Gefangene – voller Defizite?

Viele Menschen denken erst einmal an Defizite, die das Gegenüber tatsächlich oder vermutlich aufweist: Zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, zu affektiert, zu laut, zu leise, zu egozentrisch, zu unaufmerksam, zu unhöflich, und anderes mehr.

Insoweit unterscheidet sich das Miteinander in Freiheit nicht vom Leben hinter Gittern, nur hat es auf Dauer gesehen vielleicht unerfreulichere Wirkungen, wenn gerade Inhaftierte auf Defizite reduziert werden.



Exkurs: Ein Mal pro Woche spaziere ich mit P. im Gefängnishof im Kreis, etwa für eine dreiviertel Stunde und es geht meist recht heiter zu. Er hält sich für einen Realisten, wenn er sein Umfeld an Mitgefangenen überwiegend defizitär wahrnimmt und wirft mir vor, eine rosarote Brille zu tragen, wenn ich die Ressourcen sehe, die in diesen Menschen noch verschüttet liegen.



Ressourcen, das ist das Stichwort. Wenn ein Mensch es einmal geschafft hat, ins Gefängnis zu kommen, liegt eine lange Wegstrecke hinter ihr, bzw. ihm. Ausgeschlossen von der freien Welt, finden sich die Gefangenen an einem Ort wieder, der (in aller Regel) das fortsetzt, was sie schon seit Kindesbeinen an kennengelernt haben. Nicht ihre Ressourcen, ihre Talente, Fähigkeiten stehen im Fokus, sondern das, was sie nicht-können, all diese negativen Zuschreibungen, die suggerieren, ein Mensch sei so, sei ein statisches Wesen, unveränderlich.

Schnell entsteht der Eindruck, Verhaltensmerkmale wie „ist kriminell“, „ist aggressiv“, „ist faul“ seien manifest, vielleicht unveränderbar.

So zementieren sie eine Welt und die Gefangenen fühlen sich bestätigt auch in ihrem eigenen, meist wenig wohlwollenden Selbstbild, aber ebenso in ihrem (Vor)Urteil vom Gegenüber, das sie erneut auf die Defizite reduziert.



Exkurs: Manche werden schon vom Mittel des Umdeutens gehört haben. Aus der mentalen Sackgasse, das Gegenüber sei doch „verhaltensauffällig“ wird ein „verhaltensoriginell“, denn neue Worte schaffen neue Gefühle und öffnen so einen Zugang zu den Ressourcen eines Menschen.



Wenn wir negative Bewertungen durch ressourcenbeschreibende Bezeichnungen ersetzen, verändern wir zum einen unser eigenes Bild von unserem Gegenüber, zugleich eröffnen wir diesem die Möglichkeit, sich selbst und seine Umwelt mit anderen Augen wahrzunehmen. Nennen wir ihn Frank: Als Kind haute er oft von zu Hause ab, schwänzte die Schule und prügelte sich herum.


Verhaltensweisen und Zuschreibungen, wie sie sich in vielen Lebensläufen von weiblichen, wie männlichen Inhaftierten finden lassen.

Wie verändert sich unsere Wahrnehmung, unser Gefühl für Frank, wenn wir stattdessen hören: Er zeigte großen Freiheitsdrang, organisierte sich Freiräume und kämpfte um Anerkennung!?



Exkurs: Welche Anstrengungen unternehmen wir, um tief aus der Erde Kohle oder auch Diamanten zu fördern? Hunderte von Millionen werden in die Suche und hernach in das Schürfen gesteckt. Wäre es wohl möglich, mit der selben Energie und Hartnäckigkeit in anderen Menschen nach dem zu suchen, was wertvoll ist?



All das hat nichts mit einer „rosaroten Brille“ zu tun, sondern es geht um eine positive Veränderung der Eigen- wie der Fremdwahrnehmung, um so Kampfgeist und die Kompetenz der Gefangenen zu verdeutlichen.

Wer sie auf ihre Defizite reduziert, der nimmt ihnen auch ein Stück ihrer Würde.



Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Anfragen zum Strafvollzug

Immer mal wieder beschäftigen sich Abgeordnete in den Landtagen mit dem Strafvollzug. Für Gefangene, wie am Thema Interessierte bietet sich so die Möglichkeit auch an Informationen zu gelangen, zumindest jedoch die Sicht der jeweiligen Abgeordneten und dann der Landesregierung kennenzulernen.

Nach einem kürzeren Hinweis auf eine aktuelle „Große Anfrage“ der GRÜNEN im niedersächsischen Landtag (a.) werde ich etwas ausführlicher mehrere Anfragen aus dem baden-württembergischen Landtag vorstellen (b.), um mit einem Fazit zu schließen (c.).

a.) GRÜNE im niedersächsischen Landtag

Unter Datum vom 23.03.2010 hat die Fraktion der GRÜNEN (Drucksache 16/2366) eine insgesamt 159 Fragen umfassende Große Anfrage zur gegenwärtigen Situation im Strafvollzug Niedersachsens eingereicht. Die schiere Anzahl von Fragen führte zu Kritik im Justizapparat und einschlägigen Medienberichten, wonach angeblich Gefängnisleitungen in ihrer wertvollen Resozialisierungsarbeit behindert würden, weil sie die Fragen zu beantworten hätten.

Schon in ihrer Eingangsbemerkung fragen die GRÜNEN kritisch, wie sich die Pläne der Regierung eine neue Anstalt mit 300 Plätzen zu bauen (und dies übrigens in Partnerschaft mit Privaten – Public Private Partnership) mit den sinkenden Gefangenenzahlen vertrage. In 18 Fragenkomplexen widmet sich die Anfrage der Situation der Inhaftierten und der Vollzugspraxis. Es wird nach Disziplinarmaßnahmen ebenso gefragt wie nach Vollzugslockerungen, nach der Situation von Frauen in Haft, wie nach der von Seniorinnen und Senioren hinter Gittern.
Aber auch Sicherungsverwahrung wird detailliert thematisiert; genauso wie die besonders wichtige Entlassungsvorbereitung.
Nach Mitteilung von MdL Helge Limburg wird mit der Antwort der Landesregierung auf die 159 Fragen nicht vor Anfang/ Mitte September zu rechnen sein. Jedenfalls verspricht die Anfrage einen detaillierten Einblick in die prekäre Situation der Inhaftierten in Niedersachsen.

b.) Anfragen im baden-württembergischen Landtag

Für das laufende Jahr 2010 waren einige Anfragen von Abgeordneten im Stuttgarter Landtag zu verzeichnen. Gleich im Januar wollten die GRÜNEN wissen, welche Konsequenzen die Regierung aus dem Urteil des EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) vom 17.12.2009 ziehe, mit welchem die rückwirkende Verlängerung der Dauer der Sicherungsverwahrung für konventionswidrig erklärt wurde ( http://www.de.indymedia.org/2010/01/270543.shtml).
Mit Drucksache 14/5730 teilte die Landesregierung mit, dass sich derzeit 16 Personen in Baden-Württemberg im Vollzug der Sicherungsverwahrung befänden, welche bereits zu entlassen gewesen wären, wenn es nicht jene rückwirkende Verlängerung gegeben hätte.
Ferner merkte die Landesregierung an, den Verwahrten ginge es im Vergleich zu Strafgefangenen erheblich besser, da sie über „mehr Mobiliar und Haushaltsgeräte, über ein umfangreicheres Freizeitangebot sowie über längere Aufschlusszeiten“ verfügen würden.

