Ausbildung im Knast?! Keine Alternative

An dieser Stelle möchte ich über das Thema Arbeit im Strafvollzug aus meiner persönlichen Sicht berichten.

Prinzipiell herrscht nach den einzelnen Strafvollzugsgesetzen des Bundes und der Länder Arbeitszwang, verschämt auch Arbeitspflicht genannt, für jene, die in Strafhaft oder in Sicherungsverwahrung sitzen.
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts handele es sich um zulässige und nicht gegen die Menschenwürde verstoßende Zwangsarbeit, da der Idee ein Resozialisierungskonzept zugrunde liege.
Entlohnt werden die Betroffenen auf Basis des Durchschnittsverdienstes der Arbeiter und Angestellten; und zwar erhalten sie 9% dieses Durchschnittslohnes.

Meine Situation

In der Zeit der Isolationshaft von 1996-2007 durfte ich erst nicht arbeiten, und als ich es dann sollte, lehnte ich dies ab, da ich dem System der Zwangsarbeit nichts abzugewinnen vermochte (und auch heute nicht abgewinnen kann). Nach Mai 2007 und Aufhebung der Einzelhaft nahm ich an zwei EDV-Kursen der IHK und einem Lehrgang der DEKRA teil.

Alternative Ausbildung?

Als Alternative zur Zwangsarbeit entschied ich mich dann eine Ausbildung zum Mediengestalter zu beginnen. Der entsprechende Ausbildungsbetrieb ist hervorragend ausgestattet mit neuen Apple-Rechnern und aktuellster professioneller Software.

Das Problem

Aber es gab und gibt mehrere Probleme. Das wäre zum einen, dass ich nach der langen Zeit in Einzelhaft mich nicht mehr dazu in der Lage sehe, mit anderen Menschen einen ganzen Tag und dies fünf Tage in der Woche, in einem Raum zuzubringen.

Viel gravierender ist jedoch die Tatsache, dass man dort gezwungen ist auch Aufträge der Justiz abzuarbeiten: Gerichte aus dem ganzen Land wollen z.B. Formulare hergestellt haben. Diese müssen die Azubis dann auch machen. Oder die Polizeibehörden des Landes vergeben Aufträge an die JVA, so aktuell ein Bewerbungsformular für InteressentInnen für den Polizeiberuf der Bereitschaftspolizei. Es überkommt mich ein körperlich spürbares Gefühl des Ekels, dem Apparat zuarbeiten zu sollen, der mich verhaftet, verurteilt und in den Knast gesteckt hat. Die mitarbeitenden Gefangenen sind nur ein kleines Rädchen im System, aber sie erhalten es durch ihre eigene Arbeit am Laufen. Manch einer, der in der Druckerei der JVA, bzw. bei den Mediengestaltern gearbeitet hat, bekam wohl seinen Haftbefehl, Zwangsvollstreckungsurkunden und anderes auf den Zellentisch und hatte selbst am Druck oder dessen Herstellung mitgewirkt.

Ich jedenfalls kann dies nicht mitmachen.

Die Entscheidung aufzuhören

Und so habe ich mich entschieden, trotz Mahnungen von Mitgefangenen („Hey, das ist doch ein lockerer Job und wird auch noch gut bezahlt“) und eines Beamten, wonach ich für die Arbeitsverweigerung mit Disziplinarverfahren und Taschengeldsperre rechnen müsse und vielleicht später diese Entscheidung bereuen würde, die Ausbildung abzubrechen.

Wie nun die Repressionen der Justiz aussehen werden, weiß ich noch nicht; aber ich bin in der erfreulichen Position, mich nicht verbiegen zu müssen. Mich erwartet auf absehbare Zeit keine Freilassung, was nun keineswegs erfreulich ist, aber vielfach wird Gefangenen mit Konsequenzen für eine vorzeitige Entlassung gedroht, sollten sie sich dem Diktat der Zwangsarbeit widersetzen. Gleiches gilt für Vollzugslockerungen.

Perfidie des Systems

Ich halte es für skandalös und mich macht es wütend, wenn Gefangene an ihrer eigenen Inhaftierung mitwirken. Ob es nun jene Insassen sind, die die Zellen-Fenstergitter schweißen, die Käfighöfe für „gefährliche Insassen“ herstellen oder die mithelfen Haftbefehle und Papiere für Polizeibehörden zu produzieren. Hierin liegt meines Erachtens auch ein stückweit Erniedrigung: Selbsterniedrigung, aber auch seitens der Justiz gegenüber den Gefangenen. Nicht wenige Insassen jedoch sind sogar stolz auf dieses Eingebunden sein!

Selbst im ehemaligen „Ostblock“ sind manche Staaten heute schon weiter als in Deutschland. So sind Gefangene in Moldawien nicht zur Arbeit verpflichtet, da nach dortiger Ansicht solche Zwangsarbeit gegen die Menschenwürde verstoße (vgl. Justiznewsletter der Führungsakademie des niedersächsischen Justizvollzugs, 23.09.2010, S.2).

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de http://www.freedomforthomas.wordpress.com

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Raus aus dem Knast – endlich frei, was nun?

Wer meint, Gefangene würden in Deutschland gut auf ihre Freilassung vorbereitet, liegt nicht ganz daneben, jedoch ist eine adäquate Heranführung an das Leben in Freiheit keineswegs die Regel, wie ich anhand folgender beiden Beispiele exemplarisch darlegen möchte.



Freilassung aus der Sicherungsverwahrung


Nennen wir ihn der Anonymität halber Sebastian Müller; verurteilt am 06. März 1985 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und versuchter Vergewaltigung in einem weiteren Fall. Fünf Jahre Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung, so lautet das Urteil.


Im Juni 1989 war die Freiheitsstrafe verbüßt und Müller kam in die Sicherungsverwahrung. Nach der von Nationalsozialisten 1933 eingeführten Maßregel der SV, soll eine Person, von der die Begehung weiterer Straftaten droht, „unschädlich“ gemacht werden, durch Verwahrung in einem Gefängnis. Durfte zum Urteilszeitpunkt 1989 die Verwahrung maximal 10 Jahre dauern, änderte der Gesetzgeber 1998 diese Regelung und machte aus der befristeten Verwahrung eine lebenslänglich vollstreckbare.


