In eigener Sache: Gericht erwägt zweites Gutachten wegen Prüfung der Haftentlassung!

Seit Oktober 1996 sitze ich in Haft und seit Sommer 2013 nunmehr in Sicherungsverwahrung. Mitte Februar 2023 stand die Prüfung der Frage an, ob ich spätestens im Juli dieses Jahres entlassen werde. Dem Landgericht genügte die ausführliche Expertise einer renommierten Münchner Gutachterin und Psychiaterin nicht, so dass erwogen wird ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben.

Anordnung einer mündlichen Anhörung vor dem Landgericht Freiburg

Am 15.02,2023 fand eine nicht-öffentliche Anhörung der 12.Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg, unter Vorsitz des Richters Kronthaler statt. Für Punkt 12 Uhr waren geladen: mein Rechtsanwalt aus Düsseldorf, Vertreter*innen der JVA, für diese erschienen der Leiter der SV-Abteilung, Herr G. und die Stationspsychologin Frau W. Aus München per Video zugeschaltet war die Psychiaterin und Gutachterin. Zudem war auch ich selbst im Gerichtssaal.

Nachdem die Münchner Psychiaterin, die seit immerhin 41 Jahren solche Gutachten erstellt, vor einigen Monaten in einem 130-Seiten umfassenden Gutachten zu dem Schluss kam, von mir seien keine rechtlich erheblichen Taten zu erwarten, schon gar nicht bestünde die hohe Gefahr der Begehung schwerster Gewalttaten, stellte sich nun die Frage ob ich freigelassen werden würde. Die Gutachterin war im Vorfeld von Haftanstalt und Staatsanwaltschaft schriftlich hart angegangen worden. Das umfangreiche Gutachten sei widersprüchlich, weise zahlreiche Leerstellen auf und es wäre damit letztlich ungeeignet, hierauf eine Freilassung zu stützen. Die Staatsanwaltschaft stellte sogar in den Raum, die Gutachterin habe einseitig zu meinen Gunsten gegutachtet. In einem 17-seitigen Schriftsatz setzte sich im Dezember 2022 die Psychiaterin ausführlich mit den Einwänden der Justiz auseinander und riet in Richtung der Haftanstalt, diese müsse auch mal lernen (mich) „loszulassen“. Nun kam es in der mündlichen Anhörung zu einem Aufeinandertreffen der Vertreter*innen der Haftanstalt und der Münchner Gutachterin.

Verlauf der mündlichen Anhörung

Das Landgericht in Gestalt des Vorsitzenden und seine beiden Beisitzenden nahmen sich rund zwei Stunden Zeit. Die erste Stunde war die Sachverständige aus München per Internet zugeschaltet und sie wurde ausführlich vom Vorsitzenden, der selbst mit hörbar bayrischem Akzent sprach, befragt. Schlussendlich meinte der Vorsitzende jedoch, das Gutachten sei zu widersprüchlich, die Gutachterin zudem „umstritten“, zudem mokierte er sich darüber, dass die Gutachterin 17.000 Euro in Rechnung gestellt hatte. Er und die Kammer würden zudem dazu tendieren, ein weiteres Gutachten zu beauftragen. Ich selbst wurde sodann rund 30 Minuten befragt und stellte dar wie ich mir mein Leben in Freiheit vorstelle. Und so gingen die Argumente hin und her, auch mein Verteidiger warf seine Argumente in den Ring.

Ergebnis der Anhörung

Da Gericht, Staatsanwaltschaft und auch die Haftanstalt (wenig überraschend) nicht mit dem für mich sehr günstigen Gutachtenergebnis, bzw. dessen Herleitung und Begründung übereinstimmten, wird wohl ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben werden. Dieses soll sich, so es tatsächlich dazu kommt, dann speziell zu der Frage äußern, ob im Falle einer Entlassung am 07.07.2023 (zum 10-Jahreszeitpunkt:für diesen Zeitpunkt sieht das Strafrecht eine ganz besonders sorgfältige Prüfung vor) mit hoher Gefahr weitere schwerste Gewalttaten zu erwarten seien. Dies hatte die Münchner Gutachterin eindeutig verneint, aber nicht auf eine Weise, dass das Gericht damit zufrieden war.