Eine Anfrage der SPD im Landtag widmete sich der teilprivatisierten JVA Offenburg, eröffnet im Sommer 2009. Angesprochen wurde eine hohe Fluktuation der privaten Mitarbeiter der Firma KÖTTER, welche die Anstalt in weiten Teilen betreibt. Gefragt wurde auch nach rechtlichen Problemen, wenn Personal von KÖTTER Gefangene in den Zellen einsperre, denn hierbei handele es sich um hoheitliche Aufgaben, die nur Beamte erfüllen dürften.

Unter Drucksache 14/6340 lässt sich die Antwort von Justizminister Dr. Goll nachlesen. Man räumt gewisse Defizite im Bereich der „Sicherheit“ ein, da der private Betreiber „nicht ausreichend sensibilisiert und teilweise auch nicht ausreichend motiviert“ gewesen sei, die entsprechenden Standards einzuhalten.
Die privaten Angestellten der Firma KÖTTER seien vor Einsatz in der JVA „in einem vierwöchigen, ganztägigen Einweisungsseminar“ auf ihre Tätigkeit vorbereitet worden. Gefangene in die Zellen einschließen würden die privaten Angestellten nur und ausschließlich, wenn der jeweilige Gefangene einwillige. „Widersprüchen von Gefangenen gegen diese Verfahrensweise“ werde „sofort entsprochen“.

Angriffe auf Bedienstete habe es nur in zwei Fällen gegeben: einmal mit einem Anstaltsmesser und einmal habe ein Gefangener eine Psychologin mit einem Stück Spiegelglas bedroht. Ansonsten habe es „einige wenige“ Beleidigungssachverhalte gegeben.

Nach einem Mord in der nordrhein-westfälischen JVA Remscheid während eines nicht überwachten Besuchs einer Partnerin bei einem Gefangenen, wollte die FDP im Stuttgarter Landtag wissen, wie es sich um die Rahmenbedingungen des „Langzeitbesuchs“ in hiesigen Gefängnissen verhalte.
Am 20.04.2010 (Drucksache 14/6228) bestätigte Dr. Goll die Bedeutung solcher Besuchsformen (Ehefrauen können ihre inhaftierten Ehemänner unter bestimmten Bedingungen gänzlich ohne Überwachung empfangen) für die Integration der Gefangenen. In Bruchsal gebe es vier hierfür geeignete Besuchsräume, in Freiburg und Heilbronn jeweils eine Besuchseinrichtung. In den vergangenen zehn Jahren seien keinerlei versuchte oder vollendete Gewaltdelikte im Rahmen des LZ-besuchs bekannt geworden.

c.) Fazit

Meist ist der Erkenntnisgewinn solcher Anfragen gelinde gesagt suboptimal, denn Behörden neigen nicht gerade zur Transparenz. Die Bereitschaft einen Blick hinter die Mauern zu eröffnen ist zwar heute tendenziell größer als noch vor 15 oder vor 20 Jahren, aber in aller Regel werden vorgestanzte Antworten in orwell’schem Sprachduktus verbreitet, verfasst von Juristinnen und Juristen, Menschen also, die nicht gerade dafür bekannt sind, allzu anschaulich zu schreiben.
Dessen ungeachtet kann es für Interessierte hilfreich und sinnvoll sein, sich mit einzelnen Landtags-Drucksachen zum Strafvollzug zu beschäftigen, denn gelegentlich finden sich in der Tat darin ganz spannende Informationen und Einblicke in den Strafvollzug.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, 76646 Bruchsal
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Risiko und Strafvollzug

Diskussionen über Kriminalität im Allgemeinen und Strafvollzug im Besonderen sind wesentlich geprägt vom Begriff des Risikos. Sei es das „Risiko“ eines Rückfalls, das „Risiko“ einer Entweichung aus der Haft und derlei mehr. Risiken wohin man schaut. Ich möchte im folgenden zuerst den Begriff des Risikos näher zu bestimmen versuchen (1.), danach einige Situationen im Strafvollzug unter dem Risiko-Blickwinkel vorstellen (2.), um dann im Schlussteil (3.) zu fragen, was diese Fixierung auf das „Risiko“ mit den Beteiligten macht.


1.) Was ist „Risiko“?

Über das Risiko wird heute in sehr verschiedenen wissenschaftlichen Fächern ebenso gesprochen, wie im ganz normalen Alltag. Angesichts der aktuellen Krise in Griechenland ist viel vom Ausfall-Risiko griechischer Staatsanleihen die Rede. Versicherungen kalkulieren mit dem Risiko des Eintretens von Naturkatastrophen, um die Höhe von Versicherungsprämien zu berechnen. Schweinepest und Vogelgrippe ließen uns darüber
nachdenken, wie hoch das Risiko eigener Ansteckung und schwerer Erkrankung, oder gar Tod wäre.

Es wird also klar, dass Risiko etwas mit Zukunftsungewissheit zu tun hat. Nun war eh und je die Zukunft ungewiss, aber zu früheren Zeiten begnügte man sich damit nicht den Zorn der Götter zu erregen oder durch Opfer zu besänftigen und wohlgesinnt zu stimmen. Schäden sollten demnach vermieden werden.

In der sich als aufgeklärt verstehenden Gesellschaft bedarf es rationaler Begrifflichkeiten und Systeme um künftig möglicherweise eintretende Schäden tunlichst zu vermeiden.

Hier kommt nun das Risiko in die Diskussion. Kann ein eingetretener Schaden als Folge einer Entscheidung gesehen, also auf die Entscheidung zugerechnet werden, spricht man von „Risiko“, nämlich dem Risiko der Entscheidung. Von einer „Gefahr“ wird gesprochen, wenn der Schaden als extern veranlasst gesehen also auf die Umwelt zugerechnet wird.

Diese Unterscheidung zwischen den Begriffen Risiko und Gefahr ist deshalb von Bedeutung (ganz abgesehen davon, dass sie unterschiedliches bezeichnen), da man sich politisch von Gefahren leichter distanzieren kann, als von Risiken- eben weil diese auf konkrete Entscheidungen zurückführbar sind.

