängnisarzt Dr. Peter M. mit Verlautbarungen zu Wort.
Nach einem im Juni 2010 ( http://de.indymedia.org/2010/07/285797.shtml) erfolgten Aushang am „Schwarzen Brett“ bot sich ihm ein gutes Jahr später offenbar erneut Gelegenheit, seine Gedanken und Einfälle publik zu machen.
Und so möchte ich heute nach einer kurzen Einführung über die Rolle des Anstaltsarztes im Allgemeinen (a.), über das „Informationsblatt“ (b.) des Dr. M. informieren.
Hieran schließt sich der Versuch einer Analyse (c.) an, um mit einem Ausblick (d.) zu schließen.

a.) Anstaltsärztinnen und -ärzte im Allgemeinen

Erst seit 1977 gibt es gesetzliche Regelungen zur Rolle und Aufgabe von Ärzten im Strafvollzug. Die ärztliche Versorgung der Inhaftierten wird durch hauptamtliche Ärzte sichergestellt (vgl. § 158 Strafvollzugsgesetz-Bund); zumindest in Westdeutschland werden diese im Regelfall auch verbeamtet. Soweit erforderlich werden Fachärzte konsiliarisch hinzugezogen. Für die medizinische Versorgung der Gefangenen gelten, mit Abweichungen im Detail, die selben Maßstäbe wie für die freien BürgerInnen, welche in der Gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied sind.
Das Image der Gefängnisärzte in der Öffentlichkeit, so Dr. Keppler (Literaturhinweis siehe am Ende des Beitrags, dort Seite 11), ist schlecht. Gerade historische wie aktuelle Verfehlungen tragen nach Ansicht von Dr. Keppler zu dieser Einschätzung seitens einer breiten Öffentlichkeit bei. Er nennt stichwortartig die Beteiligung der Ärzte im Dritten Reich an der Vernichtung von Menschen, welche bis heute nachwirke, sowie an Folterungen in Abu Ghraib.
Dr. Fritsch (a.a.O., S. 121) sekundiert mit dem Hinweis, die Geschichte der Ärzteschaft sei nicht immer durch kraftvolles Eintreten für die Menschenrechte gekennzeichnet gewesen.

Unter Gefangenen haben viele Anstaltsärzte auch deshalb einen schwierigen Stand, weil es keine freie Arztwahl gibt; die Gefangenen sind auf Gedeih und Verderb an den jeweils in der JVA tätigen Arzt, respektive die Ärztin gekettet.
Neben der üblichen Routine eines Hausarztes, hier unterscheiden sich die Krankheitsbilder nicht besonders von jenen in einer Hausarztpraxis, hat der Anstaltsarzt auch (zumindest im Regelfall) die Position eines Betriebsarztes. Entscheidet also hinsichtlich der Gefangenen über deren Arbeitsfähigkeit und beurteilt die gesundheitlichen Gefahren, die von einem bestimmten Arbeitsplatz ausgehen können, zugleich betreut er auch die Bediensteten der Haftanstalt, übernimmt z.B. die berufsgenossenschaftlichen Grundsatzuntersuchungen (angefangen bei Lärm in der Schießausbildung, über die Bildschirmarbeitsplätze, Infektionskrankheiten und anderes mehr).

b.) „Informationsblatt“ des Dr. Peter M.

Im August 2011 wandte sich Dr. med. M. mit einem „!!! Informationsblatt für
Strafgefangene !!!“ (Ausrufezeichen wie im Original) überschriebenen Papier an seine Patienten. Es wurde in allen Hafthäusern an den Schwarzen Brettern ausgehängt.
Unterteilt in drei Punkte, versehen mit diversen Ausrufezeichen, sowie teils fett gedruckten Worten, informierte Peter M. die Leserschaft, dass er sich hier und heute in seiner „Eigenschaft als Anstaltsarzt der JVA Bruchsal und ärztlichem Leiter des Krankenreviers“ zu Wort melde. Sodann belehrte er die Leserschaft ausführlich darüber, dass von ihm keinerlei Erfüllung von „Sonderwünschen“ oder „Wunschverordnungen“ zu erwarten wäre. Dies gelte für alle Bereiche, also Ernährung, Medikation und Ausstattung der Anstaltsbetten.

