Neonazis haben in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 2025 das linke Wohnprojekt „Zelle 79“ in Cottbus angegriffen.
Am Anfang von Zelle-79 stand eine Hausbesetzung: Seit 1999 ist es Teil des Mietshäusersyndikats. Oben wohnen Leute und im Erdgeschoss sitzt ein gemeinnütziger Verein, der Raum für linkes, subkulturelles Szeneleben bietet.
Immer wieder attackieren Neonazis das Hausprojekt: 2015 ein Brandanschlag, dazu immer wieder Nazischmierereien an der Fassade. In letzter Zeit häufen sich wieder die Angriffe.
Ende März bewarf nachts eine Gruppe vermummter Personen das Haus zweimal mit Pflastersteinen und rief rechtsextreme Parolen. Jetzt gab es in der Nacht auf Samstag einen weiteren Angriff.
Da die Betroffenen ihre Stimmen aus Sicherheitsgründen nicht im Internet hören möchten, haben Bewohnende des Wohnprojekts „Zelle 79“, Radio Dreyeckland schriftlich auf einige Fragen geantwortet:
Wir kommen langsam zum Ende unseres Gesprächs: Wie geht es für Euch
weiter?
* Wir versuchen im Pressewirbel die Übersicht zu behalten und die
entstandenen Schäden zu reparieren. Der OB möchte sich demnächst mit uns zusammen setzen und besprechen, wie wir und andere Locations besser geschützt werden können. Wir sind gespannt, ob dabei etwas konstruktives heraus kommt – aber es schwingt viel Skepsis mit. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass auf die Parlamentarier:innen oft kein Verlass ist. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an der „Initiative Sichere Orte Südbrandenburg“, der wir kürzlich beigetreten sind. Sie vernetzt (sub-)kulturelle, antifaschistische Orte und organisiert im Grunde unseren kollektiven Selbstschutz. Naja und ganz nebenbei versuchen wir das durchatmen nicht zu vergessen… Uns gegenseitig zu bestärken und zu lachen, so viel es geht – denn das hilft am besten gegen die Ohnmacht.
Es ist erst rund 48 Stunden her, dass erneut Nazis
bei Euch nicht nur vor dem Haus standen sondern Parolen riefen, Pyrotechnik zündeten, im Hinterhof brannte es dann. Bevor wir näher auf diesen Angriff und die Zusammenhänge eingehen: wie ist heute, am Montagmorgen, die Stimmung bei Euch?
* Es ist eine merkwürdige Stimmung zwischen Alltag und
Ausnahmezustand. Wir sind teilweise wieder in der Uni und auf
Arbeit, wer heute freimachen kann, kümmert sich um die
Presseanfragen und Solibekundungen. Wir sind erschöpft,
trotzdemkönnen wir auch mal kurz die Küche aufräumen.
Was ist in der Nacht auf Samstag konkret passsiert?
* Nun, es war eine ruhige Nacht, die meisten von uns haben schon
geschlafen oder waren gerade dabei ins Bett zu gehen. Kurzvor
Mitternacht hörteich draußen unglaublich lauten Lärm, es knallte und Schepperte. Dann habe ich aus dem Fenstergeschaut und konnte für wenige Sekunden 5 Gestalten sehen. Sie riefen „Wir sind die Gang. Adolf Hitler Hooligans. Kommt raus ihr Fotzen, kommt raus“. Dann war schon alles in Rauch gehüllt und ich hab dieüberall rote Flammen gesehen und Knalle gehört. Krieg, war der erste Gedanke in meinem Kopf. Dann war schon nichts mehr zu sehen und ich musste das Fenster schließen um den Rauch draußen zu lassen.
* So wie der erste große Rauch verzogen war, konnten wir ein wenig die Lage checken. Die Angreifer waren weg. Während wir uns zusammen gesammelt haben,haben wir einen entstehenden Brandherdim Hinterhof entdeckt. Durch unsere schnelle Reaktion konnten wir das Feuer im Hinterhof rechtzeitiglöschen.Schließlich sind wir rausgegangen. Vor der Tür lag ein Zaunstück, das als Rambock benutzt worden ist, Pyroreste Lage rum. In dem Moment kam die Polizei dann auch.
Wie hat die Polizei reagiert?