Der Ausbruch jenes isländischen Vulkans der seine Asche über Europa verteilte, stellte eine Gefahr dar; die folgenden Entscheidungen den Flugverkehr einzustellen ein Risiko.
Wir können also als Zwischenergebnis festhalten, dass der Begriff des Risikos eng verknüpft ist mit der Ungewissheit der Zukunft und dem Versuch zukünftige Schäden zu vermeiden; wobei Risiken (im Gegensatz zu Gefahren) auf konkrete Entscheidungen zurückführbar sind.

2.)Risiken im Strafvollzug

Letztlich wohnt jeder vollzuglichen Entscheidung ein Risiko inne, denn es gibt keine garantiert risikofreien Entscheidungen.
Entsprechend ist der Vollzugsalltag seitens des Personals davon geprägt entweder Entscheidungen zu vermeiden, zu delegieren oder aber Kontrollen und Verbote exzessiv auszuweiten.

Um mit letzterem zu beginnen: die Liste jener, im Grunde völlig banaler Gegenstände welche Gefangene nicht besitzen dürfen, wird immer länger.
Fernseher mit DVB-T, Festplattenrekorder, Playstation-3, Handy, Computer, uvm. Nahezu jeder Gegenstand ließe sich letztlich „missbrauchen“, insbesondere zur unkontrollierten Kontaktaufnahme nach „draußen“, was in den Augen der Entscheidungsträger ein Risiko
darstellt. Dass nämlich eventuell Straftaten geplant oder begangen oder Ausbrüche vorbereitet werden.

Zugleich werden alle Lebensäußerungen der Gefangenen kontrolliert. Besuche, Telefonate, Briefe, Kommunikation mit dem Personal oder mit anderen Gefangenen.

Welche Folgen hier eine unterlassene Kontrolle haben kann, zeigt der Vorfall in der JVA Remscheid im April 2010.
Ein Gefangener tötete seine Freundin während des Besuchs; er war vor dem Besuch nicht umfassend durchsucht worden. Hier verwirklichte sich also ein Risiko (Übergriff auf eine andere Person), welches auf eine konkrete Entscheidung (Unterlassen einer gründlichen Durchsuchung) zurechnen lässt.

Entscheidungsvermeidung und -delegation sind weitere prägende Verhaltensmuster. So wurden im Verlaufe der letzten circa 10 Jahre bundesweit die Plätze im „Offenen Vollzug“ (also jener Vollzugsform welche ermöglicht, dass Gefangene tagsüber in Freiheit arbeiten und nur abends und an Wochenenden „hinter Gittern“ sitzen) teilweise erheblich
reduziert. In Hessen binnen vier Jahren um 50 %! oder Hamburg: befanden sich 1996 noch 31% der Erwachsenen Strafgefangenen im Offenen Vollzug, waren es 2008 nur noch 13%.
Vermeide ich es, Gefangene im Offenen Vollzug unterzubringen, reduziere ich selbstredend das Risiko, dass sie flüchten, oder erneut Straftaten begehen. Diesem kurzfristigen „Erfolg“ stehen aber langfristig erheblich höhere gesamtgesellschaftliche Kosten gegenüber. Denn im Vergleich Offener Vollzug zu geschlossenem Vollzug haben Gefangene welche aus ersterem entlassen werden, ein signifikant geringeres Rückfallrisiko.

Beispiel für Entscheidungsdelegation ist der rapide Anstieg der psychologischen, wie psychiatrischen Begutachtungen der Gefangenen vor der Gewährung von Vollzugslockerungen und vor einer Entlassung auf Bewährung. Verwirklicht sich dann doch ein Risiko können die Entscheidungsverantwortlichen in den Gefängnissen und bei Gericht auf die Gutachter verweisen.

Jedoch führt die Ausweitung der, auch von Politik, wie Öffentlichkeit geforderten Begutachtungspraxis zu einem Dilemma. Da es keine risikofreien Entscheidungen gibt, muss man die Hoffnung aufgeben, dass durch ein mehr an Wissen auch ein mehr an Sicherheit gewonnen würde.
Denn je mehr man weiß über eine Person (hier: den/die Gefangenen), desto mehr weiß man, was man gerade nicht weiß. Je komplexer mithin die Kalkulation angelegt wird, umso mehr Facetten kommen in den Blick.

3.)Schlussteil- Was macht diese Risikofixierung mit den Beteiligten?

Zum einen erzeugt die Fixierung auf das Risiko ein permanentes zumindest unterschwellig spürendes Gefühl der Verunsicherung, Angespanntheit bis hin zur Unwilligkeit (was die Seite der Beschäftigten angeht); sowie auf Seiten der Gefangenen ebenfalls Verunsicherung, Angespanntheit und auch Unwilligkeit.

So ähnlich die Gefühlslage, so unterschiedlich die Motivation.

Die der Beschäftigten soll hier nicht weiter interessieren, zumal diese üppig für ihr „Wirken“ besoldet werden und freiwillig in den Gefängnissen tätig sind. Nein, ich möchte mich abschließend der Situation der Inhaftierten zuwenden.

Sie sind verunsichert, weil sie nicht wissen, welches Verhalten, welche (späteren) Folgen nach sich zieht. Gerade angesichts der Verschärfungen im Strafrecht (z.B nachträgliche Sicherungsverwahrung) kann authentisches Verhalten in einem Fall dazu führen, dass man sanktioniert wird, in einem anderen Fall bleibt es folgenlos.

Permanent angespannt sind Gefangene, weil jede Lebensäußerung von ihnen beobachtet und schriftlich fixiert wird und sie damit rechnen müssen noch nach Jahren mit Äußerungen und Verhalten im Alltag konfrontiert zu werden.

Unwillig sind sie, da sie in der Regel ohne eigenes Zutun als personifiziertes Risiko, weniger als Mensch wahrgenommen werden. Sie sind ein Risiko in den Augen der Stockwerksbeamten, in den Augen der Psychologen, der Juristen, der Werkbeamten. All dieses Personal hat ein auskömmliches Leben- jede Entscheidung oder auch Nicht-Entscheidung im Vollzugsalltag ist mit dem Risiko behaftet, dass ein Schaden eintritt
(siehe oben der Mord beim Besuch), der dieses sorgenfrei Leben gefährdet. Nur ist das Risiko, dass tatsächlich ein Schadensfall realisiert wird, äußerst gering. Die Mehrzahl der Gefangenen wird also präventiv in Haftung genommen für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich ein Risiko verwirklicht.