aa.) Ernährung
Es gebe hier in der Anstalt genau drei Kostformen, nämlich Normal-, Moslem- und vegetarische Kost. Zulagen gebe es nur in absoluten Ausnahmefällen, denn „Obst, Gemüse, Milch, Quark, etc. (…) ist über den freien Einkauf erhältlich“, eine ärztliche Verordnung sei nicht angezeigt.

bb.) Medikation
M. teilte mit, dass „bestimmte Wunschmedikamente fernab ihrer Indikation und Zulassung (…) hier nicht erhältlich!“ seien. Im übrigen wären Schlafmedikamente (…) keine Präparate zur Dauerverordnung“.

cc.) Anstaltsbetten
Keinen Widerspruch duldend ließ der Anstaltsarzt wissen, es gebe „keinen medizinischen Grund, der die ärztliche Verordnung von zwei Matratzen oder zwei Kopfkeilen rechtfertigt“. Selbst wer in der Visite über „furchtbare Rückenschmerzen“ klage, werde nichts bei ihm erreichen können.
Hierzu muss man wissen, dass die Gefängnisbetten aus einfachen Stahlgestellen bestehen. Ein Sperrholzbrett dient als Ersatz für den Lattenrost. Eine dünne, in abwaschbares Plastik verpackte Schaumstofflage stellt die Matratze dar. Ein Schaumstoffklotz der Kissenersatz. Nicht wenige Gefangene leiden an massiven Schlafstörungen; teilweise psychisch bedingt, jedoch dürfte auch die qualitativ nicht gerade hochwertig zu nennende Ausstattung der Betten dazu beitragen.

c.) Versuch einer Analyse

Man kann das Informationsblatt rechtlich und psychologisch versuchen zu interpretieren.

aa.) rechtliche Analyse
Sofern sich Patienten von der Informationsschrift abschrecken lassen, in die Sprechstunde zu gehen, da sie sich keine Abhilfe versprechen, könnte das Land möglicherweise haftbar gemacht werden wegen einer Amtspflichtverletzung des Dr. Peter M.! Denn ohne seine Patienten vorher gesehen zu haben, teils sehr deutliche Aussagen darüber zu treffen, wie er mit medizinischen Anfragen umgehen wird, ist zumindest fragwürdig. Wie es genauso bedenklich ist, wenn Dr. M. indirekt Werbung für den Anstaltskaufmann Massak ( http://www.massak.de/; kritisch zu Massak vgl. http://de.indymedia.org/2010/05/280395.shtml) macht. Wer, wie Dr. M. über 3000 Euro monatlich verdient, hat es natürlich leicht, die Gefangenen hinsichtlich der Deckung ihrer elementaren Bedürfnisse auf den (angeblich) „freien Einkauf“ zu verweisen. Freilich gibt es im Gefängnis ebenso wenig eine „freie Arztwahl“, wie den von Peter M. behaupteten „freien Einkauf“, denn die Gefangenen sind gleichfalls auf Gedeih und Verderben an die Firma Massak Logistik GmbH gebunden (in Bruchsal nur dadurch leicht abgemildert, dass sie zumindest Obst/Gemüse bei einem örtlichen Gemüsehändler ergänzend bestellen können, jedoch auch zu anspruchsvollen Preisen). Wer im Monat vielleicht 60 oder 70 Euro zur Verfügung hat, wie es bei den meisten Insassen der Fall ist, so sie Arbeit haben (arbeitslose Gefangene müssen mit einem Taschengeld von ca. 31 Euro haushalten) und dann Preise für Obst, Gemüse, Quark, etc. zahlen muss, die über Durchschnittspreisen in Freiheit liegen, erlebt es als zynisch, wenn via Aushang der Anstaltsarzt mitteilt, man möge nicht mehr ihn mit Wünschen nach entsprechenden Obst-/Quarkzulagen behelligen.
Ganz nebenbei exekutiert hier der Arzt die Bestrebungen der Anstalt, auch bedingt durch Vorgaben des Ministeriums, die Ausgaben zu senken. Denn wenn künftig die Gefangenen selbst für entsprechende Nahrungsmittel aufkommen müssen, reduziert dies die Ausgabenlast der öffentlichen Hand. Ob hier Inhaftierte zum bloßen Objekt staatlicher Einsparbemühungen degradiert werden, wird vielleicht einmal von Gerichten geprüft werden müssen.