Dies beanstandete 2009 der Menschenrechtsgerichtshof in Strasbourg, wo auch Sebastian Müller seit mehreren Jahren eine Klage anhängig hat, denn er wurde 1999, nach Verbüßung von 10 Jahren der Sicherungsverwahrung nicht entlassen.


Erst am 10.09.2010 entschied das OLG Karlsruhe (Az.: 2 Ws 290/10), er müsse sofort entlassen werden, denn die Streichung der Befristung der Unterbringung in der SV für Fälle wie ihn, die vor der Reform von 1998 verurteilt wurden, sei hier unbeachtlich. Folglich bestehe ein Vollstreckungshindernis, eine weitere Verwahrung sei unrechtmäßig.


Da diese Entscheidung absehbar war, erhielt er wenige Wochen vor der am 10.09.2010 erfolgten Freilassung einige wenige bewachte Ausführungen. Ansonsten erfolgte keinerlei Vorbereitung auf die Freiheit. Seit über 26 Jahren ununterbrochen in Haft, fand sich Sebastian plötzlich in einem Obdachlosenasyl wieder.


Seitens des Landgerichts Freiburg wurde ihm im Rahmen der sogenannten „Führungsaufsicht“ untersagt, Messer mit einer „Klingenlänge über 5 cm“, Gasdruckwaffen, Schlagstöcke zu besitzen. Mit einer Frau dürfe er auch nicht alleine in einem Auto sein. Wöchentlich 2-mal müsse er sich bei der Polizei melden, die Stadt verlassen dürfe er nicht ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle.


Wie er berichtet, wird er zur Zeit von der Polizei rund-um-die-Uhr observiert, jeweils von einem Team von fünf Beamtinnen und Beamten. Die Badische Zeitung schrieb am 15. September 2010, dass nach Aussage des Polizeichefs die „psychische Belastung für die eingesetzten Beamten (…) hoch“ sei und man sie deswegen alle sechs Wochen austauschen werde.

Über die Belastung für Müller wurde nichts geschrieben.


Am Anfang nahm er die Überwachung pragmatisch: „Gut ist, dass ich meine Begleiter alles fragen kann. Am Freitag war auch eine junge Polizistin dabei, die mich in Haushaltsdingen beraten hatte“.


Man kann das Galgenhumor nennen, oder auch als Folge der Hospitalisierung nach fast dreißig Jahren Freiheitsentzug ansehen. Ohne menschlichen Anschluss, geraten die als Bewacher eingesetzten Polizisten zu den einzigen Ansprechpartnern.

Mittlerweile reagiert er, nun mit einigen Tagen Abstand zur erfolgten Entlassung und des Abflauens der ersten Euphorie, angesichts der Dauerüberwachung auch mit depressiver Verstimmung, da ihm durch die permanente Begleitung von Polizisten jegliche Möglichkeit genommen wird, Menschen kennen zu lernen. Man könnte mit guten Argumenten diese Polizeipräsenz als das Kainsmal des 21. Jahrhunderts bezeichnen, oder als moderne Variante des Brandmals ansehen, mit welchem im Mittelalter Vogelfreie und Ausgestoßene gezeichnet wurden.


Momentan macht er sich mit der für ihn neuen Technologie des Mobiltelefons vertraut, freut sich daran, einmal Pommes essen gehen zu können. Wenn es gut läuft, wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch in seinem Fall eine Verurteilung der Bundesrepublik aussprechen, so dass ihm für fast 12 Jahre unrechtmäßiger Freiheitsentziehung eine Entschädigung zugesprochen werden wird, die den Start in das Leben in Freiheit erleichtern kann.

In einem Vergleichsfall wurde die BRD verurteilt, an den Betroffenen 50.000 Euro zu zahlen.



Freilassung aus der Strafhaft


Im Mai 2010 wurde Mohamed Abu Dhess nach acht Jahren Freiheitsentzug ohne jede Vorbereitung auf das Leben in Freiheit in Köln auf die Straße gesetzt. Verurteilt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung saß er zudem viele Jahre in strenger Isolierhaft.


So wenig man ihn auf die Freiheit vorbereitet hatte, um so bemühter war und ist man, ihm das Leben nun zu erschweren. So darf er weder den Stadtteil Köln-Nippes ohne Erlaubnis des Ordnungsamtes und der Führungsaufsichtsstelle (also zweier Behörden!) verlassen, noch eine Telefonzelle benutzen, oder im Internet surfen. Nur ein Handy wurde ihm zugestanden, kaufen kann er sich jedoch keines, da er auf der UN und der EU-Terrorlisten-Liste aufgeführt ist. Er erhält von der Stadt nur Warengutscheine; wie er schreibt, fühle er sich wie ein „Penner“ behandelt.


Sein Rechtsanwalt (http://www.becker-dieckmann-rechtsanwaelte.de) klagt mittlerweile für ihn vor dem Verwaltungsgericht gegen die vielfältigen Schikanen.

So kann er in dem ihm zugewiesenen „Hotelzimmer“ weder Lebensmittel frisch halten, noch kühlen. Auch gibt es in dem Zimmer keine Kochgelegenheit. Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung war Hochsommer und in dem Zimmer herrschten Temperaturen von 35-40 Grad Celsius. Gegenüber dem Verwaltungsgericht führte sein Anwalt aus, dass sich der Kläger in der JVA menschenwürdiger behandelt gefühlt habe, als nun nach der Freilassung.


Zur Zeit lebt er menschlich fast völlig isoliert; so er doch einmal Besuch erhält, kam es vor, dass bei Stichproben durch die Polizei sich der Besucher ausweisen musste (und damit in einer Kontaktdatei von Polizei und Verfassungsschutz gelandet sein dürfte).


Eine Dame aus Weinheim, die ihn gelegentlich anruft, um ihm auf diesem Wege moralischen Beistand zu leisten, hat es mitunter schwer, zu ihm vorzudringen, da sich eine Mitarbeiterin des Hotels weigert, Herrn Abu Dhess ans Telefon zu holen.

Alles in allem eine desolate Situation.



Wirklich nur Einzelfälle?


Vielleicht mag es sich nach Ansicht mancher Leserin, manches Lesers um (zumal spektakuläre) Einzelfälle handeln. Hier hilft ein Blick in eine von der Justiz höchstselbst veröffentlichten Statistik. So gab die Landesregierung von Niedersachsen auf Anfrage der GRÜNEN zu, dass alleine in Niedersachsen im Jahre 2009 zwar 4605 Inhaftierte entlassen wurden, jedoch nur 1740 von ihnen innerhalb der letzten drei Monate vor ihrer Entlassung Lockerungen (wie Ausgang, Hafturlaub) zur Vorbereitung auf das Leben in Freiheit gewährt bekommen hatten (vgl. Landtagsdrucksache 16/2755, Seite 75; http://www.landtag-niedersachsen.de).