Dass dies nicht förderlich für eine positive Entwicklung oder ein menschenwürdiges Dasein ist, sollte keiner weiteren Begründung bedürfen.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z.3113, Schönbornstr. 32, 76646 Bruchsal
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Nicht mehr im Knast – dennoch unfrei

Wer seine Freiheitsstrafe vollständig verbüßt hat, der ist in Deutschland ein freier Mensch. So glauben zumindest viele Menschen. In der Praxis wird das Gefängnis, welches durch Mauern umwehrt ist, ersetzt durch die so genannte Führungsaufsicht (§§ 68 ff Strafgesetzbuch).
Besonders hart trifft es Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit, denn in diesen Fällen ist die Ausländerbehörde, bzw. das Amt für öffentliche Ordnung berechtigt weitere Auflagen zu erteilen.
Im Folgenden berichte ich von einem konkreten Einzelfall, der aber letztlich exemplarisch ist für den Umgang des (deutschen) Staates mit Ex-Gefangenen.


Zur Vorgeschichte

Mohamed Abu D. wurde am 23.04.2002 vom Bundeskriminalamt unter dem
Vorwurf verhaftet, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein und Anschläge in Deutschland geplant zu haben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte ihn am 26.10.2005 zu acht Jahren Freiheitsstrafe.
Bis dahin saß er überwiegend in strenger Isolationshaft: erst in Stuttgart-Stammheim, später in Köln. Nur sukzessive wurden die Sicherungsmaßnahmen gelockert. Weiter verschärft wurde die Haftsituation durch den Umstand, dass sich sein Name auf einer „Sanktionen-Liste“ von UN und EU findet; jedermann der Personen, welche auf dieser Liste geführt werden, finanzielle (oder gleichwertige) Zuwendungen leistet, macht sich strafbar (Strafrahmen bis zu 15 Jahren). Selbst die Zusendung von Briefmarken musste erst durch Deutsche Bundesbank oder den UN-Sanktionsausschuss in den USA bewilligt werden.
Eine vorzeitige Freilassung aus der Haft auf Bewährung lehnte das OLG Düsseldorf strikt ab, sodass Anfang Mai 2010 Herr Abu D. nach Vollverbüßung entlassen wurde.

Führungsaufsicht und Auflagen — Teil 1

Am 23.04.2010 wurde Herr Abu D. von Richtern des OLG Düsseldorf (den Richtern Breidling, Bachler und Feilcke) mündlich angehört, um die Frage der Führungsaufsicht zu erörtern. Er wolle, so gab er an, ein „normales“ Leben führen und gerne in einen anderen (muslimischen) Staat übersiedeln, jedoch habe sich bislang kein Land gefunden, welches ihn aufnehmen wolle.
Die JVA bescheinigte ihm, „in keiner Weise negativ aufgefallen“ zu sein während der Haftzeit.

Das OLG unterstellt nun in seinem acht Seiten umfassenden Beschluss vom 27.04.2010 (Az.: III-6 StS 1/10 FA), dass die Gefahr bestünde, Herr Abu D. könne weiterhin „für staatsschutzrelevante Bereiche und Personen ansprechbar“ sein. Dies folge aus dem Fehlen einer „klaren Distanzierung von den Taten, die zu seiner Verurteilung“ geführt hätten.

Über eine Seite lang ist die Liste der Auflagen, die ihm das OLG im Rahmen der Führungsaufsicht erteilt. Für die Dauer von fünf (!) Jahren müsse er sich „einmal täglich zwischen 8 Uhr und 13 Uhr“ bei der „zuständigen Polizeidienststelle persönlich“ melden. Er dürfe für die Dauer der Führungsaufsicht den ihm zugewiesenen Stadtteil Köln-Nippes
ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle nicht verlassen; er dürfe keinerlei „öffentliche religiösen Aktivitäten“ betreiben; er dürfe zu bestimmten Personen keinen Kontakt aufnehmen, und weiteres mehr.

Auflagen durch Amt für öffentliche Ordnung — Teil 2

Als wäre dies alles nicht genug, ließ Frau Pauly vom Kölner Amt für öffentliche Ordnung, Abt. Ausländeramt am 07.04.2010 den Anwalt von Herrn Abu D. wissen, dass sie umfangreiche Auflagen erlassen werde, da sie Herrn Abu D. für einen gefährlichen Islamisten halte.
Weder dürfe er o.g. Stadtteil ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde verlassen (was letztlich dazu führt, dass er sich um zwei Genehmigungen bemühen müsste, sollte er einmal den Stadtteil verlassen wollen:
Führungsaufsichtsstelle und Ausländerbehörde), noch dürfe er öffentliche Fernsprecher (Telefonzellen) aller Art nutzen. Noch dürfe er e-mail versenden/ empfangen oder überhaupt das Internet nutzen.
Besitz oder Nutzung von Mobiltelefonen wird ihm verboten; lediglich ein Handy dürfe er benützen, aber nur dann, wenn er zuvor „Telefon-, Karten- und Gerätenummer“ bei Frau Pauly angegeben habe.
Er müsse zwingend in einem bestimmten Gebäude, einem Hotel mit dem schönen Namen „Stadt Viersen“, Wohnsitz nehmen und sei verpflichtet dort auch „ausnahmslos zu übernachten“. Den Stadtteil, in welchem das Hotel liegt, darf er — wie oben erwähnt — nicht verlassen; zur Orientierung legte Frau Pauly „als Anlage (einen) Ortsplan“ bei, der den künftigen Bewegungsradius verdeutlicht. Eines gewissen Zynismus entbehrt es
freilich nicht, dass besagte „Anlage“ die fett gedruckte Überschrift „Sehenswertes im Stadtbezirk Nippes“ trägt.
Von ihm gehe eine „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus“, deshalb dürfe sie — Frau Pauly — ihm hiermit auch verbieten die Abu-Bakr-Moschee und die At-Tauhid Moschee zu besuchen.

Zusammenfassung und Ausblick

Da nur ca. 30% der Inhaftierten vor Vollverbüßung aus der Haft entlassen werden, stellt sich für tausende (Ex-)Gefangene das Problem, auch nach der Haftverbüßung staatlicher Überwachung und Repression ausgesetzt zu sein; zumal Verstöße gegen Auflagen der Führungsaufsicht mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren (§ 145a StGB) geahndet werden können.
Sicherlich mag es eine Entlastung sein, nun nicht mehr im Gefängnis zu sitzen, den täglichen kleineren und größeren Demütigungen in massiver Form ausgesetzt zu sein; aber letztlich wechselte Herr Abu D. von einem Gefängnis in ein etwas größeres.
Was es mit Menschen macht, die einem derart rigiden Korsett an Auflagen ausgesetzt werden, mag sich jeder selbst ausmalen.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA — Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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Gefängnisladen-Betreiber im Schlaraffenland

Schon vor über einem Jahr hatte ich über die Firma Massak Logistik GmbH (http://www.massak.de) berichtet, welche in zahlreichen Gefängnissen deren Insassinnen und Insassen mit Nahrungs-/ Genuss- und Körperpflegemitteln beliefert (http://www.de.indymedia.org/2009/01/239491.shtml).


