Seit einem Jahr nicht mehr hinter Gittern

Am 29. August 2024 jährt sich meine Haftentlassung zum erstem Mal. Am späten Vormittag vor einem Jahr wurde mir jenes Telefax des OLG Karlsruhe ausgehändigt, das mir die sofortige Freilassung bescherte. Vielen Menschen durfte ich seitdem begegnen, viel habe ich erlebt.

Der Tag der Freilassung

Wie jeden Werktag saß ich am Vormittag in der Zelle und las Zeitung, als es an der Zellentüre klopfte. Ich möge umgehend zu Frau Dr. S. mitkommen, sie hätte mir etwas wichtiges mitzuteilen. Sie leitete zu diesem Zeitpunkt die Abteilung Sicherungsverwahrung, und so übergab dann sie mir das Telefax des Gerichts: die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen meine Freilassung war verworfen worden, ich sei unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.

Es dauerte dann doch drei Stunden bis meine Zelle leergeräumt, ich mich bei Mitinsassen verabschiedet hatte und die Kartons in einen JVA-Transporter verladen worden waren. Die Anstalt spendierte einen „Umzugsservice“, stellte zwei Beamte ab, die mich in besagtem Transporter an meine neue Wohnstätte fuhren. Wo mich Menschen solidarisch aufnahmen, zwar theoretisch wissend, wer da kommen würde, aber ohne mich wirklich zu kennen.

Zwischenzeitlich verschickte ich SMS („Ich bin frei!!“), telefonierte mit Freund*innen und schon gegen 15 Uhr stand ich am Schalter des Job-Centers. Eine Stunde später bei meiner Krankenkasse. Der Abend wurde lang, denn zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren, saß ich im Kreis von Menschen zum Abendessen zusammen.

Begegnungen

Endlich konnte ich Menschen außerhalb des Überwachungsregimes einer Haftanstalt begegnen: wann, wo und solange diese und ich es wollten, keine Bediensteten die den Besuch optisch oder akustisch überwachten. Über rund 27 Jahre Menschen nur in kahlen Besuchsräumen treffe zu können, das prägt. Zudem wird oft übersehen was Besuchspersonen auf sich nehmen: eine oft sehr weite Anreise (und auch Rückreise), die strengen Durchsuchungsmaßnahmen der Vollzugsanstalten, Monat für Monat, Jahr um Jahr. Schuhe ausziehen, sich absonden und abtasten lassend. Darüber wird nach meiner Erfahrung nicht so oft gesprochen wie es eigentlich nötig wäre.

Endlich konnte ich anrufen und angerufen werden, nicht mehr vermittelt, kontrolliert und vor allem reglementiert durch das Gefängnisregime.

Aufgaben

Dank der Unterstützung durch Radio Dreyeckland konnte ich dort bald nach der Entlassung erst ein Praktikum beginnen, welches dann in einen Bundesfreiwilligendienst überging. Dazu dann Aufgaben im politischen Bereich, Veranstalter*innen die mir die Möglichkeit gaben (und nach wie vor geben) über die Haftzeit zu erzählen. Der Versuch, Menschen die selbst von Inhaftierung bedroht sind, oder in ihrem Umfeld solche kennen, etwas aus dem gegenwärtigen Vollzugsalltag zu berichten, das womöglich ein wenig die Besorgnis zu nehmen vermag.

Die Rote Hilfe e.V. gab und gibt mir die Möglichkeit über die Hafterfahrung zu sprechen, vor und mit Menschen die selbst von Haft bedroht oder in Solistrukturen aktiv sind.

Dank eines befreundeten Verleger, Florian Günther, konnte ein kleines Buch erscheinen. Und viele andere Aufgaben mehr.

Viel zu wenige ehemalige Insass*innen erleben nach ihrer Freilassung ein Ankommen in solchen Aufgaben- und diese sind etwas anderes, als bloße „Möglichkeiten“. Wir leben, so habe ich den Eindruck, in einem Überfluss von Möglichkeiten, aber erst die Aufgaben sind es, die unser Leben strukturieren, es erfüllen, Sinn vermitteln.