Über 60 % der Entlassenen erhielten folglich keine Vollzugslockerungen.


Eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder erst aus ihrer Mitte ausschließt, um sie in einem Gefängnis über Jahre und Jahrzehnte wegzuschließen, hat auch die Pflicht, für eine Reintegration dieser Menschen zu sorgen. Die aktuellen Versuche von Massenmedien, Politikern und aufgestachelten Nachbarn (in deren Nähe manche Ex-Verwahrte Unterkunft fanden) die Probleme zu lösen, durch die Forderung, alle Betroffenen weiterhin, möglichst lebenslang wegzuschließen, helfen unter Umständen, von ganz anderen und viel problematischeren Themenfeldern (z.B. Angst vor Arbeitsplatzverlust) abzulenken, werden aber letztlich weder den Haftentlassenen gerecht, noch sind sie Ausdruck für so etwas wie Menschlichkeit!


Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Telefonieren im Knast – Telio auf dem Vormarsch

Was die Firma Massak (http://www.massak.de) auf dem Gebiet der Versorgung von Inhaftierten mit Lebensmitteln und sonstigen Gütern des täglichen Bedarfs sowie mit Kleidung ist, das ist die Firma Telio (http://www.telio.de) auf dem Feld der Telekommunikationsdienstleistung, sowie Fernsehempfang betreffend.

Ausgangslage – Telefon in Knästen?

Das Handy ist aus der Gegenwart nicht mehr weg zu denken; allerorten spazieren die Menschen mit dem Mobiltelefon am Ohr durch die Straßen. Was dabei vielen nicht bewusst ist, es gibt weiße Flecken in Deutschland: die Gefängnisse. Nicht nur, dass dort Handys strengstens verboten sind, es wird prinzipiell die Kommunikation via Telefon beschränkt (in Bayern sogar im Regelfall gänzlich unterbunden). Die Justiz verteidigt ihre Restriktionen mit dem Argument, es müsse verhindert werden, dass Gefangene kriminelle Aktivitäten oder Fluchtversuche vermittels des Telefons planen oder verabreden können.

Dessen ungeachtet haben sich in einer großen Zahl von Gefängnissen (wie auch forensischen Psychiatrien) trotz allem Möglichkeiten zu telefonieren durchgesetzt.

Beispiel: Bruchsal

In der mit über 400 Gefangenen belegten JVA Bruchsal (http://www.jva-bruchsal.com) können Inhaftierte seit einiger Zeit ihre Telefonate über die eingangs erwähnte Firma Telio Communications GmbH abwickeln. Zuerst beantragen sie bei der Anstalt die Genehmigung mit einer bestimmten Person telefonieren zu dürfen. Steht dem aus Sicht der JVA nichts entgegen, muss zuerst die Drittperson schriftlich zustimmen, dass die Gespräche ggf. aufgezeichnet und/oder überwacht werden. Anschließend schaltet ein Beamter die Nummer frei und der Gefangene kann, so er ein Guthaben bei Telio hat, nunmehr zu den Zellenöffnungszeiten an einem im Flur installierten Telefonapparat diese Nummer anwählen (jedoch keine anderen Nummern, ausschließlich jene, die ein Beamter zuvor eingespeist hat).

Telio – ein kleines Imperium

Wer sich mit Telio näher beschäftigt, stößt auf immer mehr Firmen: so gibt es unter anderem eine Telio AG, eine Telio Communications GmbH, eine Telio Shopping GmbH. 1998, so die Eigenauskunft auf der Firmenwebsite, sei die Geburtsstunde der Telio Communications GmbH gewesen, als nämlich dem Geschäftsführer der Telio AG von der „Geschäftsidee“ berichtet worden sei, „virtuelle Telefonkonten für Gefängnisinsassen zu entwickeln“ (http://www.finanzwirtschafter.de/1928-die-telio-ag-ermoglicht-telefonate-aus-dem-gefangnis/). Gab es zuvor in manchen Gefängnissen Telefonkarten, die dann auch als Zahlungsmittel eingesetzt wurden, sollte künftig alles über elektronische Konten, vornehmlich jene von Telio, abgewickelt werden. Von Hamburgs JVA Fuhlsbüttel aus startete dann die Expansion Telios, die mittlerweile 30 000 Gefangene zu ihren Kunden zähle und neben Deutschland auch in Spanien und den Niederlanden aktiv sei, folgt man den Angaben der Firma. Zu Beginn des Jahres 2007 wurden 70 Justizvollzugsanstalten in 13 der 16 deutschen Bundesländer und drei europäischen Staaten zu den Kunden gezählt (aktuellere Zahlen sind nicht verfügbar).

Telios Firmenbilanzen

Wer sich die veröffentlichten Bilanzen der Firmen anschaut (kostenlos abrufbar über https://www.ebundesanzeiger.de), stellt verblüfft fest, dass die Telio Communications GmbH seit dem Geschäftsjahr 2005 keinerlei Jahresüberschuss ausweist. Dafür stiegen die Verbindlichkeiten von etwa 523.000 Euro im Jahr 2005 auf circa 779.000 Euro im Jahr 2008 (und betrugen zwischenzeitlich auch schon über 1 Million Euro). Der Wert der Sachanlagen stagniert seit Jahren, bzw. ging leicht zurück auf 537.000 Euro. Dafür verbleibt, ebenfalls seit 2005, Jahr für Jahr ein Gewinnvortrag von exakt 229.065,54 Euro im Unternehmen. Die Muttergesellschaft, die Telio AG, welche die Telio Communications GmbH beherrscht, steigerte ihren Bilanzgewinn von 71.650,87 Euro für 2005 auf nunmehr 197.839,53 Euro im Jahr 2008.

