Neue Schikane gegen Mohamed Abu Dhess?

 Ich hatte erst kürzlich über das Schicksal des in Köln lebenden Mohamed Abu Dhess ( http://de.indymedia.org/2011/04/304510) berichtet. Nun fühlt er sich massiv durch die Stadt schikaniert. Was ist geschehen?
Schikane durch Amt für Öffentliche Ordnung?Mit Anhörungsbogen vom 01.04.2011 teilte man Mohamed mit, dass Herr Monschau vom „Amt für öffentliche Ordnung“ gegen ihn Anzeige erstattet habe, da er gegen seine Meldepflichten hartnäckig verstoßen habe. Ihm wurde auferlegt, täglich „auf der Polizeiwache Köln-Nippes (…) in der Zeit von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr persönlich“ vorzusprechen.
An insgesamt 27 Tagen habe er hiergegen verstoßen, in dem er bspw. am 08.02.2011 (schon) um 09:58 Uhr vorgesprochen habe, anstatt (frühestens) um 10:00 Uhr. Minutengenau reiht sich ein „Verstoß“ an den anderen, mal sei er schon um 09:50 Uhr, mal um 09:56 Uhr erschienen.
„Mit freundlichen Grüßen“ wird ihm mitgeteilt, dass dieses Verhalten mit Bußgeld von bis zu 1000 Euro pro Verstoß geahndet werden könne und er sich nunmehr hierzu äußern dürfe.
Hier tobt sich augenscheinlich deutsches Beamtentum in Reinkultur aus, denn ein Erscheinen auf der Polizeiwache um zwei oder drei Minuten vor der angesetzten Zeit zu einer Strafanzeige (die Staatsanwaltschaft führt unter Az. 121 Js 759/10 das Verfahren) führt.
Es bleibt abzuwarten, ob Mohamed für dieses angebliche Fehlverhalten tatsächlich bestraft wird.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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Interview zum 18.03. – eine eigene Welt – erschienen im ND

Zu Besuch in der baden-württembergischen JVA Bruchsal bei dem Gefangenen Thomas Meyer-Falk.

Thomas Meyer-Falk, 39 Jahre alt, klagt auf Offenlegung der Rechnungen zum Besuch des US-Präsidenten Georg W. Bush in Angela Merkels vorpommerschen Wahlkreis 2006. Zugang zu solchen Dokumenten gewährt das Informationsfreiheitsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern allen Bürgern, auch Gefangenen. Meyer-Falk sitzt seit 1996 wegen Bankraubs mit Geiselnahme im Gefängnis. Nach Ende seiner Freiheitsstrafe wird er 2013 in Sicherungsverwahrung verlegt, d.h. eine Entlassung ist derzeit unabsehbar. Niels Seibert besuchte ihn in der JVA Bruchsal und sprach mit ihm über seine Klage und das Gefängnis.

Was für ein bombastischer Klotz. Ein vierflügeliger Backsteinbau, an ein Panoptikum erinnernd, umgeben von einer begehbaren Sandsteinmauer und acht Wehrtürmen mit ziegelroten Zinnen. Im Mauergang patrouillieren Vollzugsbeamte mit Maschinenpistolen. Das gesamte Gelände ist nochmals von einem Metallzaun mit NATO-Stacheldraht bzw. einer grauen, stockfleckigen Betonmauer eingegrenzt. Das festungsähnliche Bauwerk steht zwischen Schloss und Krankenhaus in der Bruchsaler Innenstadt. Der Anblick vermittelt schon von außen: Hier wäre es schöner ohne das Gefängnis.

ND: Thomas Meyer-Falk, wäre die Welt schöner ohne Knäste?

Meyer-Falk: Ja, selbstverständlich. In einer Gesellschaft, in der Menschen selbstbestimmt und eigenverantwortlich leben, selbstreflektiert handeln, sich ihrer Schwächen bewusst werden und nach Lösungen suchen können, sind Gefängnisse überflüssig. Die Idee des Anarchismus geht davon aus, dass die Menschen dazu in der Lage sind.

ND: Jetzt leben wir aber noch in unschönen kapitalistischen Verhältnissen.

Meyer-Falk: In der heutigen Gesellschaftsform haben Gefängnisse einen Sinn; einen geringeren als in Amerika, wo aktiennotierte Firmen Gefängnisse betreiben. So weit sind wir hier noch nicht. In Deutschland gibt es Public Private Partnership: In Offenburg und Hünfeld ist der Bau bzw. der Betrieb der Gefängnisse teilweise privatisiert: die Küche, der Sozialdienst und der ärztliche Dienst. In manchen Gegenden, beispielsweise in Burg, Sachsen-Anhalt, sind Gefängnisse einer der größten Arbeitgeber im Ort. Sie bieten Arbeit und Auskommen für mehrere hundert Menschen. Das ist der ökonomische Faktor. Und es gibt den psychologischen Faktor für die Gesellschaft, die so ihre Probleme einfach auslagern kann.

Etwa 30 Schritte sind es vom Eingang der JVA Bruchsal bis zu den Besuchszellen. Auf diesem Weg gehe ich durch insgesamt neun Sicherheitstüren ohne Türgriffe und eine Personenkontrolle wie am Flughafen mit Durchgangsdetektor. Ich muss sämtliche mitgeführten Gegenstände – sogar die Armbanduhr – in einem Schließfach hinterlegen. Wenn ich schon mal da sein werde, hatte ich den Anstaltsleiter telefonisch gefragt, ob ich dann auch eine Zelle sehen könne? Ohne lange nachzudenken verneinte er: Die JVA sei voll belegt.

ND: Wie muss ich mir, Herr Meyer-Falk, eine Zelle vorstellen?

Meyer-Falk: Die Zellen in Bruchsal sind zirka acht Quadratmeter groß, vielleicht 2,20 Meter breit. Die Deckenhöhe ist 4,50 Meter. Das Fenster ist in etwa zwei Meter Höhe angebracht. Wenn man also hinausgucken will, muss man einen Stuhl an die Wand stellen und draufsteigen. Man hat ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl, ein Regal.

ND: Sind diese Gegenstände am Boden festgeschraubt?

Meyer-Falk: In den neu renovierten Zellen wird mittlerweile alles fixiert, da ist bis auf den Stuhl nichts mehr beweglich. Die Schränke haben heute keine Rückwand mehr und stehen 10 cm von der Wand entfernt, damit Beamte sofort entdecken können, wenn Löcher in die Wand gegraben werden zu den alten Heizschächten, in denen im 19. Jahrhundert die Heißluft von unten nach oben zog. Die Hohlräume wurden im Laufe der Jahrzehnte von vielen Gefangenen als Versteck genutzt, vor allem für Most.

In der Zellenecke haben wir die WC-Schüssel und ein Waschbecken, abgetrennt durch einen Vorhang. Die Wasserdampfheizung in meiner Zelle hat kein Thermostatventil. Sie geht nur entweder an oder aus. Sie wird zentral geregelt. Und abends, ab 7 Uhr ist keine Heizung mehr an und dann wird es kalt in der Zelle.

Das Männerzuchthaus Bruchsal wurde im Oktober 1848 eröffnet. Die ersten Insassen waren politische Häftlinge: Aufständische der Badischen Revolution. Auch Christian Klar, Gefangener aus der RAF, saß hier bis zu seiner Entlassung 2008. Thomas Meyer-Falk wurde wegen eines Bankraubs verurteilt, mit dessen Beute Geld für linke Projekte organisiert werden sollte.

ND: Verstehen Sie sich als politischer Gefangener?