bb.) psychologische Analyse

Verräterisch schon die Anrede auf dem Info-Blatt; weder dort noch sonst wo in dem Schreiben ist jemals von seinen Patienten die Rede, dafür taucht mehrfach der Begriff „Strafgefangenen“ auf. Wichtig scheint Dr. M. auch die Hervorhebung seiner eigenen bedeutenden Position innerhalb der Anstalt zu sein, leitet er doch das Informationsschreiben mit ausführlicher Darstellung seiner beruflichen Stellung ein.
Dr. Fritsch (a.a.O., S. 123-124) fordert von Ärzten, die in den Strafvollzug gehen möchten, sich selbstkritisch zu hinterfragen, was die Motivation hierfür sei. Ob es einem zum Beispiel darum gehe, sich „besser zu fühlen als jene, die in Haft sind“, oder aber um „mächtig“ zu wirken. Des weiteren müsse sich ein Anstaltsarzt auch „widersprüchlicher Übertragungsvorgänge“ bewusst werden, da sich ansonsten Konfliktsituationen in „aggressive Kommunikationsmuster“ verwandeln könnten.

Möglicherweise verhält es sich bei Dr. Peter M. so, denn Form und Stil des „Informationsblattes“, mit all den Ausrufezeichen und fett gedruckten Worten, wie auch das auffällige Vermeiden des Begriffs von Patienten (im Gegenzug der häufige Gebrauch des Wortes Strafgefangener) sprechen für eine vielleicht nicht bewusst feindselige Haltung, so doch zumindest für ungelöste aggressive Impulse. Ob dem tatsächlich so ist, kann ich aus nachvollziehbaren Gründen nicht nachprüfen, weshalb es sich hier um eine bloße Vermutung handelt.
Jedoch eine indiziengestützte Vermutung. Die auch dadurch Nahrung erhält, dass seit längerer Zeit nur noch in seine Sprechstunde vorgelassen wird, wer zum einen teils drei und mehr Stunden in einem engen Flur eingesperrt warten musste. Und zum anderen im Vorfeld gegenüber seinem Hilfspersonal (Sanitäter), in Hörweite von anderen Vollzugsbeamten und auch Mitgefangenen detailliert Auskunft über den Grund der Vorsprache Auskunft gegeben hat. Im Weigerungsfalle wird man nicht zu Dr. M. vorgelassen (eine Praxis, die andernorts Gerichte für schlichtweg illegal erklärt haben, vgl. OLG Frankfurt, Az. 3 Ws 24/11, Beschluss vom 28.04.2011, abrufbar über http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de).
Auch die Gefangenenvertretung hatte sich monatelang vergeblich um einen Gesprächstermin bei ihm bemüht; ob er keine Zeit hatte, weil er Informationsblätter wie das hier besprochene entwerfen musste, entzieht sich meiner Kenntnis.
Seit dem 01.09.2011 jedenfalls folgen dem Aushang nun die Taten des Dr. M. und die rigorose Streichung bislang von ihm gewährter Kostzulagen.

d.) Ausblick

Immer wieder sterben im Strafvollzug Gefangene und Gefängnisärzte stehen dann vor Gericht ( http://de.indymedia.org/2009/06/252662.shmtl). In Bruchsal bereitet ein Insasse, der längere Zeit im Koma lag und dem ein Teil der Schädeldecke entfernt werden musste, in Folge einer aus seiner Sicht nicht fachgerecht behandelten Infektion, eine Amtshaftungsklage gegen das Land vor.
Solange Gefangene, die über Stunden (siehe oben) auf ein Gespräch mit dem Arzt warten müssen, auf seinem Schreibtisch und den Tischen der Pfleger Kuchen- und Brötchenreste vorfinden, was dann die Wartezeiten erklärlich macht, und von ihm primär nicht als Patienten, sondern als „Strafgefangene“ angesehen werden, dürfen diese nicht allzu hohe Erwartungen in Dr. Peter M. setzen.