Telios Preispolitik

So wie ich schon an anderer Stelle über die aus Gefangenensicht doch sehr hohen Preise der Firma Massak Logistik GmbH berichtete (http://de.indymedia.org/2010/05/280395.shtml), kann aus meiner Sicht auch nicht viel Gutes über die Telefonpreise der Firma Telio geschrieben werden. Wer aktuell in Freiheit telefoniert, der muss mit Minutenpreisen von 0,45 Cent bis 2 Cent rechnen, je nachdem ob es sich um ein Orts- oder ein Ferngespräch handelt. Telio liebt Gleichbehandlung! Und so zahlen die Gefangenen (Stand: 01.09.2010) pro Takt immer 10 Cent, wobei für Ortsgespräche der Takt 60 Sekunden und für Ferngespräche 30 Sekunden beträgt. 20 Cent für eine Minute Ferngespräch ist der 10-fache Betrag dessen, was Telefonbetreiber in Freiheit von ihrer Kundschaft verlangen. Wer ins Ausland telefonieren möchte oder muss, für den wird es noch teurer. Sind in Freiheit Preise – je nach Staat – von 0,74 Cent bis zu 3 Cent üblich, zahlen Gefangene bei Telio 60 Cent/Minute für Gespräche ins europäische Ausland und bis zu 1,39 Euro/Minute, wenn nämlich das Gespräch nach Osteuropa gehen soll. Eine besondere Spezialität: man ruft jemanden an und niemand nimmt ab, dennoch werden Gebühren fällig! Telio ist es nämlich egal, ob ein Gespräch geführt wurde oder nicht; eine Praxis, die rechtlich zwar zulässig ist (denn sobald es in der Leitung „tutet“, steht eine Verbindung zwischen beiden Telefonpartnern), aber in Freiheit nicht praktiziert wird.

Telios Expansionspläne

Nunmehr möchte die Telio Communications GmbH auch Fernseher, Radio und CD/DVD-Spieler in den Gefängnissen privatisieren und bietet deshalb den Anstalten „Telio-Multio“ an, einen 22-Zoll-Farbmonitor, der über eine transparente Rückseite verfügt (um so für die Wärter leichter kontrollierbar zu sein) und über den auch CDs/DVDs abzuspielen sind. Mitgeliefert wird neben einem Radioprogramm-Bouquet auch das Fernsehprogramm. Selbst eine Festplatte kann eingebaut werden; in einer De-Luxe-Variante könnten Telefonate aus den Hafträumen über dieses Telio-Multio-Gerät geführt werden. Telio preist weitere Möglichkeiten in seinem Prospekt an: Internet („Chinesisches Internet“, so nennt das Telio wortwörtlich; d.h. es ist kein freier Zugang, sondern ein extrem zensierter denkbar), e-mail; „Multio-Apps“ (Schach, Sudoku, Terminplaner); Abwicklung des Antragswesens und des Einkaufs. Selbst an zukünftige Entwicklungen ist gedacht, namentlich an „Teleworking“ von der Haftzelle aus.

Ganz billig ist der Spaß freilich nicht. Es gibt zwar eine „Telio-Free“ genannte Variante für 0,00 Euro; dort finden sich dann drei Sender der ARD für TV und drei Radiosender. „Telio-Basic“ kostet jedoch schon 14, 95 Euro/Monat, für 35 TV-Programme und 30 Radiosender (auch wenn man im Telio-Bouquet vergeblich nach Qualitätssendern wie dem DLF, Phoenix, Bayern-Alpha suchen wird). Wer gerne als Migrant türkische oder russische Sender sehen oder hören möchte, wird mit jeweils 9,95 Euro bzw. 12,95 Euro zur Kasse gebeten.

Die Vertragsbedingungen verdienen es gleichfalls, näher betrachtet zu werden. Es versteht sich von selbst, dass Telio sich vorbehält jederzeit und ohne Ankündigung Sender aus den Senderpaketen zu streichen. Die Anstalten haben sich für 1 Jahr Probebetrieb und 9 Jahre Hauptvertragszeit zu verpflichten. Wobei Telio die Türe für eine Kündigung offen hält: sobald ein „wirtschaftlicher Betrieb für Telio nicht mehr möglich ist“ (§ 3 des Vertrags), darf Telio kündigen. Die Anstalten werden auf strengste Geheimhaltung verpflichtet „über den Inhalt und Aufbau der Geschäftsbeziehung und des Vertrags“ (§ 5 a.a.O.). Zudem müssen sie der Firma zur Seite stehen, sollte jemals ein Gefangener Telio verklagen; sie haben sodann „Telio mit allen erforderlichen Informationen (zu) versorgen, damit Telio (…) sich ggf. gegen Geltendmachung auch gerichtlich ausreichend wehren kann.“ (§ 8 a.a.O.).

Ausblick

Telio wird wohl denselben Weg wie Massak gehen und sich in immer mehr Anstalten ausbreiten. Man bietet den Gefängnisleitungen Rund-um-Sorglos-Pakete; und die Rechnung zahlen die Gefangenen mit ihren meist stagnierenden, wenn nicht gar sinkenden Löhnen, sofern sie nicht sowieso von lediglich 31,– Euro Taschengeld im Monat leben müssen, da auch hinter den Mauern die Arbeitslosigkeit grassiert. Wer davon dann alleine fast 15, — Euro bei Telio lassen muss, der weiß, was das Stündlein geschlagen hat.

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Tote sind immer im Recht – eine Rezension

Am 27. Dezember 2008, zwischen 11 Uhr und 11.40 Uhr starb im Justizvollzugskrankenhaus Heinrich Pommerenke nach fast 50 Jahren Gefängnis. Kein Gefangener saß bislang derart lange ununterbrochen in Haft (auch wenn es aktuell mehrere Inhaftierte gibt, die 40, 45 und mehr Jahre, wie man im Gefängnisjargon sagt, „auf dem Buckel haben“).


Was machte ihn so gefährlich in den Augen der Justiz? Er wurde am 22. Oktober 1960 in Freiburg wegen vierfachen Mordes, siebenfachen Mordversuchs, 25-facher versuchter und zweifach vollendeter Vergewaltigung und anderer Delikte mehr zu sechs Mal lebenslang plus 15 Jahren verurteilt. In den Jahren nach seiner Verhaftung und Verurteilung gaben Eltern ihren Kindern die Drohung auf den Weg, sie mögen pünktlich nach Hause kommen, „sonst holt Dich der Pommerenke“. Das personifizierte Grauen, ein Monster, der Teufel in Menschengestalt; das wurde er geheißen und noch mehr.


Seit Mitte August 2010 liegt eine Art Kriminalbiografie über Heinrich Pommerenke vor. Geschrieben von dem 1971 in Karlsruhe geborenen Thomas Alexander Staisch – damals saß Pommerenke schon 12 Jahre im Gefängnis.