Meyer-Falk: Ich hatte ja eine politische Absicht und Vorstellung, was ich mit dem zu erbeutenden Geld gerne gemacht hätte. Aber ich würde mich nicht als politischen Gefangenen sehen, weil ich mit der Kategorie nicht so viel anfangen kann. Ich halte schon die Differenzierung für relativ problematisch, weil dadurch Hierarchien entstehen. Vor zehn Jahren hätte ich die Frage vielleicht noch anders beantwortet. Aber wenn man mit den Schicksalen der Leute hier direkt konfrontiert ist, denkt man anders: dass der Einbrecher in der Nebenzelle die Freiheit genauso verdient hätte wie ich.

ND: Ich finde immer auch wichtig, warum ein Mensch im Knast ist und wie er sich dort verhält. Aber ich gebe zu: Der Begriff des politischen Gefangenen ist problematisch, weil er Definitionssache und abhängig von Interessen und Zielen ist. Sie setzen sich für Ihre Rechte und die anderer Gefangener ein. Auch deshalb nehme ich Sie als einen kämpfenden Gefangenen wahr. Können Sie mit dieser Bezeichnung mehr anfangen?

Meyer-Falk: Ja, selbstverständlich, oder anarchistischer Gefangener oder Red-Skin, das schon eher.

Auf aushängenden DIN-A4-Zetteln wird in einem antiquierten Behördendeutsch die »Abwicklung des Toilettengangs« bei Besuchen erklärt. So ein Knast ist eine eigene Welt. Eine konservative Welt. Viele gesellschaftliche Entwicklungen und Fortschritte dringen von draußen nicht oder erst um Jahre verspätet durch die Gefängnismauern.

ND: Wie kann man unter diesen unfreien Verhältnissen zu einem freien Menschen werden?

Meyer-Falk: Gefängnisse in unserer Gesellschaft sind nicht dazu da, Menschen zu vermitteln, selbstbewusste, selbstständig denkende, selbstständig handelnde Wesen zu werden. In einem Zeitschriftenartikel wurde einmal ein Gefängnis mit einem Bienenstock verglichen: Es gibt die Königin, den Anstaltsleiter, und es gibt die Arbeitsbienen, die Gefangenen. Es geht tatsächlich darum, die Gefangenen zu fleißigen Arbeitsbienen zu drillen. Das heißt, morgens regelmäßig zur Arbeit gehen und den Rest des Tages den Mund halten. Damit das so läuft, wird mit Drohungen und Repressalien gearbeitet. An den Bedürfnissen der Menschen orientiert man sich nicht. Das kann man hier mitunter besonders deutlich beobachten, wenn Gefangene plötzlich anfangen selbstständig ihre Angelegenheiten zu regeln, wenn sie beispielsweise ihre Schuldenprobleme einfach selber in die Hand nehmen ohne sich vorher mit Juristen der Anstalt, mit Sozialdienst oder psychologischem Dienst kurzgeschlossen zu haben. Dem begegnet die Justiz eher skeptisch. Anstatt die Ressource des Gefangenen, die er selbstständig nutzt, zu loben und zu fördern, wird mit Unwillen und mit Misstrauen reagiert. Das ist meine Erfahrung – wie überhaupt hier primär auf die Defizite der Leute geachtet wird, anstatt auf das vorhandene Potenzial.

Grundsätzlich werden solche Besuche nicht genehmigt, hatte mir der Beamte aus dem baden-württembergischen Justizministerium fernmündlich erklärt, bei dem ich den Besuch beantragen musste. Aufenthalte von Journalisten »bringen den Gefängnisalltag durcheinander«. Dokumentationen und Reportagen über einzelne Gefangene seien den Zwecken des Strafvollzugs, der Resozialisierung und Wiedereingliederung sowie der Aufarbeitung der Straftat, abträglich. Es könne sogar sein, dass die Inhaftierten ihre Verurteilung in Frage stellen. Aber der Beamte werde bei »dem Meyer-Falk« eine Ausnahme machen wegen dessen verwaltungsgerichtlicher Klage auf Offenlegung der Rechnungen von Angela Merkels Empfang für Georg W. Bush im Jahr 2006.

ND: Wie teuer war Merkels Grillparty für den US-Präsidenten ?

Meyer-Falk: Die Zahlen schwanken. Auf eine parlamentarische Anfrage hin hat die Landesregierung eine Summe von 8,7 Millionen Euro genannt.

ND: Haben Sie spannende Details aus den Akten erfahren?

Meyer-Falk: Ich habe bis heute noch keine Unterlagen gesehen. Das Verwaltungsgericht Schwerin hat zwar die Offenlegung der Endsummen der jeweiligen Rechnungen angeordnet, aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Innenministerium lehnt es deshalb ab, die Unterlagen vorzulegen, zu deren Offenlegung es verpflichtet wurde. Wann das Oberverwaltungsgericht in Greifwald entscheiden wird, ist noch offen.

In der sterilen Besuchszelle sind ein kleiner quadratischer Tisch und vier Schalenstühle in braunem Farbton fest im Boden verankert. In meinem Rücken eine breite Spiegelglasscheibe in der Wand. Dahinter sitzen sie, die – wie vom Anstaltsleiter angekündigt – den Besuch »lediglich optisch überwachen«. Als ich mich mit Thomas Meyer-Falk schon eine ganze Weile unterhalten habe, klingelt es plötzlich. Ich schaue mich um.

ND: Was klingelt denn da?

Meyer-Falk: In der Nebenzelle hinter dem Spiegel läutet das Telefon.

ND: Aber – wenn wir das Klingeln und das Telefongespräch so deutlich hören, dann hören die auch jedes Wort unseres Gesprächs.

Meyer-Falk: Ja, natürlich. Wundert Sie das?

Wir wechseln noch ein paar Worte, dann ist die Besuchszeit schon vorüber und alles geht ganz schnell. Im Nu stehe ich am Ausgang, das große Tor öffnet sich, Tageslicht dringt herein. Ich kann hinausgehen.

komplettes Interview mit Bildern:

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193498.eine-eigene-welt.html

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Das zarte Pflänzchen Solidarität

Vor vier Jahren wurden im Sommer 2007 erst Axel, Florian und Oliver in Brandenburg verhaftet; und nur wenige Stunden später Andrej in Berlin. Ihnen wurde von der Bundesanwaltschaft vorgeworfen Mitglieder der militanten gruppe (mg) zu sein. Jetzt, eineinhalb Jahre nachdem der Prozess gegen Axel, Florian und Oliver mit einer Verurteilung endete, erschien seitens des „Bündnis für die Einstellung der § 129(a)-Verfahren“ eine 86-seitige Publikation zur Nachbereitung der Soliarbeit und auch gedacht als Handreichung für künftige Soli-Gruppen.

In vier Kapiteln werden neben den Fallen und Freuden der Soliarbeit (S. 9-30), die Öffentlichkeits- und Pressearbeit (S. 31-45), die konkrete Soliarbeit rund um den Prozess (S. 46-64), sowie die Ermittlungsmethoden (S. 65-72) ausführlich dargestellt. In erfreulich ungeschminkter Direktheit werden neben den eigenen Stärken auch die Schwächen aufgezeigt; angefangen bei der Herausforderung, eine gemeinsame Basis mit dem speziell um Andrej (einem Wissenschaftler einer Universität) herum entstandenen Solikreis zu finden, der konkreten materiellen und persönlichen Unterstützung der Verhafteten und im Gefängnis befindlichen Beschuldigten, der hierdurch bedingten Auseinandersetzung mit dem Thema Knast, bis hin zur Prozessbegleitung, Prozessberichterstattung.

