Vor einigen Jahren lernte ich, selbst noch in Freiburg in der Sicherungsverwahrungsabteilung der Justizvollzugsanstalt sitzend, Lothar kennen. Irgendwann wurde er nach Hessen verlegt, dort ist er, nach schwerer Krankheit, nun gestorben.
Eine schillernde Figur
Lothar kam damals zu uns in der JVA Freiburg, weil ihn der bayrische Vollzug loswerden wollte. Glatzköpfig, dicker Bauch, dicke Oberarme und einen durch und durch, wenn man das so sagen kann, hessischen Humor. Zudem konnte er Geschichten erzählen, dass sich die Balken bogen und ächzten: manches stimmte. Er war in Hessen verurteilt worden, aber innerhalb des Gefängnisses in aus sich der Justiz „illegale“ (Drogen)Geschäfte verstrickt, also schoben sie ihn in ein anderes Bundesland ab. Plötzlich fand er sich in Ostdeutschland wieder und dort beging er eine erste Geiselnahme, danach noch eine zweite. Bei der zweiten war seine Kernforderung „Ich will zurück in den Westen!“.
Diesen Wunsch bekam er erfüllt, aber um den Preis der Sicherungsverwahrung, denn nach der zweiten Geiselnahme im Strafvollzug galt er als so gefährlich, dass man diese Maßregel verhängte.
Sicherungsverwahrung– was ist das?
Eine von den Nationalsozialisten 1933 in Reichsstrafgesetzbuch aufgenommene Maßregel, die der Justiz seitdem ermöglicht, Menschen auch dann noch im Gefängnis festzuhalten, wenn sie ihre eigentliche Strafe verbüßt haben. In der DDR vom Obersten Gericht in den 50‘ern außer Kraft gesetzt, da die Maßregel „nationalsozialistischen Ungeist“ atme, beschlich westdeutsche Jurist:innen, zumindest an entscheidender Stelle solch ein Gedanke nie, so dass die SV essentieller Bestandteil des Strafrechtssystems blieb und nach wie vor ist. Wer in der SV landet, hat gewissermaßen eine unbefristete (zusätzliche) Freiheitsentziehung vor sich.
Lothars Geschichten
Er erzählte von der Isolationshaft in Ostdeutschland, teilweise als sehr hart, dann aber auch, dass ihm „Umschluss“ mit weiblichen Gefangenen gestattet worden sei, in einer anderen Haftanstalt wiederum hätte ein Beamter ihn für illegale Aktivitäten gewinnen wollen. Er verschliss mehrere Anwälte in der Zeit in der er in Freiburg war und sobald er von rechtlichen Themen anfing zu sprechen, war klar, er hat eine sehr rege Phantasie.
Drogen war er sehr zugetan und schnell in den einschlägigen Kreisen aktiv, wie so viele Insass:innen, erschien ihm der trostlose Haftalltag anders nicht erträglich.
Lothar und Shorty- das duo infernale
Immer wieder habe ich in den zurückliegenden Jahren von Shorty berichtet, einem noch jugendlich wirkenden Mitinsassen, der durch eine kreativen Einfälle immer wieder den Stationsalltag auflockerte, wenn auch oft zu einem eigenen schaden. Tiere hatten es ihm angetan: mal schaffte er es Kugelfische und auch Piranhas in die Anstalt zu schmuggeln, obwohl diese Fischsorten eigentlich verboten waren. Dann fand man mal einen Salamander, eine Fledermaus, oder auch einen Raben in seiner Zelle- der Rabe war so panisch, dass er den ganzen Stationsflur vollkackte, als ein Beamter Shortys Zellentüre öffnete und der Rabe entfleuchte.
Dann saßen Lothar und andere Bewohende der Station, über Tage vor dem Aquarium im Freizeitraum: dort stand ein großes aquarium und darin schwammen einige zu beachtlicher Größe angewachsenen Piranhas. Lothar und Shorty hatten einen gelbfarbenen Fisch hineingeworfen, um zu schauen, wann er gefressen werden würde. Ersichtlich unter Drogeneinfluss saßen die Clique vor dem Aquarium, wie vor einem Fernseher, stundenlang, tagelang. Bis eines Tages der gelbe Fisch attackiert wurde und starb.
Jedenfalls, als Lothar und Shorty sich fanden, wurde dies ein vollzugliches Gespann, das die Anstalt auf Trab hielt. Beide sehr genussfreudige Drogenkonsumenten sowie voller Ideen, wie man ganz viel Sand ins vollzugliche Getriebe kippen könnte.
Lothar und Shorty treiben es auf die Spitze
Vom Alter und Habitus hätte Lothar der Papa von Shorty sein können, vielleicht war es auch ein bisschen eine Vater-Sohn-Beziehung. Beide waren, wie so viele Insassen in der SV-Abteilung, sehr unzufrieden mit den Lebensbedigungen und ihrer jeweils eigenen Situation. Besonderes Augenmerk richteten sie auf Herrn G., den Vollzugsleiter der Abteilung. Nicht nur, dass viele Bedienstete wenig Gutes über Herrn G. erzählten, wurde er für Lothar und Shorty regelrecht zur Hassfigur.
Sie suchten nach Mitteln und Wegen ihn dazu zu bewegen die Haftbedingungen zu verbessern. So kam es dann eines Nachmittags zu einem Gespräch im Stationsbüro- danach landeten Shorty und Lothar in Einzelhaft, denn Herr G. hatte sich bedroht gefühlt. Offenbar hatte er Herrn G. weismachen können, er verfüge über geheime Quellen um personenbezogene Daten über den Vollzugsleiter herauszufinden. Sinnigerweise war ich seine Quelle, denn im Rahmen eines Strafverfahrens hatte mir die Staatsanwaltschaft u.a. Geburtsdatum und Geburtsort von Herrn G. mitgeteilt. Dieses Wissen hatte ich mit Lothar und Shorty geteilt, und trotz der Isohaft gaben sie nicht mich als Quelle an.
Lothar wurde dann einige Zeit später in ein anderes Bundesland verlegt.
Es geht zuende mit Lothar
Angekommen in seinem Heimatbundesland, Hessen, verbrachte Lother die nächsten Jahre in der JVA Schwalmstadt. Über einen befreundeten Mitinsassen bekam ich dann mit, dass bei Lothar Krebs diagnostiziert worden sein soll, er ließ mir ausrichten, ich möge bitte schnellstmöglich seinen Anwalt informieren. Das machte ich, aber wie das auch mit todkranken Insassen ist, schnell entlassen wird keiner, selbst wenn er oder sie an der Schwelle des Todes steht.
Er magerte ab, aus dem übergewichtigen Kerl,von mittlerweile über 60, wurde ein alter Mann aus Haut und Knochen. Am 17.10.2025 wurde er in ein Pflegeheim entlassen. Anfang November ist Lothar nun gestorben.