Eröffnete Werner Massak 1994 einen EDEKA aktiv Markt im bayrischen Memmelsdorf, folgte zwei Jahre später ein weiterer Markt und seit 2000 ist er nunmehr mit oben genannter GmbH im Knastgeschäft tätig. Erst in Bayern, dehnte er sich wenige Jahre später in andere Bundesländer aus. So übernahm die Massak Logistik GmbH sukzessive fast alle Gefängnisläden in Thüringen (vgl. Landtagsdrucksache 4/5400 v. 10.07.2009 des Thüringer Landtags). Eine Kleine Anfrage von DIE LINKE deckte auf, wie peu a peu bestehende Verträge mit Lieferanten vor Ort gekündigt oder nicht verlängert wurden und stets die bayrische Firma, deren Geschäftsführer Werner Massak ist, die Läden übernahm (in einem Fall sogar ohne vorherige Ausschreibung, nämlich JVA Goldlauter; vgl. Drucksache 4/5400, a.a.O., S. 2, zu Ziff. 5). Nur eine einzige Haftanstalt in Thüringen ist noch nicht im „Portfolio“ des Herrn Massak (hier: JVA Hohenleuben).

Firmenstruktur des Werner Massak

Eine Recherche ergab, dass Herr Massak in mindestens drei Gesellschaften als Geschäftsführer (und wohl auch Gesellschafter, sprich Eigentümer) tätig ist: in der MPM Einkaufsgemeinschaft GmbH und der Massak Logistik GmbH, beide mit Sitz in Litzendorf, sowie der Massak Vertriebs GmbH in Kaisheim.
Betrachtet man sich die Gewinnverläufe der Massak Logistik GmbH seit 2005, so ergibt sich folgendes Bild:
Jahresüberschuss zum 31.12.2005 : 119.441,18 Euro
Jahresüberschuss zum 30.09.2006 : 89.289,93 Euro
Jahresüberschuss zum 30.09.2007 : 98.923,96 Euro
Jahresüberschuss zum 30.09.2008 : 116.662,42 Euro
Das ist der jeweils erwirtschaftete Überschuss; im Unternehmen verblieben zusätzlich jeweils mehrere Hunderttausend Euro an „Gewinnvortrag“ (so zum 30.09.2008: 348.346,75 Euro).
Interessant auch, dass ausweislich der Jahresabschlüsse der genannten Gesellschaften, wahlweise selbige Forderungen gegenüber ihren Gesellschaftern haben, oder aber umgekehrt. So bestehen zum Bilanzstichtag 30.09.2008 seitens der Massak Logistik GmbH Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern in Höhe von 272.258,65 Euro. Inhaber bzw. Gesellschafter sind (laut der Homepage http://www.massak.de) Werner Massak und sein Sohn Boris Massak.

Tätigkeitsfelder von Werner Massak

Nachdem Thüringens Knastshops fest in seiner Hand sind, beliefert er nun auch zahlreiche Gefängnisse in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Niedersachsen. Offenbar kommt er kaum hinterher seine Website zu aktualisieren, denn dort ist der letzte Stand 40 a.d. Jahr 2008 (letzter Abruf der Seite: 03.04.2010). Seitdem kamen jedoch die JVA Mannheim und andere Gefängnisse hinzu.

Wo ist nun das Problem?

Wiewohl die Firma Massak Logistik GmbH kein Geld für Werbung ausgeben muss, keine Ladenflächen zu mieten braucht in den Gefängnissen und in aller Regel nur zwei Mal pro Monat einen Verkauf in den jeweiligen Gefängnissen durchführt, liegen die Preise über jenen, welche freien Bürgerinnen und Bürgern abverlangt werden. So ergab eine von der JVA Bruchsal im Jahr 2009 selbst durchgeführte Untersuchung ein Preisgefüge, welches in über 60% der Artikel des Sortiments über dem in vergleichbaren Supermärkten in Freiheit lag. Und hier ist der Knackpunkt. Werner Massak verwahrt sich gegen einen solchen Vergleich; zum einen gab er an (ob scherzhaft oder ernsthaft gemeint, erschloss sich den Gefangenen nicht wirklich), sein Ferrari benötige schließlich auch Benzin und woher solle dafür das Geld bitteschön kommen, zum anderen lasse er sich nur vergleichen mit anderen Knastshop-Betreibern und hier scheue er keinen Vergleich!

Millionenumsätze

Nach eigenen Angaben (http://www.massak.de) betreibt die Muttergesellschaft Werner Massak e.K. mehrere EDEKA-Geschäfte und erzielt dort Umsätze in Millionenhöhe. Wobei hinzu kommt, dass die Immobilien, in welchen die Ladengeschäfte betrieben werden, nach Auskunft des Herrn Massak, in Eigenbesitz sind.
Nur zahlen vielfach für Produkte in EDEKA-Märkten die Kundinnen und Kunden weniger als wir Gefangene, und von einschlägigen Angeboten profitieren wir eher selten. Dann kostet ein DuschDas eben mal 1,49 Euro anstatt 1,79 Euro (auch dann, wenn EDEKA zur selben Zeit dasselbe DuschDas im Doppelpack zu 1,69 Euro verkauft, um nur ein Beispiel zur Illustration anzuführen).

Ruppiger Geschäftsmann?

Wer Herrn Massak, respektive seiner Firma Fehler nachweist, der lernt schnell eine andere Seite von ihm kennen. Verkauf sensorisch auffälligen Leberkäs‘ in der JVA Nürnberg, den die Lebensmittelkontrolle beanstandete, führte dazu, dass die Firma den Verkauf von warmem Leberkäs völlig einstellte. In Bruchsal waren Geschäftspapiere im Sinne des GmbH-Gesetzes im Umlauf, die nicht die zwingend erforderlichen Angaben enthielten (z.B. Sitz und Name der Firma). Auf die seitens des Registergerichts erfolgte Bußgeldandrohung hin wurde kurzzeitig in Aussicht gestellt, zahlreiche Produkte von der Bestellliste zu streichen, um großflächig Platz zu schaffen für die fehlenden Angaben – ob dies im Sinne des Beschwerdeführers sei!?

Kein Ende in Sicht

Die Anstalten sind hoch zufrieden, denn die Firma bietet ein Rundumpaket, hat alles im Sortiment (auch Bekleidung, Elektrowaren), was Gefangene in einem Gefängnis kaufen dürfen. Dass Gefangene dann Preise zahlen, die nachweislich in vielen Bereichen über denen in Freiheit liegen, schert die Anstaltsleitungen nicht wirklich, denn andernfalls würde man der Massak Logistik GmbH kündigen und nicht weitere Gefängnisse einverleiben lassen.
Solange sich jedoch kaum Gefangene beschweren (der o.g. Landtagsdrucksache ist die Behauptung der Thüringischen Regierung zu entnehmen, in den sechs Jahren der Aktivitäten des Hr. Massak habe es keine einzige Beschwerde gegeben), werden jene, die dann doch vereinzelt Beschwerden schreiben, als Querulanten diffamiert.
Auf den Fluren und Gängen der Gefängnisse herrscht jedoch Unmut über die Preisgestaltung und teilweise auch über das Sortiment der Firma Massak Logistik GmbH aus Bayern.