Gerade die Darstellung, soweit dies in einer für die Öffentlichkeit gedachten Publikation verantwortbar ist, ohne auch den staatlichen Repressionsbehörden allzu viel zu verraten, des Entwicklungsprozesses von der Entstehung und dem Verlauf der Soligruppe(n) und Soliarbeit, wie auch die Darstellung der Methoden der Polizei-/Verfassungsschutzbehörden macht diese Veröffentlichung zu einem auch künftig wichtigen „Ratgeber“, wie in §§ 129(a/b)-Verfahren eine sinnvolle und wirkungsvolle Solidaritätsarbeit geleistet werden kann, aber mit welchen Schwierigkeiten auch zu rechnen ist.

Hier ist den AutorInnen dafür zu danken, kein falsches, rosiges Bild gezeichnet zu haben. Solidarität ist in der Tat ein zartes Pflänzchen, das gehegt, gepflegt und gegossen werden will; das mg-Verfahren ist ein anschaulicher Beleg hierfür.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA Bruchsal

http://www.freedom-for-thomas.de

Angaben zu der Publikation: Titel: „Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen – Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)“ Herausgeber(in): Bündnis für die Einstellung der § 129(a)-Verfahren ISBN: 978-3-942885-00-3 erschienen bei: edition assemblage, 86 Seiten, 4,80 Euro http://www.edition-assemblage.de http://einstellung.so36.net/de/1815

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Über einen haftentlassenen „Ausländer“ – das Schicksal des Mohamed Abu Dhess

Wer aus der Haft entlassen wird, sieht sich vielfältigen „Herausforderungen“ gegenüber, wie es heutzutage in der Sprache der Motivationstrainer heißt. In Wahrheit handelt es sich um Steine, um ganze Quader, die den Betroffenen in den Weg gelegt werden; ganz besonders schwer trifft es Menschen, die ausreisepflichtig sind, aber aus welchen Gründen auch immer nicht abgeschoben werden dürfen. 

Von solch einem Menschen, von Mohamed Abu Dhess, soll heute berichtet werden.

Wer ist Mohamed, weshalb saß er in Haft?

Geboren 1964, trat er 1992 der PLO bei und wurde in einem Militärlager der Fatah der Intifada ausgebildet. 1995 beantragte er in Deutschland Asyl und bekam 1996 von der Stadt Lüdenscheid eine Aufenthaltserlaubnis, in Verbindung mit einem Internationalen Reiseausweis für Flüchtlinge nach Genfer Konvention.

Verhaftet wurde Mohamed einige Monate nach dem 11. September 2001, denn BND und Bundesamt für Verfassungsschutz hatten ihn und sein Umfeld umfangreich ausgeforscht; zudem fand sich ein Spitzel bereit, als Kronzeuge vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf auszusagen. Unter Vorsitz des hinlänglich bekannten (manche sagen auch: berüchtigten) Richters Breidling, wurde Mohamed am 26.10.2005 zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Er und Freunde von ihm hätten laut dem Kronzeugen geplant, in Deutschland Anschläge auf israelische Einrichtungen zu begehen. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf handele es sich bei Mohamed um eine politisch und religiös fanatisierte Person.

Wie verlief die Haftzeit?

Viele Jahre verbrachte Herr Abu Dhess in strenger Isolationshaft, u.a. in Stuttgart-Stammheim. Erst in den letzten Jahren seiner Haft durfte er zu Mitgefangenen (dann in Köln-Ossendorf einsitzend) Kontakt haben. Wiewohl die Anstalt ihm ein tadelloses Verhalten bescheinigte, wertete dies der vom OLG mit einem Prognosegutachten beauftragte Professor Dr. Leygraf nicht etwa günstig, sondern sah auch nach langjähriger Haft keinerlei „Änderung seiner ideologischen Kampfbereitschaft“. Da Mohamed zudem die Angaben des Kronzeugen nach wie vor bestritt, so der Zirkelschluss des Gutachters, erlaube dieser Umstand auch keine Aussage zu einer eventuellen Veränderung der inneren Einstellung.

Und so verbüßte Mohamed die Haftstrafe bis zum letzten Tag, bevor er dann im Mai 2010 auf freien Fuß kam.

Wo lebt Mohamed jetzt?

Schon einige Wochen vor der Freilassung verfügte das Kölner Amt für öffentliche Ordnung in Gestalt von Frau Pauly, im Rahmen einer umfangreichen „Ordnungsverfügung“ (zu den Details vgl. http://de.indymedia.org/2010/05/281083.shtml), dass Mohamed in einem bestimmten „Hotel“ im Kölner Stadtteil Nippes zu wohnen habe und weder Internet, noch Telefonzellen oder Handys (mit Ausnahme eines einzigen Mobiltelefons, sofern er vor Inbetriebnahme das Amt über Telefon-/Karten- und Gerätenummer informiere) nutzen dürfe. Den Stadtteil dürfe er zudem nur mit vorheriger Erlaubnis des Amtes für Öffentliche Ordnung verlassen.
Die Wohnbedingungen in dem „Hotel“ rügte der Anwalt von Herrn Dhess schon kurz nach Einzug in das Zimmer. Rechtsanwalt Dieckmann ( http://www.becher-dieckmann-rechtsanwaelte.de) schrieb in einer Klage an das Verwaltungsgericht, das Zimmer verfüge weder über Koch- noch über Kühlgelegenheit, es herrschten unangemessen hohe Innentemperaturen, außerdem könne der Kläger keine arabisch-sprachigen TV-Sender empfangen.

Wovon lebt Mohamed?

Auf Grund einer Verordnung der Europäischen Union (EG-Verordnung Nr. 1102/2009 der Kommission vom 16.11.2009) steht Mohamed auf der „Sanktionsliste“ der EU, sprich, soweit er über Eigentum verfügt, ist dieses eingefroren; wer ihm Gelder oder sonst wie materielle Zuwendungen übermittelt, ohne zuvor die Erlaubnis der EU bzw. der von ihr beauftragten deutschen Behörde einzuholen, macht sich eines Verbrechens strafbar.
Dies führte schon während der Strafhaft zu der skurrilen Situation, dass selbst für ein paar Briefmarken, die man ihm schicken wollte, die Zustimmung der Deutschen Bundesbank eingeholt werden musste; in einem anderen Fall, als es nämlich um die regelmäßige Zuwendung von Briefmarken (!) ging, musste die mit Mohamed in Briefkontakt stehende Person sogar beim Sanktionsausschuß der UNO eine Erlaubnis einholen.

Und so ist Mohamed nun auf öffentliche Leistungen nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz angewiesen; nicht erst seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der HARTZ-4-Bezüge wird immer wieder gerade von Hilfsorganisationen dargelegt, dass erst recht die Leistungen nach AsylbLG menschenunwürdig seien.
Das „Amt für Soziales und Senioren“ der Stadt Köln gewährt Mohamed nun monatlich 165 Euro als Warengutschein, sowie 41 Euro als Bargeldleistung. Laut Schreiben vom 22.03.2011 des Herrn Taschenmachers, von besagtem Amt für Soziales und Senioren, stehe Mohamed weder Bekleidungshilfe, noch eine gesonderte Geldleistung zu, denn „neben dem Anteil für Ernährung (130,39 Euro), Gesundheits-/Körperpflege (5,11 Euro) und Gebrauchsgüter (7,67 Euro)“, sei der verbleibende Betrag für Bekleidung vorgesehen.
Nur zynisch kann der Hinweis des Herrn Taschenmachers angesehen werden, dass aus seiner Sicht auch kein Ausnahmetatbestand wie „z.b. eine Schwangerschaft oder Geburt eines Kindes“ vorliege, welcher eine Leistung möglich machen würde. Akkurat führt der Sachbearbeiter dann die „nach allgemeiner Auffassung nicht unbedingt notwendige“ Einkaufspraxis von Mohamed als weiteren Ablehnungsgrund an, denn dieser habe am 19.02.2011 bei ALDI „unter anderem mehrere Kilogramm Strauchtomaten“ gekauft, und sogar sich erdreistet, „Toffifee“ und „diverse andere Schokolade“ in den Warenkorb zu legen. Kosten für ein Rezept, so teilte Herr Taschenmacher am selben Tag in einem gesonderten Schreiben mit, werde man nur dann tragen, wenn dieses „vorher hier eingereicht“ werde und „eine Diagnose und Begründung“ enthalte, denn gemäß § 4 Abs. 1 AsylbLG sei nur die „Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ vorgesehen.