Auf 342 Seiten breitet Staisch ein Sittengemälde der späten fünfziger Jahre aus, in dessen Klima Heinrich P. seine Morde, Vergewaltigungen und Überfälle beging. Den Tötungsdelikten räumt der Autor breiten Raum ein, verharmlost, bagatellisiert nichts. Aber auch wenn er Pommerenke immer und immer wieder Monster, den Teufel in Menschengestalt und anderes mehr nennt, so wird deutlich spürbar, dass er hier das Stilmittel der Übertreibung einsetzt, um gerade den menschlichen Kern Pommerenkes und auch die ihm widerfahrene Verletzung seiner Würde, seines Menschseins heraus zu arbeiten.


In einer literarisch anmutenden Weise schreibt Thomas A. Staisch über das Leben Pommerenkes vor und in der Haft, zitiert viele Quellen: Ob Akten aus dem Staatsarchiv, Anstaltsbeamte, Freunde (ja, auch die hatte Heinrich P. bis zu seinem Tod) und insbesondere den ehemaligen Gefängnispfarrer vom Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg.


Wer etwas über die Perfidie erfahren möchte, mit der im Gefängnis mit Inhaftierten umgegangen wird, der kann exemplarisch an Pommerenkes 50 Gefängnisjahren alle Spielarten erleben: Körperliche, wie seelische Misshandlung, heimliches Beibringen von Psychopharmaka und den Versuch der Vernichtung durch Haft; selbst ein ehemaliger Gefängnisdirektor, der Pommerenke und dessen Fall kennt, wird zitiert mit der Analyse: Hier wird ein Exempel statuiert, ein „Vernichten“, eine Todesstrafe ohne Fallbeil (a.a.O., S. 32).


So kann man das Buch durchaus auch als Streitschrift für eine Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe lesen und sie gewinnt seine Bedeutung gerade dadurch, dass nichts ungesagt bleibt, nichts verschwiegen wird von dem, was Heinrich Pommerenke vor über 50 Jahren getan hat.


In einer Zeit, in der hysterisch, aufgeregt und mit viel Gespür für den Volkszorn (bspw. FOCUS vom 16.08.2010, der Titel lautete: „Ist unser Staat zu feige? Der Skandal um die Freilassung von 100 Sex-Verbrechern“) über die Freilassung von – angeblich – „gefährlichen“ Menschen aus dem Gefängnis diskutiert wird, kann Staischs Buch einen wertvollen Beitrag leisten zu einem fundierten Einblick in den Alltag deutscher Strafvollzugswirklichkeit, ohne sich dabei dem Vorwurf von interessierter Seite aussetzen zu müssen, er sei allzu solidarisch mit dem/den Gefangenen.


Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Bibliografische Angaben:

Thomas Alexander STAISCH

„Heinrich Pommerenke, Frauenmörder – Ein verschüttetes Leben“

erschienen 2010 im Verlag Klöpfer & Meyer

ISBN 978-3-940086-88-4, 344 Seiten, Preis: 22,– Euro

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Einbrecher aus SV frei – Ralf Schüler entlassen

Schon öfter hatte ich über das Schicksal des in Sicherungsverwahrung sitzenden Ralf Schüler berichtet. Er wurde 1994 verurteilt für einige Fälle von Einbruchdiebstahls; ein Gesamtschaden von circa 20 000 Euro.
Dafür bekam er neben der Haftstrafe auch Sicherungsverwahrung; in dieser saß er nun fast 12 Jahre.

Ich kann von „saß“ sprechen, denn am Freitag, 20.08.2010 wurde er gegen 13.00 Uhr aus der JVA Bruchsal freigelassen. Seinem Pflichtverteidiger hatte er das nicht zu verdanken, sondern seiner Hartnäckigkeit und einem entscheidungsfreudigen 2. Strafsenat des OLG Karlsruhe. Schon vor einigen Wochen entschied das Landgericht, er müsse freigelassen werden. Denn er gehört zu jenen „Altfällen“, von denen zur Zeit in den Medien soviel die Rede ist; dies bestätigte nun das Oberlandesgericht.

Altfälle!?

Bis 1998 durfte die erstmalige Unterbringung in der SV maximal 10 Jahre dauern. Ohne wirklichen Anlass wurde diese Obergrenze 1998 von der CDU/ FDP-Koalition gestrichen; aber nicht nur für künftige Taten, sondern auch für alle schon in Haft sitzenden Menschen. So fand sich Ralf plötzlich mit einer lebenslang vollstreckbaren SV in Haft, obwohl zum Zeitpunkt seiner Verurteilung diese maximal 10 Jahre hätte dauern dürfen. Der EGMR (Europäische Gerichtshof für Menschenrechte) urteilte im Dezember 2009, dass durch diese Rückwirkung die Bundesrepublik Deutschland die Menschenrechtskonvention verletzt habe. Dem schloss sich das Landgericht Karlsruhe im Falle Schülers an; das Urteil gelte auch für ihn (was im Vorverfahren die Staatsanwaltschaft noch in Abrede stellte). Die SV stellt faktisch eine Strafe dar und Strafen dürfen nicht rückwirkend verlängert werden.

Mediale Hetzkampagne

Es vergeht kaum ein Tag seit Mai 2010 (dort wurde das Urteil des EGMR rechtskräftig), an welchem nicht RTL, SAT 1 oder BILD davon hetzten, dass nun dutzende, ach wenn nicht gar 100 oder mehr brutale „Sex-Verbrecher“ durch Deutschland laufen werden, um wehrlose Kinder und Frauen zu vergewaltigen und zu töten. FOCUS titelte gar am 16.08.2010: „Ist unser Staat zu feige? Der Skandal um die Freilassung von 100
Sex-Verbrechern“.

Zum einen geht es eben gerade nicht nur um Verwahrte, die wegen eines Sexualdelikts verurteilt wurden, sondern auch, wie der Fall von Ralf Schüler belegt, um andere Tätergruppen. Wie Einbrecher, wie Diebe, wie Räuber, wie Drogenverkäufer; und gewiss sind auch die anderen Verwahrten nicht, wie FOCUS unter Berufung auf einen baden-württembergischen Staatsanwalt suggeriert „Die Gefährlichsten der Gefährlichen“. Diejenigen, die Geld haben, können sich gute Anwälte und teure Privatgutachter leisten. Deshalb findet man in der SV so gut wie nie Angehörige der oberen Mittelschicht oder gar der Oberschicht.
Unbestritten gibt es abscheuliche Sexualtaten, aber ein bloßes Wegsperren hilft nicht, zumal von den nun aus der Haft zu entlassenden Sicherungsverwahrten weniger Gefahr ausgehen dürfte als von vielen Vätern, Onkeln, Cousins. Denn es ist auch eine Tatsache, dass Sexualdelikte in der übergroßen Mehrzahl von männlichen Angehörigen oder
Bekannten im Familienkreis begangen werden.

