Am 23. & 24. Juli 2024 fand vor dem Landgericht Freiburg der Berufungsprozess um einen gefährlichen Angriff des Robert H. aus dem Juni 2021 statt. Seinerzeit verletzte H. mehrere Personen mit Pfefferspray und stach mit einem Messer zu! Die Staatsanwaltschaft stellte den Messerangriff wegen nicht auszuschließender Notwehrlage ein. Für den Pfeffersprayangriff verurteilte das Amtsgericht im Jahr 2022, Robert H. zu einer Geldstrafe von 1.200 € Geldstrafe. Dennoch ging H. in Berufung. Hier forderte nunmehr seine Verteidigerin, Nicole Schneiders, Freispruch. Staatsanwaltschaft und Nebenklage jeweils erneut die Verurteilung zu 120 Tagessätzen Geldstrafe. Das Urteil wird für den 30.07.2024 erwartet.
Die Berufungsverhandlung: erster Tag
Vor dem Freiburger Landgericht war ein kleiner Solidaritätsstand des Solinetzwerks aufgebaut, die bis zum Ende des ersten (und auch des zweiten) Verhandlungstages ihre Solidarität bekundeten und Flugblätter verteilten. Schon am Wochenende zuvor hatten sie eine Demonstration organisiert.
Der Prozessbeginn
Die erfahrene Vorsitzende Richterin Dr. Müller hatte kaum den Saal betreten, da sorgte sie für die erste deutliche Irritation, denn mit strenger Stimme wies sie die anwesenden Pressevertreter die den Einzug des Gerichts fotografierten, an, die Aufnahmen nun zu beenden und den Saal zu verlassen. Die Aufforderung jetzt den Saal zu verlassen, wiederholte sie. Als dem die Pressevertreter nicht nachkamen, begnügte sie sich mit dem Hinweis man möge eben keine weitere Aufnahmen machen.
Jedenfalls durften die Presse, und die wenigen weiteren Zuschauer*innen, bis 16:30 Uhr dem weiteren Ablauf dann ungehindert beiwohnen. Zwar gab es eine recht strenge Einlasskontrolle, dennoch fanden nie mehr als 10 Zuschauer*innen den Weg ins Gericht.
Neben diversen Förmlichkeiten, wie die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils, kamen am ersten Prozesstage verschiedene Zeug*innen zu Wort. Darunter Frau und Herr A., jene beiden Menschen, die am 12.06.2021 von Robert H. attackiert wurden. Wie der Angeklagte bekundete gehe er im Grund nie ohne Messer und Pfefferspray aus dem Haus.
H. wähnte sich an besagtem Tag von zwei Jugendlichen beschimpft, setzte dort zum ersten Mal das Pfefferspray ein, setzte ihnen nach, filmte sie, was sie sich verbaten. Als das Ehepaar A., welches mit dem Auto aus einer Tiefgarage fuhr, mitbekam, dass ein älterer Mann zwei Jugendliche bedrängte und ihnen nachsetzte, wollte Herr A. diesen beistehen. Er brachte Wasser um die Augen des Jungen auszuspülen. Zudem wollte er verhindern, dass H. weiter die Jugendlichen bedrängte, versperrte diesem den Weg, in dem er sich mit ausgebreiteten Armen vor ihn stellte und aufforderte jetzt die Kinder in Ruhe zu lassen.
H. behauptete später, er habe sich bedroht gefühlt, an seiner Kleidung sei gerissen worden und setzte Pfefferspray ein: erst gegen Frau A., später auch gegen Herrn A., diesem stach er zudem ein Messer in den Bauch.
Der erste Zeuge: der mit Pfefferspray und Messer attackierte Herr A.
Erster Zeuge im Berufungsprozess war Herr A.: er schilderte wie ihm noch heute der 12. Juni 2021 nachgehe. Wie er schlecht schlafe, wie angespannt er sei. Ein klares Statement auch das T-Shirt das er trug: auf dessen Vorderseite war eine Foto seiner wulstige Bauchnarbe zu sehen, das Überbleibsel des Messerangriffs. Auf der Rückenseite ein Foto seiner Frau mit rote unterlaufenen Augen, eine Aufnahme nach dem Pfeffersprayangriff.
Die zweite Zeugin: die mit Pfefferspray attackierte Frau A.
Nach ihm sagte seine Frau aus: sie kam mit einem Spanisch sprechenden Dolmetscher und in leisen, aber klaren Worten schilderte sie den Ablauf und wie völlig unverständlich ihr damals wie heute die Attacken des Angeklagten gewesen seien. Sie beide hätten lediglich den jungen Leuten helfen wollen. Wie belastend für sie der Aufritt vor Gericht war machte si gleich zu Anfang deutlich. Sie betonte, sie wolle eigentlich nur noch vergessen, aber die Vernehmung reiße wieder alles in ihr auf. Bis heute leide sie unter den Spätfolgen des angriffs- immer wieder weinte sie leise.
Weitere Zeug*innen: Polizisten und Augen-/Ohrenzeug*innen
Weitere Zeug*innen des ersten Tages waren Markus B. sowie Florian A. von der Kriminalpolizei Freiburg, welche verschiedene Zeug*innen nach dem 12.06.2021 vernommen hatten. Unangenehm fiel auf, dass sie Vorsitzende irgendwann dazu überging in ihren Fragen Herrn A., der mit dem Messer verletzt worden war, nur noch „der Gestochene“ zu nennen, als wäre es ihr zuviel den Namen auszusprechen. Befragt wurden auch Zeug*innen vom Tattag selbst: die auf einem Balkon in der Nähe des Geschehens saßen, mit dem Rad vorbei fuhren oder sonstwie Teile der Vorgänge beobachten konnten.