Literaturhinweis:
„Gefängnismedizin – Medizinische Versorgung unter Haftbedingungen“
herausgegeben von Karlheinz Keppler und Heino Stöver
Thieme Verlag, erschienen 2009

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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Knäste und Hungerstreiks

 

 

Über den Umgang mit Hungerstreiks in Gefängnissen

 

Immer wieder kommt es auch in bundesdeutschen Gefängnissen zu Hungerstreiks; ob kürzlich in Sehnde ( http://political-prisoners.net/tag/153-werner-braeuner.html) oder ganz aktuell in der JVA Celle ( http://de.indymedia.org/2011/08/314329.shtml).Da der deutsche Beamte (freilich auch die Beamtin) gerne in Vorschriften regelt, was sich so an Vorgängen im Dienst ereignen könnte, hat nun das sozialdemokratisch geleitete Justizministerium von Baden-Württemberg am 04.07.2011 (AZ.: 4550/0507) in der „Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums über das Gesundheitswesen im Justizvollzug“ auch die „Zwangsmaßnahmen in der Gesundheitsfürsorge“ (Ziffer 3.8.) geregelt.
Hiernach hat bei jeglichen ärztlichen Zwangsmaßnahmen, auch im Bereich „Ernährung“, der ärztliche Dienst „die Anstaltsleitung soweit möglich schriftlich“ vorab zu informieren. In „Zweifelsfällen wird unter Beteiligung der Anstaltsleitung die Aufsichtsbehörde notfalls fernmündlich“ eingeschaltet.

Kommt es zum Hungerstreik eines / einer Gefangenen, regelt Ziffer 3.8.2 die Verwendung eines – man ahnt es wohl schon – „Formblattes“, nämlich in genannten Bundesland „Formblatt JVHK“, welches weiter unten im Original zu sehen ist.

Bezeichnend schon der Titel des Formulars, wo von einer „vorsätzlichen Selbstbeschädigung durch Nahrungsverweigerung“ die Rede ist. Hier wird dem / der Inhaftierten die Rolle eines / einer Aggressors (in) zugeschrieben; auch die weiteren „Belehrungen“ entbehren streckenweise nicht eines gewissen Zynismus, bis hin zur Kostentragungspflicht des / der Hungerstreikenden.

Sollte übrigens der Tod nahen, käme wohl Ziffer 4 der genannten Verwaltungsvorschrift, die die anheimelnde Überschrift „Umgang mit sterbenden Gefangenen“ trägt, zur finalen Anwendung.
Hiernach seien der ärztliche Dienst und die Pflegekräfte der Knäste verpflichtet, sich zu „bemühen (…), dass der oder die Sterbende ohne Schmerzen sterben kann“. Man kennt das aus Arbeitszeugnissen: wer attestiert bekommt, er / sie habe sich immer „bemüht“ den Anforderungen gerecht zu werden, hat in Wahrheit recht wenig geleistet.
Ferner ist „der oder die Sterbende in einem Einzelhaftraum (unterzubringen), es sei denn er oder sie wünscht gemeinschaftliche Unterbringung“.

Womit nun (endlich) auch im Land der Tüftler, Denker und Schwaben, die laut Werbung der Landesregierung „alles könnet, außer Hochdeutsch schwätze“, Hungerstreiks und Sterben auf Punkt und Komma genau geregelt wären.

Thomas Meyer-Falk , c/o JVA-Z. 3113, Schönbornstraße 32,
76646 Bruchsal
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Sexualtäter im Knast – über den Umgang mit Vergewaltigern

Immer wieder wird in Zeitungen sowie im Fernsehen behauptet, Sexualverbrecher stünden im Gefängnis auf der untersten Stufe der internen Hierarchie.

Wie ist es um diese Auffassung in der Realität bestellt? Anhand der Situation in der in Baden-Württemberg gelegenen Justizvollzugsanstalt Bruchsal möchte ich dies hier näher beleuchten.JVA Bruchsal – ein kurzer Rückblick

Erbaut wurde das Gefängnis 1848/49 und galt seinerzeit als modern. Von einem Zentrum aus gehen insgesamt vier Flügel ab. Jeder von diesen hat drei Stockwerke. Zur Zeit leben circa 400 Gefangene in der JVA ( http://jva-bruchsal.de/), einer Anstalt, die seit vielen Jahrzehnten in Baden-Württemberg einen nachhallenden Ruf hat. Dieser mag damit zu tun haben, dass primär „Langstrafer“, also (männliche) Gefangene mit langen oder lebenslangen Haftstrafen nach Bruchsal eingeliefert wurden. Die wohl bekanntesten Inhaftierten der letzten Jahrzehnte waren Christian Klar (von der RAF), sowie Heinrich Pommerenke (Vergewaltiger und Serienmörder; starb nach 49 Jahren Haft). Ferner besteht für die hiesige Anstalt eine spezielle „Sonderzuständigkeit“ für Gefangene, die als „besonders gefährlich“ oder sonstwie „gemeinschaftsunfähig“ in anderen Gefängnissen des Landes angesehen und deshalb nach Bruchsal verlegt werden.

