Dümmer geht immer: Knäste auf Instagram

Immer mehr Gefängnisse präsentieren sich locker, flockig, leicht auf Social-Media-Kanälen wie Instagram. Baden-Württemberg ist offenbar bemüht möglichst alle Gefängnisse im Metaversum von Mark Zuckerberg zu präsentieren.

Gefängnisse auf Insta

Wer sich die Auftritte der hier exemplarisch verlinkten JVA Freiburg, der JVA Bruchsal oder der JVA Schwäbisch-Gmünd ansieht, bekommt mal mehr mal weniger Einblicke und Informationen. Gemeinsam ist allen Auftritten der werbende und schönfärberische Charakter der Haftanstalten. Da lachen einen fröhlich und aufmunternd die verschiedensten Bediensteten entgegen, auch jene von denen ich selbst, durch persönliche Erfahrungen weiß, wie sie sich im Haftalltag gegenüber Gefangenen verhalten.

Andere Bundesländer

Berlin hat auch einen entsprechenden Auftritt zu bieten, und sicherlich viele weitere Haftanstalten, erst recht in anderen Staaten.

Bewertung

Auch Gefängnisse gehen, zumindest ihrer Außendarstellung, mit der Zeit, im Innenverhältnis jedoch sind es nach wie vor menschenzerstörerische Institutionen, da helfen auch noch so viele lachende Gesichter auf den Accounts der Gefängnisse. Das Personal hat sicherlich viel zu lachen: gutes und sicheres Einkommen und einen „sicheren“ Arbeitsplatz. Jene dafür in den in den Zellen von ihnen gezwungen werden zu leben, Wochen, Monate, Jahre und nicht wenige bis zu ihrem Tod, sie alle haben nichts zu lachen! Insofern erschienen zumindest mir die Insta-Auftritte zynisch.

SV für Drogenabhängigen – „Wir kämpfen weiter!“- so sein Anwalt

Ein Prozess der keine Gewinner kennt: nach einem Überfall auf ein Sonnenstudio letztes Jahr, kämpft die Mitarbeiterin des Studios weiterhin mit den körperlichen und seelischen Folgen. Der Täter, ein 64-jähriger aus dem Umland, seit Jahrzehnten chronisch von Drogen abhängig, nahm bei dem Überfall einen Schlüssel und das Handy der Mitarbeiterin mit. Er wurde nun zu einer langjährigen Haftstrafe mit anschließender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt, was für ihn ein Sterben in Haft wahrscheinlicher macht, als jemals wieder entlassen zu werden.

Für Radio Dreyeckland war ich bei der Urteilsverkündung und sprach zudem mit dem Freiburger Rechtsanwalt Jan-Georg Wennekers, der den Angeklagten anwaltlich vertritt.

Messerverbote im Personenfernverkehr

Geht’s thematisch noch dröger? Vermutlich schon, aber das Thema ist für jede/n die/der reist relevant. Seit knapp vier Monaten ist eine Erweiterung des Waffengesetzes in Kraft, welches zum einen das Mitführen von Messern im Personenfernverkehr im Regelfall verbietet und zum anderen, anlasslose Kontrollen, Befragungen und Durchsuchungen seitens der Polizei gestattet um das Verbot durchzusetzen.

Die Neuregelung

Nach mehreren Angriffen mit Messern, hat sich 2024 der Bundestag auf eine Verschärfung nicht nur asylrechtlicher Bestimmungen geeinigt, z.B. den weitestgehenden Entzug jeglicher Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (hier: Absatz 4) für bestimmte Geflüchtete, sondern es wurde auch das Waffenrecht verschärft. Seit Ende Oktober 2024 ist es verboten, im Personenfernverkehr, also in Zügen (wie ICE und IC/EC) sowie Bussen (wie Flixbus) Messer mit sich zu führen (Mitführverbot nach § 42 b Waffengesetz), zudem können Reisende zur „Durchsetzung gesetzlicher Waffen- und Messerverbote (…) kurzzeitig an(ge)halten, befrag(t), mitgeführte Sachen in Augenschein (genommen) sowie die Person durchsucht“ werden(vgl. § 42 c WaffG).

Das Mitführverbot von Messern

Was ist denn überhaupt ein Messer? Art und Länge spielen keine Rolle, egal ob 2cm oder 20cm Klinge. Steinmesser, Keramikmesser, Stahlmesser: all das sind Messer. Offen scheint noch zu sein, ob selbst ein ungeschliffenes Messer rechtlich als Messer gilt. Für letztere Auslegung spricht, dass das Bundeskriminalamt hinsichtlich eines ungeschliffenen (!) Butterfly-Messers die Waffeneigenschaft vor neun Jahren ausdrücklich bejahte.

