Mit einer seiner seltenen einstweiligen Anordnungen, zwingt das Bundesverfassungsgericht, nunmehr die bayrische Justiz dazu, einen schwer drogenabhängigen Insassen der JVA Kaisheim angemessen vorläufig zu substituieren.
Die Vorgeschichte des Falls
Seit 2022 befand sich der Gefangene in Bayern im Strafvollzug und obwohl er offenbar seit 17 Jahren mit Polamidon substituiert wurde, ließen das verantwortliche Personal des ärztlichen Dienstes der JVA Kaisheim die Substitution „ausschleichen“, was dann mit erheblichen Schmerzen für den Betroffenen verbunden war, sowie mit depressive Schüben.
Er wollte das nicht hinnehmen und mit Hilfe der Dortmunder Professorin Dr. Graebsch setzte er sich vor Gericht zur Wehr. Sie beantragte im Wege eines Eilverfahrens die JVA zu verpflichten, ihren Mandanten weiter zu substituieren.
Die Entscheidung des Landgerichts Augsburg
Mit Beschluss vom 17. Oktober 2023 wies das Landgericht Augsburg den Antrag ab, legte dabei den Eilantrag auf sehr eigenwillige Art aus, manche/r mag sich an die alten Fernsehserie des „Königlich Bayrischen Amtsgerichts“ erinnert fühlen, angesichts der sehr freihändigen Art des Umgangs mit Recht und Gesetz.
Das Gericht führte aus, dass laut JVA ernsthafte Zweifel vorlägen, ob die Substitutionsbehandlung die richtige Therapieform für den Gefangenen sei, da bei diesem keine Motivation zu erkennen wäre, seine Sucht zu bekämpfen beziehungsweise an der Verbesserung der Situation mitzuwirken. Der Erfolg einer Substitutionsbehandlung erscheine zudem angesichts des Konsums von illegalen Drogen sogar während der Haft fraglich. Soweit der Insasse vortrage, Schmerzen zu haben, stelle eine Substitution keine geeignete Methode zur Bekämpfung der Schmerzen dar. Ihm angebotene Schmerztabletten habe er zudem nicht in Anspruch genommen. Dem schloss sich das Landgericht an.
Exkurs: Bayern verletzt Artikel 3 EMRK
Völlig neu dürfte der bayrischen Justiz, allen voran gerade der JVA Kaisheim, das berechtigte Verlangen nach einer Substitution nicht sein. Wurde doch am 01.09.2016 durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass die Weigerung des ärztlichen Dienstes den damaligen Beschwerdeführer zu substituieren, das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verletze. Der betroffene Insasse saß in eben jener JVA Kaisheim ein, in der auch der heute Betroffene seine Strafe absitzen muss. Der Entscheid des Menschenrechtsgerichtshofs war notwendig geworden, da das Bundesverfassungsgericht sich im April 2013 geweigert hatte, auf Verfassungsbeschwerde die bayrische Praxis zu korrigieren.
Diesmal interveniert das Bundesverfassungsgericht
Zumindest das Bundesverfassungsgericht scheint, in Gegensatz zur bayrischen Justiz, dazu gelernt zu haben: denn mit einstweiliger Anordnung vom 05.12.2023 (Az. 2 BvR 1661/23) hat das Verfassungsgericht die JVA Kaisheim verpflichtet, den betreffenden Gefangenen vorläufig zu substituieren. In seiner 13 Seiten umfassenden Begründung lässt das Bundesverfassungsgericht, obwohl es in einem Eilverfahren nur um eine summarische Prüfung geht, erkennen, dass das Landgericht Augsburg schwerwiegende verfassungsrechtliche Fehler begangen hat, als es das Ansinnen des Gefangenen ablehnte. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, wie auch der Anspruch auf rechtliches Gehör könnten verletzt worden sein, so das Bundesverfassungsgericht.
Fast lapidar heißt es gegen Ende des Beschlusses: „Angesichts der potentiellen Betroffenheit des Rechtsguts Leben im Falle des Ausbleibens einer einstweiligen Anordnung überwiegt das Interesse des Beschwerdeführers, vor der Haftentlassung substituiert zu werden:“
Bewertung
Dem Einsatz seiner Rechtsanwältin aus Dortmund hat der Gefangene zu verdanken, dass er nun substituiert wird. Was passiert mit Inhaftierten die nicht auf solch eine Unterstützung setzen können? Sind vielleicht schon ehemalige Gefangene gestorben, weil ihnen zuvor die Substitution in den Gefängnissen versagt wurde? Die Vorgehensweise der ärztlichen Dienstes könnte auch strafrechtlich relevant sein, denn die Verweigerung der hier nun vom Bundesverfassungsgericht als zwingend geboten erscheinenden Substitution könnte eine Körperverletzung im Amt (durch Unterlassen) darstellen.
Die Resistenz, oder muss man sagen: Renitenz der (bayrischen) Justiz, die sich nicht schrecken lässt von Entscheidungen aus Straßburg, die überrascht jene die die Verhältnisse kennen, nicht. Vermutlich wird auch die aktuelle Karlsruher Intervention zwar für ein wenig Einzelfallgerechtigkeit sorgen, was für den Betroffenen schon lebensrettend sein kann, aber strukturell wenig verändern. Zynisch, aus Sicht von Betroffenen, mutet es an, wenn die JVA ihren Internetauftritt bewirbt mit „Justiz ist für die Menschen da“.
(Anmerkung: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde zuerst auf der Webseite des Strafvollzugsarchivs veröffentlicht.)
Schreibe einen Kommentar