Sexualtäter in Bruchsals Haftanstalt

Eine exakte Prozentzahl hinsichtlich jener, welche wegen eines Sexualdelikts hier in Haft sitzen, ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Immer mal wieder werden Zahlen von bis zu 60% kolportiert, die jedoch als zu hoch angesehen werden müssen.
Dennoch gibt es eine erkleckliche Anzahl an inhaftierten Männern, die vergewaltigt, Frauen, Männer, Mädchen und Jungen missbraucht haben. In einigen Fällen erfolgte anschließend auch die Ermordung der Opfer; mitunter auch eine sexuelle Schändung der Leiche.
Über die spektakulärsten Fälle zumindest der jüngeren Zeit sind viele Gefangene durch Funk und Fernsehen, bzw. die Zeitung auch detailliert informiert.

Auftreten der Sexualtäter im Vollzugsalltag

Hier finden sich alle Variationsmöglichkeiten. Jene, die offensiv und fordernd agieren, über viele Jahre hinweg auch eine besondere „Vertrauensposition“ bei der Anstalt und Teilen der Mitgefangenen erringen. Etwa ein Jahrzehnt lang wurde ein Sexualmörder immer wieder in die Gefangenenvertretung gewählt (hierbei handelt es sich um ein von Inhaftierten zu wählendes Gremium. Kritisch dazu vgl. http://de.indymedia.org/2010/02/272222.shtml ; auch: Sonderausgabe der Roten Hilfe zum 18. März 2010, S. 13 „Gefangenenvertretung im Strafvollzug“) und genoss in der JVA weitgehende Bewegungsfreiheit. Es gibt jene, die sich durch den Sport, z.B. Fußball oder die Tischtennis-Gruppe in eine Mannschaft einfügen und über diesen Weg auch eine gewisse Anerkennung erfahren (so bspw. ein Inhaftierter, der vor wenigen Jahren in Mannheim ein 16-jähriges Mädchen von hinten niederschlug, vergewaltigte und tötete).
Andere wiederum verstecken sich regelrecht in ihren Zellen, insbesondere dann, wenn ihre Taten noch nicht lange genug zurückliegen, um medial in Vergessenheit zu geraten. Hier wäre aktuell an einen „Modefotografen“ aus Rastatt zu denken, der wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs zu einer hohen Haftstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden war. Ihn sieht man nur kurz über die Flure huschen, wenn er seinen Mülleimer entleeren geht.

Aber es gibt auch die ganz arrogant und frech auftretenden Sexualtäter: X hat seine Zelle fast neben dem Büro der Aufsichtsbeamten und seine Tür ist stets sperrangelweit offen. Schon in der JVA Freiburg vertrat er offen sein angebliches „Recht“ auf Sex mit Kindern. Kaum entlassen setzte er sein „Recht“ durch, wofür er dann entsprechend verurteilt wurde. Jeder, der ihn auf seine Tat anspricht oder von dem er mitbekommt, dass über ihn gesprochen wird, darf mit Beschwerden und Strafanzeigen rechnen. In einem Fall kam es sogar zu einer polizeilichen Vernehmung und auch Gegenüberstellung, da er eine ganze Anzahl von Gefangenen angezeigt hatte. Ein anderer Insasse, Y., der verurteilt wurde sein Kind missbraucht zu haben, droht gelegentlich anderen „aufs Maul“ zu hauen, eilt dann jedoch lieber zu den Beamten, um sich dort zu beschweren, wenn er auf sein Delikt angesprochen wird.

Reaktionen des Vollzugspersonals

Gelegentlich bekommen Gefangene zu hören, wenn sie nicht endlich diesen oder jenen Sexualtäter „in Ruhe lassen“ würden, müsse mit Konsequenzen bis hin zur Anordnung der Einzelhaft gerechnet werden. Mitgefangener Ditte (so sein Spitzname) wurde tatsächlich sanktioniert, weil er o.g. X., nein, nicht etwa geschlagen, sondern gelegentlich die Zellentüre zugemacht und dessen Licht an- und ausgeschaltet haben soll. Mittlerweile sitzt Ditte in Einzelhaft, weil er beschuldigt wurde, einen anderen Mitgefangenen „drei Mal ins Gesicht“ geschlagen zu haben. Besagtes angebliches Opfer sagte bei den Beamten laut Landgericht Karlsruhe aus, Ditte habe auf Aufforderung die Zelle zu verlassen nicht reagiert, ihn – das Opfer – vielmehr geschlagen. Was belegt worden sei durch Beamte, die eine leicht (!) gerötete Wange und ein rotes Ohr selbst gesehen hätten.

