Jahrzehntelange Einzelhaft in Deutschland – Eine notwendige sozialarbeiterische Untersuchung

Hauke Kröger hat im Rahmen seiner kürzlich an der Internationalen Hochschule eingereichten Bachelorarbeit über jahrzehntelange Einzelhaft in Deutschland ein seltenes Dokument in der deutschen Sozialarbeitslandschaft vorgelegt. Selten nicht, weil das Thema neu wäre, Isolationshaft gab es in der Bundesrepublik schon immer, und sie existiert bis heute, sondern weil Sozialarbeiter*innen in Deutschland darüber weitgehend schweigen. Während in den USA abolitionistische Netzwerke wie SWASC lautstark gegen Isolationshaft (Solitary Confinement) auftreten, bleibt die deutsche Soziale Arbeit erstaunlich stumm. Krögers Arbeit schließt diese Lücke: wissenschaftlich präzise, aber politisch klar: Einzelhaft ist kein Randphänomen, sondern strukturelle Gewalt.

Wie die Arbeit vorgeht

Die Studie basiert auf selten zugänglichem Material: Gerichtsakten, Vollzugsplänen, psychiatrischen Gutachten, Stellungnahmen und persönlichen Schreiben dreier Gefangener, die jeweils über ein Jahrzehnt, in einem Fall fast drei Jahrzehnte, isoliert festgehalten wurden. Einer der Gefangenen, Christian Bogner, sitzt, mittlerweile 70 Jahre alt, seit über 21 Jahren ununterbrochen in Isolationshaft.

Diese Dokumente werden mit den berufsethischen Kodizes der Sozialen Arbeit (DBSH, IFSW) abgeglichen. Der Autor bewegt sich dabei nicht im luftleeren Raum akademischer Begriffe, sondern stellt die Frage: Verstößt jahrzehntelange Einzelhaft gegen grundlegenden Werte der Sozialen Arbeit?

Sein Vorgehen: Die geringe Fallzahl wird nicht als Problem, sondern als Chance verstanden, Einzelfälle tiefergehend auszuwerten. Die qualitative Methodik erlaubt es ihm, die Lebensverläufe der Betroffenen zu rekonstruieren – und sie nicht als „gefährliche Täter“ zu betrachten, sondern als Menschen, die durch den Staat systematisch eines zentralen menschlichen Grundbedürfnisses beraubt wurden: der sozialen Beziehung.

Was Einzelhaft bedeutet

Die Arbeit macht unmissverständlich deutlich, was „unausgesetzte Absonderung“ in der Praxis bedeutet: mindestens 23 Stunden täglich allein in einer Zelle, keine Mitgefangenen, eingeschränkte Besuche, oft nur hinter Trennscheibe, kaum körperliche Nähe, kaum Stimuli. Das Gesetz mag das als „besondere Sicherungsmaßnahme“ definieren; in der Realität bedeutet es sensorische Verarmung, psychische Destabilisierung und im schlimmsten Fall den Verlust des Bezugs zur Realität.

Besonders eindringlich ist die Beschreibung, wie Isolation die „Lebenstüchtigkeit“ abbaut. In einem Fall attestieren Gutachten einen schleichenden Verlust des Realitätsbezugs nach Jahren ohne soziale Interaktion. In einem anderen Fall wird Isolation zur „Routine“ – nicht, weil sie erträglich ist, sondern weil der Mensch beginnt, sich an die Bedingungen der eigenen Deprivation anzupassen. Jenen denen diese Anpassungsleistung nicht gelingt, laufen Gefahr zu sterben. Dass das keine Übertreibung ist, wird bei einem Blick in die Rechtsprechung deutlich. Es finden sich nicht viele Fundstellen, denn kaum einem Gefangenen gelingt es, sich vor Gericht Gehör zu verschaffen, aber es gibt eine wichtige Entscheidung des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 1999: ein seit Jahren in Isolation gehaltener Gefangener drohte an der Isolationshaft zu sterben. Der Gefängnisarzt, so beschreibt es das Bundesverfassungsgericht, habe bescheinigt: „dass erhebliche Bedenken bestünden, ob der Beschwerdeführer unter diesen Bedingungen noch weiter überleben könne. Es seien Zeichen einer tiefen Depression zu sehen. Eine Depression könne auch ohne Selbstmord zum Tode führen. Die Depression könne durch eine Gesprächstherapie oder durch Medikamente nicht behoben werden.“

Hauke Kröger gelingt es eindrücklich in seiner Arbeit aufzuzeigen, wie zynisch die staatliche Logik wird: Isolation erzeugt psychische Beeinträchtigungen, die anschließend als Begründung genutzt werden, um Isolation fortzusetzen.