Alles immer schön „mit freundlichen Grüßen im Auftrag“ unterschrieben.

Bespitzelung durch die Sicherheitsbehörden?

Schon in den ersten Wochen nach seiner Freilassung wurde Mohamed mehrfach von der Polizei besucht, obwohl er nach einer Auflage des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 27. April 2010) sich sowieso täglich (!) ein mal bei der örtlichen Polizeidienststelle zu melden hat. Soweit anlässlich dieser „Hausbesuche“ andere Personen angetroffen wurden, unterzog die Polizei diese einer Personenüberprüfung.
Ganz offiziell (auch hier – man ahnt es – „mit freundlichen Grüßen im Auftrag“ unterzeichnet) teilte eine Kriminaloberkommissarin Brillowski vom Polizeipräsidium Köln am 15. März 2011 mit, dass man ein Jahr zuvor, nämlich im Zeitraum „vom 07.05.2010 bis 06.06.2010 (…) gegen Sie eine Datenerhebung“ durchgeführt habe, namentlich durch eine längerfristige Observation, wie auch durch den „Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen“. Hiergegen dürfe er, so er wolle, nun vor Gericht klagen.
Man darf davon ausgehen, dass neben der Polizeidirektion auch verdeckte Maßnahmen von den Behörden des Verfassungsschutzes erfolgen.

Weshalb wird Mohamed nicht abgeschoben?

Durch Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wurde ein Abschiebehindernis für Jordanien festgestellt, da ihm dort Folter oder unmenschliche Behandlung droht; ein „sicherer Drittstaat“, der ihn aufnehmen würde, ist bislang nicht gefunden; außerdem gibt es Probleme mit dem Pass, denn dieser ist 1997 verloren gegangen. Nun soll er offenbar durch Zeitungsinserate in Jordanien (!) den Passverlust bekannt machen und sich zugleich einen neuen Nationalpass besorgen, eben jenes Landes, in welches er wegen der Gefahr, gefoltert zu werden, gar nicht abgeschoben werden kann.
Jedenfalls fordert Frau Metzinger vom „Amt für öffentliche Ordnung, Abt. Ausländerangelegenheiten“ nachdrücklich am 25.03.2011 (selbstverständlich auch sie „mit freundlichen Grüßen im Auftrag“ grüßend und handelnd), entsprechende Bemühungen von Herrn Dhess.

Was sagt Mohamed Abu Dhess zu alledem?

Er fühlt sich drangsaliert und unwürdig, wie er schreibt: „wie ein Penner“ behandelt. Ihm sei es während der Haft besser gegangen als jetzt. Gerne würde er Deutschland sofort verlassen, sieht sich aber daran gehindert, da kein Staat ihn aufnehmen möchte. Nachdrücklich hat er, auch vor dem Verwaltungsgericht (zuletzt in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem VG Köln am 16. März 2011) bekundet, dass er gegen „die Tötung eines jeden Menschen“ sei, Gewalt ablehne und man anerkennen und respektieren möge, dass er sich verändert habe und „bis zu meiner Ausreise aus Deutschland hier ein menschenwürdiges Leben“ führen möchte. Die Gerichte und Behörden bewerten dies jedoch nicht zu seinen Gunsten, sondern klammern sich an das, was ein Spitzel vor Jahren einmal vor Bundesanwaltschaft und Oberlandesgericht aussagte.

Resümee

Ein Mensch, der derart „behandelt“ wird, kann sich nicht in Freiheit eingliedern. Rund-um-die-Uhr-Bespitzelungen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Verbot, das Internet zu nutzen, minimale Grundversorgung – und alles immer im kühlen Amtsdeutsch mit der Formel „mit freundlichen Grüßen“ versehen. Wer einen anderen Menschen „freundlich grüßt“, der geht nicht so mit ihm um. Es mag so sein, dass die Fülle der Restriktionen im Falle Mohamed Abu Dhess über das durchschnittliche Maß (deutlich) hinaus gehen, aber in ihrer Tendenz spiegeln sie die Realität vieler aus der Haft entlassener Menschen in Deutschland wieder.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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Knast – eine eigene Welt

 

In deutschen Gefängnissen geschieht mitunter auch Sonderbares, was im ersten Moment zum Lachen reizt, oder ungläubig den Kopf schütteln lässt; aber fast immer weist die auch noch so skurril anmutenste Situation auf tiefer gehende und vor allem bedrückende Zustände hin. Von diesen soll heute die Rede sein.

Weichspüler im Nasenspray
In der nordrhein-westfälischen Haftanstalt in Remscheid stieg 2010 der Verbrauch von Nasensprays offenbar rasant an. Wie die Süddeutsche Zeitung (28.02.2011) berichtete, schlug dann bei einer Zellenkontrolle ein Spürhund an und so untersuchten die Beamten die Nasensprays näher. Was fanden sie? Handelsüblichen Weichspüler. Die Inhaftierten waren der Überzeugung, der Weichspüler würde, wie sie sagten „so richtig rein hauen“, sprich sie betäuben, bzw. in einen rauschähnlichen Zustand versetzen.

Hintergrund für diese Vermutung mögen Berichte über Reinigungsmittel sein, welche u.a. GBL (eine in der Medizin als Narkotikum verwendete Form von Buttersäure) enthalten; wie toxikologische Untersuchungen dann ergaben, fanden sich zumindest winzigste Spuren von GBL in jenem Weichspüler, allerdings nicht in einer Dosis, welche einen Rausch hervorrufen könne, wird in dem SZ-Artikel ein Toxikologe zitiert. Dessen ungeachtet verbot das Justizministerium die weitere Ausgabe dieses Weichspülers an Gefangene.

Je nach Untersuchung der Quelle wird von einem Anteil an Drogensüchtigen im Strafvollzug von 50% – 80% ausgegangen, wobei die letztgenannte Zahl dann auch so genannte „GelegenheitskonsumentInnen“ einschließt.
Menschen einzusperren ist, kurz gesagt, unnatürlich; eingesperrt in kleinen Zellen, mitunter 23 Stunden pro Tag, das über Jahre. Allein gelassen mit ihren Sorgen, wie auch ihren in aller Regel vielfältigen Problemen, ist die Versuchung für sehr viele groß, sich durch berauschend wirkende Substanzen zumindest kurzfristig der Situation (vermeintlich) zu entziehen. Da Alkohol hinter Gittern streng verboten ist, wird alles konsumiert, was in irgendeiner Weise einen Rauschzustand verspricht. Illegale Drogen sind enorm teuer, aber all zeit erhältlich – und wenn dann das Gerücht umgeht, der kostenlose Weichspüler enthält GBL, ist es nur zu verständlich, dass auch auf die Gefahr hin einer Falschmeldung aufzusitzen, sich Gefangene diesen in die Nase sprühen (durch die Nasenschleimhaut soll dann das GBL umgehend in den Blutkreislauf gelangen und ins Gehirn).