Ausblick

Das hier beschriebene Prozedere ist nicht untypisch für den Bereich der Sicherungsverwahrung, bzw. den Straf- und Maßregelvollzug insgesamt. Während eindeutig „negative“ Gutachten, die also eine hohen Gefahr weiterer Straffälligkeit behaupten, in seltensten Fällen von Gerichten, Haftanstalten oder Staatsanwaltschaften in Frage gestellt werden, widerfährt bei für Insass*innen günstigen Gutachten oftmals das Gegenteil. Mit großem justiziellen Engagement wird nach (vermeintlichen) Lücken gesucht, um das günstige Ergebnis aushebeln zu können.

In meinem Fall stehen mir nun weitere Monate des Wartens bevor, in welchen zudem von Seiten der Haftanstalt kaum mit vollzugsöffnenden Maßnahmen zu rechnen ist, denn für diese ist die Entlassfrage offen. Ein/e Sachverständig/e wird mich in den nächsten Wochen oder Monaten in der JVA aufsuchen, wenn das Gericht den Auftrag erteilen sollte, anschließend das schriftliche Gutachten erarbeiten und dem Gericht vorlegen. Erst dann wird es eine weitere mündliche Anhörung geben. Je nach Ausgang dieser Anhörung steht dann der Staatsanwaltschaft, aber auch mir, die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde zum Oberlandesgericht offen, was weitere Wochen des Wartens bedeuten wird.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

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Vortrag zur Sicherungsverwahrung in Freiburg

Am 10.02.2023 fand in Freiburg im „Haus der Jugend“ eine Veranstaltung von Rote Hilfe e.V. und AKJ zum Thema Sicherungsverwahrung statt. Die Referentin, Professorin Dr. Graebsch aus Dortmund referierte ungefähr eine halbe Stunde, daran schlossen sich ein Gespräch mit der Moderatorin und eine Fragerunde an. Radio Dreyeckland aus Freiburg zeichnete die Veranstaltung auf, sodass diese unter www.rdl.de/beitrag/wegsperren-und-zwar-f-r-immer nachgehört werden kann.

Wer nicht nur an einer fachlich fundierten Analyse und Kritik der Sicherungsverwahrung interessiert ist, sondern auch an einem Ausblick was die „Pre-Crime“-Entwicklung (bis hinein in das Aufenthaltsrecht für Migrant*innen) angeht, erhält hier einen aktuellen Einblick. Da die Referentin zugleich auch Rechtsanwältin ist und bundesweit Betroffene vertritt, ergibt sich auch eine praxisnahe Darstellung.

Aus Sicht der Betroffenen bleibt nur noch an dieser Stelle der Referentin, ebenso der Moderatorin wie den Veranstalter*innen zu danken für diese engagierte Veranstaltung, die gezeigt hat, dass die Klagen und Beschwerden aus den Reihen der Inhaftierten einen realen Hintergrund haben und kein Ausdruck einer überzogenen Empfindlichkeit sind.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

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Pressefreiheit nach schwäbischer Art – Streit mit Landgericht Stuttgart

Aktuell wird vor dem Verwaltungsgericht um die Entscheidung der Pressestelle des Landgerichts Stuttgart, jegliche Auskünfte über einen Strafprozess gegen einen Sicherungsverwahrten zu verweigern, gestritten.

Die Vorgeschichte

Anfang 2022 beurlaubte die JVA Freiburg, mit Zustimmung des Stuttgarter Justizministeriums, welches zur Zeit von einer CDU-Ministerin geführt wird, einen wegen pädokrimineller Taten inhaftierten Sicherungsverwahrten. Dieser wurde in eine betreute Einrichtung in der Nähe von Stuttgart beurlaubt. Nur drei Wochen später musste er in die JVA Freiburg, in den Hochsicherheitsbereich, zurück verlegt werden. Schnell kam das Gerücht auf, er sei straffällig geworden, was er vehement bestritt.