* Die Polizei war nach 20 Minutenvor Ort. MehrerePersonen aus der
Nachbar*innenschaft hatten die Polizei gerufen.Relativ schnell drauf wurde die gesamte Stadt relativ dicht bestreift und mehrere
Personalien von eventuell Verdächtigen aufgenommen. Allerdings
wissen wir mittlerweiledurch die Berichterstattung, dass keine
verdächtigen Personen ermittelt werden konnten.
* Noch in der selben Nacht wurden Zeug*innenaussagen aufgenommen und auch in der Nachbar*innenschaft wurde bestätigt, dass es eindeutig rechten Parolen waren,die dort gerufen wurde. Hier war schnell klar, dass die Tat auch politisch motiviert war, auch aus Sicht der Polizei, was nicht immer selbstverständlich ist.
Welche Schäden am Haus gibt es?
* Ja, wir haben Schäden am Haus. Die Angreifenden haben versucht mit einem Zaunstück, welches als Rammbock genutzt wurde,die Tür zu durchbrechen. Dabei wurde das Türblattbeschädigt und musste schnell repariert werden. Das fand alles noch in der selben Nacht statt, um sicher sein zu können. Außerdem wurde die Hausfassade beschädigt. In der zweiten Etage ist z.B. bedrohlich nah an einem Fenster ein größeres Einschlagloch von einem Stein zu sehen. Da wollen wir uns nicht ausmalen, was passiert wäre, hätten die Angreifer getroffen.
Wie ging es Euch in dieser Nacht, habt Ihr noch Schlaf gefunden?
* Nun, wie gerade schon erwähnt ging es erstmal daran Schäden zu
reparieren. Außerdem war der Adrenalinpegel viel zu hoch um ruhig ins Bett zu gehen. So haben die einen schonmal die Tür repariert und ein paar andere haben sich zusammengesetzt und probiert, sich über das Geschehene Gedanken zu machen. Wir haben natürlich auch so viel miteinander geredet,um uns gegenseitig einfach zu unterstützen, haben schonmal Freund*innen geschrieben und liebe und solidarische Antworten bekommen. Aber um auf die Frage zurück zu kommen, viel Schlaf war nicht zu holen in der Nacht.
Es ist einer von vielen Angriff seitens Nazis auf Euer Hausprojekt.
Wie ist die Stimmung in der Nachbarschaft, erfahrt Ihr Solidarität?
* Also unsere Nachbar:innenschaft ist schon stabil. Es gab
Menschen,die das zufällig bemerkt und die Polizei informiert
haben.Grundsätzlich würde ich sagen,dassviele Leute mit
verschiedensten Hintergründenin der Nachbar:innenschaft leben und wir vermutlich nicht bei allen Themen unbedingt einer Meinung sind, aber wir können reden und streiten. Wenn uns Nazis hier die Tür einhauen und Brandsätze werfen, dann ist aber auch klar,dassdie
Nazis hier das Problem sind. Auch die Nachbar:innenschafthatja
Stress durch sowas. Das ist schon ein wenig paradox, aber die Nazis wollen uns brechen und einschüchtern, schaffen aber durch solche Aktionen auch irgendwie positive Effekte. Die Solidarität ist schon enorm.
* Auch über die Nachbar:innenschaft hinaus. Wir wurden durch andere Initiativen, Klubs und WG’s mit Essen versorgt, es gabganz viel Support. Nicht nur die Szene rückt näher zusammen, auch
Veranstaltungsorte der Subkultur, Galerien und viele Einzelpersonen. In der Klubszene haben wir uns ja nun auch schon organisiert und die „Initiative Sichere Orte“mit gegründet. Dort sind Kulturorte vereint, die die Bedrohungslage schon lange erkannt haben. Weit vor den öffentlichen Stellen die sich plötzlich alle zum Thema besorgt äußern.
Linke Subkultur hat es im Osten ganz besonders schwer. Wie prägen die Angriffe der Nazis euren Alltag im Haus?
* Schon stark. Du richtest deine Aktivitäten schon ein bisschen nach
Events in der Stadt aus. Du analysierst immer wie hoch ist
eigentlich die Bedrohungslage.Istnoch dasStadtfestim Gange? Oder ist heute ein Fußballspiel? Oder was auch immer. Der Punkt ist, wir sind seit den 90er Jahren als Projekt da und uns haben die Nazis nie klein bekommen. Aktionen wie diese sollen uns einschüchtern, aber sie erreichendas Gegenteil.Mehr Solidarität, mehr Spenden und mehr negative Presse. Außerdem haben wir auch unsere tollen Orte und Veranstaltungen in der Stadt, wir sind ja nicht komplett isoliert
oder so. Wir müssen nur immer kollektiven Selbstschutz
mitdenken,denndas übernimmt weder Politik, Polizei oderPresse. Wenn es knallt, bist du erstmal auf dich gestellt, immer! Auch wenn die Politik aufeinmal bemüht ist Lösungen zu finden, ich bin skeptisch. Das Problem liegt seit Jahren auf der Hand, traurig das jetzt reagiert wird, nachdem wir uns in der „Initiative Sichere
Orte“zusammengeschlossen haben. Das hätte doch mal eher passieren können.