Insofern ist es nicht wirklich amüsant, wenn wir davon hören, dass Gefangene sich Weichspüler zu führen, sondern es ist ein anschauliches Beispiel dafür, was verzweifelte Menschen bereit sind zu tun.

Frauenkleider im Männerknast

Einem Bericht der HAZ (Hannoversche Allgemeine Zeitung) vom 02.03.2011 konnte entnommen werden, dass die JVA Hannover einem männlichen Insassen verboten hatte, in seiner Zelle Frauenkleider zu tragen, da er hierdurch andere Gefangene zu Übergriffen „provozieren“ könne. Der Betroffene, der aussagte eine transsexuelle Neigung zu spüren, zog vor Gericht. Verlor er noch in der 1. Instanz, so gab ihm am Ende das Oberlandesgericht Celle recht. Schon aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folge der Anspruch auch für einen Mann, so er dies wolle, Frauenkleider zu tragen. Nunmehr muss das Landgericht, das zuvor die Entscheidung der JVA gebilligt hatte, neu über den Fall befinden.

Nicht allzu oft, aber doch hin und wieder, begegnet man in den Gefängnissen transsexuellen Menschen. Diese werden, gerade im Männervollzug, der doch von den stereotypen Männlichkeitsklischees geprägt ist, vielfach schikaniert und bedrängt; wobei sich hier in den vergangenen 10 – 15 Jahren sicherlich auch manches verbessert haben dürfte. Inge, eine Gefangene, die noch bis vor einigen Jahren in der JVA Mannheim im Männergefängnis saß, wurde bespuckt, geschlagen und beschimpft – aber unermüdlich kämpfte sie für ihre Anerkennung als Frau. Nach diversen Gerichtsprozessen, auch Ermittlungsverfahren gegen Vollzugsbeamte, denen sie Übergriffe auf sich vorwarf, erfolgte schlussendlich eine Verlegung in den Frauenvollzug nach Schwäbisch-Gmünd und die geschlechtsangleichende Operation.

Ministerieller Stehempfang in der JVA Bruchsal

Gelegentlich besuchen Justizminister und andere Vertreter aus Politik und Justiz Gefängnisse, insbesondere wenn es gilt einen Neubau o.ä. zu eröffnen. So auch am 22.11.2010 der Herr Professor Dr. Goll (FDP), seines Zeichens Justizminister in Baden-Württemberg; mit zahlreichen Gästen aus lokaler Politik, Justiz und justiznahen Institutionen, eröffnete er in der JVA Bruchsal eine Behandlungsabteilung für Gewalttäter. Anlässlich dieser Veranstaltung folgte in der Turnhalle des Gefängnisses ein opulenter Stehempfang, von welchem die Gefangenen, informiert von der in der Gefängnisküche tätigen Mitinsassen, die nämlich für die „hohen Gäste“ das Buffet zu richten hatten, noch Wochen danach empört erzählten. Während sie selbst, also die Inhaftierten, an diesem Tag den üblichen trockenen Reis und Chili con Carne vorgesetzt bekamen, kredenzte man Goll und Konsorten Wein, Meeresfrüchte, frische Erdbeeren und allerlei andere Leckereien.

Im Rahmen eines deswegen angestrengten Petitionsverfahrens verwahrte sich das Justizministerium gegen den Vorwurf hier habe eine Geldverschwendung stattgefunden. Der Anstalt seien exakt „Kosten in Höhe von 124,38 Euro“ entstanden, nämlich für „belegte Brote“. Was sich so nach Picknick anhört, waren frische Baguettes und ein ansehnliches Buffet. Den Wein, so das Ministerium, habe der Verein „Opferschutz e.V.“ bezahlt. Und die Meeresfrüchte, das seien doch bloß „tief gefrorene Garnelen aus Restbeständen einer anderen Veranstaltung der freien Straffälligenhilfe“ gewesen.

Bei Gefangenen, denen einerseits die schon geringen Löhne gekürzt werden, während im selben Atemzug der Anstaltskaufmann seine Preise in immer höhere Höhen schraubt ( http://de.indymedia.org/2010/05/280395.shtml zur Geschäftspolitik der Firma Massak Logistik GmbH), hinterlässt jedoch solch ein üppig bestückter Empfang in der Sporthalle (nur nebenbei: die Freizeitveranstaltungen der Gefangenen an jenem Abend fielen deswegen ersatzlos aus) einen unappetitlichen Beigeschmack.

Knast ein fideles Hotel

Gerade BILD und andere Boulevardmedien bemühen sich darum die Gefängnisse als eine etwas abgespeckte Variante eines Hotel Garni darzustellen. Hier mag ein aktueller Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (Az. 1 BvR 409/09, abrufbar über http://www.bundesverfassungsgericht.de) neue Einsichten vermitteln.

Geklagt hatte ein ehemaliger Insasse der Vollzugsanstalten Köln und Hagen, der gerne Schmerzensgeld dafür hätte, dass er 2007 fast 6 Monate in Zellen untergebracht war, in welchen die Toiletten nur durch einen Sichtschutz abgetrennt waren. Er musste die ca. 8 qm (inklusive WC!) kleinen Zellen stets mit einem Mitgefangenen teilen, saß also meist 23 Stunden am Tag in diesem kleinen Raum, dem Gestank, Körperausdünstungen und den üblen Gerüchen der Toilette ausgesetzt. Im August 2008 lehnte es das Landgericht Köln ab, dem mittellosen Kläger Prozesskostenbeihilfe für einen Amtshaftungsprozess zu gewähren, da die beabsichtigte Zivilklage keinerlei Aussicht auf Erfolg habe. Dem folgte das Bundesverfassungsgericht in seinem vor kurzem veröffentlichten Beschluss nicht, sondern rüffelte die Kölner Richter vernehmlich.

Das Landgericht sei von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes abgewichen und habe darüber hinaus schwerwiegende Rechtsfragen gleich selbst im PKH-Verfahren entschieden, was aber nicht zulässig sei, sondern nur in einem normalen Zivilprozess geschehen dürfe.
In einer Nebenbemerkung ließen die Verfassungsrichter zudem erkennen, dass im Falle von chronischer Überbelegung einer Anstalt, die Gefängnisse sogar gehalten sein könnten, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist, Inhaftierte zu entlassen.

Nun darf diese neue Entscheidung jedoch nicht überbewertet werden, denn das Gericht betonte nur das, was es schon seit gut 10 Jahren in Sachen menschenunwürdiger Unterbringung immer mal wieder kund tut – nur die Länderjustizverwaltungen sitzen das Problem aus. Dort wird kühl kalkuliert: Was kostet es, wenn ein paar Gefangenen, die irgendwann einmal erfolgreich vor Gericht ein Schmerzensgeld einklagen, im Vergleich zu Gefängnisneubauten? Letzteres ist ungleich teurer. Auf die Idee (wie nun auch vom Bundesverfassungsgericht angeregt) Gefangene zu entlassen, kommt in der Justizverwaltung sowieso keiner, die BILD-Schlagzeilen möchte sich wohl keiner einhandeln.
Und Gefangene, die sich gegen menschenunwürdige Unterbringung wehren, müssen zudem damit rechnen, sich die jeweilige Anstalt und deren MitarbeiterInnen in großen Teilen zum Feind zu machen. Mal mehr, mal weniger subtile Beeinflussungen durch das Personal werden immer wieder berichtet. Da wird dann schon mal gefragt, ob sich Herr / Frau X denn nicht wünsche frühzeitiger aus der Haft entlassen zu werden, dass das aber schwierig werden könne, wenn er / sie hier den Vollzugsbetrieb mit im Grunde doch völlig aussichts- und substanzlosen Klagen wegen angeblich menschenunwürdiger Haftbedingungen störe.