Strukturelle Gewalt – gutachterlich legitimiert

Die Arbeit dokumentiert außerdem ein System, das institutionelle Gewalt durch Gutachten absichert. Die Gefährlichkeit der Gefangenen wird über Jahre nahezu unverändert behauptet, obwohl dieselben Akten von stabilen Verhaltensverläufen, positiven sozialen Kontakten oder Therapieerfolgen berichten. Besonders problematisch wirkt die Praxis der sogenannten Rotationsverlegungen: Gefangene werden immer wieder zwischen verschiedenen Sicherheitsstationen verschoben, was soziale Kontakte massiv erschwert. Die Bachelorarbeit analysiert dies als Form der strukturellen Bestrafung – und als Belastung, die gleichzeitig Angehörige trifft, die teils hunderte Kilometer reisen müssen. Wieder zeigt sich: Isolation trifft nie nur die Gefangenen.

Ethische Kritik: Was bedeutet Menschenwürde?

Ausgehend von den ethischen Leitlinien der Sozialen Arbeit zieht der Autor der Arbeit eine klare Bilanz:

  • Menschenwürde wird verletzt, wenn ein Mensch unbefristet eingesperrt und gleichzeitig unbefristet isoliert wird. Hoffnungslosigkeit ist keine legitime staatliche Maßnahme.
  • Soziale Beziehungen: laut DBSH zentral für ein gelingendes Leben, so werden diese systematisch von den Gefängnissen, jeweils mit Zustimmung der übergeordneten Justizministerien, unterbunden. Körperliche Nähe, gemeinsames Kochen, körperliche Berührung bei Besuchen – all das wurde in den untersuchten Fällen über viele Jahre verhindert.
  • Partizipation: ein Kernprinzip der Sozialen Arbeit, ist praktisch ausgeschlossen. Der Tagesablauf, soziale Kontakte, Therapie, Bildung: Alles wird vollständig von außen bestimmt.
  • Soziale Gerechtigkeit: wird unterlaufen, wenn Bildungsangebote nicht zugänglich sind, weil Gefangene isoliert sind.
  • Ungerechtigkeit: wird sichtbar, wo Einschränkungen nicht verhältnismäßig oder nicht nachvollziehbar begründet sind, etwa bei Trennscheibenbesuchen oder der Weigerung, trotz jahrelangen tadellosen Vollzugsverlaufs, eine Rückverlegung in den Regelvollzug zu veranlassen.

Politische Einordnung

Der besondere Wert der Arbeit liegt darin, dass Hauke Kröger die Fälle nicht individualisiert. Es geht nicht um „gefährliche Täter“, sondern um die Frage, wie ein dieser Staat mit Menschen umgeht, denen er die Freiheit entzieht. Isolationshaft erscheint dabei nicht als ultima ratio, sondern als Routineinstrument. Der Befund ist deutlich: Einzelhaft, in Gestalt jahrelanger unausgesetzter Absonderung von anderen Gefangenen,erscheint dabei als ein blinder Fleck der deutschen Öffentlichkeit und ein aktives Versagen der Sozialen Arbeit, die sich viel zu oft in institutioneller Loyalität einrichtet, statt sich an Menschenwürde, Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit zu orientieren.

Fazit

Die Bachelorarbeit ist ein präzise recherchiertes, mutiges und politisch relevantes Stück Forschung. Sie zeigt, wie sehr Isolationshaft menschenfeindliche Strukturen reproduziert – und wie dringend eine sozialarbeiterische, menschenrechtlich fundierte Kritik notwendig ist. Die Studie ist kein rein akademisches Werk, sondern auch ein solidarischer Beitrag zur Sichtbarkeit derjenigen, die hinter Mauern jahrzehntelang isoliert werden und deren Stimmen so gut wie nie gehört werden.

Eine solche Arbeit erscheint mir nicht nur wissenschaftlich bedeutsam, sondern politisch notwendig. Sie erinnert daran, dass selbst im Gefängnis der Staat an Menschenrechte gebunden sein sollte- und dass Solidarität dort beginnen muss, wo Menschen nicht einmal mehr die Möglichkeit haben, eine Hand zu halten oder ein Gespräch ohne Glaswand zu führen.

Die Bachelorarbeit findet sich hier als PDF.

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