Die Berufungsverhandlung

Am 14.11.2022 kam es jedoch zu einer Berufungsverhandlung vor der kleinen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, zu der der Freiburger Sicherungsverwahrte im Wege eines Einzeltransports vorgeführt wurde. Am 15.11.2022 beantragte ich bei der Pressestelle des dortigen Landgerichts Auskunft.

Der Auskunftsantrag

Unter Hinweis darauf, dass ich zum einen über Strafvollzug bloggen würde und zum anderem bei Radio Dreyeckland (https://www.rdl.de) Teil des Redaktionskollektivs sei, bat ich um Details zu Tatvorwurf und Urteil. Denn just als der Sicherungsverwahrte Anfang 2022 zurück in den Hochsicherheitsbereich verlegt wurde, mussten auch zwei weitere Insassen, die ihrerseits im „offenen Vollzug“ saßen, binnen kürzester Zeit wieder in den geschlossenen Bereich rückgeführt werden. Auch bei diesen handelte es sich um Sexualstraftäter, so dass ich für einen Bericht zu diesem Thema recherchierte.

Die Ablehnung durch die Pressestelle des LG Stuttgart

Mit erstem Schreiben vom 02.12.2022 verweigerte die Pressestelle jegliche Auskünfte, da der Fragesteller (also ich) ein Inhaftierter sei und man erteile (Mit-)Gefangenen keine Auskünfte. Als ich mich hierüber beschwerte und der Pressestelle eine pressefeindliche Haltung vorwarf, modifizierte mit Schreiben vom 03.02.2023 das Landgericht Stuttgart seine Haltung. Nunmehr wurde geltend gemacht, dass „erfahrungsgemäß Repressalien zwischen Gefangenen zu befürchten“ seien, würden Details bekannt.

Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart

Nunmehr liegt der Fall beim Verwaltungsgericht, da ich dort Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die beiden Bescheide sowie für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Erteilung der begehrten Auskünfte beantragt habe.

Ausblick

Um die Pressefreiheit auch in Deutschland scheint es nicht zum besten bestellt (vgl. jüngst die Razzia bei Radio Dreyeckland). Dass eine Behörde Auskünfte zu einem öffentlichen Prozess verweigert, erscheint abwegig. In dem Prozesskostenhilfeantrag habe ich zudem die Frage aufgeworfen, ob bei der Ablehnung der Auskünfte nicht viel eher der Umstand eine Rolle spiele, dass Aufsichtsbehörde der Pressestelle schlussendlich eben jenes Justizministerium sei, welches zuvor den umfangreichen Vollzugserleichterungen des Sicherungsverwahrten zugestimmt habe. Dass also das Justizministerium womöglich kein hohes Interesse an (kritischer) Berichterstattung haben könnte.


Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV)
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Vortrag und Diskussion zur Sicherungsverwahrung

Am Freitag, 10.02.2023 findet im „Haus der Jugend“ in Freiburg um 19.30 Uhr eine Veranstaltung zum Thema Sicherungsverwahrung statt.
Von Roter Hilfe und dem akj organisiert, wird die Dortmunder Professorin Dr. Graebsch historische Entwicklung und gegenwärtige Praxis der Sicherungsverwahrung näher beleuchten.

Nicht zuletzt durch die zum Beispiel in Bayern rigoros praktizierte Form des Unterbindungsgewahrsams gegen AktivistInnen der „Letzten Generation“, gewinnt die sogenannte „Pre-Crime“ Einsperrung weiter an Aktualität. Wer sich vorab schon informieren möchte, dem sei der sehr instruktive Beitrag von Frau Professorin Dr. Graebsch von November 2022 in „Neues Deutschland“ empfohlen (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168354.sicherungsverwahrung-tiefer-eingriff-in-die-seele.html).

Thomas Meyer-Falk

z. Zt. JVA (SV),

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