Stolperstellen

Viele Jahre habe ich an Orten gelebt, die geprägt waren und es weiterhin sind, von Ohnmacht. Von innerer Zerrissenheit. Von Verzweiflung. Orte, die eher (seelischen) Grabstätten glichen. Bewohnt von Menschen, die nur noch den Tod vor sich sehen und dennoch leben müssen. Bewohnt von Menschen, die selten ihre innere Leere, ihre innere Qual herausschreien sondern sich lieber betäuben: mit Psychopharmaka die die Gefängnisärzt*innen verordnen, oder mit Hilfe illegalisierter Substanzen.

Wie sehr mich dies seelisch aber ebenso auch körperlich (mit-)prägte, begann ich erst nach der Freilassung im Verlaufe der folgenden Monate zu begreifen, vor allem aber zu spüren. Nicht, dass wir nicht auch außerhalb der Gefängnisse Ohnmacht, Zerrissenheit, Verzweiflung kennen würden, aber Gefängnisse sind geradezu paradigmatische Orte, an denen Gesellschaften, oftmals innerlich besonders ohnmächtige, besonders zerrissene, besonders verzweifelte Menschen (zwangsweise) zusammenführen und aufbewahren. Stätten des Leidens. Wie Untote in Grabkammern, richten sich diese dort ein.

Schritt zu Schritt muss ich neu erlernen was es heißt, in einer Gemeinschaft von Menschen zu leben, die sich freiwillig zum Zusammenleben entschieden haben, und jeden Tag aufs neue dafür entscheiden, mit Menschen zusammen zu leben, die gelegentlich auch von ihren Dämonen begleitet werden, die aber in einem lebendigen Umfeld leben. Menschen die viel mehr von einer vorausschauenden Haltung aus Fühlen, Denken und Tun geprägt sind, welche davon ausgeht, dass es Gelegenheiten für die nächsten und ferneren Lebensschritte gibt und sie dadurch auch finden. Die trotz der Ungewissheit der Zukunft viel eher auf die Möglichkeit des Gelingens als die des Scheiterns schauen, die aus sich heraus gehen, sich weit machen, statt, wie es in den Gefängnissen eingeübte Praxis ist, sich zu verengen, all dann selbst wieder zuzulassen, ist ein (offenbar) langwieriger Prozess.

Es sind in meinem eigenen Fall also weder die finanziellen Umstände, denn mit dem Bürgergeld komme ich aus, noch wohnliche, denn ich darf immer noch dort wohnen, wo ich am 29.08.2023 eingezogen bin, noch berufliche, da ich weiterhin bei Radio Dreyeckland arbeite, die Schwierigkeiten bereiten. Zudem gibt es ein sehr freundliches, warmherziges, freundschaftliches und solidarisches Umfeld. Dies alles sind die bei vielen, vielen anderen ehemaligen Insass*innen, ganz prägnante Stolperstellen.

Die aber, so meine These, für alle Ex-Gefangenen größte Stolperstelle, so auch für mich selbst, ist das offene „sich-einlassen“ auf all das was Leben sonst so ausmacht: die Vielfalt, das Unvorhergesehene, die Unsicherheit, die Offenheit und Weite die vor uns liegt. Eben weil Gefängnisse Menschen derart umfassend prägen, vereinzeln, regredieren.

Die Zukunft

Um sich im Leben gut orientieren zu können, ist es hilfreich den Eindruck der Machbarkeit, den der Verstehbarkeit, sowie jenen der Sinnhaftigkeit zu gewinnen. Meine eigenen Ressourcen sind bescheiden, sie reichen oft nicht aus, all die Herausforderungen und Probleme die sich mir in meinem neuen Lebensabschnitt stellen, zu bewältigen. Viele Situationen verstehe ich nicht, zu sehr hat sich vieles in den letzten drei Jahrzehnten verändert. Die Erfahrung, dass mein Leben Sinn bereit hält, es sich lohnt mit Blick auf die Zukunft gezielt etwas zu unternehmen, mache ich immerhin punktuell: denn so viele Menschen sind in Haft oder von Haft bedroht, der Repressionsdruck ist hoch, und dürfte eher höher werden. Die Aufgaben alleine in diesem Bereich werden nicht ausgehen.