Einerseits findet man in den Beamtenbüros Zeitungsartikel, welche sich mit der „Untherapierbarkeit“ von Sexualtätern, insbesondere Pädophilen befassen, offen und für jeden, der in das Büro gehen muss, um z.B. einen Antrag abzugeben, deutlich sichtbar ausgehängt, andererseits reagiert der Vollzug scharf, selbst wenn ein Sexualtäter lediglich auf seine Tat(en) angesprochen wird.

Darüber hinaus werden Sexualtäter gerne auf „Vertrauensposten“ eingesetzt, also auf Arbeitsplätzen innerhalb einer Anstalt, welche in den Augen der JVA-Beamten/innen „sicherheitsrelevant“ sind, wo z.B. die permanente Überwachung durch Wärter/innen geringer ist, als sonst üblich. Zu denken wäre an einen Sexualmörder, der in den 90’ern in Bayern ein Kind missbrauchte und dann in einen Fluss warf, wo es ertrank. Er wurde nach Hamburg verlegt und durfte dort dann als „Kirchenreiniger“ arbeiten. Hintergrund für diese Zuteilungspraxis dürfte sein, dass die vielfach der Mittelschicht entstammenden Sexualtäter wenig Schwierigkeiten haben die Anstaltsordnung zu verinnerlichen. Gerade weil sie mitunter Ablehnung durch andere Gefangene erfahren, können sich die Bediensteten sicher sein, dass jeglicher „Verstoß“ gegen irgendwelche Regeln sofort von diesen „Vertrauensgefangenen“ zur Meldung gebracht werden wird.
Diese Bevorzugung für eigentlich recht beliebte Arbeitsplätze trägt dann weiter zu einer Distanzierung von dem Personenkreis der Sexualtäter bei.

Reaktion der Inhaftierten

Meist wird hinter dem Rücken von Sexualtätern über diese gelästert. Offen feindseliges Verhalten ist die Ausnahme und nicht die Regel. Körperliche Attacken, zumindest in Bruchsal, sind die absolute Ausnahme.
In den Vollzug integrierte Sexualtäter beobachtet man gelegentlich dabei, wie sie selbst über andere Sexualtäter abfällig herziehen; die selbst begangene Vergewaltigung sei doch „nicht so schlimm“ wie das, was „dieser Pädophile da“ getan habe.

Immer noch wird die Diskussion unter den Gefangenen davon beherrscht, dass es „den Sextätern“ doch viel zu gut gehe und sie sogar mit früherer Entlassung rechnen dürften als Täter anderer Deliktgruppen.

Zumindest dies dürfte heute nicht mehr der Rechtswirklichkeit entsprechen. Früher, vor 20 und mehr Jahren, mag es so gewesen sein, dass durch das in aller Regel angepasste, bis überangepasste Vollzugsverhalten gerade die der Mittelschicht entstammenden Sexualtäter „bevorzugt“ wurden, wenn es um die Frage einer vorzeitigen Entlassung ging. Denn ihr angepasstes Vollzugsverhalten führte zu besonders wohlwollenden Beurteilungen seitens der Vollzugsanstalten. Heute jedoch wird von Gerichten wie von Gutachtern beanstandungsfreies Vollzugsverhalten nicht mehr so hoch bewertet.

Im Vollzugsalltag jeden Kontakt mit Sexualtätern zu vermeiden ist faktisch nicht möglich. Zumal in bestimmten Zusammenhängen, in Bruchsal: in der „Behandlungsabteilung“ (dort wird mit den Inhaftierten therapeutisch gearbeitet), sogar eine konkrete Beschäftigung und Kommunikation mit diesem Täterkreis gefordert wird. Wer sich dem widersetzt, gilt dann als nicht „therapiewillig“. Seitens der Anstaltspsychologen wird argumentiert, dass die Zusammenarbeit und Kommunikation von Nicht-Sexualtätern mit Sexualtätern wichtig sei für die Resozialisierung, auch um die Toleranz gegenüber Mitmenschen zu testen oder auszubauen. Dabei wird, dies nur nebenbei, verkannt, dass sich unter den Nicht-Sexualtätern ein nicht unwesentlicher Anteil von Inhaftierten befindet, der selbst als Kind missbraucht wurde. Diesen abzuverlangen, sich aktiv mit Missbrauchern zu beschäftigen, mit diesen gemeinsam zu essen, Spiele zu spielen und vieles mehr, strapaziert deren Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit sich selbst nachhaltig.