Skandal im Skandal

War es schon ein Skandal, Ralf Schüler fast 12 Jahre in SV zu halten, so stellen die Umstände der Freilassung gleichfalls kein Ruhmesblatt dar. Vor 5 Jahren, 2005, wollte er nur noch raus, frei sein, sah aber keine Perspektive in der JVA Freiburg. So bastelte er einen Nachschlüssel, um so auf das Außengelände zu gelangen und von dort die Mauer übersteigen zu können.
Jedoch wurde er entdeckt und von Freiburg nach Bruchsal verlegt – nun galt er als „flucht gefährlich“ (so heißt das tatsächlich). Die nächsten 5 Jahre (!) verbrachte er wegen dieses Vorfalls in Absonderung. Absonderung heißt auch Isolation: seine Zelle war stets verschlossen, nur durch den nicht akustisch völlig dicht schließenden Türspalt konnte
man mit ihm reden; werktags konnte er 5 Stunden mit vier bis fünf anderen „gefährlichen“ Mitgefangenen in einem Minibetrieb Teppichmuster in Kataloge kleben und nachmittags mit ihnen für 60 Minuten an die frische Luft, bevor er wieder weggeschlossen wurde.
So ging das ½ Jahr, 1 Jahr, 2 Jahre, 3 Jahre, 4 Jahre, 5 Jahre!

Bis zum Tag der Freilassung! Er wurde durch nichts auf die Freilassung vorbereitet, selbst einen Personalausweis konnte er sich nicht beschaffen. Zwar versprach vor Wochen, als sich eine mögliche Entlassung abzeichnete, ein Wärter, er werde sich um die Formulare für die Beantragung kümmern, ward dann aber nicht mehr gesehen. Internet? Kennt er nur aus einem Buch, das er sich auf eigene Kosten beschaffen musste.
Euro? Kennt er gar nicht. Handy? Was ist das?
Wie in eine Zeitkapsel wurde Ralf Schüler 1993 in den Strafvollzug gesteckt – und nun von einer Minute auf die nächste wieder ausgespuckt.

Wie geht es weiter mit Ralf Schüler?

Freitag, 20. August stand er dann erstmal etwas verloren auf der Straße.
Da war niemand, der sich auf ihn freute oder auf den er sich freute. Er bekam sein Entlassungsgeld (für das er viele Jahre gearbeitet hat) in die Hand gedrückt und wird sich übers Wochenende erstmal in einer billigen Pension in Karlsruhe einmieten. Dann warten viele Ämtergänge auf ihn und ein Neubeginn in Freiheit. Nach 17 Jahren Haft.

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Nachrichtensplitter aus dem Knast

Auch abseits der Berichterstattung über die Pläne die Sicherungsverwahrung zu reformieren, wird immer wieder über den Strafvollzug berichtet. So aktuell in Nürnberg über den Tod eines Gefangenen (a.), in Hannover über angeblich verängstigte Kleingärtner vor den Knasttoren (b.). Darüber hinaus macht ein aus der JVA Freiburg entlassener Sicherungsverwahrter in Niedersachsen Schlagzeilen (c.), ganz unfreiwillig. Und in Baden-Württemberg macht sich die Landtagsopposition lustig über die FDP, welche 2006 die Bewährungshilfe privatisierte, da dies dem Land Millionen an Kosten spare. Nun jedoch enthüllte der Rechnungshof, dass bis 2016 nicht nur kein Geld gespart, sondern fast 50 Millionen (!) Euro Mehrausgaben die Folge sein werden (d.)


a.) Tod im Nürnberger Knast

Im Juni 2009 schrieb ich über den tragischen Tod von David in der JVA Nürnberg (http://de.indymedia.org/2009/06/252662.shtml); und wieder ist vom Sterben in Nürnbergs Knast zu berichten. Mitte Juli starb ein gerade einmal 21 Jahre junger Untersuchungsgefangener (http://www.nz-online.de/artikel.asp?art=1262095&kat=11 ), wobei die Lokalpresse reißerisch von einer angeblichen „Drogenparty“ schwadronierte, anstatt kritisch Sucht und Suchtdruck zu hinterfragen. Seit Mai in U-Haft, wartete er auf seinen Prozess wegen des Verdachts gefährlicher Körperverletzung. Angeblich habe ihm eine Besucherin Heroin in die Anstalt geschmuggelt. Ob dem tatsächlich so war, kann dahinstehen, denn hier geht es kaum um eine wilde „Drogenparty“, sondern den verzweifelten Versuch als zumal junger Mensch den (bayrischen) Knast auszuhalten. Alles was der Knastleiterin laut Nürnberger Zeitung dann einfiel, war die Feststellung, sie werde jene Wärter, die dem Notruf folgten, der zum Auffinden des Gefangenen führte, „belobigen“ und wer in ihrem Gefängnis mit Drogen erwischt werde, der habe harte „Disziplinarstrafen“ zu gewärtigen. Nun zumindest an jenem 21. jährigen Untersuchungsgefangenen kann sie diese Instrumente nicht (mehr) ausprobieren…

b.) Kleingärtner vor Hannovers Knasttoren

Am 17. Juli 2010 berichtet die „Neue Presse“ aus Hannover über ein „wachsames“ Leben der Schrebergartenkolonie „Burgfrieden“, welche vor den Mauern des Hannover Knastes liegt. Angeblich würden Personen die Grundstücke nutzen, um von dort Drogensendungen in die Anstalt zu werfen. Kleingärtner Horst KNORR lässt sich zitieren mit den Worten: „Ich halte die Augen offen“.
Im Gegensatz zur oben erwähnten Berichterstattung aus Nürnberg, wird im Fall aus Hannover zumindest kritisch erwähnt, dass ein großer Teil der Gefangenen süchtig sei und der Therapie bedürfe.