Aber oftmals ist es mir so, wie an einem Abgrund zu stehen, der Boden unter mir scheint zu wanken. Denn, bleiben wir bei der Situation von Gefangenen, damit zu leben, dass wir ihnen ihre Erfahrungen nicht abnehmen können, berührt mich heute viel mehr, als zu der Zeit, als ich noch selbst in Haft saß.

Doch gibt es sie: die Zukunft! Sie liegt vor uns, offen und weit wie das Meer. Gemeinsam mit anderen die Aufgaben anzugehen, vielleicht kommt es darauf einfach an.

Summer in the city- Soko Linx lässt grüßen: Razzia in Leipzig

Symbolfoto einer Razzia in Leipzig

Anstatt den heißen Sommertag an einem Badesee zu genießen, machte sich die Soko Linx des LKA Sachsen auf, um eine Wohnung in Leipzig-Connewitz zu stürmen. Nach einer mutmaßlichen Attacke auf besagte Prokuristin Claudia P., wurde seinerzeit auf indymedia ein Bekenner*innen-Schreiben publiziert, welches das Betreiber*innenkollektiv später jedoch vom Server nahm, da der Angriff auf die Immoblienmitarbeiterin kein „emanzipatorischer Akt“ gewesen sei.

Der staatliche Angriff wenige Tage vor den Landtagswahlen

Nur vier Tage, bevor in Sachsen und Thüringen gewählt werden wird, und der AfD hervorragende Aussichten prophezeit werden, bringen sich die sächsische Generalstaatsanwaltschaft, das für die Razzia zuständige Gericht, wie auch die sächsische Polizei, der AfD freundlich in Erinnerung, damit auch alle dort wissen, auf wessen Seite das justizielle Herz schlägt.

 Der Tag an dem die Doku zur Traumatisierung durch Razzien online geht

Seit einigen Stunden ist eine Doku online, die die Brutalität der Polizeibehörden im Rahmen einer Razzia im Zusammenhang mit dem Budapest-Verfahren dokumentiert und analysiert.

Die Produzent*innen schreiben dazu: „Aufgeschossene Türen, traumatisierte Kinder und demütigende Spezialeinsatzkräfte – Am 15. März 2023 fanden in Leipzig und Jena Hausdurchsuchungen im Rahmen des sogenannten Budapest-Verfahren statt. Den beschuldigten Antifaschist:innen, deren vermeintliche Adressen an diesem Tag durchsucht wurden, wird vorgeworfen, mehrere Akteure der organisierten rechtsextremen Szene bei dem jährlichen Wehrmachts- und SS-Gedenken „Tag der Ehre“ in Budapest angegriffen zu haben. Unsere Recherchen zeigen: die Hausdurchsuchungen waren gekennzeichnet durch ein besonders brutales Vorgehen der unterschiedlichen Landespolizeien.“

Ausblick

Der Verfolgungsdruck ist hoch, er ist traumatisierend, wie die erwähnte Doku spürbar macht, und er wird auf lange Sicht nicht kleiner werden. Um so wichtiger ist es, solidarisch zusammen zu stehen, sich gegenseitig Halt zu geben, den staatlichen Angriffen Stand zu halten!

Polylux vor den Landtagswahlen im Gespräch: „Man muss Scheiben bezahlen die eingeschmissen werden….“

Am 01.09.2024 werden in Thüringen und Sachsen die Landtage neu gewählt.
Der AfD werden überragende Wahlergebnisse in Aussicht gestellt.Der Verein Netzwerk Polylux e.V. sammelt seit Jahren Spenden und Fördermitgliedschaften, um in Ostdeutschland, und dort insbesondere auch im ländlichen Raum, Vereine,
Initiativen und Projekte der kritischen Zivilgesellschaft vor Ort
finanziell zu unterstützen zu können, um den rechten und rechtsextremen
Strukturen etwas entgegen setzen zu können.