Für wie verfestigt haltet Ihr Neonazistrukturen in Cottbus?
* Um einmal den Brandenburgischen Verfassungsschutz zu paraphrasieren: In Cottbus gibt es ein toxisches Gebilde, welches aus beinharten Neonazis, Rockern, Türstehern und Kampfsportlern besteht. Dies würde ich und viele andere in der Stadt so unterschreiben. In der Stadt und im Landkreis drum herum haben sich über Jahre und Jahrzehnte etablierte Strukturen heraus gebildet und nach und nach professionalisiert, auch mit legalen Geschäftsbereichen wie Klamottenläden oder Restaurants.
* Der Fußball spielte und spielt sicherlich eine große Rolle und kann
als Ankerpunkt zwischen oben genannten Gruppen gesehen werden. Und er hilft natürlich auch bei der Rekrutierung neuer Leute.
* Wie an vielen Orten auch medial schon festgestellt wurde, gibt es
auch in Cottbus mittlerweile sehr junge, eher aktionsorientierte
Jungnazis, die sich über TikTok (vor-)radikalisieren und dies dann
auch auf die Straße tragen wollen. Manche sympathisieren mit der
Kleinstpartei 3. Weg, viele gehen zum Fußball. In jedem Fall ist die
Hemmschwelle zur Gewaltbereitschaft niedrig.
Um materielle Schäden zu beseitigen ist Geld wichtig, aber was muss muss Eurer Sicht im Alltag getan werden, um solche Angriffe zumindest einzudämmen?
* Es braucht die aufrichtige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.
Lippenbekenntnisse zu Demokratie und Gewaltfreiheit bringen uns und anderen Betroffenen, bis auf warme Worte,gar nichts. Auch das
Geheule um ein schlechtes Image der Stadt sind für uns eine Farce und wurden über Jahre immer eher nach vorne gestellt, als die
Solidarität mit den Opfern. Gerade die, die wegen des
Image-Verlustsam lautesten schreien, haben den größten
Handlungsspielraum, etwas nachhaltig an diesem Image zu ändern. Aber dazu bräuchte es die harte Selbsterkenntnis aus Politik und
Justiz,dass in den letzten Jahrenund Jahrzehntenviel zu wenig gegen Nazigewalt unternommen wurde. Prozesse werden und wurden verschleppt und schließlich eingestellt – die Opferperspektive,deren Finanzierung am seidenen Faden hängt, kann ein Lied davon singen. Rechte Straftäter werden nicht konsequent und zeitnah verfolgt – das muss sich ändern.
* Dasselbe gilt für den FC Energie Cottbus, der nach jeder
Veröffentlichung zu seinen Nazi-Fans beklagt, dass sie ja schon so
viel tun würden und zu unrecht in ein schlechtes Licht gerückt
würden… Nur leider ist von all den Aktionen bisher wenig in den
Köpfen angekommen. In der Kurve wird trotzdem weiterhin ausgiebig der rechte Arm gehoben und die wenigen linken Fans trauen sich kaum ins Stadion.
* Und auch präventiv wird eher ab- als aufgebaut. Der Sozialausschuss unter Vorsitz der AfD hat für 2026 eine Kürzung von 20% des Haushalts beschlossen. Dieser Beschluss öffnet der Radikalisierung Tür und Tor, denn die Finanzierung von Sozialer Arbeit wird damit aufs Spiel gesetzt. Angebote zur Demokratiebildung, Vermittlung von Sozialkompetenzen oder die Beratung und Unterstützungsangebote für Gewaltbetroffene Personen und vieles mehr könnten vor dem Aus stehen. Ganz bildhaft gesprochen: die AfD kürzt das Geld, mit dem bspw. von Armut betroffene Kinder zumindest für eine Woche im Jahr auf Ferienfahrt fahren könnten.