Zusammenfassung

Zumindest für die JVA Bruchsal kann festgestellt werden, dass Sexualtäter eigentlich fast jeder Coleur dort einsitzen und körperliche Übergriffe nicht fürchten müssen. Gelegentlich sind sie psychischem Druck ausgesetzt, der jedoch eher als gering einzuschätzen sein dürfte, da offene Feindseligkeit eine Ausnahme bleibt. Die Vollzugsanstalt und deren Personal reagiert selbst auf einfache Nachfrage bei Sexualtätern nach deren Deliktstruktur nachdrücklich und kündigt einschneidende Maßnahmen an, würde man diesen oder jenen Sexualdelinquenten weiter behelligen. Intern mögen die meisten Sexualtäter in der Tat wenig gelitten sein, mit den Jahren und je nach Persönlichkeitsstruktur gelingt es jedoch durchaus einigen, sich ein vollzugsinternes Beziehungsgeflecht aufzubauen, selbst wenn dieses dann mitunter primär aus anderen Missbrauchern bestehen sollte.

Thomas Meyer-Falk, c/o. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32,
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Bad Reichenhall

Fortsetzung oder Verharmlosung des Skandals?

Wie die überregionale Presse im Juni 2011 ausführlich berichtete, kam es in der Bad Reichenhaller „General Konrad Kaserne“ im Mai zu Vorfällen, die dank der Recherche des Aktionsbündnisses „Rabatz“ publik wurden ( http://rabatz-buendnis.info/2011/06/skandal-beim-tag-der-offenen-tuer-in-bad-reichenhaller-bundeswehrkaserne/). Auf ein mit Tarnnetzen überspanntes „Modelldorf“ durften Kinder mit Waffen (so das Bundesministerium der Verteidigung), bzw. mit „Panzerfaust – Zielfernrohren“ (so die Süddeutsche Zeitung, zuletzt am 19.07.2011 in „Harte Kerle, auf gefährlichem Terrain“) zielen. Das Modelldorf war beschildert mit „Klein Mitrovica“.

Die General – Konrad – Kaserne

Benannt ist die Kaserne nach einem „Feldherrengenie“ (so soll laut Süddeutscher Zeitung, a.a.O., Adolf Hitler Konrad gelobt haben). Dieses „Genie“ wiederum lobpreiste, laut Süddeutscher Zeitung, Hitler mit den Worten, es sei Hitlers Verdienst gewesen „das Eindringen der bolschewistischen Horden nach Europa im richtigen Augenblick“ erkannt zu haben.

Noch heute schmückt den Eingang der Kaserne der Reichsadler und hält in seinen Krallen ein umkränztes Edelweiß – bis 1945 prankte an selber Stelle das Hakenkreuz.

Die Reaktion des BMV

Auf eine Eingabe an den Verteidigungsminister hin antwortete am 24. Juni 2011 ein Referatsleiter des Inspekteurs des Heeres, dass „bereits vor Jahren von Angehörigen der Gebirgsjägerbrigade 23 zu Ausbildungszwecken“ das Miniaturdorf erbaut und mit dem Ortsschild „Klein Mitrovica / Kreis Zwickau“ versehen worden sei. Dies sei „zum Gedenken an ihren damaligen Einsatz im Kosovo und der Tatsache, dass besagte Soldaten dem Landkreis Zwickau entstammten“, geschehen.

Die „Tradition“ im 2. Weltkrieg

Vor circa 70 Jahren, also während des 2. Weltkrieges, waren schon einmal Gebirgsjäger aus Bad Reichenhall am Balkan, wie der Zufall so spielt in einem Ort namens Mitrovica! Dort richteten die bayrischen Gebirgsjäger ein Massaker an. Und 70 Jahre später nennen Gebirgsjäger ein Modelldorf, an welchem Zielübungen (auch mit Kindern) veranstaltet werden „Mitrovica“.