Was meint das „Führen“ oder Mitführen eines Messers? Egal ob in der Hosentasche, dem Rucksack, dem Koffer, all das ist umfasst.

Jedoch gibt es eine hier interessierende Ausnahme: das Mitsichführen ist gestattet, sofern dies „im Zusammenhang mit einem allgemein anerkannten Zweck“ (vgl. § 42 Abs. 4a Nr. 10 WaffG) geschieht. Wer sein Brot schneiden, einen Apfel schälen möchte, soll dies dürfen, jedoch muss das Messer bis zum konkreten Einsatz sicher und nicht zugriffsbereit verwahrt werden. Deutsche Jurist:innen scheinen ein dringendes Bedürfnis zu haben, derartiges sehr konkret zu regeln. Danach ist „ein Messer (…) nicht zugriffsbereit, wenn es nur mit mehr als drei Handgriffen erreicht werden kann“ (vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG: dort Unterabschnitt 3 Nr. 13). Das Messer in der Hosentasche zu transportieren, reicht also nicht aus!

Diese Regelungen gelten nicht nur für die Fernverkehrszüge und Fernbusse, sondern auch für die Bahnhofsgebäude und die Haltestellen, d.h. Bahnsteige.

Zur Durchsuchung

Das Waffengesetz ermächtigt dazu, Reisenden„kurzzeitig an(zu)halten, (zu) befragen, mitgeführte Sachen in Augenschein (zu) nehmen sowie die Person (zu) durchsuchen“ (vgl. § 42 c WaffG). Wer sich dem widersetzt kann strafrechtlich belangt werden, z.B. wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Wiewohl rassistische Kontrollen ausdrücklich verboten werden, so heißt es in §. 42 c WaffG, dass „die Auswahl der (…) kontrollierten Person anhand eines Merkmals im Sinne des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ohne sachlichen, durch den Zweck der Maßnahme gerechtfertigten Grund unzulässig“ sei, dürfte die Mehrzahl der Kontrollen vermutlich nur eine ganz spezifische Personengruppe treffen.

Strafe bei Verstoß gegen das Verbot

Mit einer Geldbuße bis zu 10.000 €, kann ein Verstoß gegen das Verbot Messer mit sich zu führen, geahndet werden (vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 21 c i.V.m. Abs. 2 WaffG). Zudem kann das Messer eingezogen werden.

Bewertung

Neben den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten zu bestimmen, was nun ein Messer ist, wo und wie das Verbot des Mitsichführens nun genau gilt, erweist sich die Neuregelung als weiterer Eingriff in die Ausweitung der Überwachung und Kontrolle durch den (repressiven) Staat. Es werden immer weitere Eingriffstatbestände geschaffen, welche die Polizei dazu nutzen kann, Menschen jederzeit umfassend zu kontrollieren, festzuhalten, zu durchsuchen. Meist werden solche gesetzgeberischen Veränderungen im Windschatten von aufgeregten medialen und politischen Debatten durchgesetzt. Freiräume werden weiter beschränkt und Verstöße mit drakonischen, einschüchternden Bußgeldern (in anderen Fällen auch mit Strafen) belegt.

Gefängnisskandal in Augsburg: Bericht der Antifolter-Stelle online!

Vergangenes Jahr machte die JVA Augsburg-Gablingen Schlagzeilen, nachdem eine Anwältin von zwei Gefangenen Foltervorwürfe erheben und eine ehemalige Gefängnisärztin wesentliche Teile der Vorwürfe bestätigte. Nunmehr ist der Besuchsbericht der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter online abrufbar.

Die Vorwürfe

Die Rechtsanwältin hatte der JVA Augsburg-Gablingen u.a. vorgeworfen ihre Mandanten über Tage in einer bunkerartigen Zelle eingesperrt zu haben, nackt, ohne Decke, ohne Matratze, teilweise ohne Essen. „Die Hölle des Südens“ überschrieb das ARD Magazin KONTRASTE seinen Fernsehbeitrag. Auch gewalttätige Übergriffe habe es gegeben. Der bayrische Justizminister Eisenreich sah sich veranlasst Stellung zu nehmen, er distanzierte sich von etwaigen Übergriffen und kündigte eine Aufarbeitung an.

