Stuttgarter Aktivist Smily berichtet über sein Zeit im Exil

Rund zehn Jahre ist es nun her, dass Smily sich den Stuttgarter Justizbehörden durch seinen Gang ins Exil entzogen hatte. Körperliche Konfrontation mit Neonazis, Graffiti auf einem Polizeiauto und ähnliches wurde ihm vorgeworfen. Nach zehn Monaten Untersuchungshaft wurde er entlassen. Er entschied sich, lieber einige Jahre das Land zu verlassen, als die Strafe, die ihm drohte abzusitzen. Nachdem alles verjährt war, kehrte er zurück nach Deutschland. Über die Hintergründe des Verfahrens, seine Zeit im Exil und die Rückkehr nach Deutschland schrieb Smily ein Buch: „Haftantritt ausgesetzt“. Auf Vorträgen erzählt er von dieser Zeit und will die Risiken und auch die Möglichkeiten aufzeigen, die in einem solchen Weg liegen.

Angesichts der Repressionen gegen Antifaschist:innen, ob exemplarisch genannt, im Zusammenhang mit dem Antifa-Ost-Verfahren oder dem Budapest-Verfahren, gewinnt die Vorstellung, durch den Gang ins Exil sich der staatlichen Verfolgung zu entziehen, an Aktualität. Schon vor rund 30 Jahren gingen drei Menschen aus Berlin ins Exil, haben sich in Südamerika ein neues Leben aufgebaut und dort zwischenzeitlich die Anerkennung als Flüchtlinge erhalten. Ihnen droht aber weiter strafrechtlliche Verfolgung, sollten sie vor Ablauf von 40 (!) Jahren nach Deutschland zurück kehren.

Am 03.12.2024 trat Smily in Dresden auf. Dort wird alljährlich an den Tod von Riccardo erinnert, einem jungen Antifaschisten der ebenfall ins Exil ging, um der deutschen Justiz eine Verfolgung zu verunmöglichen. Allerdings nahm Riccardo sich dort 2017 das Leben.

RDL war in Dresden und sprach vor der Veranstaltung mit Smily über dessen Exilzeit aber auch darüber, weshalb er in Veranstaltungen darüber spricht.

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Abschied von Günther Finneisen

Manche Menschen gehen mit einem lauten Knall, andere verpissen sich still und leise. So viele Schlagzeilen Günther in den Jahrzehnten seiner Inhaftierung auch machte, sein Abgang aus dem Leben war von der sehr stillen Sorte.

Finni und sein Freiheitsdrang

Im Mai 1995 machten er und sein Freund und Mitgefangener Peter S. bundesweit Schlagzeilen. Sie beide saßen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Celle, nahmen einen Beamten als Geisel und fuhren einem Porsche durchs das Tor der Haftanstalt in die dann nur kurz währende Freiheit. Nach nur 51 Stunden wurden sie von einem Sondereinsatzkommando festgenommen.

Nach dem Prozess wurde es still um Günther, er verschwand in den dunklen Isolationstrakten Niedersachsens. Rund 16 Jahre sollte die Isolation andauern, erst nachdem Kai Schlieter von der taz in einem ausführlichen Artikel („Lebendig begraben“) über die seit der Geiselnahme andauernde Isolierung von Günther, wie auch seinem Freund Peter, ausführlich berichtete, lockerte die niedersächsische Justizverwaltung die Isolierung. Zuvor hatten Wissenschaftler und Politiker die lange Isolierung als Folter bezeichnet.

Vor 12 Jahren berichtete die taz über Finneisens Freilassung, und seine Versuche in Berlin Fuß zu fassen. Die Freiheit sollte nicht lange währen, denn nach einem weiteren Strafprozess wurde Finni, wie er genannt werden wollte, wegen „Verabredung“ zu einer Straftat zu einer eher kurzen Haftstrafe, aber auch zur Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt. Weit über 40 Jahre war er in deutschen Gefängnissen eingesperrt gewesen.

Finni der Künstler

In seinen letzten Jahren wurden seine Zeichnungen, die er seit Jahrzehnten während der Haft fertigte, immer wieder ausgestellt. „Der Delinquent im Einweckglas“, so überschrieb das Neue Deutschland einen Artikel vor vier Jahren. Das Deutsche Hygienemuseum hatte Finnis Zeichnung, von einem Gefangenen im Einweckglas im Rahmen einer Ausstellung über Gefängnisse präsentiert. Der Delinquent, abgesondert von der Umwelt, in der kalten, luftleeren, sterilen Atmosphäre eines Einweckglases, auf Dauer konserviert und isoliert.

