Leif ist in der bayrischen Sicherungsverwahrung gestorben

Wieder einmal ist ein inhaftierte Person gestorben. Leif B. kannte ich seit rund 15 Jahren, davon saß er nun über 12 Jahre in Sicherungsverwahrung. Noch für gestern waren wir zu einem Telefonat verabredet gewesen- aber da war er schon im Krankenhaus.

Wer war Leif?

Er ging auf die 60 zu. Geboren in Ostdeutschland, zog es ihn gleich nach der Öffnung der Grenzen 1989 in die Stuttgarter Region. Harter VfB Stuttgart Fan, egal ob sie mal wieder auf- oder abstiegen. Er war ein Kraftpaket, und wenn er nicht seinen Willen bekam, fing er an zu schreien- die Augen quollen dabei hervor, die Halsschlagadern traten hervor. Früher schlug er dann ansatzlos zu, später lernte er, sich mit dem Schreien abzureagieren, aber wer ihn nicht gut kannte, fand schon dies recht beeindruckend.

Zahlreich vorbestraft wegen Körperverletzungsdelikten, meist Bagatellen, aber einmal griff er betrunken zum Messer und versetzte seinem Gegenüber einen Stich in die Brust. Reiner Zufall, dass das nicht tödlich ausgegangen war. Dem Alkohol und allem was der Markt illegalisierter Substanzen zu bieten hatte, seit Jahrzehnten im Übermaß zugeneigt.

Zuletzt bekam er für eine Schlägerei eine Freiheitsstrafe von etwas mehr als drei Jahren, und die Sicherungsverwahrung (SV).

Exkurs: Sicherungsverwahrung

Eingeführt von den Nationalsozialisten mit Gesetz vom 24.11.1933, kann der Staat seitdem Menschen die er für „gefährlich“ hält, nach Verbüßen der Haftstrafe solange weiter einsperren, bis Gutachter*innen und Gericht zu der Einschätzung kommen, die gefangene Person sei nunmehr ungefährlich.

Aktuell sind mehr als 600 Männer und rund drei Frauen bundesweit in der SV untergebracht, hunderte weitere Verurteilte, warten auf den Antritt ihrer SV, weshalb die Bundesländer dazu übergehen, neue Trakte für die SV zu bauen. Alleine in Baden-Württemberg werden für 14 Millionen Euro fünfzehn neue Haftplätze für die SV geschaffen.

Leif kommt in die Sicherungsverwahrung

Ich saß selbst noch nicht so lange in der Freiburger SV, da bekamen wir einen Neuzugang. Leif trat seine SV an. Wir kannten uns schon. Er rollte den kleinen Rollcontainer mit seinen Habseligkeiten in seine Zelle, und wir gingen erstmal in den Gefängnishof. Wir waren noch nicht lange dort, da kamen einige Uniformierte, umringten Leif und meinten, er solle sofort mitkommen, denn man müsse da was klären.

Als ich zurück auf die Station kam, saß Leif in Isolation, sprich, die Anstalt hatte seine Zelle zugeschlossen, er durfte nicht mehr aus der Zelle raus. Wir verständigten uns rufend und er erzählte, er habe einige Wochen zuvor, in einer anderen Anstalt, einen pädophilen Insassen beschimpft und diesen zu Boden getreten. Nach einigen Wochen wurde die Isolation aufgehoben- aber für die Körperverletzung des Mitgefangenen bekam Leif eine sechsmonatige Haftstrafe.

Leif wäre fast entlassen worden

Zu Anfang schmiedete Leif einen Zweijahresplan- was haben wir ihn alle ausgelacht! Aber er war felsenfest davon überzeugt, er habe schon erfolgreiche Therapiemaßnahmen absolviert, man werde ihn binnen zwei Jahren frei lassen, frei lassen müssen. Im Laufe der Jahre zogen wir ihn immer wieder damit auf, denn aus dem Zweijahresplan wurde bald ein Dreijahres-, dann ein Fünfjahres- und dann ein Zehnjahresplan.

Als er in Freiburg in den Offenen Vollzug verlegt wurde und schon ganz alleine die Anstalt verlassen durfte, geriet er über eine vollzugliche Maßnahme in Streit mit seiner Psychologin, Frau Dr. S. Aus Aktenvermerken die er uns später zeigte, ergab sich, dass er sie derart angebrüllt hatte, dass sie fast in Panik das Zimmer verließ. Am nächsten Tag wiederholte er das Schauspiel mit dem Leiter der SV-Abteilung, Herrn G.

Das wars mit dem Freigang- er wurde zurück auf die Station verlegt und eigenartigerweise fühlte es sich so an, als wäre er nicht ganz so unglücklich damit. Die in Sichtweite gewesene Freilassung konnte er vergessen.

Leif wird zum Touristen

Er wollte nicht mehr in der JVA Freiburg bleiben, weshalb er sich um eine Verlegung in eine andere SV-Anstalt bemühte. Auch wenn ihm das gelang, es dauerte über ein Jahr, dann ging es in sächsische Bautzen. Dort gefiel es ihm bald nicht mehr und so ging die Reise zurück nach Freiburg. Danach verschickte man ihn Richtung Ostsee, nach Bützow. Eigentlich wollte man ihm dort irgendwann Vollzugslockerungen geben, aber es kam zu Diskussionen um Drogentests. Guten Gewissens konnte er keinen Urin abgeben, denn er nahm alles, was der örtliche Knastmarkt im Angebot hatte.

Irgendwann bedrohte und beleidigte er die Abteilungsleiterin und wurde vor wenigen Monaten von der Ostsee ins niederbayrische Straubing verlegt.

Leifs Ende

Wir hatten all die Jahre in denen er andernorts in der SV saß Briefkontakt, und als ich selbst im August 2023 entlassen wurde, konnten wir auch problemlos miteinander telefonieren. Auch die JVA Straubing genehmigte Telefonate mit mir problemlos. Immer wieder im Laufe der Jahre klagte er über Herzprobleme, dazu eine kaputte Schulter, die Hüfte und der exzessive Drogenkonsum.

Er war erst wenige Wochen in Straubing und wollte wieder dort weg: das sind doch alles „Kranke und Psychos hier“. All die Zeit in der ich kannte wirkte er rast- und ruhelos. Aufbrausend, wütend- und zugleich auch traurig.

In den ersten Jahren kam er immer mit, wenn nach den diversen Todesfällen in der Freiburg SV-Anstalt, in einem kleinen vergitterten Raum wieder mal eine Gedenkveranstaltung abgehalten wurde: jedesmal weinte er hemmungslos. Irgendwann meinte er, er könne das nicht mehr, er komme nicht mehr zu den Gedenkveranstaltungen.

Als er in Freiburg von der geschlossenen SV-Station in den Offenen Vollzug verlegt wurde, verabschiedete er sich in einer Wohngruppenversammlung und musste weinen; er machte den Eindruck, als ginge er ungern, als lasse er seine vertraute Welt zurück und ängstige sich vor der unbekannten neuen Welt die vor ihm lag.

Für den 09.09.2025 waren wir zum Telefongespräch verabredete.

Leif rief nicht an. Da lag er schon im Krankenhaus. Warum? Das weiß ich nicht. Kurz nach der Aufnahme im Krankenhaus ist Leif gestorben.

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