Die Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter

Die Nationale Stelle ist eine Beobachtungsstelle, die auf ein Übereinkommen der Vereinten Nationen zurück und gibt es in Deutschland seit Mai 2009, wobei die Nationale Stelle seit Jahren eine unzureichende finanzielle Ausstattung beklagt, die es ihr verunmögliche ihren Aufgaben, nämlich Orte an denen Freiheitsentziehung erfolgt (neben Gefängnissen, Psychiatrien, Polizeizellen auch Alters- und Pflegeheime) umfassend zu besuchen und zu prüfen.

Der Besuchsbericht zur JVA Augsburg-Gablingen

Am 09.08.2024 besuchte die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter die JVA. Vor wenigen Tagen veröffentlichte sie ihren Besuchsbericht. Neben den in vielen anderen Haftanstalten gleichfalls beanstandeten Zuständen wie keine Schamwände in den Gemeinschaftsduschen, kein Sonnen-/Regenschutz im Gefängnishof, unverpixelte Videoüberwachung der Toilette im besonders gesicherten Haftraum (bgH), Urinkotrolle ohne Sichtschutz, und manches mehr, behandelt der Bericht ausführlich die Situation in den erwähnten besonders gesicherten Hafträumen: tagelang seien Menschen in den leeren Zellen, ohne Decken, Matratzen, ohne Kleidung, also nackt, weggesperrt worden, ohne Frischluft im Hof, denn der Zugang zum Hof sei ihnen verweigert worden.

Auffällig fand die Besuchskommission, dass sie bei ihrem unangekündigt erfolgten Besuch, längere Zeit an der Torwache festgehalten worden und am sofortigen Betreten der Anstalt gehindert worden sei. Es besteht der Verdacht, dass die Wartezeit genutzt wurde, um den in den bgH sitzenden Gefangenen schnell noch Matratzen, Decken und Kleidung zu bringen. Solche Vorwürfe hatte schon die ehemalige Gefängnisärztin erhoben.

Exkurs: Der Leiter Abteilung Strafvollzug im bayrischen Staatsministerium der Justiz

In allen 16 Bundesländern gibt es im jeweiligen Justizministerium eine Abteilung, welche sachlich und organisatorisch zuständig ist, für alle Justizvollzugsanstalten im Land. Ao auch in Bayern. Der Leiter der Abteilung F, Ministerialdirigent Peter Holzner, versteht es geschickt, in seinem medialen Auftreten (hier Seite 12-15), den Eindruck eines konzilianten Menschenfreunds zu erwecken, der von sich sagt, er „gehe sehr gerne wandern und wenn die Zeit dafür nicht reicht, auch gerne länger spazieren“, denn das sei „eine wunderbare Gelegenheit, um in der Früh munter zu werden und Kraft zu tanken und am Abend Stress abzubauen“. Dieser Wanderfreund also, verbittet sich, nach Mitteilung der Nationalen Stelle, unangekündigte Besuche in einer JVA: so habe dieser am 28.08.2024, also knapp drei Wochen nach dem Besuch in der JVA Augsburg-Gablingen die Nationale Stelle schriftlich aufgefordert von solchen unangekündigten Besuchen abzusehen.

Das ist derselbe Leiter, dessen Abteilung mindestens seit 2023 Vorwürfe über die Misshandlungen bekannt sind. Über eine Anstalt, die seiner Aufsicht untersteht, von der schon 2020 die taz berichtete, das einem Gefangenen falsche Medikamente ausgegeben wurden, so dass dieser nach Alarmierung des Notarztes ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Die Nationale Stelle lehnt Aufforderung ab und empfiehlt so einiges

Die Nationale Stelle lehnt die Aufforderung des Ministerialdirigenten von unangekündigten Besuchen abzusehen, ab und wertet den Vorgang als „irritierend“. Justizminister Eisenreich wird die Aufforderung seines Mitarbeiters als „individuelle Äußerung“ des Beamten abtun, welche nicht seiner eigenen Haltung entspreche. Dann folgt eine lange Liste an Empfehlungen: Matratzen, Sitzwürfel, Zugang zum Hof, Frischluft in den Zellen, blickdichte Kleidung, Verpixelung des Toilettenbereichs. Strengste Prüfung der Unterbringung im bgH (in einem Fall von 11 Tagen Unterbringung sei in Vermerken stets vom ruhigen Verhalten des Gefangenen die Rede gewesen, weshalb man nicht nachvollziehen könne, weshalb er dort 11 Tage gefangen gehalten wurde).