Im Sommer 2022 gab es im Wahlkreisbüro von Hendrikje Klein (Linke), einer Berliner Abgeordnete des Abgeordnetenhauses eine ganze Ausstellung mit Zeichnungen von Finni. „Eine Vernissage ohne Künstler, weil der schon wieder im Gefängnis sitzt“, schrieb damals die Berliner Zeitung. „Minimalistisch, teilweise verstörend“ nannte der Tagesspiegel seine Zeichnungen.

Viele seiner Zeichnungen sind noch nicht veröffentlicht, vielleicht wird es in den kommenden Jahren eine Auswahl davon in gedruckter Form geben. 

Finni und seine Gesundheit

Er saß im Berliner Vollzug der Sicherungsverwahrung, als er davon schrieb umgefallen zu sein, teilweise mit Lähmungserscheinungen. So wie er berichtete, habe das ärztliche Personal auf einen möglichen Herzinfarkt geschlossen, auch wenn sich alles eher wie ein Schlaganfall darstellte. Eine Begutachtung ergab schließlich, er sei ein Pflegefall und könne aus der Haftanstalt entlassen werden. Seine HIV-Infektion, die er sich in Haft zugezogen hatte, belastete ihn gesundheitlich zusehends.

Kein Wort und auch keine Zeichnungen mehr von Finni

Manche von uns wunderten sich, dass er nach seiner Entlassung nichts von sich hören ließ. Erst jetzt erfuhren wir, er ist am 03. Mai 2023, nur wenige Wochen nach seiner Freilassung, gestorben und wurde in Berliner Stadtteil Alt-Hohenschönhausen auf dem St. Hedwig-Friedhof beerdigt.

Trauer, Wut, eine gewisse Leere, ganz verschiedene Gefühle tauchen auf. Ein Leben hinter Gefängnismauern ist zwar außerhalb des Knastes zu ende gegangen, aber auf welche Weise. Todkrank, begleitet von Mitarbeiter:innen der Pflegeeinrichtung und einem Sozialarbeiter der Haftanstalt. Konnte er sich bei niemandem von uns mehr melden? Wollte er es nicht?

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Die verleugnete Opfer des NS-Terrors – Eine Wanderausstellung zu jenen, die als „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ galten

Mit fast 80-jähriger Verspätung beginnt nun eine etwas breitere Erinnerung an jene Opfer des NS-Terrors, die über Jahrzehnte nicht nur verdrängt, sondern regelrecht verleugnet wurden. Menschen die von den Nationalsozialisten als „asozial“ oder „Berufsverbrecher:innen“ abgestempelt wurden, stehen im Mittelpunkt der „Die Verleugneten“ Wanderausstellung die noch bis 31. Januar 2025 zu sehen ist, und dann weiter ziehen wird nach Bayern, nach Nordrhein-Westfalen und -hoffentlich- Verlaufe der Jahre durch alle Bundesländer. Die Ausstellung erarbeitet haben die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.

Für Radio Dreyeckland habe ich die Ausstellung besucht und mit Dr. Ulrich Baumann dem stellvertretenden Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, sowie dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Stiftung Oliver Gaida gesprochen. Der Beitrag kann hier angehört werden.

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Polizist des Freiburger Reviers wegen Volksverhetzung verurteilt!

Am 20.11.2024 verurteilte Richterin Garcia-Cejas den 45-jährigen Polizisten Michael K wegen Volksverhetzung und der Verwendung und Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 280 Tagessätzen zu jeweils 85 Euro, das heißt, der Angeklagte soll insgesamt 23.800 € zahlen, zuzüglich der Verfahrenskosten. In einem Fall wurde Michael K. freigesprochen.

Für Radio Dreyeckland war ich beim Prozess und berichtete über den letzten Prozesstag und das Urteil.

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Wie viel Strafe ist ein erschossener Asylbewerber einem Gericht wert

Das Landgericht Waldhut-Tiengen verurteilte am Montag, den 18.11.2024, nach einem schmutzig zu nennenden Deal zwischen Staatsanwaltschaft, Angeklagten und Gericht einen Mann, der einen Geflüchteten erschossen und zerstückelt hat. Eine Haftstrafe von sechs Jahre und zehn Monate wegen Totschlags hielt das Gericht für tat- und schuldangemessen. Rechtsextreme Motive für die Tat seien nicht nachweisbar hieß es. Geschenkt, dass einschlägige Literatur beim Angeklagten gefunden wurde. Dass er über dem Carport „Deutsches Schutzgebiet“ und über der Hundehütte „Wolfsschanze“ stehen hatte. Antisemitische Äußerungen auf Arbeit, Funde auf dem Smartphone, und anderes mehr. Weder für die Ermittler*innen, noch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht ausreichende Belege.