Klage in den USA?

Im Moment recherchiere ich über die Möglichkeit einer Zivilklage gegen Massak und sein Firmenimperium, welche möglichst in den USA eingereicht werden soll. Auf den ersten Blick vielleicht eine ungewöhnliche Idee, jedoch gestattet es das US-Recht unter bestimmten Voraussetzungen Klägern, die nicht in den USA ansässig sind, gegen Firmen zu klagen, die gleichfalls nicht in den USA residieren. Vorliegend käme hinzu, dass auch gegen Konzerne wie Kraft-Foods geklagt würde, da man unterstellen kann, dass diesen das Geschäftsgebaren der Firma Massak Logistik GmbH bekannt ist. Eine erste Überlegung geht dahin, eine Zivilklage mit einem potentiellen Streitwert von 100 Millionen US-Dollar einzureichen, da das US-Recht unterscheidet zwischen dem konkret entstandenen, bzw. geltend gemachten Schaden einerseits und dem „Strafschadenersatz“ (punitive damage) andererseits.
Über die weiteren Entwicklungen werde ich berichten.

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Armut im Knast

Auch und gerade vor Gefängnismauern macht die Armut nicht halt. Im Folgenden soll von staatlich geförderter Armut die Rede sein, wenn nämlich im Zuge von Einsparungen die Entlohnung der Gefangenenarbeit gekürzt wird.

Nach einem kurzen Rückblick ins Jahr 1998, als das Bundesverfassungsgericht die damalige Praxis der Gefangenenentlohnung als verfassungswidrig einstufte (a.), sollen die aktuellen Kürzungen anhand der Situation in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal näher dargestellt werden (b.). Die Auswirkungen werden im Anschluss beleuchtet (c.), um mit einem Ausblick zu schließen (d.).



a.) Urteil vom 01.07.1998


Gefangene und Sicherheitsverwahrte sind qua Gesetz zur Arbeit verpflichtet; die herrschende Rechtssprechung sieht hierin keine verbotene Zwangsarbeit, denn Artikel 12 Abs. 3 Grundgesetz bestimmt (Zitat): „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“ Zwar folgt nicht aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte ein Anspruch auf Entlohnung für die Zwangsarbeit (nach der Konvention besteht kein Anspruch, vgl. Frowein/ Peukert, EMRK, 3. Auflage, Artikel 4 Randnummer 13), jedoch entnahm das Bundesverfassungsgericht am 01.07.1998 (Az. 2 BvR 441/90; EuGRZ 1998, S. 518 ff) dem Grundgesetz, insbesondere dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Resozialisierung, den Anspruch der Zahlung eines Entgelts, welches den Gefangenen (Zitat) „durch die Höhe (…) in einem Mindestmaß bewusst (macht), daß Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll“ sei.
Erhielten die Inhaftierten 1997 im Durchschnitt 200 DM/Monat, stieg zum 01.01.2000 die Entlohnung auf circa 350 – 400 DM/Monat, was 9 % des Durchschnittsverdienstes der Arbeiter und Angestellten entspricht. (Zuvor waren es 5 % des Durchschnittsverdienstes.) Zumindest theoretisch, denn mit Einführung höherer Löhne begannen die ersten Kürzungsversuche, die nun 2010 einen weiteren Höhepunkt erfahren.

b.) Kürzungen 2010 – JVA Bruchsal

b1) Der Staatshaushaltsplan

Auch wenn ich hier nun die Entwicklungen in der JVA Bruchsal beleuchten werde, so gelten diese Ausführungen doch auch für die anderen Anstalten des Landes. Den „Produktionformationen“ (so heißt dies tatsächlich) des Staatshaushaltsplans 2010/2011 für den Einzelplan Justizministerium des Landes Baden-Württemberg kann entnommen werden, daß das Land plant, für die Gefangenenentlohnung im Jahr 2010 circa 1,754 Millionen Euro weniger auszugeben als noch 2009. Wurden 2009 den Gefangenen in den Anstalten insgesamt 12,3 Millionen Euro ausbezahlt, sollen es 2010 nur noch 10,5 Millionen Euro werden (a.a.O., S. 115 im Entwurf des Einzelplans 05), zugleich sollen die Zahlungen an die Bundesagentur für Arbeit um knapp 1 Million Euro sinken. Arbeitende Gefangene/ Verwahrte erwerben für die Zeit nach der Entlassung nämlich Ansprüche auf Arbeitslosengeld I.

b2) JVA Bruchsal

Wie verkürzt man aber nun die effektiven Zahlungen an die Betroffenen, wenn doch im Gesetz geregelt ist, daß sie Anspruch auf 9 % des Durchschnittsverdienstes der Arbeiter und Angestellten haben??
Der erste Trick: Zwar müssen die Insassen weiterhin von 6.35 Uhr – 11.30 Uhr und von 12.35 Uhr – 15.00 Uhr in den Betrieb, also 7 Stunden 20 Minuten, die sie auch bislang bezahlt bekamen, künftig erhalten sie aber nur noch für 7 Stunden oder weniger ein Entgelt. Wer bspw. Als „Schänzer“ arbeitet (diese reinigen die Flure, richten die Anstaltswäsche, u.a.m.) bekam schon bislang nur 6 Stunden am Tag bezahlt, künftig werden es nur noch 5 Stunden sein.
Zweiter Trick: „Neubewertung der Arbeitsplätze“: Insgesamt gibt es 5 „Vergütungsstufen“, diese reichen von Stufe 1 für Arbeiten einfacher Art, die keine Vorkenntnisse erfordern, bis hin zur Stufe 5, welche die Kenntnisse eines Facharbeiters voraussetzen und Arbeiten umfassen, die ein ganz besonderes Maß an Können, Einsatz und Verantwortung erfordern. In Stufe 1 erhalten Gefangene 75 % des Grundlohns (also 75 % der oben erwähnten 9 %), in Stufe 2 schon 88 %, in Stufe 3 sind es 100 %, in Stufe 4 dann 112 % und in Stufe 5 schließlich 125 %.
Also begab es sich nun, daß eine Art Kommission alle Arbeitsplätze auf Einsparpotential untersuchte. Das Ergebnis, viele Stellen wurden herabgestuft von Stufe 3 auf 2 oder gar 1. So gibt es den skurrilen Fall eines Sicherungsverwahrten. Für SV’ler hatte der Landesgesetzgeber zum 01.01.2010 großzügig die Entlohnung von 9 % (der Satz, der für Gefangene gilt) auf 12 % erhöht, um einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Sicherungsverwahrte besser zu behandeln seien als Strafgefangene, nachzukommen. Letztlich wird er aber ab April weniger verdienen als noch vor dieser „Erhöhung“, denn sein Arbeitsplatz wurde von Stufe 3 auf Stufe 1 abgewertet.
Dritter Trick: „Friss oder stirb!“ Neben erwähnten Schänzern gibt es noch „Hilfsschänzer“, diese müssen u.a. das Essen an die Gefangenen austeilen. Bei gleicher Arbeitsleistung wird nicht nur deren Entgelt von ca. 50 Euro/Monat auf knapp 30 Euro/Monat gekürzt, zeitgleich spart man auch noch mehrere dieser Posten ein, sodaß die verbleibenden Hilfsschänzer bei weniger Lohn mehr Arbeit zu leisten haben, oder den Job hinschmeißen, was die ersten zum 1. April auch beabsichtigen.