Der Justizminister erwidert

Auch die Antwort des Ministers ist mittlerweile öffentlich zugänglich. Mit Schreiben vom 16.01.2025 reagiert Minister Eisenreich auf den Besuchsbericht und die Empfehlungen. Er sei offen für die Idee, eine längere Unterbringung in einem bgH, an einen Richtervorbehalt zu knüpfen. Bislang entscheiden dies die Anstalten vor Ort in eigener Machtvollkommenheit. Es werde, so der Minister, eine lückenlose straf- und disziplinarrechtliche Aufklärung erfolgen. Zudem habe er eine „interdisziplinär besetzte Kommission unter der Leitung von Herrn Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs a. D. Peter Küspert eingesetzt“. Diese habe die Aufgabe Empfehlungen für die Unterbringung in einem bgH und dessen Ausstattung zu entwickeln. Angeblich gebe es aber Fälle, in welchen Kleidung und Decken dazu führen könnten, dass Gefangene sich verbergen, um Wunden unentdeckt aufzubeißen (!) oder Kleidungsstoff verschlucken, um sich umzubringen. Auch eine Verpixelung im Toilettenbereich könne zu entsprechenden Handlungen genutzt werden, die dann unentdeckt bleiben würden.

Ausblick

Skandale wie diese haben die Eigenschaft sich tot zu laufen. Noch sind SPD und Grüne im bayrischen Landtag durchaus engagiert. Horst Arnold (SPD) meint, „Abteilungen des Justizministeriums (würden) ein selbstherrliches Eigenleben“ führen. Toni Schuberl von den Grünen hat eine Kleine Anfrage an die Staatsregierung gerichtet. Er wirft Ministerpräsident Söder vor, den „Laden nicht im Griff“ zu haben. Dieses Engagement neigt jedoch dazu, schnell zu verpuffen, wenn die Scheinwerfer der Medien auf andere, neue Skandale gerichtet sein werden. Mit Forderungen die Lebenssituation von Gefangenen zu verbessern, lassen sich zudem in Wahlkämpfen kaum viele Stimmen gewinnen. Schon Anfang der 90’er Jahre war das Anti-Folterkomitee des Europarats Bayern vor, in der JVA Straubing Gefangene zu misshandeln. Jetzt, über 30 Jahre später, hat sich strukturell nicht viel geändert.

Aber immerhin, es wird berichtet und aktuell schauen mehr Menschen auf den (bayrischen) Strafvollzug, als sonst.

Bundesgerichtshof verhandelt das Antifa-Ost Verfahren

Es ist ein nass-kalter Februarmorgen. Von Ferne sind schon zahlreiche Polizeikräfte zu erkennen. Um überhaupt zum Eingang des Bundesgerichtshofs (BGH) zu gelangen, müssen Menschen sich ausweisen, stehen sie nicht auf irgendeiner der Listen die die Beamt:innen mit sich herum tragen, ist kein Weiterkommen. Wer an der öffentlichen Hauptverhandlung des 3. Strafsenats im Fall Lina E. teilnehmen wollte, musste sich schon im Januar, unter Angabe der Personalien, anmelden. Es ist 8:30 Uhr und erste Demonstrant:innen stehen vor den massiven Polizeiabsperrungen, stellen Lautsprecher auf und es ist die erste Rede der Roten Hilfe zu hören, die das Verfahren und auch den martialischen Polizeieinsatz vor dem Gerichtsgebäude einordnet.

Der Prozessauftakt

Wegen der umfänglichen Sicherheitskontrollen, die der Vorsitzende Richter Prof. Dr. Schäfer später „business as usual“ nennen sollte, beginnt die Verhandlung mit knapp 30min Verspätung um kurz vor 10 Uhr. Der Vorsitzende dankt allen Beteiligten für ihre Geduld, damit meint er auch die Verteidiger von Lina E., denn auch sie hatten so ihre Anfangsschwierigkeiten überhaupt ins Gebäude zu gelangen. Anschließend referiert der beisitzende Richter Dr. Kreicker eine Zusammenfassung des rund 400 Seiten umfassenden Urteils des Oberlandesgerichts Dresden vom 31.Mai 2023.

Die Revisionsbegründung der Verteidigung

Nun muss eine Revision gegen ein Urteil nicht umfassend begründet werden, es genügt die sogenannte „allgemeine Sachrüge“, die auch nicht näher ausgeführt werden muss. In dem rund zehnminütigen Vortrag der Verteidigung wurde auf einen Angriff auf einen Kanalarbeiter am 08.01.2019 im Leipziger Stadtteil Connewitz eingegangen. Hier sei die Beweiswürdigung lückenhaft und widersprüchlich. Für eine konkrete Teilnahme seiner Mandantin fehle es an Beweisen.