Urteil gegen Polizisten, der rechte Chatinhalte in „Spreewald-Rock“ Chats teilte

Nun ja, wenn dann auch dort solche Polizist*innen ermittelt haben sollten, wie in dem nun vom Amtsgericht Breisach verurteilten Fall, dann verwundert einen so eine Haltung nicht mehr so sehr. In Breisach stand ein Polizist vor Gericht, der unstrittig, über lange Zeit ausländerfeindliche, rassistische, nationalsozialistische Chatinhalte nicht nur widerspruchslos zur Kenntnis nahm, sondern solche auch selbst weiterverbreitete. Unter anderem in Chats die sich dem Besuch von Festivals widmeten. Dem „Rock-Dein-Leben“ und auch dem „Spreewald-Rock“ Festival. Spannenderweise wurden beide Festivals am letzten Prozesstag als völlig unpolitische Festivals, von politisch „neutralen“ Bands, dargestellt. Es gehe in den Songs um „Liebe“ und ums „Feiern“.

Entpolitisierung von Festivals

Wer tritt denn dort so auf? Auf dem „Rock dein Leben“ zumindest Frei.wild und BRDigung. Letztere Band auch auf dem „Spreewald-Rock“ Festival, ebenso die „Krawallbrüder“. Frei.wild wird von diversen Medien eine Nähe zu politisch rechten Motiven vorgeworfen, darunter nationalistische Positionen in Songs, wie im „Land der Vollidioten“. BRDigung wiederum verbreitet in ihren Songs Verschwörungstheorien zu 9/11, Chemtrails, den Machenschaften der GEZ, der „Impflüge“ und der NWO (Neue Weltordnung). Zu der Grauzone-Band „Krawallbrüder“ gibt es Veröffentlichungen zu deren Verbindungen zur saarländischen Naziszene. Das als ein paar wenige, als sehr wenige, Stichworte zu den angeblich so völlig unpolitischen Festivals. Ungestört vom Staatsschutzstaatsanwalt Graulich kann dies eine Zeugin so darstellen. Wenn es gegen linke Medien und Plattformen geht, ob nun linksunten.indymedia oder Radio Dreyeckland, kann Staatsanwalt Graulich aber auch ganz anders auftreten.

Solidarische Polizist*innen im Gerichtssaal und eine migrantische Kronzeugin

Dann sitzen da im Breisacher Gerichtssaal, neben wenigen Pressevertreter*innen, zahlreiche Polizist*innen, um ihrem angeklagten Kollegen „moralischen Beistand“ zu geben.

Wer von ihnen mag wohl auch Teil der WhatsApp „Feierabend Gruppe“ gewesen sein, und all die rassistischen Inhalte geteilt oder gelikt haben!? Aber aus Sicht der Verteidigerin waren es ja primär „Geschmacklosigkeiten“ oder derbe Späße, etwas „hart“, aber niemals ein Beleg für eine rassistische Überzeugung. Dann eine Polizeikollegin in den Zeugenstand zu rufen, die als Muslimin dem Angeklagten einen guten Leumund bescheinigen soll und das wunschgemäß auch tut, ist nicht gerade Beleg für irgendeine „Einsicht“ auf Seiten des Angeklagten. Er sei ja so nett zu der muslimischen Kollegin gewesen, habe mit ihr sogar auf einer Hochzeit getanzt- so jemand kann doch niemals ein Rassist, ein Ausländerfeind sein.

Ein Abgrund an Menschenverachtung

Die nun angeklagten und abgeurteilten Fälle, zusammen mit den strafrechtlich nie verfolgten Chats der „Feierabend-Gruppe“, lassen in einen Abgrund blicken. Nationalistisch! Rassistisch! Braun! In beruflichem Kontext, in familiärem Zusammenhang und auch bei dem scheinbar so sehr unpolitischen Festivalbesuchen. Überall rassistische, fremdenfeindliche Chatinhalte. Aber eine entsprechende Gesinnung, nein, die habe der Angeklagte nicht.