Die seit Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene vernetzten und für einzelne Protagonist*innen auch anwaltlich tätige Verteidigerin Nicole Schneiders war ersichtlich bemüht, wahlweise Zeugen, wie Herrn A., unglaubwürdig zu machen oder aber Belege für eine angebliche Notwehrlage zu finden.
Um 16.35 Uhr endete der erste Prozesstag.
Die Berufungsverhandlung: zweiter Tag
Wieder sollte es ein langer Tag werden, der erst um 16 Uhr endete.
Zu Beginn befragt wurde der erste am Tatort eintreffende Polizeihauptmeister Z. . Dieser berichtete wie er auf eine unübersichtliche Situation gestoßen sei: H. mit einem Messer in der Hand. Auf Ansprache habe dieser das Messer nicht weggelegt, so dass er, der Polizist, seine Waffe gezogen habe. Erst dann habe H. irgendwann das Messer fallen lassen und konnte gefesselt werden. Auf dem Revier habe er erst Angaben zur Sache gemacht, dann aber, nach einem Telefonat mit seinem damaligen (Szene)Anwalt Dubravko Mandic verweigerte er weitere Aussagen.
Der psychiatrische Gutachter
Der gesamten Verhandlung hatte bis hierher Professor Dr. Ebert mitverfolgt. Da sich H. nicht untersuchen lassen wollte, konnte der Gutachter lediglich viele Hypothesen und Spekulationen anbieten: sollte H. tatsächlich an eine Autismus-Spektrumstörung aufweisen, dies hatte H. in polizeilichen Vernehmungen, wie auch in der Verhandlung behauptet, könne eine Minderung der Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden.
Die Plädoyers: Rechtsanwältin Schneiders
Wenig überraschend behauptete die Verteidigerin, ihr Mandant habe in Notwehr gehandelt. Sie begann mit einem Beispiel: wenn ein Kaufhausdetektiv einen Dieb verfolge um ihn festzunehmen, uns jemand stelle sich ihm in den Weg, helfe dem Dieb bei der Flucht, denn dürfe der Kaufhausdetektiv selbstverständlich im Rahmen der Notwehr sich verteidigen. Nichts anderes habe ihr Mandant gemacht. Er habe die beiden Jugendlichen die ihn beleidigt hätten, bis zum eintreffen der Polizei festhalten wollen.
Hilfweise machte sie geltend, sollte das Gericht doch eine Verurteilung erwägen, dass dann lediglich eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen werde. Ihr Mandant leide an einer Asperger-Autismus-Störung, diese habe sich dann wesentlich auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt.
Die Plädoyers: Staatsanwältin W.
Wie aus dem Lehrbuch für Strafrecht deklinierte Erste Staatsanwältin W. den Fall durch. Der objektive Tatbestand sei erfüllt: gefährliches Werkzeug wurde eingesetzt, hier also das Pfefferspray. Es wurde gezielt gegen das Ehepaar eingesetzt. Auch der subjektive Tatbestand sei erfüllt: der Angeklagte habe die Verletzungen billigend in Kauf genommen.
Er sei zudem nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewesen. Es habe zu keinen Angriff des Ehepaars auf H. gegeben.
Allerdings gehen sie von einer Schuldmilderung wegen der Asperger-Autismus-Störung aus, jedoch gebe es keinen Grund von den 120 Tagessätzen, also den 1.200 € abzuweichen. Lediglich wegen der langen Verfahrensdauer seien 20 Tagessätze als „verbüßt“ abzuziehen.
Die Plädoyers: Nebenklägeranwalt Nicolai Erschig
Der Freiburger Rechtsanwalt Erschig vertrat vor Gericht Herrn A. als Nebenkläger. In seinem Schlusswort schloss er sich der Staatsanwältin weitestgehend an, betonte aber nochmal wie brutal der Angriff auf seinen Mandanten gewesen sei und bedauerte, dass die Staatsanwaltschaft den Messerangriff einfach eingestellt habe. Der Angeklagte habe völlig unverhältnismäßig agiert und das Leben der Eheleute bis heute nachteilig geprägt. Depression, Unsicherheitsgefühle im Alltag, Schlafprobleme.
Allerdings sei eines gewiss, das sei seinem Mandanten wichtig festzuhalten: „Ich werde auch in Zukunft jedem helfen der Hilfe braucht!“
Schlusswort des Angeklagten
Rund 15 Minuten sprach Robert H., teilweise war er schwer zu verstehen, aber als es darum ging seiner Verachtung für die Parteien auszudrücken war er sehr klar. Die Staatsanwältin fand er in ihrer Argumentation abstoßend. Seiner Verteidigerin fuhr er in die Parade: das Asperger-Syndrom habe hier nichts zu suchen, denn er sei unschuldig. Werde in Freiburg regelmäßig bedroht und beleidigt, habe sich am 12.06.2021 vollständig rechtmäßig verhalten. Der Geschädigte H. sei ein „abgebrühter Schlägertyp“. Zudem sei die gesamte Justiz „Teil der organsierten Kriminalität“. Er fordere Freispruch.
Wie geht’s weiter?
Die Urteilsverkündung ist auf den 30.07.2024 für 12:00 Uhr festgesetzt.
Berichterstattung
Radio Dreyeckland berichtet ausführlich über den Prozess. Schon im Vorfeld gab es ein längeres Interview mit Leuchtlinie, die Beratung für Betroffene rechter Gewalt anbietet.
Sonstige Medienvertreter*innen waren nicht zu beobachten.
Schreibe einen Kommentar