Dann folgten Ausführungen zu der Frage, ob eine tatmehrheitliche Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zulässig sei, oder ob eine tateinheitliche Verurteilung anzunehmen sei. Hier bezog sich der Verteidiger auf eine erst kürzlich geänderte Rechtsprechung des 3. Strafsenats. Nach Ansicht der Verteidigung komme hier zu Gunsten ihrer Mandantin nur Tateinheit und nicht Tatmehrheit in Betracht, was zur Folge habe, dass die Strafen neu festzusetzen seien, denn „Tateinheit wiegt weniger schwer als Tatmehrheit“, so der Anwalt.

Er beantragte das Urteil des OLG Dresden aufzuheben und zur neuen Entscheidung nach Dresden zurück zu verweisen.

Der Bundesanwalt erwidert

Nun hatte Dr. Matthias Krauß als Bundeswalt das Wort. Er betonte, der Sachverhalt sei sehr komplex, von einem umfangreichen „Personengeflecht“ geprägt, es sei nicht immer so klar, wer gehörte „zum Kern“, wer habe „nur von außen mitgewirkt“. Die Beweiswürdigung des OLG Dresden sei nicht widersprüchlich und auch die Verurteilung wegen des Sachverhalts vom 03.01.2019 sei zurecht erfolgt. Dass die Tat von der Vereinigung begangen worden sei, das habe man einem aufgezeichneten Gespräch vom 15.2.2020 entnehmen können, wie auch der Kronzeuge Domhöver es dann bestätigt habe. Es habe eine Frau an dem Angriff mitgewirkt, Lina E. sei in anderen Fällen als „Überblicksperson“ tätig geworden, durch „Szenariotrainigs“ auch entsprechend geschult, und die Statur von ihr passe zu der Person die an dem angriff teilgenommen habe.

Dann kommt der Bundesanwalt auf einen Diebstahl von zwei Hämmern in einem Baumarkt zu sprechen. Hier sei eigentlich eine Verurteilung wegen „Diebstahls mit Waffen“ die Folge, das habe das OLG Dresden übersehen, denn Hämmer seien gefährliche Werkzeuge und der Tatbestand sei schon erfüllt, wenn jemand zwar keine Waffen bei sich führe, aber das Diebesgut als Waffe geeignet sei. Vielleicht läge sogar ein räuberischer Diebstahl vor, denn Lina E. habe einen Stoß gegen einen Mitarbeiter des Baumarkts verübt. Das könne jedoch dahinstehen, denn Lina E. sei nicht beschwert, weil das OLG sie wegen eines geringeren Delikts verurteilt worden sei. Abschließend setzte sich der Bundesanwalt dann mit der konkurrenzrechtlichen Einordnung (Tateinheit vs Tatmehrheit) auseinander und beantragt in einem Fall die Aufhebung einer Einzelstrafe (von 2 Jahren 6 Monaten), mit der Folge, dasss auch die Gesamtstrafe aufzuheben sein werde.

Einzige Wortmeldung des Anwalts des Nebenkläger Ringel

In wenigen dürren Sätzen teilte der Anwalt mit, er schließe sich den Ausführungen des GBA an.

Die Revisionsbegründung des Generalbundesanwaltes

Jetzt war Bundesanwalt Weiß, als Vertreter des Generalbundesanwaltes (GBA), an der Reihe die Revision des GBA zu begründen. Soweit Lina E. im Fall Enrico B. freigesprochen wurde, sei dieser Freispruch nicht haltbar. Es gebe DANN-Spuren von ihr an einer tatrelevanten Tüte, es sei ausgeschlossen, dass die Spuren nur zufällig dorthin gelangt seien, z.B. durch eine Drittperson. Das OLG habe hier zu strenge Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung angelegt.

Soweit der GBA zu Anfang noch gerügt habe, eine Verurteilung wegen Rädelsführerschaft sei zu Unrecht unterblieben, hielt der Bundesanwalt daran nicht (mehr) fest. Er führte aus, es gebe nicht ausreichend Informationen über die „Binnenstruktrur“ um Lina E. eine solche Rädelsführerschaft nachzuweisen. Auf Frage des Vorsitzenden, dass das aber in der Revisionsbegründung noch anders dargestellt worden sei, betonte Bundesanwalt Weiß, dass jene Begründung nicht von ihm stamme, relevant sei, was er hier in der Verhandlung vortrage.