Was sagt es über die vielen Polizist*innen aus, die ihren angeklagten und nunmehr verurteilten Kollegen so eifrig und solidarisch begleitet haben? Was haben Menschen mit Migrationshintergrund zu befürchten, wenn sie auf einen von diesen treffen sollten? Auf Polizist*innen treffen, die nicht nur rassistische Inhalte teilten, sondern auch Bilder von Menschen in hilfloser Lage, über die sich dann lustig gemacht wurde?

Beide Prozesse, der um den getöteten Geflüchteten und nun der gegen den Polizisten in Breisach machen deutlich, wie wenig Geflüchtete zählen, ob vor Gericht, oder auch bei der Polizei. Rassistische Gewalt, in Wort und Tat sie sind Alltag.

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Rassistische Polizeichats – Urteil des AG Breisach erwartet

Im Frühjahr 2023 machte die Freiburger Polizei (mal wieder) Schlagzeilen, weil auf Smartphones von Polizist*innen, wenig überraschend, rassistische und homophobe Chatinhalte aufgetaucht sind. Für den 20.11.2024 hat das Amtsgericht Breisach eine Urteilsverkündung angesetzt.

Die Vorgeschichte

Wie die Badische Zeitung am 26.07.2021 berichtete, sei eine Chatgruppe von Freiburger Polizist*innen aufgeflogen. Knapp zwei Jahre später wurde bekannt, dass gegen einen Freiburger Polizisten ein Dienstverbot verhängt worden sei, gegen weitere Bedienstete der Polizei liefen Disziplinarverfahren. Zwischenzeitlich wurden Verfahren an die Staatsschutzabteilung der Karlsruher Staatsanwaltschaft abgegeben.

Prozess vor dem Amtsgericht Breisach

Tief in der badischen Provinz verhandelte kürzlich das Amtsgericht Breisach gegen einen 45-jährigen Freiburger Polizisten, wie die Badische Zeitung am 14.11.2024 berichtete. Offenbar ziemlich fanatischer Hass auf alles Nicht-Deutsche wurde in der Chatgruppe ausgetauscht, dabei soll der Angeklagte aus seiner fremdenfeindlichen und rechtsextremen Haltung keinen Hehl gemacht haben. Eine Ermittlerin der Landeskriminalamtes habe im Prozess auf Frage des Staatsanwalts Graulich bestritten, dass die Ansichten ihres angeklagten Kollegenrepräsentativ sei für die Polizei.

Für Mittwoch, den 20.11.2024 hat die Vorsitzende die Urteilsverkündung terminiert.

Einordnung

Fast zeitgleich fand vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen ein Strafprozess gegen einen Angeklagten statt, der beschuldigt wird, einen Asylbewerber erschossen und hernach zerstückelt zu haben. Dort wollten weder Ermittler*innen der Polizei, noch Staatsanwaltschaft oder Gericht ein rechtsextremes Tatmotiv erkennen; da half es auch nichts, dass der Angeklagte sich schon in der Vergangenheit antisemitisch äußerte, seine Hundehütte „Wolfsschanze“ nannte, und durch andere Äußerungen rein rechtsextremes Weltbild verbreitete. Welche „Ermittler*innen“ auch bei der Polizei arbeiten, zeigt eben jene Chatgruppe, die nur aufgeflogen war, weil ein Praktikant von den Chatinhalten erfuhr und dies seinem Vorgesetzten meldete. Wen verwundert es dann, dass in dem Fall um den erschossenen Asylbewerber niemand in der Justiz ein rechtsextremes Motiv erkennen möchte?

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Erschossener Tunesier: rechtsradikale Gesinnung des Täters angeblich kein Motiv!

Vor rund einem Jahr wurde dem 38-jährige Mahdi Bin Nasr in den Kopf geschossen, danach zerstückelt und in den Rhein geworfen. Den Täter, Patrick E. aus Maulburg, erwartet nach einem Deal mit Staatsanwaltschaft und Gericht eine Strafe zwischen sechs und sieben Jahren- die rechtsextremen Äußerungen des Angeklagten seien, so die Justiz, nur Indizien, keine Beweise für ein rechtsextremes Tatmotiv.