c.) Sicherungsverwahrter auf freiem Fuß

In Folge des Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 ( http://de.indymedia.org/2010/01/270543.shtml), setzte das OLG Karlsruhe am 15. Juli 2010 einen Freiburger Sicherungsverwahrten nach 29 Haftjahren auf die Straße. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass auch in diesem Fall keine nennenswerte Vorbereitung auf die Freilassung erfolgte.
Wie die „Neue Presse“ am 17.07.2010 berichtete, fuhren Gefängnisbeamte (!) den Ex-Verwahrten nach Niedersachsen, damit er dort in eine Betreuungseinrichtung einziehen konnte. Nun schäumt die örtliche Presse über diesen angeblich extrem gefährlichen Sexgangster im beschaulichen Bad Pyrmont.
Hintergrund der recht überstürzten Freilassung ist der Umstand, dass noch unter Regentschaft von Helmut Kohl im Jahr 1998 die Dauer der Unterbringung in der SV auch rückwirkend von maximal 10 Jahren auf lebenslang ausgedehnt wurde. Erst der EGMR beanstandete dies am 17.12.2009 als Verstoß gegen das Verbot rückwirkender Strafen.

d.) Privatisierte Bewährungshilfe

Nach der gesetzlichen Konzeption soll die Bewährungshilfe entlassenen Gefangenen oder Verurteilten mit einer Bewährungsstrafe kontrollierend wie auch helfend begegnen. Zum einen die richterlich angeordneten Bewährungsauflagen (z.B. Zahlungen an Tatopfer, Therapieantritt) überwachen und zum anderen beispielsweise bei Ämtergängen helfen oder in Krisensituationen mit den Probanden sprechen.
Recht großspurig kündigte Justizminister Dr. Ulrich GOLL im Jahr 2006 an, man werde in Baden-Württemberg die Bewährungshilfe, bislang von Landesbeamten wahrgenommen, in die Hände des österreichischen Vereins „Neustart“, einer gemeinnützigen GmbH legen, da dies erhebliche Einsparungen für den Landeshaushalt mit sich bringen werde. Eine „Effizienzrendite von 10-15%“ halluzinierte der FDP-Minister. Davon bleibt nur ein Scherbenhaufen übrig. Wie der Rechnungshof des Landes (http://www.rechnungshof.baden-wuerttemberg.de/ ) mit seiner Denkschrift von Mai 2010 belegt (a.a.O. s. 77-84), kommen auf das Land bis 2016 Mehrausgaben von 46,8 Millionen Euro, wegen der voreiligen Privatisierung der Bewährungshilfe, zu.
Während der Justizminister noch im Dezember 2007 behauptete, man werde pro Jahr in diesem Bereich 2,5-3,25 Millionen pro Jahr sparen, fallen Mehrkosten in Millionenhöhe an (bis zu 5,3 Millionen pro Jahr). Der üppig ausgestattete Vertrag mit dem Land Baden-Württemberg erlaubt es der Neustart GmbH alleine von 2007-2008 die Gewinnrücklagen um 7,3 Millionen Euro zu steigern. Würde es sich nicht um eine zur Gemeinnützigkeit verpflichtete GmbH handeln, die Gesellschafter wären reich geworden.

Die FDP führt hier letztlich ein Prinzip fort, welches schon im Wilden Westen galt: dort wurden auch nicht diejenigen reich, die in den Flüssen nach Gold schürften (von Ausnahmen abgesehen), sondern jene, die die Utensilien für das Goldschürfen verkauften, machten das große Geschäft. Heute wird nicht der/die Angestellte(Sozialarbeiter/Sozialarbeiterin reich, schon gar nicht das Land, es sind Privatunternehmen. Ob sie nun angeblich „gemeinnützig“ sind, wie Neustart, oder ob sie KÖTTER heißen und Privatknäste betreiben. Auf der Strecke bleiben neben den SteuerzahlerInnen vor allem die Betroffenen: die Gefangenen, die Ex-Gefangenen und deren Umfeld.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-Z. 3113, Schönbornstraße. 32, D-76646 Bruchsal
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Schwitzen im Knast 2010

Es gibt Haftvermeidungsprogramme, die sich (wenig originell) „schwitzen statt sitzen“ schimpfen, wo an Stelle von Haft Arbeitsstunden (z.B. Straßen kehren) geleistet werden müssen. Aktuell jedoch heißt es in bundesdeutschen Gefängnissen: Schwitzen und sitzen.


Beispiel JVA Bruchsal


Errichtet Mitte des 19. Jahrhunderts (Grundsteinlegung 1848!) fühlt sich die Außenwand im Winter an wie ein Eisblock und entsprechend kalt wird es in den Zellen des Nachts. Im Sommer hingegen wirkt die Mauer der Zelle wie ein Heizstein, so dass es auch in der Nacht nicht wirklich erfrischend wird.

Wer BILD-gebildet nun meint, die Anstalt schere sich um das Wohlbefinden und reiche gekühlte Getränke, der irrt. „Alt-Knackis“, die schon 15 – 20 oder mehr Jahre sitzen, berichten zwar, dass es vor Jahren an Tagen mit über 30 Grad kühlen Tee gegeben habe, jedoch ist dieser schon längst dem Rotstift zum Opfer gefallen.


Arbeit bei über 35 Grad


Wie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kürzlich vermeldete, gilt seit einigen Wochen eine neue Arbeitsschutz-Regel (A 3-5) hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen bei erhöhten Rauminnentemperaturen. Ab 26 Grad sollen Arbeitgeber Getränke kostenlos reichen, ab 30 Grad müssen sie es sogar. Ab 35 Grad ist nach 45 min. Arbeit eine Pause von 15 min. einzulegen.


Eigentlich sind im Gefängnis die einschlägigen Arbeitsschutzbestimmungen zu befolgen, nur scheint sich – zumindest in Bruchsal – die ASR A 3-5 noch nicht bis zur Bruchsaler Gefängnisleitung und dem für die Gesundheit der Insassen verantwortlichen Anstaltsarzt, Dr. med. Maier herumgesprochen zu haben, so dass nun Landtag und Justizministerium aktuell prüfen, ob es hier zu persönlichem Fehlverhalten gekommen ist.


Wer freilich in einem bequemen Ledersessel hockt und sich eine dem Kühlschrank entnommene Mineralwasserflasche genüsslich die Kehle hinunter perlen lässt, der hat gewiss anderes im Kopf als bei teilweise über 40 Grad Raumtemperatur dürstende Gefangene.