Eine Hetzkampagne?

In der Süddeutschen Zeitung (a.a.O.) lassen sich Soldaten anonym mit dem Vorwurf zitieren, dass hier eine Kampagne von interessierten „linkslastigen“ Kreisen losgetreten worden sei. Ein Oberfeldwebel verharmlost das Geschehen laut Süddeutscher Zeitung (a.a.O.) mit den Worten: „Beim Schützenverein wird auch nichts anderes gemacht, da stört es aber keinen“. Kein Wunder also, dass nach wie vor gerade bei Rechtsextremen der Dienst in der Kaserne des „Feldherrengenies“ besonders beliebt ist, wie selbst Bundeswehrausbilder der Süddeutschen Zeitung berichteten.

Thomas Meyer – Falk, z.Zt. JVA – Z. 3113 Schönbornstraße 32, 76646 Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de
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Wahlanfechtung 2009 – Gefangene klagen vor Verfassungsgericht

 

Am 26.08.2011 wurde beim Bundesverfassungsgericht ( http://www.bverfg.de/) eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Gültigkeit der Wahlen zum Bundestag im Jahre 2009 eingereicht. Bis zum 26.08. hatten schon 142 Bürgerinnen und Bürger durch „Beitritt zur Wahlprüfungsbeschwerde“ die Einreichung durch Unterschrift unterstützt; neben vielen Gefangenen vor allem auch Menschen außerhalb von Haftanstalten.

 

Zur VorgeschichteAuch Gefangene dürfen in Deutschland wählen. Nachdem jedoch die Teilnahme an Wahlen nur kostenpflichtig ermöglicht wurde, darüber hinaus entgegen § 8 Bundeswahlordnung in keiner einzigen Justizvollzugsanstalt ein „beweglicher Wahlvorstand“ eingerichtet wurde (dabei würde für wenige Stunden eine Art Wahllokal in einem Raum der jeweiligen Haftanstalt eingerichtet), legte ich 2009 Einspruch gegen die Gültigkeit der Bundestagswahlen ein.

Beschluss des Bundestages

Am 07.07.2011 (Drucksache 17/6300, Anlage 3; abrufbar unter  http://www.bundestag.de/) wurde seitens des Bundestages der Einspruch zurückgewiesen. Weder der Wahlprüfungsausschuss noch das Plenum des Bundestages wollten in oben erwähnten Punkten Wahlfehler erkennen.

Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht

Die Entscheidung des Bundestages kann mit Beschwerde (vgl. § 48 Bundesverfassungsgerichtsgesetz) angefochten werden. Wobei die Beschwerde nur zulässig ist, wenn ihr mindestens 100 Wahlberechtigte beitreten, d.h. die Beschwerde durch Unterschrift unter eine gesonderte Beitrittserklärung unterstützen.
Dieses Quorum wurde übertroffen. Bis zum 26.08.2011 haben 142 WählerInnen die Beschwerde unterstützt.

Anwaltlich wird die Beschwerde vertreten und betreut durch den Berliner Rechtsanwalt Dr. Jan Oelbermann ( http://www.heischel-oelbermann.de/), der erst kürzlich bei Professor Dr. Feest (http:/www.strafvollzugsarchiv.de/) an der Universität Bremen seine Dissertation erfolgreich verteidigte. Sein Promotionsthema beschäftigte sich mit dem Wahlrecht von Inhaftierten.

Herr Professor Dr. Feest zählt im Übrigen zu jenen Wahlberechtigten, die die Beschwerde durch Unterzeichnung des Beitritts unterstützen.

Gerügt werden in der am 26.08.2011 eingereichten Beschwerde die Verletzung von elementaren Wahlrechtsgrundsetzen, namentlich des Grundsatzes der freien Wahl, sowie der Gleichheit der Wahl.

Noch kurz vor der Bundestagswahl 2009 hatte die LINKE im Bundestag, vertreten durch MdB Ulla Jelpke, in einer Pressemitteilung exemplarisch die Justizvollzugsanstalt Bruchsal aufgefordert, die Inhaftierten bei der Ausübung ihres Wahlrechts zu unterstützen und nicht zu behindern. Der Aufruf stieß auf keinerlei Reaktion seitens der Anstalt.

Nun bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht das Wahlrecht von Gefangenen gewichten wird.

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vgl. zu o.g. Thema auch meinen Beitrag unter
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