Der Hintergrund des Prozesses

Vor 11 Jahren floh Mahdi Bin Nasr aus Tunesien nach Deutschland, allerdings wurde ihm hier kein Asyl gewährt. Zuletzt lebte er in Rickenbach, im Hotzenwald, in einer Unterkunft für Asylbewerber. Kurz vor Weihnachten 2023 feierten der Angeklagte und weitere Personen in einem Ferienhaus. Angeblich sei Mahdi Bin Nasr mit dem Fahrrad am Haus vorbeigefahren und habe „Ihr scheiß Deutschen“, „Ihr Nazis“ oder so gesagt. Daraufhin sei der Angeklagte dem späteren Opfer gefolgt, in die Asylbewerberunterkunft eingebrochen. Dort habe er zwei Mal auf Mahdi Bin Nasr geschossen, diesen anschließend zerteilt und im Rhein versenkt.

Der auffällige Vorsitzende Richter Martin Hauser

Der Vorsitzende verwahrte sich dagegen „auf dem rechten Auge blind“ zu sein. Dass sich der Angeklagte in Post aus seiner Zelle damit brüstet ein „Held“ zu sein, da er ein Attentat verhindert habe, dass er nur das getan habe „was in anderen Ländern erlaubt“ sei, alles ohne Bedeutung. Über der Hundehütte stand „Wolfsschanze“, er klebte Sticker der rechtsextremen Zeitschrift „Compact“, über seinem Carport steht „Deutsches Schutzgebiet“, sein Arbeitgeber mahnte ihn ab, nachdem er gesagt hatte „Ein richtiger Deutscher kauft nicht bei Juden“. Auf seinem Smartphone Memes mit Reden Adolf Hitlers.

All das rechtfertige es aber nicht, von einem rechtsextremen Motiv auszugehen. Wichtiger fand Richter Martin Hauser darauf hinzuweisen, dass das Opfer seit 2013 „auf Kosten des Steuerzahlers hier gelebt“ habe und „seit 2017 ausreisepflichtig gewesen“ sei. Zudem habe Mahdi Bin Nasr angeblich provoziert, mit den diesem zugeschrieben Aussagen von den „scheiß Deutschen“ und „Ihr Nazis“.

Der Richter ist einer der sensiblen Sorte wenn es um seine Belange geht, so lamentiert er 2015 gegenüber der Badischen Zeitung, er sei „noch nie so viel angefeindet worden wie hier“, an seiner damaligen richterlichen Wirkungsstätte.

Der schmutzige Deal

Hand in Hand dealten das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung mit dem Angeklagten: gegen sein Geständnis, und der dadurch ermöglichten Verkürzung des Prozesses, wurde ihm eine Verurteilung wegen Totschlags zu einer Strafe zwischen sechs und sieben Jahren zugesichert, eigentlich reicht der Strafrahmen für Totschlag von fünf bis fünfzehn Jahren.

Gerichtsreporter Frank Zimmermann von der Badischen Zeitung versicherte im Gespräch mit Radio Dreyeckland, er habe nach nunmehr 20 Jahren als Reporter, so einen Deal bei einem derart schweren Vorwurf noch nie erlebt.

Einordnung des Verfahrens

Wenn es seitens der Justiz gegen linke Beschuldigte geht, ist der Vorwurf des (versuchten) Mordes leicht zur Hand. In jüngster Zeit sind zu nennen die Anklage gegen Benni, dem die Staatsanwaltschaft versuchten Mord im Zusammenhang mit einer Demonstration vorwirft, sowie zuletzt die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Hanna, im Zusammenhang mit den antifaschistischen Aktionen gegen Nazis in Budapest. Auch hier lautet die Anklage auf versuchten Mord.

Wer hingegen Waffen hortet, fast 40 Schusswaffen hatte der Angeklagte Zuhause in Besitz, die meisten davon legal, sich antisemitisch äußert, rechtsextremistische Publikationen bewirbt, nazistische Memes konsumiert, da fällt es den Staatsanwält*innen und Richter*innen naturgemäß sehr schwer ein rechtsextremes Motiv zu erkennen. Da helfen dann auch keine Tatumstände, wie der Einbruch in die Wohnung, Schüsse in den Kopf, Zerteilen und Verstecken der Leiche. Auch ein sich mit der Tat noch aus der Haft heraus brüsten, verhelfen nicht zu neuen Perspektiven, sondern am Ende zu einer Belohnung für den Angeklagten: er habe schließlich geholfen den Prozess zu verkürzen, zudem sei das Opfer dem Staat auf der Tasche gelegen und hätte längst nicht mehr in Deutschland sein dürfen. Sechs bis sieben Jahre ab in den Knast. Bevor die Badische Zeitung den Fall intensiver aufgriff, nahm kaum jemand in Südbaden Notiz vom Tod Mahdi Bin Nasrs. Danach berichtete zumindest der Regionalsender SWR4 über den Prozessverlauf. Radio Dreyeckland wiederum schickte Reporter*innen zum Prozess und bipocfreiburg fordert „Justice for Mahdi Bin Nacr“.