Fazit

Gefängnisse, das wusste schon Dostijewski („Aus einem Totenhaus“) sind besondere Orte, mit besonderen Gesetzen, besonderer Tracht und besonderen Gebräuchen – aber dort ist auch Leben. In all seinen Facetten…

Thomas Meyer – Falk
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Tod und Sterben im Gefängnis

Auch vor den Gefängnismauern macht der Tod nicht kehrt; obwohl ein geflügeltes Wort unter Gefangenen davon spricht, dass „Knast konserviert“. Heute soll die Rede von Willi sein – er hat schon manchen Mitgefangenen sterben sehen und nun muss er sich mit seinem eigenen langsam, aber unaufhaltsamen Tod auseinander setzen.

Wer ist Willi?

Obwohl erst circa Mitte 40, bringt er es schon auf an die zwanzig Haftjahre; zuletzt wegen einer Raubserie zur Finanzierung seiner Drogenabhängigkeit zu einer langjährigen Haftstrafe mit anschließender, für das Jahr 2012 notierter, Sicherungsverwahrung verurteilt. Während der Haft bekam er, im Gefängnisjargon „Nachschlag“ genannt, eine weitere Haftstrafe wegen Beteiligung an einem Drogenschmuggel.

Er ist Bruder, Patenonkel für das Kind seiner Schwester und auch Vater, aber auch Sohn. Wobei sich, wie bei vielen Gefangenen, die familiären Beziehungen kompliziert und schwierig gestalten. Früher war er breitschultrig, hatte langes und volles Haar und wie er berichtet, einen Schlag bei den Frauen.

Wo steht Willi heute?

Seit er sich 1996 in Haft mit HIV infizierte, bei einem „Nadel-sharing“, nimmt er antivirale Medikamente, um den Ausbruch von HIV zu verhindern.

Exkurs – „Nadel-sharing“

Immer wieder fordern Drogenberatungsstellen, aber auch die AIDS-Hilfe (http://www.aidshilfe.de), dass Gefangenen kostenlos Spritzwerkzeug zur Verfügung gestellt werden sollte, um so zu verhindern, dass drogensüchtige Gefangene Spritzen teilen und sich so gegenseitig mit HIV oder anderen Krankheiten (z.B. Hepatitis) infizieren. Jedoch stoßen sie mit ihren Forderungen in der Justiz auf taube Ohren, lieber nimmt diese „Kollateralschäden“ wie jenen von Willi in Kauf. Selbstverständlich ist auch in Haftanstalten der Besitz von Drogen verboten, aber faktisch ist fast jede Substanz auch und gerade dort erhältlich. Für JustizmitarbeiterInnen wäre es eine Form von Kapitulation vor der Realität, würden sie Spritzwerkzeug ausgeben. Also müssen Gefangene sich entweder „illegal“ Spritze und Nadel besorgen, oder sie funktionieren bspw. Kugelschreiberminen mit viel Geschick zu Spritzen um, mit all den gesundheitlich bedenklichen Folgen, vor allem jedoch sind sie gezwungen, das Werkzeug zu teilen. Aber es professionell zu desinfizieren, dazu fehlen die Mittel, weswegen sich immer wieder Gefangene untereinander infizieren.

Willi im Jahr 2011

Kürzlich diagnostizierte der Anstaltsarzt „AIDS-Vollbild“; bei einer Körpergröße von knapp 1,80 m wiegt er zwar noch etwas über 60 kg, davon sind jedoch bis zu 11 Liter Wassereinlagerungen in Beinen und im Bauchraum. Aus dem ehemals breitschultrigen Mann ist ein ausgezehrt wirkender, schmaler und leicht gebeugt gehender, scheinbar alter Mann geworden. Das Haar strähnig, die Augen eingefallen, kann er nur wenige Meter langsam gehen, bevor er erstmal stehen bleiben und Luft holen muss, um sich dann langsam weiter am Geländer vor zu tasten.

Im Gespräch wirkt er mitunter abwesend, ist mittlerweile auch zunehmend vergesslicher geworden und klagt über starke Schmerzen, trotz der zahlreichen Medikamente, die er jeden Tag erhält. Man kann den Verfall regelrecht von Woche zu Woche verfolgen.

Wer hilft Willi?

Für einige Tage hatte sich Herr K. bei Willi einquartiert. Trotz der Enge der 8 qm-Zelle wagten beide dieses Experiment. Denn ein solches war es. Wer viele Jahre alleine in seiner Zelle lebt, der entwickelt Routinen, Marotten und damit verträgt es sich dann eigentlich nicht, plötzlich Tag und Nacht einen Mitmenschen um sich zu haben. Mit viel Einsatz kümmerte sich Herr K. um Willi! Als dieser nämlich eines Nachts, noch alleine in der Zelle, stürzte, konnte er sich nicht bemerkbar machen, kam auch nicht mehr vom Boden hoch, angesichts seines sehr geschwächten Allgemeinzustandes. Zwar gibt es in jeder Zelle eine Notrufanlage, aber zu dieser konnte er sich nicht mehr hoch stemmen. So fanden ihn am Morgen die Beamten bei der Lebendkontrolle am Boden liegend. Bei dem Sturz hatte Willi sich einen Bruch der Schulter zugezogen, wurde für ein paar Tage ins Krankenhaus gebracht, wo die Schulter genagelt wurde und kam dann, wie er selbst mit ein bisschen Galgenhumor formulierte, „flügellahm“ zurück in seine Zelle. Bei allem Bemühen von Willi und Herrn K. brachen beide das Experiment der „Wohngemeinschaft“ nach einigen Tagen ab, zu sehr hatte jeder seine eigenen Routinen. Tagsüber ist Willis Zelle offen, so dass Beamte und zu allgemeinen Öffnungszeiten auch andere Gefangene nach ihm schauen können, und des Nachts sehen die Wärter regelmäßig nach ihm. Jedoch ist absehbar, dass er wohl in die Krankenabteilung der Anstalt verlegt werden wird, zumindest solange sein Arm wegen des Schulterbruchs geschont werden muss. Wenn es nach Willi geht, möchte er so lange es nur möglich ist im gewohnten Umfeld bleiben, also in seiner Zelle.

Gnade für Willi?

Angeregt und auch unterstützt durch den Anstaltsarzt, stellte Willi einen Antrag auf gnadenweise Freilassung oder zumindest Vollstreckungsunterbrechung wegen Vollzugsuntauglichkeit. Zwar bezeichnete der Arzt in einer Stellungnahme die Prognose für Willi als „infaust“, sprich, mit seinem Ableben wäre in näherer Zukunft durchaus zu rechnen, jedoch tut sich die Justiz schwer, Gefangene, zumal wenn im Anschluss Sicherungsverwahrung notiert ist, zu entlassen. Kürzlich wurde ein französischer Gefangener mit Krebs im Endstadium aus der JVA Bruchsal erst kurz vor dessen Tod nach Frankreich abgeschoben. Wenige Wochen nach der Abschiebung erreichte dann die Gefangenen die Nachricht von seinem Tod.