Recht auf körperliche Unversehrtheit


Auch und gerade Gefangene haben ein Anrecht auf körperliche Unversehrtheit; hierzu gehört dann bei extremen klimatischen Verhältnissen zum Beispiel eine situationsangemessene Versorgung mit Flüssigkeit.

Schließlich sind Gefangene qua Gesetz gezwungen zu arbeiten, und werden mit diversen Maßnahmen überzogen, wenn sie sich diesem Zwang versuchen zu entziehen. Sie können auch nicht „ausweichen“, einfach mal vor die Türe gehen.

Wenn Fahrgäste der Deutsche Bahn AG dehydrieren, kommt dies in die Tagesschau und wird in den Medien skandalisiert, wenn hingegen Gefangenen selbst billig zuzubereitender Tee an heißen Tagen nicht ausgegeben wird, ist dies nicht einmal eine kleine Notiz wert.



Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Neues aus der Anstalt

Im Januar hatte ich von den Gedanken und Einfällen des Leiters der Justizvollzugsanstalt Bruchsal (http://de.indymedia.org/2010/01/270575.shtml) berichtet; u.a. von der Streichung von 23 Besuchstagen für 2010. An diesen Tagen sollte dann gar kein Besuch in der JVA möglich sein. Zwischenzeitlich änderte der Anstaltsleiter seine Verfügung und begründete dies mit der steigenden Belegung der Anstalt, sodass er nicht mehr an der Streichung der Besuchstage für 2010 festhalten wolle.

Der Anstaltsarzt

Dafür macht nun der Anstaltsarzt, Dr. med. Peter Maier von sich reden; seit Sommer 2009 in der JVA Bruchsal tätig, nachdem er eine Hausarztpraxis aufgegeben hatte. Der Gefangenenvertretung gelang es trotz mehrfacher schriftlicher Anfragen nicht, ihn zu einem Gespräch zu bewegen, in der Zeit, in der ich selbst Mitglied dieses Gremiums war.
Arzt-Patienten-Beziehungen sind etwas sehr persönliches und auch fragiles, gerade in einem Gefängnis. Dort kann sich kein Patient den Arzt aussuchen, sondern muss mit dem Doktor vorlieb nehmen, der in der JVA Dienst tut. Auch der Gesetzgeber tut das Seine dazu, eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung auszuhöhlen, indem er den Arzt zwingt, bestimmte Sachverhalte, die diesem durch die inhaftierten Patienten bekannt werden, dem Anstaltsleiter zu melden (sogenannte „Offenbarungspflicht“).

Diabetikerkost gestrichen

Mit Schriftsatz vom 11.06.2010 (Titel: „Umstellung Diabetikerkost“) informierte Dr. Maier seine Patienten, welche an Diabetes leiden, dass sie ab 01.07.2010 keine Diabetikerkost mehr erhalten würden.
Dabei berief sich der Anstaltsarzt auf nicht näher bezeichnete „Fachgesellschaften“, welche sich ihrerseits auf von ihm nicht näher bezeichnete „internationale Studien“ beziehen würden, sodass für die betroffenen Gefangenen die Hintergründe letztlich völlig im Dunkeln blieben, da sie seine Informationen nicht verifizieren können.
Ab sofort, so der Arzt, liege es „in der Eigenverantwortung eines jeden selbst“, auf die der chronischen Erkrankung angemessene „Energiezufuhr zu achten“.

Substitutionstherapie gekürzt

Am 01.07.2010 folgte die nächste Verlautbarung aus dem Arztrevier, in Gestalt des ehemaligen Haus- und nunmehrigen Anstaltsarztes Dr. Maier.
In jeder Haftanstalt findet sich ein erheblicher Anteil an Inhaftierten mit akuten und/oder chronischen Drogenproblemen. Um den Entzug zu mildern, wird deshalb auch in Gefängnissen die Substitution (z.B. mit Methadon) zunehmend praktiziert, welche im Allgemeinen gut angenommen wird. Um „Missbrauch“ des Substitutionspräparats zu verhindern, müssen die entsprechenden Patienten in der JVA Bruchsal morgens gegen 6:20 Uhr von ihrem Stationsbereich in das Anstaltsrevier „vorgeführt“ werden, um dort das Medikament einzunehmen.
Angeblich führe die schiere Zahl von etwa 20 Substituierten „zunehmend zu Problemen organisatorischer Art“, welche, so der Doktor weiter, „mit der derzeitigen Personaldecke nicht mehr zu bewältigen“ seien.
Sich offenbar zügig an die Diktion im Gefängnis angepasst, lässt er uns Gefangene wissen: „Aus diesem Grund wird beschlossen: die Anzahl der Substitutionspatienten wird reduziert.“ Ferner, so der Anstaltsarzt weiter, werde er „bis zum Erreichen einer akzeptablen Anzahl an Substitutionspatienten (12)“ keine weiteren Patienten in das Programm aufnehmen. Dies bedeute, „dass zuerst 8 !! Patienten ausscheiden müssen“ (Ausrufezeichen im Original).

Körperliche Unversehrtheit?

Nun gilt, zumindest in der Theorie, auch im Gefängnis das Recht auf Leben und Gesundheit; außerdem regelt Artikel 104 Absatz 1 Grundgesetz ausdrücklich, dass „festgehaltene Personen (…) weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden“ dürfen.
Es gibt auf den Fluren murrende Insassen, die sich fragen, wofür denn der Arzt und sein Personal so üppig bezahlt werden, wenn „Probleme organisatorischer Art“ herhalten müssen, um die Substitution einzuschränken. Aber wo kein Kläger, da kein Richter – und bereit sich namentlich zitieren zu lassen war keiner der betreffenden Gefangenen. „Den muss man doch anzeigen“, so ein verzweifelter Einwurf eines Inhaftierten; aber aus der Praxis kann berichtet werden, dass selbst wenn Gefangene zu Tode kommen, sich letztlich fast nie eine Verurteilung eines Gefängnisarztes erreichen lässt.

Vorbereitung auf das Leben nach der Haft

Letztlich könnte man die Maßnahmen des Dr. Maier auch als punktgenaue Umsetzung des im Strafvollzugsgesetz verankerten „Angleichungsgrundsatzes“ (in § 3 Abs. 1 StVollzG-Bund heißt es: „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.“) werten. Nämlich Kürzung und Rationierung medizinischer Leistungen für das Prekariat!

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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