c.) Auswirkungen auf die Inhaftierten

Real werden die Einkommen der Gefangenen um bis zu 25 % sinken, wer vorher noch 200 Euro/Monat bekam, wird sich mit vielleicht 150 Euro/Monat begnügen müssen. Das mag sich auf der ersten Blick immer noch nach einem erklecklichen Sümmchen anhören. Von diesen 150 Euro/Monat darf man aber nur für 3/7 (ungefähr 65 Euro) seine persönlichen Bedürfnisse nach Tabak, Kaffe etc. stillen, denn 4/7 wandern auf das Überbrückungsgeld-Konto, welches für die Zeit nach der Haft gedacht ist.
Zugleich gestattet es die JVA der Firma Massak Logistik GmbH ( http://www.massak.de mail: info@massak.de) die Gefangenen exklusiv mit ebendiesen Nahrungs- und Genussmitteln zu beliefern und dafür Preise zu verlangen, die oftmals höher (mitunter auch viel höher) liegen als in vergleichbaren Läden außerhalb der Anstalt. So ergab eine von der Anstalt 2009 selbst durchgeführte Untersuchung, daß Werner Massak bzw. seine Firma in über 60 % (!) der Fälle den Gefangenen Waren zu teureren Preisen verkauft, als „draußen“ üblich sind.
Nun wurde auch noch per Erlass des Justizministeriums verfügt, daß Gefangene Strom- und Kabel-TV- Kosten von diesen 3/7 des Lohns zahlen müssen. Bislang war es möglich, diese Kosten vom „freien Eigengeld“ zu begleichen (mittlerweile gibt es 6 verschiedene Buchungskonten pro Gefangenen; die jeweiligen Verwendungsbeschränkungen differieren, weshalb ich hier auf nähere Erläuterungen verzichte). Effektiv werden also die Gefangenen noch weniger Geld zur Deckung ihrer persönlichen Bedürfnisse zur Verfügung haben.
Zwar dürfen sich die Gefängnisbewohner seit dem 01.01.2010 monatlich 55 Euro von „draußen“ schicken lassen, um damit dann machen zu können, was sie wollen; nur haben viele Gefangene niemanden, der ihnen dieses Geld schicken kann. Versuchen sie mit Hilfe der Mitgefangenen und deren Angehörigen Gelder aufzutreiben, wird dies von der Anstalt auch mal gerne als „kleine Gaunerei“ bezeichnet und sofort dem Gericht gemeldet (so geschehen in einem Fall, in welchem es um die vorzeitige Entlassung eines Gefangenen ging; LG Karlsruhe, Az. 15 StVK 68/10). Da zeitgleich weitere Einschränkungen erfolgten, berichten bspw. Sicherungsverwahrte aus der JVA Freiburg, nun real 100 Euro im Monat weniger zur Verfügung zu haben als noch 2009.

d.) Ausblick

„Arbeit im Strafvollzug, die dem Gefangenen als Pflichtarbeit zugewiesen wird, ist nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet“, so am 01.07. 1998 das Bundesverfassungsgericht. Wie die Praxis 2010 aussieht, habe ich soeben erläutert. Nun gibt es sicher auch jene Bürger, die meinen, den Gefangenen gehe es noch viel, viel zu gut, man möge sie in den Steinbruch schicken, bei Wasser und Brot. Solche Menschen sind es dann, die wenn sie – durch welche Umstände auch immer – selbst im Gefängnis landen, am lautesten jammern.
Man könnte die oben skizzierten Entwicklungen freilich auch als Vorbereitung der Gefangenen auf das Leben nach der Haft begreifen. Ihnen wird schon jetzt klar gemacht, wo sie landen werden, wenn sie wieder frei kommen: in der Armut. Dort wo für 1 Euro/Stunde Fronarbeit geleistet wird (1 Euro Jobs).

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Knast und Renitenz – drei Beispiele

Wer in einem Gefängnis sitzt, hat mitnichten ein solch süßes Leben, wie es beispielsweise BILD immer wieder gerne zeichnet. Vielmehr sind Gefangene zahlreichen Pressionen ausgesetzt; heutzutage eher psychischer, denn physischer Natur. Das heißt, die körperliche Misshandlung ist die Ausnahme, dafür empfinden Gefangene vielfach Handlungen der Anstaltsmitarbeiter/innen als psychische Gewalt.


Wohlgemerkt, hier geht es um die Wahrnehmung auf Seiten der Insassen/innen, ob eine solche Misshandlung von den auf Seiten der Anstalten handelnden Personen beabsichtigt ist, vermag ich nicht zu beurteilen.


Inhaftierte nehmen es schon als alltäglich hin, dass die Anstalten in Schriftsätzen (sei es im Rahmen von gerichtlichen Klagen oder die Entlassung auf Bewährung betreffend) einem advocatus diaboli (= Anwalt des Teufels) gleich, die tatsächlichen oder vermeintlichen negativen Seiten des Betreffenden hervorheben. Pro soziales Engagement wird wahlweise gar nicht erwähnt, oder aber negativ konnotiert: Engagiert sich ein Gefangener ehrenamtlich (z.B. im Sportbereich der Anstalt), fällt dies gerne mal unter den Tisch, oder wenn es denn erwähnt wird, dann mit der Wertung, der Betreffende wolle wohl durch solchen Einsatz eine subkulturelle Machtposition erringen, oder sich selbst darstellen.


Alles Gauner – oder was?