Anarchistische Tage in Greifswald: Theorie, Praxis, DIY! Lebendiges, selbstorganisiertes Zusammensein

Vom 23.-25.August 2024 fanden in Greifswald anarchistische Tage statt. Für Radio Dreyeckland war ich in Mecklenburg-Vorpommern vor Ort und sprach mit Menschen die Workshops durchführten, die am Awareness-Stand von AwA* Menschen Support anboten, einer Besucherin und jemandem von der Orga-Crew. So ging es, neben zahlreichen anderen Themen bei den anarchistischen Tagen unter anderem, um Grundlagen sowie politische Theorie des Anarchismus, um die Gestaltung des Lebens ohne Lohnarbeit, um Anarch@feminismus, aber auch historische Rückblicke, wie jenen auf die „Schwarze Scharen“, die Widerstandsgruppen von anarchistischen und anarcho-syndikalistischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den letzten Jahren der Weimarer Republik, wurden angeboten.

Für das leibliche Wohl wurde vor, nach und während des vielen Inputs auch gesorgt. Zudem wurden Kinofilme, beispielsweise Einhundertvier gezeigt. Der Film macht anschaulich, wie quälend lange es dauert, 104 Personen von einem sinkenden Schlauchboot zu bergen.

Am letzten Veranstaltungstag fand von 10-18 Uhr eine Buchmesse mit über 10 Verlagen statt.

Die Collage kann hier angehört werden.

100 Jahre Rote Hilfe – Großes Festival in Berlin: Musik, Diskussionen, Film

Radio Dreyeckland berichtete schon im Frühjahr über den 100. Geburtstag der Solidaritätsorganisation Rote Hilfe. Den Auftakt bildete eine Gala in Hamburg. Einige der Reden können bei RDL in der Mediathek nachgehört werden.

Jetzt steht das nächste große Event an: vom 23.08.-25.08.2024 ein Festival in Berlin-Kreuzberg. Mit Silke von der Roten Hilfe sprach ich für Radio Dreyeckland darüber, wie das Jubiläumsjahr bislang gefeiert wurde, welche Aktivitäten noch geplant sind, und was in Berlin geboten werden wird.

Bürgergeld-Verschärfungen in der Kritik – „Ein ziemlich krasses Missverhältnis“: so Werner Altmann von friga

Werner Altmann von friga gab mir für Radio Dreyeckland ein Interview zu den geplanten Verschärfungen im Bereich des Bürgergelds. Bei friga handelt es sich um die „Freiburger Initiative gegen Arbeitslosigkeit e.V.

Diese arbeitet seit über 40 Jahren parteiisch für Betroffenen, um diesen die Möglichkeit zu geben, sich über die Probleme und Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit auszutauschen. Als Sozialberatungsstelle wird zudem persönliche und individuelle Beratung durch ausgebildete Berater und Beraterinnen angeboten.

Wir sprachen über die geplanten Verschärfungen im Bereich des Bürgergelds, die ja auch einhergehen, mit einer Kürzung des Etats des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, seit 2018 geleitet von SPD Mann Hubertus Heil.

Sozialberatungsstelle friga arbeitet seit über 40 Jahren in Freiburg

Seit über 40 Jahren gibt es in Freiburg die friga: die Freiburger Initiative gegen Arbeitslosigkeit e.V. Sie wurde 1983 gegründet, um Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich über die Probleme und Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit auszutauschen. Als Sozialberatungsstelle bietet sie persönliche und individuelle Beratung durch ausgebildete Berater und Beraterinnen an.

Werner Altmann von der friga sprach mit mir für Radio Dreyeckland über die tägliche Beratungspraxis und wie wichtig die Existenz Freiburger Initiative gegen Arbeitslosigkeit e.V (friga) ist. Was sind momentan so die Problemfelder, wie sind die Erfahrungen im Umgang der hiesigen Behörden mit jenen die Hilfe brauchen.

Schwerbehinderte vom Arbeitsgericht besonders geschützt: Gewerkschaft Verdi begrüßt Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg

Die Stadt Freiburg hatte einem schwerbehinderten Angestellten, noch während dessen Probezeit gekündigt. Das Arbeitsgericht Freiburg urteilte Anfang Juni 2024, die Kündigung sei unwirksam, denn es habe an dem zwingend erforderlichen „Präventionsverfahren“ gemangelt. Für Radio Dreyeckland sprach ich mit Reiner Geis, dem Geschäftsführer von ver.di Südbaden Schwarzwald, darüber, was es mit dem „Präventionsverfahren“ auf sich hat, weshalb aus Sicht von verdi die Entscheidung so wichtig ist, aber auch deren Potential, die bisherige Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts zu verändern.