In der aktuellen Ausgabe von „Zeit-Verbrechen“ wird über eine fast 60-jährige Transfrau berichtet, die nach rund 30 Jahren gegen ihren Willen aus der Haft entlassen wurde. Seidem versucht sie vieles, um zurück zu kommen, in den aus ihrer Sicht „geschützten“ Rahmen.
Wie 30 Jahre Haft einen Menschen beschädigen können
In der aktuellen Ausgabe von „Zeit-Verbrechen“ wird über eine fast 60-jährige Frau berichtet, die nach rund 30 Jahren gegen ihren Willen aus der Haft entlassen wurde. Seidem versucht sie vieles, um zurück zu kommen in den aus ihrer Sicht „geschützten“ Rahmen. Für einige Bagatelldelikte, u.a. eine Taxifahrt für die sie nicht bezahlte (8,60 €) wird sie vom Landgericht Essen zu einer kleinen Strafe sowie der (potentiell lebenslangen) Unterbringung in der forensischen Psychiatrie verurteilt. Mittlerweile sitzt sie in der forensischen Psychiatrie Bedburg-Hau ein, wo vor wenigen Monaten Reiner Loehnert, nach 38 Jahren Inhaftierung starb.
Der ZEIT-Artikel ist erfreulich empathisch geschrieben und zeigt die Verzweiflung der Betroffenen Person auf, die sich in der Welt außerhalb geschlossener Institutionen nicht zurecht findet.
Meine eigene Erfahrung
Aus eigenem Erleben weiß ich wie es sich anfühlt, nach so langer Zeit, von heute auf morgen aus der Haft entlassen zu werden. Ohne die ebenso freundliche und solidarische Aufnahme, sei es in jenem Zusammenhang in welchem ich seitdem wohne, oder die freundschaftlichen, wie auch die politischen Beziehungen und Kontakte, wäre der Übergang vielleicht nicht gelungen.
Was sagt es über das Strafrechtssystem, wenn ein Mensch nach 30 Jahren ganz offen bekundet: „Ich will dorthin zurück“?
Der Psychiater – eine problematische Figur
Als eine problematische Figur in dem Strafverfahren gegen die Betroffene erweist sich der forensische Psychiater, Dr. med. Marc-Philipp Lochmann, vom Forensisches Institut Bochum, oder wie ihn die ZEIT-Journalistin etwas maliziös nennt, „ein junger Mann namens Lochmann“, denn er spult die Standardsprüche ab, wie sie hundert-, ja tausendfach in den Gerichtssälen zu hören sind: Narzissmus, emotional instabile Persönlichkeit, dissoziale Züge. Zudem sei die Betroffene gefährlich: „Dass eine schwere Straftat folgen wird, steht fest.“, gibt sich Lochmann überzeugt. Die Frage des Vorsitzenden Richters, ob er, der Gutachter, die Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Psychiatrie für gegeben erachte, beantwortet er mit einem „Ja“.
Dabei hat die Angeklagte in der richterlichen Befragung, aber auch davor, ausdrücklich bekundet, sie wolle niemanden mehr verletzen oder schaden. Aber das scheint zu komplex für den -Zitat- „jungen Mann“.
Das Urteil
Nur 30 Minuten brauchen die Richter:innen und Schöff:innen des Landgerichts Essen, um sich zu beraten und einen Menschen lebenslang wegzusperren. Das Urteil lautet auf fünf Monate (!) Freiheitsstrafe wegen Betrugs und des Vortäuschens einer Straftat. Sowie die potentiell lebenslange Unterbringung in der forensischen Psychiatrie (§ 63 StGB). Angesichts der durchaus gravierenden Vorstrafen, kann die Unterbringung dort tatsächlich Jahre und Jahrzehnte andauern.
Quelle: https://archive.is/20250915180640/https://www.zeit.de/zeit-verbrechen/20…