Zudem gibt es Arbeitsgruppen in den Justizministerien, welche sich (ernsthaft) mit „menschenwürdigem Sterben im Justizvollzug“ beschäftigen. Es geht dann also nicht mehr darum, den Betroffenen zumindest noch etwas Lebensqualität in Freiheit zu belassen, sondern eine Vollstreckung der Strafe oder Sicherungsverwahrung bis zum letzten Atemzug hinter Gefängnismauern.

Exkurs – „menschenwürdiges Sterben im Gefängnis“

Unter pragmatischen und ökonomischen Gesichtspunkten macht es sicherlich Sinn, sich darüber Gedanken zu machen. Anstalten können mit finanziellen Sonderzuweisungen rechnen, wenn ein Gefangener durch seine Medikation besonders „kostenträchtig“ ist, vielfach wird es auch an einem sozialen Empfangsraum für sterbenskranke Gefangene fehlen. Technokraten machen sich selbstredend auch Gedanken, wo man den Gefangenen sterben lassen soll: Auf „seiner“ Station, wo er vielleicht schon viele Jahre lebt und die Mitgefangenen und Bediensteten kennt, oder doch lieber in einer sterilen Vollzugskrankenhaus-Atmosphäre. Jedoch dem Ganzen die Bezeichnung „menschenwürdig“ zu geben, erscheint zweifelhaft. Allerdings, was soll man in einer Gesellschaft anderes erwarten, wenn auch schon in Freiheit alte, kranke und sterbende Menschen in Pflegeheimen mitunter sich selbst überlassen bleiben (müssen), weil der Personalschlüssel für eine wirklich menschenwürdige Pflege und Betreuung zu gering ist ?! Da nimmt eine Gesellschaft dann für „Verbrecher“, „Kriminelle“ gewiss nicht mehr Geld in die Hand.

Sterben im Gefängnis

Angesichts des Sterbeprozesses eines Mitgefangenen geht es so manchem Gefangenen nicht anders als Menschen in Freiheit. Sie halten sich fern, verdrängen die Endlichkeit auch des eigenen Lebens. Gelegentlich erinnert man sich im Gespräch an den Tod von Gefangenen vor Jahren: „Weißt du noch, damals als X. sich erhängte …?“. Die makabre, vielleicht auch grausame Pointe: Im Gefängnis mag so mancher Tod eines Gefangenen länger fortleben und erinnert werden, als eines Menschen in Freiheit, denn er geht meist ein in die kollektive Erinnerung eines Gefängnisses und wird von Gefangenengeneration zu Gefangenengeneration weiter erzählt.

In dieses Erinnerungskollektiv wird auch Willi eingehen – früher oder später.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de

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Isolationshaft 2011

 

Vollzugsexperten sprechen von Folter

Nachdem die taz ( http://www.taz.de) in einem langen Artikel vom 24.02.2011 die seit 1995 andauernde Isolationshaft von Günther Finneisen thematisierte, wird zumindest in Teilen der Presse diese Form der Verwahrung eines Gefangenen kritisch beleuchtet.

Fall Günther Finneisen

Mittlerweile ist es fast 16 Jahre her, dass Herr Finneisen und ein Mitgefangener der Justizvollzugsanstalt Celle zumindest kurzzeitig entkommen konnten. Sie hatten einen Beamten als Geisel genommen und konnten so ihre Freilassung durchsetzen, bis sie kurz danach von der Polizei verhaftet wurden.
Seit Mai 1995 sitzen nun Herr Finneisen und sein Kompagnon in Niedersachsen in strenger Einzelhaft; d.h. sie verbringen die 24 Stunden eines Tages mit sich alleine, von kurzfristigen Kontakten zu den Wärtern abgesehen, die ihnen das Essen bringen oder sie zur Einzelhofstunde führen.

Ihnen bleiben nur Radio, Fernseher und Briefe, sowie gelegentlich ein Besuch, um mit Mitmenschen in Kontakt zu treten. Besuche jedoch auch nur hinter Panzerglas, „Trennscheibe“ genannt, eine Scheibe aus Panzerglas, die bis zur Decke reicht, so dass jeder persönliche Kontakt zur Besuchsperson unmöglich ist.

Ein Journalist der taz, Kai Schlieter, hatte 2010 Herrn Finneisen in der JVA Celle besucht und darüber dann am 24.02.2011 auf zwei Seiten der taz berichtet, wie auch dessen und andere Fälle von Inhaftierten in einem Buch ausführlich dargestellt („Knastreport – Das Leben der Weggesperrten“, erschienen 2011 im Westend-Verlag).

Aktuell wird Herrn Finneisen wie seinem in der JVA Sehnde einsitzenden Kollegen im Grunde nur zur Last gelegt, dass auf Grund ihrer Weigerung mit dem Personal der jeweiligen Anstalt Gespräche zu führen, von einer Fortdauer der angeblich extremen „Gefährlichkeit“ auszugehen sei.
So heißt es in dem aktuellen Vollzugsplan des Mittäters von Herrn Finneisen, dass „das von Herrn X gezeigte Verhalten (…) weitgehend angepasst und freundlich gegenüber den mit ihm unmittelbar befassten Bediensteten“ sei; solange er jedoch sein „forderndes Verhalten“ nicht sein lasse und „mit dem psychologischen Dienst oder dem sozialen Dienst zu den Themen Selbst- Fremdwahrnehmung“ spreche, komme eine Aufhebung der Isolationshaft nicht in Frage; so am 08.02.2011 die stellvertretende Leiterin der JVA Sehnde, Frau Volker.
Nicht wesentlich anders argumentiert im Falle Herrn Finneisens die JVA Celle.

Kommentare von Vollzugsexperten

Wie die taz am 02.03.2011 berichtet, sehen Vollzugsexperten in der nunmehr fast 16 Jahre dauernden Isolationshaft den Tatbestand der Folter erfüllt. Der ehemalige Richter am BGH und nunmehrige Abgeordnete der LINKEN Wolfgang Neskovic wird in der taz zitiert mit den Worten, dass „eine so lange Isolation (…) nur darauf angelegt sein (könne), die Persönlichkeit zu zerstören.“
Der ehemalige Leiter der JVA Bruchsal Harald Preusker wiederum wirft dem niedersächsischen Justizvollzug „nichts als primitive Rache“ vor, was zumindest insoweit wundert, als dass er zu Zeiten als Leiter der JVA Bruchsal selbst Isolationshaft, z.B. am RAF-Gefangenen Christian Klar, praktizierte.
Am deutlichsten wird Professorin Monika Frommel, Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie an der Universität Kiel, die laut taz über Herrn Finneisens Situation sagte: „Das ist ein Fall von Folter“.
Der Nestor und wohl der profundeste und kritischste Kenner des Strafvollzugsrechts, Professor em. Johannes Feest (Universität Bremen; http://www.strafvollzugsarchiv.de) wird mit den Worten wiedergegeben, er befürchte, es werde solche Fälle langjähriger Isolierhaft geben, „solange die Hochsicherheitstrakte nicht abgerissen werden“.

Weitere Entwicklung

Für Herrn Finneisen öffnen sich im November 2011 die Gefängnistore, dann wird er seine Strafe verbüßt haben und kommt auf freien Fuß; was übrigens auch auf die Sonderbarkeit der Isolationshaft hinweist: Weshalb sollte Herr Finneisen wenige Monate vor der regulären Entlassung irgendetwas in Richtung Flucht unternehmen?
Sein Mittäter von 1995 freilich wird weiter verwahrt werden, denn für ihn ist ab 2012 Sicherungsverwahrung notiert (was ist Sicherungsverwahrung? http://de.indymedia.org/2010/294188.shtml) und das bedeutet für ihn, dass er auf unabsehbare Zeit verwahrt werden kann. Wenn nicht medial und politisch Druck erzeugt wird, bedeutet dies weitere Jahre in Isolationshaft.