Wie viele Mahdis wurden und werden in Deutschland jedes Jahr umgebracht, ohne dass ihre Namen, Gesichter und Geschichten bekannt werden? Wie viele Martin Hausers sprechen tagtäglich Recht und stehen in der Tradition eines Richters Manfred Götzl, dem Vorsitzenden im NSU-Prozess?

Für den 18. November 2024 um 9:00 Uhr hat das Landgericht Waldhut-Tiengen die Urteilsverkündung angesetzt. Gerechtigkeit kann und darf niemand erwarten!

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Berliner Gefängnispsychologin gibt in Einblicke in ihre Gedankenwelt

Seit einigen Wochen sendet die ARD eine Podcastreihe aus der Berliner JVA Tegel. In der aktuellen Folge kommt ausführlich Pia Andrée zu Wort, die Leiterin von Haus 5, der Therapieabteilung der JVA Tegel.

„Unter Mördern – Leben im Gefängnis“

Der reißerische Titel der Podcastreihe wird durchaus eingelöst. Zu Wort kommen nicht jene Insass*innen, die die Mehrzahl hinter Mauern stellen: jene die in Geschäften geklaut, betrogen, gedealt, zugeschlagen haben oder ohne Ticket Bus oder Bahn gefahren sind. Die Autor*innen der ARD schauen auf jene, die lange, sehr lange Strafen absitzen, die wegen schwerster sexualisierter Gewalttaten oder Tötungsdelikte für viele Jahre oder Jahrzehnte im Gefängnis eingesperrt werden.

Gefängnispsychologin Pia Andrée- eine „Menschenfreundin“?

In der Folge 5 darf sich Pia Andrée, seit einigen Jahren Leiterin der Therapeutischen Abteilung in der JVA Berlin-Tegel, als Menschenfreundin präsentieren, die offen, unbefangen mit den Inhaftierten umgeht, mit ihnen bei der Fußball-EM gemeinsam bei Knabberzeug feiert, wenn ein Insasse ins Krankenhaus muss, diesen besucht und Schokolade mitbringt. Es gebe, so Pia Andrée, keine bösen Menschen, nur böse Taten.

Gefängnispsycholog*innen in den Medien

Immerhin gehen vorliegend die Autor*innen nicht völlig unkritisch mit der Psychologin und der JVA Berlin Tegel um. So werden Graffitis vor der JVA, die die dortigen Zustände anprangern ebenso thematisiert, wie Aufrufe, Bedienstete die Gefangene misshandeln, namentlich und mit Foto bekannt zu machen, und brennende Autos von Beschäftigten.

Allerdings zeichnet sich diese Folge durch weitestgehend unreflektierte Übernahme der Position der Anstaltspsychologin aus. So lobt diese den Umgang mit einem Gefangenen, der zu Aggressionsdurchbrüchen neigte: wohlmeinende Bedienstete seien mit diesem, anstatt ihn einfach wegzuschließen, in den Gefängnishof gegangen. Dort habe er joggen und sich so abreagieren können. Es dürfte ihr allerdings bekannt sein, dass sich gerade die JVA Berlin-Tegel dadurch auszeichnet, Gefangene über lange Zeit in Isolation zu sperren.

Zuletzt zog die ehemalige Anstaltspsychologin Gilda Giebel durch Talkshows, um Werbung für ihr Buch zu machen, welches sie über ihre Arbeit in einer Abteilung für Sicherungsverwahrung geschrieben hat. Zu denken wäre auch noch an die zwischenzeitlich verstorbene Gefängnispsychologin Susanne Preusker, die vor 13 Jahren mit der Forderung „Lass sie niemals frei“ in den politischen Diskurs einzugreifen versuchte. Oder an Diplompsychologin W. aus der JVA Freiburg, die einem Insassen schonmal als fachlichen Rat mit auf den Weg gab, er könne sich, wenn ihm was nicht passe, immer noch „weghängen“- 2023 erhängte er sich dann.

Den massenmedialen Diskurs bestimmt aber nicht die letztgenannte Vollzugspraxis, sondern die mit der Autorität ehemaliger oder gegenwärtiger beruflicher Tätigkeit ausgestatten Interviews und Publikationen, wie jene von Frau Andrée, Frau Giebel oder Frau Preusker.

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