Im Fall des Kanalarbeiters (08.01.2019) sei die Strafzumessung jedoch fehlerhaft, denn es liege eine das „Leben gefährdende Behandlung“ vor, was eine höhere Strafe nach sich ziehen könnte. Das Opfer sollte nachhaltig geschädigt werden.

Zum Schluss setzte sich der Bundesanwalt noch mit der Strafzumessung durch das OLG Dresden auseinander was die reißerische Berichterstattung anging: das OLG habe diese durchgängig erheblich strafmildernd berücksichtigt, ohne dies detailliert zu begründen. Im Gespräch mit dem Vorsitzenden Richter verwies der Bundesanwalt dann auf das NSU Verfahren, wo die Angeklagten auch medial sehr intensiv begleitet worden seien, und hier habe der BGH eine strafmindernde Berücksichtigung abgelehnt. Was den Vorsitzenden Richter zu der Bemerkung veranlasste, dass der Vergleich zum NSU-Verfahren „hier vielleicht nicht ganz“ passe.

Die Verteidigung erwidert auf den Bundesanwalt

In einem ausführlichen Vortrag legte der zweite Verteidiger von Lina E. dar, weshalb die Rügen des GBA nicht durchgreifen. Zurecht sei ihre Mandantin teilweise freigesprochen, zurecht sei die mediale Berichterstattung berücksichtigt worden, denn sie sei in rechten und rechtsextremen Publikationen unverpixelt, mit vollem Namen dargestellt worden, das gehe weit über das hinaus, was Angeklagte hinnehmen müssten.

Was den Diebstahl der Hämmer angehe, so seien Hämmer zwar „abstrakt-generell“ gefährliche Werkzeuge, aber eben nicht „abstrakt-konkret“, denn andernfalls müsste man jegliches Handwerkszeug als „gefährliche Werkzeuge“ einstufen, mit der Folge, das wer so etwas stehle, immer wegen „Diebstahl mit Waffen“ verurteilt werden würde.

Urteil wird am 19.03.2025 verkündet werden

Um kurz nach halb eins neigt sich die Verhandlung dem Ende zu. Der Vorsitzende dankt allen Anwesenden für die ruhige und sachliche Atmosphäre, denn ihm sei bewusst, dass es sich um ein emotional bewegendes Verfahren handele, aber er freue sich, dass alles „störungsfrei“ abgelaufen sei. Das Urteil werde am 19. März 2025 verkündet werden. Ob man gestatte die Urteilsverkündung aufzuzeichnen, darüber entscheide das Gericht rechtzeitig. Sollte eine Aufzeichnung stattfinden, werde diese üblicherweise am Folgetag im Internet frei zugänglich sein. Für diejenigen die live im Gerichtssaal sein wollen, werde es aber wieder eigene Akkreditierungsbedingungen geben.

Ausklang vor dem Gerichtsgebäude

Die rund 100 Zuschauer:innen strömten aus dem Saal, ich selbst ging dann zu der Soligruppe die vor dem Gerichtsgebäude einen Pavillon aufgebaut hatte, mit Flaggen, Mobimaterial der Roten Hilfe, auch stand heißer Tee bereit. Über Stunden hatten die solidarischen Genoss:innen ausgeharrt, es waren mehrerer Reden gehalten worden und Dandl von der Roten Hilfe betonte, wie wichtig solche Zeichen der Solidarität und Unterstützung seien. Denn immer mehr linke Aktivist:innen landeten in den Knästen. Auch am 19. März werde man wieder vor Ort sein.

Ausblick und Bewertung

Eine teilweise Aufhebung des Urteils erscheint denkbar, insbesondere was das Strafmaß anbetrifft, auch wenn substanzielle Änderungen vielleicht nicht zu erwarten sind. Was passiert aber, wenn das erste Urteil im Antifa-Ost Verfahren rechtskräftig sein wird? Angesichts des auch in der Verhandlung immer wieder thematisierten „Pools“ von Aktivist:innen die der konstruierten Vereinigung zugerechnet werden, sind weitere Gerichtsverfahren und weitere (massive) polizeiliche Repression zu erwarten.

Seltsam technokratisch mutete die Verhandlung an, bar jeglicher politischen Kontextualisierung. Zwar kamen die Hintergründe und Motive ansatzweise im einleitenden Referat des Berichterstatters vor, im weiteren Verlauf der Verhandlung blieben sie aber seltsam im Dunklen.