Haftbedingungen, wie sie Herr Finneisen und sein Kompagnon, aber auch viele andere in Isolationshaft (die Justiz spricht euphemistisch von „unausgesetzter Absonderung“ und verbittet sich den Terminus „Isolationshaft“) ausgesetzt sind, sprechen dem BILD-Mythos vom Knast als fidelem Hotel Hohn. Wer nun einwendet, die beiden hätten schließlich eine Geiselnahme im Gefängnis begangen, dem ist entgegenzuhalten, dass sie hierfür ihre Freiheitsstrafe erhalten haben, aber kein Urteil, das auf lebenslängliche Isolation hinausläuft. Zudem ist in Deutschland auch jahrelange Isolierhaft üblich, wenn jemand nur über eine Gefängnismauer klettert, oder wie im Fall Axane aus Mannheim, der vor einigen Jahren sich aus der JVA herausbuddelte und danach für Jahre in Stammheim in einem extra für ihn hergerichteten Isolationstrakt verschwand. Oder denken wir an die vielen Gefangenen, insbesondere Kurden, die nach §§ 129a/b StGB (Terrorismus/ kriminelle Vereinigung) in Haft sitzen und die selbst, wenn sie mitunter in der Türkei schon gefoltert worden sind, in Deutschland regelmäßig erstmal für Wochen, Monate oder sogar Jahre in Isolationshaft verschwinden – einfach nur wegen des Tatvorwurfs „Terrorverdacht“.

Ausblick

Wie oben Professor Feest zitiert wurde: es müssen wohl erst die Hochsicherheitstrakte abgerissen werden, bevor auch die Einzelhaft verschwindet; freilich glaubt daran wohl kaum ein Gefangener und erst recht keiner der Vollzugsexperten aus der Wissenschaft oder Politik.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt JVA – Zelle 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
– selbst von 1996-2007 in Einzelhaft gesessen –

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Knast – Gesundheit – Apotheke – über Privatisierung im Gesundheitswesen der Gefängnisse

Heute möchte ich über die Erfahrungen mit der „Privatisierung“ von Apothekenleistungen im Strafvollzug der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal berichten.

Vor der Privatisierung

Bis Ende 2009 erhielten die Gefangenen in Baden-Württemberg sämtliche notwendigen medizinischen Produkte kostenlos über die Anstaltsärzte (in der Gefangenensprache „Revier“ genannt). Dies schloss auch Wundsalben, fettende Salben, Hustentabletten und ähnliches ein.

Nach der Privatisierung

Die Anstalten schrieben die Versorgung der Gefangenen mit nicht verschreibungspflichtigen Apothekenprodukten aus und zumindest in Bruchsal werden seit Anfang 2010 die Insassen von der Stern-Apotheke (Inhaber: Apotheker Boris Osmann in Hohe Börde/Irxleben in Sachsen-Anhalt; http://www.sternapo.de, email: apotheke@sternapo.de) beliefert. Damit einher ging auch eine Verpflichtung der inhaftierten Patienten, nunmehr selbst für Dinge wie Erkältungssalben, Husten-, bzw. Halsschmerztabletten und vieles mehr, zu bezahlen. „Stärkung der Eigenverantwortung“ wurde dieses Sparprogramm genannt.

Erfahrungen mit der Stern-Apotheke

Da das Revier, laut Arzt, keinerlei Vorrat an von den Gefangenen selbst zu bezahlenden apothekenpflichtigen Produkten präsent hat, muss man zwingend bei Apotheker Osmann bestellen. Wer also mit einer akuten Grippe und Halsweh zum Arzt der JVA geht, erhält zwar Kopfschmerztabletten, aber weder Erkältungsbalsam, noch Halsschmerz-Pastillen (wie etwa Dobendan). Gerne darf der Patient diese jedoch bei Herrn Osmann bestellen. Man reicht also seine Bestellung ein, diese wird per Fax an die Stern-Apotheke übermittelt. Umgehend erfolgt auch eine Rechnungsstellung (d.h. Vorauskasse).

Nun beginnt die Warte- und Leidenszeit, denn mit der Lieferung nimmt es die Apotheke nicht so genau.

Ich selbst wartete auf eine Bestellung, die am 10.01.2011 bezahlt wurde, bis zum 03.02.2011. Darunter das auch schon erwähnte Dobendan gegen Halsschmerzen.

Irgendwelche „Zwischennachrichten“ zu erteilen hält die Apotheke nicht für notwendig; auch Anrufe seitens des Krankenpflegepersonals bei der Apotheke fruchten nichts.

Wer also krank wird, der sollte dies rechtzeitig im Voraus wissen.

Es handelt sich hierbei nicht um einen bedauerlichen und deshalb nicht erwähnenswerten Einzelfall; vielmehr kann den Informationstafeln der Gefangenen-Vertretung der JVA Bruchsal entnommen werden, dass man sich schon auf Grund zahlreicher Beschwerden von Gefangenen intensiv über diese Lieferverzögerungen mit dem Anstaltsleiter ausgetauscht habe. Dessen sinnige Lösung: Er kapituliert faktisch vor der Praxis des Apothekers Osmann, denn nunmehr kann in Akutfällen über eine Apotheke in Bruchsal der Patient dringend erforderliche Arzneimittel bestellen und erhält diese dann in der Tat zeitnah.

Rechtliche Problematik

Laut Landtag Sachsen-Anhalt betreibt Apotheker Osmann „mit Erlaubnis des Landesverwaltungsamtes einen Versandhandel mit Arzneimitteln“ (10.09.2010, Az. 5-A/00293). Wenn dem so ist, dann trifft die Stern-Apotheke jedoch gemäß § 11a Apothekengesetz eine Vielzahl von Pflichten gegenüber der Kundschaft. § 11 a Nr. 3 a ApoG bestimmt, dass „innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Eingang der Bestellung das bestellte Arzneimittel versandt wird (…)“. Nur wenn zwischen Apotheke und Kunden eine längere Lieferzeit vereinbart wurde, darf auch später geliefert werden; zumindest jedoch muss der Apotheker zwingend bei Verzögerungen den „Besteller in geeigneter Weise davon (…) unterrichten“.

Man braucht es eigentlich kaum erwähnen, aber ich tue es dennoch: Weder hält sich der Apotheker an die Lieferfrist von 2 Arbeitstagen, noch sind längere Lieferfristen vereinbart mit den Endkunden, geschweige denn erteilt er Zwischennachrichten.

Als Patient sitzt man nur da und wartet, und wartet, und wartet.

Und das, obwohl die Medikamente mitunter seit drei, vier, fünf und mehr Wochen bezahlt sind. Die Anstalt zeigt sich hilflos.

Prüfung durch Apothekerkammer und Landesverwaltungsamt

Nach Beschwerden bei der Apothekerkammer (http://ak-sa.de) und beim Landesverwaltungsamt wird zur Zeit das Geschäftsgebaren des Apothekers Osmann geprüft. Wie die Apothekerkammer mit einem Schreiben vom 21.02.2011 (Az. 15/11, Herr Marcus Bondick) mitteilt, leugnet Herr Osmann alle Vorwürfe, weshalb die Apothekerkammer weitere schriftliche Unterlagen angefordert hat. Es bleibt abzuwarten, wie diese Prüfungen enden werden.

Ergebnis

Wieder zeigt sich, welche Folgen die Privatisierung im Strafvollzugsbereich haben kann – und das auf Kosten der Gesundheit der Gefangenen.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de

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