Ein Gefangener, der auf Mitgefangene, die über keine Angehörigen verfügen, die ihnen Geld zuwenden, hat Gelder einzahlen lassen, um dann den hierdurch ermöglichten Einkauf von Lebensmitteln zu teilen, liest in einer Stellungnahme der JVA Bruchsal an das Landgericht Karlsruhe – im Rahmen eines Verfahrens über seine vorzeitige Entlassung – :

„Kleine Gaunereien werden gelegentlich sichtbar, z.B. hat er Kontakt mit Gefangenen, die keine Angehörigen haben und mit denen er – brüderlich teilend – versucht, zusätzliche Einzahlungen für Weihnachtspakete zu organisieren“.


Immerhin, das „brüderlich teilend“ wird noch erwähnt, aber durch die vorangegangene Wendung der „kleinen Gaunerei“, in die Nähe kriminellen Tuns gerückt. In was für einer Absicht wohl?


Veränderter Blickwinkel


Oder Uwe K., lange Jahre in Haft, vermochten ihn, einen wahren Künstler, auch noch so massive Disziplinarversuche der JVA nicht dazu zu bewegen, von seinem Lebensinhalt, dem Tätowieren zu lassen. Für die JVA Bruchsal stellte dieses beharrliche Vorgehen ein schwerwiegendes Indiz für künftiges kriminelles Verhalten dar (nach der simplifizierenden Logik: Wer sich nicht an die Knasthausordnung hält, wird auch Gesetze nicht achten und deshalb Verbrechen begehen). Dem Landgericht Karlsruhe war diese Anstaltslogik allzu simpel und sie entließ den Gefangenen in Freiheit. Sie tat das, was auch das JVA-Personal hätte tun können, sie veränderte den Blickwinkel: „Dass der Verurteilte ein hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber der körperlichen Unversehrtheit seiner Mitmenschen hat, hat sich (paradoxerweise) gerade auch in seinen zahlreichen verbotenen Tätowierungen (…) gezeigt. (Der Verurteilte) verstand es, sich eine Ausrüstung zu konstruieren, die beim Tätowieren das Verletzungsrisiko gering hält (und) er habe stets auf Hygiene und die Desinfektion von Geräten und Kunden“ geachtet.


Darfs noch ein Kübel Müll sein?!


Über Gerd T. berichtete ich schon an anderer Stelle (z.B. Tortenringaffäre, http://www.de.indymedia.org/2009/08/259273.shtml) und es gibt nichts Gutes über den Fortgang der Auseinandersetzung zu berichten. Der für ihn zuständige JVA-Jurist Paukner, seines Zeichens Oberregierungsrat, fühlte sich nun bemüßigt, in einem Schriftsatz an das Landgericht, – dort hat T. Klage erhoben, da man ihm aus seiner Sicht ungerechtfertigter Weise einige Frischhaltedosen aus seinem Haftraum entfernt hatte -, auf immerhin sechs Seiten ein möglichst schlechtes Bild von Gerd T. zu zeichnen. Nun zählt T. zu jenem Typus Gefangener, der – nach vielen Jahren der Haft – einen merkbaren Drang zu Sauberkeit auslebt, d.h. die Zelle wird penibel sauber gehalten, alles hat seinen sorgfältig bestimmten Platz.

Alles in allem ist die Zelle, auch angesichts der vielen Haftjahre, eher karg ausgestattet.


Dies muss man vorausschicken, um zu verstehen, wie perfide (=gemein) es ist, wenn besagter Paukner dem Gericht mitteilt, man habe die 5 (!) kleinen Frischhaltedosen und eine (!) leere Tabakdose sofort aus der Zelle des T. entfernen müssen, bevor dieser „aufgrund seiner dissozialen Persönlichkeitsstruktur seinen Haftraum gänzlich zugemüllt“ habe.


In vergleichbarem Stil und Wortwahl ging es über sechs Seiten.

Was solls?! So wird mancher vielleicht sagen. Papier ist geduldig. Aber wer als Gefangener solche Schriftsätze dann regelmäßig liest und immer und immer wieder richtig stellen, erklären, erläutern muss, dessen Nerven leiden.

Er hätte die Wahl, was ihm, so berichtete er zumindest, durch die Blume bedeutet worden sei, seine juristische Wehrhaftigkeit einzustellen, was dann dazu führen könne, dass man nicht mehr so rigoros ihm gegenüber sei.

So etwas läuft in einer totalen Institution wie dem Strafvollzug alles recht subtil. Der Beamte, der diese Andeutungen machte, würde, als Zeuge benannt, eine solche Aussage in Abrede stellen – und ein Insasse ist nun mal per se in Augen Dritter kein „guter Zeuge“.


Schlusswort


Wer heute darauf wartet, dass Gefangene blutende Platzwunden vorweisen können, um zu dokumentieren, wie es ihnen hinter den Mauern ergeht, wird meist vergeblich warten. Die Methoden heute sind klinisch, sauber, hinterlassen keine sichtbaren Spuren, alles „rechtsstaatlich“ korrekt, ordentlich!


Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Prozess um Bush-Besuch-Kosten vertagt

Eigentlich hätte am Freitag, 05. März endlich vor dem Verwaltungsgericht Schwerin ein Prozess um die Kosten für den Besuch des U.-S.-Präsidenten Bush 2006 stattfinden sollen (vgl.
http://www.de.indymedia.org/2010/02/272962.shtml).

Nachdem sich die Presse redlich für die Sache interessierte, setzte der Richter am 03.03.2010 kurzerhand den Termin ab.

Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern legte nämlich zwei Landtagsdrucksachen von 2007 und 2008 vor, welchen ich angeblich die von mir angeforderten Informationen entnehmen könne. Dies schien dem Richter einsichtig. Zudem war ihm unklar, wie ich, sollte ich denn obsiegen, die Kopiekosten des Landes würde zahlen können. Eine Frage, die den Richter schlicht nichts angeht. Jedenfalls konnte, da ich in Haft sitze, keine Vorabverständigung zwischen mir und meinem Anwalt, Rechtsanwalt Stefan Schulz, Schwerin (http://www.die-verteidiger.de) kurzfristig erfolgen, so dass der Anordnung des Richters, die mündliche Verhandlung abzusetzen, erst mal nichts entgegen zu setzen war.

Die Landtagsdrucksachen, dies zur Sache, sind wenig aussagekräftig, zumal sie lediglich „circa“-Angaben enthalten und ich gerne die Originalrechnungen selbst sehen möchte, so wie es das Informationsfreiheitsgesetz vorsieht. Insofern ist der Anspruch auf Zugang zu den Informationen kein Gnadenakt, sondern stellt einen Rechtsanspruch dar.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

http://www.freedom-for-thomas.de

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Links zu dem Rechtsstreit:

http://www.svz.de/nachrichten/home/top-thema/article/111/

haeftling-verklagt-mv-nach-bush-party.html

http://www.ostsee-zeitung.de/ozdigital/archiv.phtml?

SID=4a5a3526792aa67ca54481aca6079b22&param=news&id=2698311

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